Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018

Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018


Referenten aus sieben Ländern, Kunstausstellung und viel Musik: Afrika war der Schwerpunkt der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar 2018 im Mercure-Hotel MOA in Berlin.

Berichte

  • · Berichte

    Wiedergutmachungen

    Helmut Höge
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    Kundgebung für die Rückgabe von Schädeln ermordeter Herero und Nama vor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, März 2014

    In Afrika kämpfen Einheimische um die Rückgabe riesiger Ländereien. Dabei geht es auch um Identitätsfindung und -absicherung, denn die massenhaft deportierten und oft weit versprengten Volksstämme müssen ihr Anrecht auf bestimmte Areale quasi kollektiv nachweisen. Ähnliches gilt für nordamerikanische Indianerstämme, die vor Gerichten für die Erweiterung ihrer Reservate streiten, um in Wäldern, die von der Holzindustrie beinahe restlos ausgebeutet wurden, zu ihrer »traditionellen Lebensweise« zurückzukehren.

    Schon lange bemühen sich Afrikaner auch um die Rückgabe von Alltags-, Kunst- und Kultgegenständen, die ihren Vorfahren geraubt wurden und sich in europäischen Museen befinden. Ganze Boote und Hütten sind dort ausgestellt oder in den Archiven gelagert. Die Bedeutung dieser Exponate für die Bestohlenen kann kaum überschätzt werden. Es geht oft auch darum, sich einer nicht verschrifteten Volksgeschichte zu vergewissern.

    Viel Aufregung gab es um Exponate, die aus sterblichen Überresten von Menschen bestanden: Schädel, Skelette und komplett ausgestopfte Leichen wurden nach internationalen Protesten zurückgebracht und mit Staatsbegräbnissen beigesetzt. Zwei dieser präparierten Körper, die im Besitz zweier deutscher Apotheker waren, blieben verschwunden. Über einen dritten, den eines Batswana, der bis zu seiner Restitution zu den wichtigsten Exponaten eines kleinen Museums im spanischen Banyoles gehörte, verfasste der niederländische Journalist Frank Westerman das Buch »El Negro. Eine verstörende Begegnung« (2005). Initiiert wurde die Rückgabe von einem in Spanien lebenden Haitianer. Es gab eine regelrechte Bewegung dafür, aber auch eine Gegenbewegung. In Bayoles wollte man »El Negro« partout behalten, demonstrierte das mit Ansteckern und Autoaufklebern, die sein Konterfei zeigten.

    Während englische Museen gegenüber solchen Rückgabeforderungen eher cool bleiben, entledigen sich die französischen allmählich ihrer Schätze aus den ehemaligen Kolonien. Zuletzt erklärte Präsident Emanuel Macron Ende November in Ougadougou: »Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein« und stellte eine »zeitweilige oder endgültige Restitution« dieses Erbes innerhalb der nächsten fünf Jahre in Aussicht. Es gab in der Grande Nation zuvor eine größere Debatte über die Rechtmäßigkeit dieser Aneignungen. Dabei ging es auch darum, ob Kultobjekte fremder Völker einfach zu Kunst erklärt werden können. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss etwa kritisierte scharf, dass Teile der Sammlung Ethnologischer Museen in einem Flügel des Pariser Louvre gezeigt wurden, und zwar so präsentiert wie die sonstigen Kunstgegenstände dort.

    Eine ganz ähnliche Debatte schwillt nun auch hierzulande an, forciert vor allem durch das Humboldt-Forum im mit Beton wiederhergestellten Berliner Hohenzollernschloss. In das soll die ethnologische Sammlung aus dem Museum im Stadtteil Dahlem umziehen. Dabei handelt es sich um etwa 500.000 Objekte und 1.000 Schädel beziehungsweise Knochen vorwiegend von Ostafrikanern. Wollte man das alles auf eine »saubere Herkunft« prüfen, müsste man großen Teilen des akademischen Proletariats in der Stadt eine Daueranstellung anbieten. Selbst die als gesichert geltenden Umstände des Erwerbs von Exponaten erweisen sich bei näherem Hinsehen als fragwürdig.

