»Gezielt gegen Staat und Polizei vorgegangen«
Sie haben im Umfeld des G-20-Gipfels fotografiert. Was ist Ihre auffälligste Beobachtung gewesen?
Meine auffälligste Beobachtung machte ich auf dem Schulterblatt, nachdem Barrikaden errichtet worden waren. Da sind mir mehrere Kleingruppen aufgefallen durch ihre Artikulierung. Ein abfälliger Begriff wie »Zecken« ist für mich ein klarer Hinweis darauf, dass es sich nicht um Linksgruppierungen handelt, sondern dass rechte Gruppierungen zugange sind. Das war Lerchenstraße Ecke Schulterblatt (Straße in Hamburg, Ort der heftigsten Auseinandersetzungen am 7. und 8. Juli; jW).
Man kann sich ja scherzhaft auch selbst als Zecke bezeichnen. Was macht Sie so sicher?
Sie haben Parolen skandiert. Es gibt auch Gruppierungen aus der linken Szene in Frankreich, die »Ahu«-Rufe benutzen, mit denen man sich unter Hools anfeuert. Die aber, die dort den Ruf verwendeten, hatten zuvor deutsch gesprochen. Somit kann das klar differenziert werden. Es muss eine deutsche und rechte Hooliganszene gewesen sein. Später, infolge der Ausschreitungen, sind bei verschiedenen Personen die Vermummungen in den Halsbereich gerutscht, sodass ich die Gesichter wiedererkennen konnte. Einige Gesichter waren mir bekannt, ich konnte sie eindeutig zuordnen. Ich bin diesen Aktionskreisen dann weiter an der Hacke geblieben.
Was geschah dann?
Diese Personen haben aus dem Straßenbett Pflastersteine rausgeklopft und mitgenommen. Steinplatten wurden zerborsten auf dem Boden. Infolgedessen kamen über die Lerchenstraße ungefähr 60 bis 70 Beamte, BFE-Einheiten (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit ähnlich »GSG 9«; jW). Die sind erst im oberen Drittel der Straße geblieben, haben regelrecht zugeschaut, wie die Personen die Steine rausgeklopft haben. Danach sind dann aber doch Polizeibeamte vorgestoßen in das Schulterblatt. Sie haben die Personen zunächst mal zurückgestoßen. Dann haben sie sich zurück in die Lerchenstraße bewegt. Infolgedessen kam es dann dazu, dass die Gruppen der rechten Szene die rausgeschlagenen Steine auf die Beamten geworfen haben. Es war geradezu ein Steinmeer, viele Beamte wurden getroffen. Das Ganze hat sich fünf- oder sechsmal wiederholt. Dann kam ein Wasserwerfer über die Lerchenstraße rein, wurde aber wieder zurückgezogen. Die Polizeitaktik ist mir unverständlich geblieben, die Verletzung weiterer Beamter hätte verhindert werden können.
Über welchen Zeitraum haben sie die Leute am Stück beobachtet?
Über vier Stunden.
An welchem Tag war das?
Das war am Freitag abend des G-20-Gipfels, also am 7. Juli 2017.
Und das haben Sie auch dokumentiert?
Ich bin international tätiger Foto- und Videojournalist für Nachrichtenagenturen und Nachrichtensender. Ich stecke derzeit im Abschluss der Recherche und der Analyse. Beim SWR habe ich bereits Kurzszenen gezeigt, wobei ich einen größeren Personenkreis klar zuordnen konnte. Ich habe die Analyse noch nicht komplett abgeschlossen.
Es gab beim NSU-Prozess einen Zeugen, der ausgesagt hat, er sei »weder rechts noch links«, und er gehe einfach »dahin, wo es Spaß macht«. Haben Sie den Eindruck, dass das, was Sie beobachtet haben, dieser Klientel zuzuordnen ist?
Nein. Ich bewege mich ja mit jahrelanger professioneller Erfahrung auf Demonstrationen, Großevents und Festivals. Mein Eindruck ist der, dass es nicht einfach damit abzutun ist, dass es Krawalltouristen oder Hools sind. Es waren echte Rechte sowie organisierte Gruppen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Die sind europaweit organisiert, in Norditalien aktiv, in Frankreich und in Tschechien. Ich reise denen nach, um es zu dokumentieren.
Wie bewerten Sie die Unterwanderung im Zusammenhang?
Man müsste die Einsatzleitung und die Bundesregierung danach fragen. Aus meiner Sicht sind Abertausende Personen, die friedlich auf die Straße gegangen sind, um für ihre politische Meinung einzustehen, komplett in den Hintergrund geraten – und auch deren Forderungen sind dadurch verdrängt worden. Die politische Ausrichtung von Rechten ist ganz klar, dass gezielt gegen Staat und Polizei vorgegangen wird.