»Wir nehmen eine Verschärfung wahr«
Interview: Hendrik Pachinger
Die Polizei hat in den vergangenen Wochen mehrere Razzien bei kurdischen Aktivisten durchgeführt. Gegen wen richteten sich die Hausdurchsuchungen konkret?
Am 12. März wurden in Schleswig-Holstein sechs Wohnungen, zwei Kleingärten sowie das kurdische Gemeindezentrum in Kiel von der Polizei durchsucht und der kurdische Aktivist Nihat Asut in Kiel festgenommen. Eine Woche später wurde im baden-württembergischen Ludwigsburg im Zuge eines anderen Ermittlungsverfahrens der Aktivist Ramazan Y. festgenommen und eine Wohnung durchsucht.
Beide festgenommene Kurden wurden Haftrichtern vorgeführt. Was wird ihnen vorgeworfen, und ist etwas über ihren Verbleib bekannt?
Nihat Asut und Ramazan Y. werden beschuldigt, Mitglieder der Arbeiterpartei Kurdistans PKK zu sein. Deshalb wird gegen sie wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer sogenannten terroristischen Vereinigung im Ausland nach Paragraph 129 b Strafgesetzbuch ermittelt. Sie befinden sich in Untersuchungshaft in Hamburg beziehungsweise Stuttgart.
Das kurdische Gemeindezentrum Schleswig-Holstein berichtet im Zusammenhang mit der Razzia von zahlreichen Schikanen. Was ist dort passiert?
Das konkrete Vorgehen der Polizei gegen das Zentrum war unverhältnismäßig. Die Polizei hat sich frühmorgens Zugang verschafft, das Gebäude durchsucht und dann die Schlösser ausgetauscht, ohne die Nutzer darüber zu informieren, so dass sie ihre Räumlichkeiten nicht betreten konnten. Selbst wenn Gefahr in Verzug bestanden hätte oder Beschuldigte und Dritte nicht gewarnt werden sollten, hätte die Polizei einen Verantwortlichen des Zentrums aufsuchen können, damit ihr die Räume geöffnet werden und Zeugen aus dem Verein die Durchsuchung begleiten können.
Auch die Durchsuchungen der Privatwohnungen wurden unnötig brachial durchgeführt. Türen wurden aufgebrochen, Räume verwüstet – teilweise mit Spürhunden, teilweise in Anwesenheit von Kindern. Ein solches Vorgehen mag in einem Polizeistaat üblich sein, aber für ein Ermittlungsverfahren erforderlich ist es nicht.
Die Föderation der Gemeinschaften aus Kurdistan in Norddeutschland (FED-DEM) sieht darin eine Weiterführung einer seit Jahren betriebenen Strategie gegen die kurdische Bewegung in Deutschland. Manche Beobachter hatten aufgrund der Entwicklungen in der Türkei eigentlich mehr Zurückhaltung deutscher Behörden erwartet.
Das Bundesinnenministerium und die Bundesanwaltschaft haben – im Gegensatz zum Außenministerium – ziemlich schnell nach der Veröffentlichung des Friedensaufrufs Abdullah Öcalans erklärt, dass sie an einer Kriminalisierung der kurdischen Bewegung unverändert festhalten. Öcalans Aufruf oder der erneute einseitige Waffenstillstand der Guerilla seien für sie keine Gründe, die PKK neu zu bewerten. Das ist schade, macht aber noch einmal deutlich, dass es Teilen der Bundesregierung und Justiz nicht um einen Frieden in Kurdistan oder eine Lösung gesellschaftlicher Probleme geht, sondern allein um ihre politischen Interessen.
Die ersten Razzien wurden einen Tag vor einem Urteil des EuGH durchgeführt, das eine Klage der PKK auf Streichung von der EU-Terrorliste ablehnt. Zeichnet sich gerade eine Verschärfung der Verfolgung der kurdischen Bewegung ab?
Eine schleichende Verschärfung nehmen wir seit Jahren wahr. Zum einen werden immer mehr kurdische Aktivisten aufgrund europäischer Haftbefehle im EU-Ausland festgenommen und an die BRD ausgeliefert. Zum anderen wird die Verfolgung nach Paragraph 129 b auf einfache Mitglieder oder Anhänger ausgeweitet. Erstreckt sich die allgemeine Verfolgungsermächtigung eigentlich nur auf Funktionsträger wie Regions- oder Gebietsverantwortliche, werden immer mehr kurdische Aktivisten angeklagt, die sich vor Ort in der Community engagieren. Die Kriminalisierung ihrer legalen Tätigkeiten führt dazu, dass sie sich wegen des Guerillakrieges in Kurdistan verantworten müssen. Das ist absurd.
Arno-Jermaine Laffin ist Sprecher des kurdischen Rechtshilfefonds Azadi e. V.
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