    Ein kostbarer Perlenthron aus Kamerun z. B. wurde Wilhelm II. vom Sultan von Bamun »geschenkt«, nachdem die Deutschen nach 1884 auf ihrem Unterwerfungsfeldzug durch das Land Dörfer verwüstet, ganze Ethnien massakriert und viele Überlebende versklavt hatten. Um seinem Sultanat dieses Schicksal zu ersparen, unterstützte Ibrahim Njoya die »Strafexpeditionen« der Deutschen und trennte sich von seinem Thron, wobei er ein Gegengeschenk von Wilhelm II. erwartete. Er bekam eine Kürassieruniform und ein Orchestrion. Unter dem Aspekt des Warentauschs, bei dem es um Äquivalente geht, ein zumindest fragwürdiger Deal. Da der Sultan zudem unter Druck stand, liegt ein Vergleich mit den »preisgünstigen« Arisierungen jüdischen Eigentums nahe.

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    Es geht um Interventionen

    Spannungen sichtbar machen: Linke Kultur auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Christof Meueler
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    Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht traten auch auf – dargestellt von Susanne Jansen und Arne van Dorsten

    Rosa Luxemburg war auch auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz – dargestellt von Susanne Jansen. Die Schauspielerin rief von der Bühne: »Solange das Kapital herrscht, werden Krieg und Rüstung nicht aufhören!« Das war der mustergültige Sound der gesamten Konferenz, in deren Programm immer mal wieder Kulturbeiträge eingestreut waren. Regisseurin Anja Panse stellte ihr Theaterstück »Rosa – Trotz alledem« vor. Daraus gab es eine kurze Szene, in der Susanne Jansen als Luxemburg und Arne van Dorsten als Karl Liebknecht über die Bühne tanzten und den Spartakusbund gründeten. So eine Organisation könnte man heute auch gut gebrauchen – denkt man in dem Moment und vergisst fast, dass es schon so viele linke Gruppen gibt, die sich auf der Konferenz, der größten regelmäßigen Veranstaltung der radikalen Linken in Deutschland, nicht gegenseitig bekämpfen, sondern friedlich ihre Flugblätter austauschen.

    »Mein Herz wird siegen«, zitierte der Schauspieler Rolf Becker den Dichter Pablo Neruda, als er zusammen mit den Liedermachern Tobias Thiele und Nicolás Miquea des im Oktober verstorbenen Daniel Viglietti gedachte. Für Becker zählt Viglietti neben Victor Jara und Violeta Parra zu den wichtigsten Liedermachern Lateinamerikas. Er war mit ihm seit den 70er Jahren befreundet, gemeinsam sind sie noch im Februar 2017 in Berlin aufgetreten, auf der Gala zum 70. Geburtstag der jungen Welt. Dort hatten Thiele und Miquea mit Viglietti zum Schluss »A Desalambrar« von Victor Jara gesungen. Nun sang Miquea das Lied noch einmal. Es fragt die Mächtigen: »Habt ihr je daran gedacht, dass dieses Land uns gehört und nicht denjenigen, die mehr haben?«

    Viglietti sang seine Lieder, auch im Namen derer, die in Lateinamerika von den Militärs verfolgt, gefoltert und ermordet wurden. »Eine Stimme, die singt, hinter meiner«, hob Tobias Thiele auf der Bühne in Berlin an, und Becker ergänzte: »Diese Stimme kommt aus begrabenen Mündern, eine Stimme, die sagt, dass sie jetzt leben, in deinen Worten, in deinem Blick. Sie sind ein Weg, der beginnt.« Und dann hörte man dieses Lied von Daniel Viglietti selbst, eine Filmaufnahme von seinem Auftritt im Februar 2017 in Berlin wurde eingeblendet. Das war anrührend, sozialistisch und psychedelisch. Das Publikum im Saal des Konferenz klatschte, das Publikum im Film klatscht und Daniel Viglietti klatscht mit.

    Anrührend war auch ein Ölbild von Marie Luise Schulze, das draußen auf dem Gang hing. Es war Teil der Kunstausstellung der Gruppe Tendenzen, die seit 2014 fester Bestandteil der Rosa-Luxemburg-Konferenz ist. Das Bild von Schulze zeigt einfach einen weißen und einen schwarzen Menschen, die sich vor blauem Hintergrund im Arm halten. Diese ebenso einfache wie tiefgehende Botschaft war eine schöne Versinnbildlichung der Konferenz, die sich besonders mit den politischen Kämpfen in Afrika befasste. Es gemahnte auch an den alten Ohrwurm von Jerry Dammers: »If you have a rascist friend, now is the time for your friendship to end«. Klingt simpel, aber in einem Land mit der AfD mittlerweile drittstärkster Partei ist das eine gute Aufforderung, seine ganz alltäglichen Gespräche auf der Straße, in der Kneipe oder sonstwo neu zu strukturieren. Es geht um konkrete, unter Umständen auch paradoxe Intervention.

