Der Tod aus dem Meer
Von Thomas Salter
Die Lösung der Klimakrise ist auch ein Problem der diskursiven Ökologie: Welche theoretischen Ansätze können wir recyclen, welche ideologischen Altlasten gilt es fachgerecht zu entsorgen, wie setzen wir unsere aktivistische Energie sparsam, aber effektiv ein, welche neuen Ressourcen müssen wir erschließen, und was sind die gesellschaftlichen Bewegungsgesetze, die wir dabei nutzen können? Das sind Fragen, die sich anhand des 200seitigen Bandes »Klima und Kapitalismus« aus der Theorie.org-Reihe des Schmetterling-Verlags erörtern lassen.
Und die Zeit, diese Fragen zu klären, drängt, wie das Autorinnenkollektiv im wissenschaftlichen Überblicksteil faktenreich und konzise darlegt: Basierend auf den umfangreichen Forschungen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen der UNO (IPCC) erklärt der erste Teil des Buches die physikalischen Eckdaten und Kreisläufe hinter der menschengemachten Erderwärmung und kommt zu dem Schluss: Selbst wenn sich die Menschheit bereits dazu durchgerungen hätte, einen »sofortigen resoluten Umbau des Energiesystems« voranzutreiben, mit »hoher internationaler Kooperationsbereitschaft, effektivem Schutz globaler Ökosysteme, dem Ende des Wirtschaftswachstums, größerer sozialer Gleichheit und weniger ressourcen- und energieintensivem Konsum«, würde dennoch bis Ende des 21. Jahrhunderts die globale Durchschnittstemperatur um zwei Grad über die des vorindustriellen Zeitalters steigen, was wiederum einen Anstieg des Meeresspiegels um sechs Meter verursachen würde. Um zu wissen, dass selbst dieses schreckliche Best-Case-Szenario kaum noch erreichbar ist, reicht ein Blick auf die aktuellen »Konzepte« der »schwarz-roten« Aufrüstungskoalition oder Donald Trumps USA mit dem fossilfetischistischen Mantra »Drill, Baby, Drill«.
So weit, so schlecht. Natürlich hat man derlei ökologische Horrorszenarien als politisch interessierter Mensch schon des öfteren gehört. Die Neigung, sie als Druckmittel der individualmoralistischen Ideologie der Grünen abzutun, ist für die marxistisch und sozialistisch Geneigten unter uns verlockend. Systemische Herausforderungen zu bewältigen, indem wir uns frei nach Robert Habeck öfter mal mit dem Schwamm waschen, den Veggieday zelebrieren, vom Benz aus dem Kretschmann-Land in den Tesla aus Muskscher Produktion umsteigen, ist eine der Denkweisen, die definitiv auf den Müll gehören.
Katja Wagner, Maximilian Hauer und Maria Neuhauss, die sich vom Leipziger Bildungsverein »Translib« kennen, plädieren für etwas anderes: Ökosozialismus mit starkem Marx-Bezug. So versucht der Band klimainteressierte Leser – vor allem Klimaschutzaktivisten – in die Kritik der politischen Ökonomie einzuführen, um die so erarbeiteten Begriffe dann für die Analyse der Erkenntnisse sonst eher systemerhaltender Klimawissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung nutzbar zu machen. Etwa wie die marxistische Differenzierung von Gebrauchswert und Tauschwert einer Ware dabei helfen kann, zu verstehen, warum Kapitalismus stets zu einer »Unterbewertung der natürlichen Bedingungen« führt. Oder wie die Ausplünderung von Arbeitskraft und Erde nach Marx zwei parallele Erscheinungsweisen derselben ökonomischen Gesetze sind, die letztlich zu einem »Riss im Stoffwechsel« mit der Natur führen. Oder warum endliche fossile Rohstoffe wie Kohle und Öl für den Kapitalismus nützlicher sind als unbegrenzte Energiequellen wie Sonne, Wasser und Wind. Zusammengefasst: Kapitalismus ist die Klimakrise.
Das Buch greift großzügig auf die Arbeit des japanischen Marx-Forschers Saito Kohei (»Natur gegen Kapital. Marx’ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus«, 2016) zurück, oder auf die Forschung von Andreas Malm (»Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«, 2020). Aber nicht, ohne deren Ansätze in entscheidenden Punkten gewinnbringend zu kritisieren.
Außerdem setzen sich die Autorinnen mittels dieser theoretischen Grundlagen mit den verschiedenen Strömungen der Klimaschutzbewegung auseinander, immer bemüht, konstruktiv zu bleiben. So erläutern sie ohne Häme, warum die Bewegung Fridays for Future zwar einen wichtigen Beitrag geleistet hat, das allgemeine Bewusstsein für die Klimakrise zu erhöhen, durch Ausblenden der gesellschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus jedoch zu einem falschen Staatsbegriff kommt und mit seinem rein appellativem Politikverständnis scheitern muss. Oder wie das Aktionsbündnis »Ende Gelände« zwar die Notwendigkeit eines auf der Arbeiterinnenklasse basierendem Aktivismus begriffen habt, diese Erkenntnis aber noch nicht praktisch umsetzt. Oder dass Green-New-Deal-Konzepte – wie die von Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn – wiederum diesen Klassenstandpunkt verinnerlicht haben, jedoch in sozialdemokratischem Reformismus feststecken und damit die kapitalistische Notwendigkeit von Wachstum mitkaufen, die letztlich eine Lösung der Klimakrise unmöglich macht. Und dass Green-New-Deal-Vertreter außerdem mit ihrem nichtglobalen Ansatz imperialistische Verhältnisse zu reproduzieren drohen und ihre Bemühungen somit in »grünem« Kolonialismus enden könnten. An Degrowth-Konzepten wie dem des Club of Rome kritisieren Wagner, Hauer und Neuhauss wiederum, dass sie in ihrer Ursachenanalyse die Probleme auf Kultur und Sozialpsychologie reduzieren und dabei die materialistischen Hintergründe ignorieren.
Die Autorinnen kommen zum Schluss, dass eine sozialistische Planwirtschaft die einzige Lösung ist, diese aber – wie die Umweltbilanzen der ebenso wachstumsorientierten realsozialistischen DDR oder der UdSSR zeigen – nicht national sein kann, sondern global sein muss.
Klassenstandpunkt, Weltrevolution, qualitatives statt quantitatives Wachstum – stellenweise liest sich das Buch wie ein Bingo marxistischer Catchphrases, das manchen in der antikommunistischen BRD verbildeten Klimaschutzaktivistin abschrecken dürfte. Doch wenn die Energien der Klimaschutzbewegung nicht bei zwei Grad verpuffen sollen, ist Marxismus eine Ressource, die man wieder wird ausgraben müssen.
Katja Wagner/Maximilian Hauer/Maria Neuhauss: Klima und Kapitalismus. Plädoyer für einen ökologischen Sozialismus. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2025, 204 Seiten, 15 Euro
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