Generaloffensive der Weltbourgeoisie

Das Proletariat hat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen und furchtbaren Feind vor sich. Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen ist eine elementare Notwendigkeit. Das aber nicht nur im Hinblick auf die historische Existenz des Proletariats als Klasse, die mit der Überwindung des Kapitalismus die Menschheit befreien muss; es ist auch eine Frage der Existenz jedes schlichten Proletariers, eine Frage des Brotes, der Arbeitsbedingungen und der Lebensgestaltung für Millionen und Millionen von Ausgebeuteten. Deshalb muss der Kampf gegen den Faschismus Sache des ganzen Proletariats sein. Es liegt auf der Hand, dass wir diesen tückischen Feind um so eher überwinden, je klarer und schärfer wir sein Wesen und die Auswirkungen seines Wesens erkennen.
Bis jetzt ist reichliche Unklarheit über den Faschismus vorhanden gewesen. Nicht nur in den breiten Massen der Proletarier, sondern auch innerhalb ihrer revolutionären Vorhut, unter den Kommunisten. Die Meinung wurde vertreten und war früher wohl vorherrschend, dass der Faschismus nichts sei als gewalttätiger bürgerlicher Terror, und er wurde geschichtlich seinem Wesen und seiner Wirkung nach auf eine Stufe mit dem weißen Schrecken in Horthy-Ungarn gestellt. Aber obgleich die blutigen terroristischen Methoden des Faschismus und des Horthy-Regimes die gleichen sind und sich gleicherweise gegen das Proletariat kehren, ist das geschichtliche Wesen der beiden Erscheinungen außerordentlich verschieden. Der Terror in Ungarn setzte nach einem siegreichen, wenn auch kurzen revolutionären Kampfe des Proletariats ein; die Bourgeoisie hatte vorübergehend vor der Macht des Proletariats gezittert. Der Horthy-Terror kam als Rache gegen die Revolution. Der Vollstrecker dieses Racheaktes ist die kleine Kaste der feudalen Offiziere.
Anders ist es beim Faschismus. Er ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertigwerden wollen. Wir werden ihn nicht auf militärischem Wege allein überwinden – um diesen Ausdruck zu gebrauchen –, wir müssen ihn auch politisch und ideologisch niederringen.
Obgleich die Auffassung, dass der Faschismus bloßer bürgerlicher Terror sei, auch von radikalen Elementen unserer Bewegung vertreten wird, berührt sie sich zum Teil mit der Auffassung der reformistischen Sozialdemokraten. Für sie ist der Faschismus nichts als Terror, Gewalt, und zwar bourgeoiser Reflex der Gewalt, die von seiten des Proletariats gegen die bürgerliche Gesellschaft ausgegangen ist oder die ihr angedroht wird. Für die Herren Reformisten spielt die russische Revolution dieselbe Rolle wie für die Bibelgläubigen der Apfelbiss im Paradies. Sie ist der Ausgangspunkt aller terroristischer Erscheinungen der Gegenwart. Als ob kein imperialistischer Raubkrieg gewesen wäre und keine Klassendiktatur der Bourgeoisie existierte! So ist auch der Faschismus für die Reformisten die Auswirkung des revolutionären Sündenfalls des russischen Proletariats. Es war kein Geringerer als Otto Bauer, der in Hamburg die Auffassung vertreten hat, dass die russischen Kommunisten und ihre Gesinnungsgenossen eine ganz besondere Verantwortung für die gegenwärtige Weltreaktion der Bourgeoisie und den Faschismus tragen. Sie haben zur Spaltung der Parteien und Gewerkschaften getrieben. Otto Bauer vergaß bei dieser kühnen Behauptung, dass die höchst harmlosen Unabhängigen sich noch vor der russischen Revolution und ihrem »sittenverderbenden« Beispiel von den Sozialdemokraten abgespalten haben. Er erklärte weiter, an der Weltreaktion, die im Faschismus gipfelt, sei auch schuld, dass die russische Revolution das menschewistische Paradies in Georgien und Armenien zerstört habe. Als dritte Ursache der Weltreaktion sah er den »bolschewistischen Terror« überhaupt an. In seinen Ausführungen musste er allerdings dieses anerkennen: »In Mitteleuropa sind wir heute gezwungen, den Gewaltorganisationen des Faschismus Abwehrorganisationen des Proletariats gegenüberzustellen. Denn kein Appell an die Demokratie kann gegen die direkte Gewalt ausreichen.«
Clara Zetkin: Der Kampf gegen den Faschismus. Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (20. Juni 1923). In: Protokoll der Konferenz der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau, 12.–23. Juni 1923. Hamburg 1923.
Hier zitiert nach: Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften, Band II. Dietz-Verlag, Berlin 1960, S. 689–691
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- -/REUTERS21.09.2024
Periphere Probleme
- Balima Boureima/Anadolu/picture alliance25.07.2024
Problemfall der Weltherrschaft
- The National Antiterrorism Committee25.06.2024
Anschläge in Dagestan
Regio:
Mehr aus: Wochenendbeilage
-
»Ich habe noch nie eine so schnelle Zerstörung eines Landes gesehen«
vom 01.02.2025 -
Merzens Sternstunde
vom 01.02.2025 -
Greta in der Wüste
vom 01.02.2025 -
Die Moschee in der Hand
vom 01.02.2025 -
Barraquito
vom 01.02.2025 -
Kreuzworträtsel
vom 01.02.2025