    Im Prinzip ist die gesamte Rosa-Luxemburg-Konferenz eine einzige Intervention ins herrschende Meinungssystem. Und da ging es natürlich um »Interventionen ins herrschende Produktionssystem«. Unter diesem Titel hat Ibrahim Mahama, zur Zeit einer der weltweit am meisten gefragten Künstler, in der aktuellen Melodie & Rhythmus einen Text veröffentlicht. Auf der Konferenz wurde er nun von der Chefredakteurin des Magazins Susann Witt-Stahl gefragt, wie er dieses Motto in seiner Kunst umsetzt. Mahama sagte, er möchte spezifisches historisches Material untersuchen und neu interpretieren. Er wurde 1987 in Ghana geboren, das 1957 von den Briten unabhängig geworden war. Dort treffen britische Kolonialbauten auf Funktionsbauten osteuropäischer Prägung, da das Land gute Beziehungen zu den Staaten des Realsozialismus hatte. Besonders beeindrucken große Betonsilos für landwirtschaftliche Produkte, die heute leer sind. Ebenso die Fabrikhallen, in denen ghanaische Arbeiter früher Eisenbahnzüge bauten, mit denen die Briten das Land besser ausbeuten konnten. In diesen leeren Hallen ließ Mahama nun Jutesäcke, in denen die Produkte des Landes transportiert werden, zusammennähen – zu riesigen Planen, mit denen er ähnlich wie Christo diese Gebäude verhüllt. Anders als bei dessen weitgehend kontextfreier L’Art pour l’Art-Ästhetik geht es bei Mahama um konkrete gesellschaftliche Zustände. Auf einem seiner Fotos ist nur der Unterarm eines Arbeiters zu sehen, auf dem dieser den Namen und die Adresse der Firma geschrieben hat, für die er arbeitet, weil die Wanderarbeiter in Ghana ohne Unterlagen reisen, wie Mahama erzählte. Er sagte, er wolle »die Spannungen« zwischen dem internationalen Kapital und den Menschen vor Ort sichtbar machen. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen dem kaputt »sanierten« Griechenland und der von Deutschland dominierten EU, weshalb er für die 14. Documenta im vergangenen Jahr in Athen über den Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament eine riesige Decke aus Jutesäcken zog. Er wolle daran erinnern, »in welchem Maße neokoloniale Kräfte die Weltpolitik bestimmen«, hatte er in der Melodie und Rhythmus geschrieben.

    An die Barbarei bundesdeutscher Behörden erinnerte ein bewegender Auftritt von Mamadou Saliou Diallo, der Bruder des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Oury Jalloh. Für ihn gab es eine Schweigeminute im Saal, zwei Videos über seinen Tod wurden gezeigt. Am Ende des einen hieß es: »Touch one, touch all«.

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    Modelle der Solidarität

    Künstler, Wissenschaftler, Politiker, politische Initiativen: Das Programm der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz war so gedrängt voll wie selten zuvor – und fand viele Zuhörer
    Arnold Schölzel
    Sie eröffneten die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2018: Die Berliner Ingoma-Trommler aus Burundi
    Achille Mbembe, Kamerun
    Fast alle der 1.500 Plätze im Konferenzsaal waren ständig besetzt
    Ding Xiaoqin, VR China
    Der traditionelle Abschluss: Gesang der »Internationale«

    Afrika war Schwerpunkt der Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) 2018 – eine Premiere. Und die ist gelungen – äußerten am Sonnabend viele der insgesamt mehr als 2.700 Gäste im Veranstaltungsort, dem Berliner Mercure-Hotel MOA. Die Moderatoren der Konferenz, die Sängerin Gina Pietsch und der Kabarettist Dr. Seltsam, erläuterten eingangs deren Motto: »Amandla! Awethu! – Alle Macht dem Volk«, einst Schlachtruf des ANC gegen das Apartheidregime, nun eine brennende Frage für Afrika und die Welt.

    In der Bundesrepublik aktiv zu werden, ist ein RLK-Ziel. Walter Listl rief dazu auf, am 17. Februar in München gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz zu demonstrieren, die »Zusammenrottung von Waffenhändlern, Kriegsstrategen und ihren politischen Helfershelfern«. Die Kampagne »Abrüsten statt Aufrüsten« warb für Unterschriften unter den, auch von mehreren Gewerkschaftsvorsitzenden unterzeichneten, gleichnamigen Appell. Der Dichter, Umweltschützer und Träger des alternativen Nobelpreises, Nimmo Bassey aus Nigeria, benannte in seinem Referat, um was es geht: »Nahrungsmittel, Bodenschätze und billige Arbeitskräfte«. Denn, so der Publizist und jW-Autor Jörg Kronauer daran anschließend: Ökonomisch herrschen heute noch in Afrika koloniale Verhältnisse. Der deutsche Imperialismus stehe dort in Konkurrenz zum französischen, beispielsweise in Cote d’Ivoire. Die frühere Sozialministerin des Landes, Clotilde Ohouochi, legte dar, was das heißt: »Die Aufteilung der Welt in Einflussbereiche bleibt eine brennende Realität.«

    Der kubanische Publizist und Politiker Enrique Ubieta Gómez eröffnete die Reihe der Referenten, die konkrete Alternativen zur Politik des Westens auf dem afrikanischen Kontinent nannten. Heute sei zum Beispiel die Hilfe der Ärzte von der Karibikinsel – wie während der Ebola-Epidemie 2014 in Westafrika – ein solidarisches Gegenmodell zu Einflussnahme im Zeichen des Neoliberalismus. Ding Xiaoqin, Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Universität Shanghai, machte darauf aufmerksam: Die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen Staaten und der Volksrepublik China reicht zurück bis 1949. Nun versuche der Westen, Druck auf Länder auszuüben, die mit ihr Handel treiben. Afrika, ergänzte der Philosoph und Historiker Achille Mbembe (Kamerun) in seiner Rede, sei eine »chinesische Frage«. Seine Kernthese: »Afrika ist der Ort, von dem aus man die größte Frage unserer Zeit am besten stellen kann, die Frage nach der Zukunft des Lebens auf unserem Planeten.« In Beijing wurde das offenbar erkannt.

    Keine RLK ohne Künstler, Wissenschaftler und Solidaritätsinitiativen auf der Bühne: Brasilien, Mumia Abu-Jamal, Freundschaftsgesellschaft Schweiz-Cuba, die Herausgeber der im jW-Verlag erscheinenden Ausgabe von Lenins »Staat und Revolution«, Volker Külow und Wladislaw Hedeler. Herausragend die Manifestation für die Solidarität mit Venezuela. Neu in diesem Jahr: eine aggressiv Solidarität für Irans Protestbewegung einfordernde Gruppe, die unsolidarisch und anonym mehr als 20 Minuten lang die Bühne besetzte. Veranstalter und Publikum nahmen’s gelassen.

    Die Referate der RLK veröffentlicht jW in einer Beilage am 7. Februar 2018, die Materialien der gesamten Konferenz im März in einer Broschüre.

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    »Gemeinsame Kämpfe initiieren«

    Oben – unten, Nord – Süd. Wer wen? Soziale Frage und Flüchtlingselend. Verabschiedet sich die Linke von der internationalen Solidarität? Auszüge aus der Podiumsdiskussion auf der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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    Solidarität mit Geflüchteten ja – aber welche? Selma Schacht und Günther Pohl plädierten neben Humanismus für Klassensolidarität. Ohne in gemeinsamen Kämpfen die Systemfrage zu stellen, ließen sich die Probleme der verschärften Konkurrenz nicht lösen

    Am Sonnabend diskutierte der Chefredakteur der jungen Welt, Stefan Huth, mit Selma Schacht, Mitglied der österreichischen Partei der Arbeit und Arbeiterkammerrätin in Wien, Günter Pohl, Sekretär für Internationales im Parteivorstand der DKP, sowie den Bundestagsabgeordneten Lorenz Gösta Beutin (Die Linke) und Canan Bayram (Grüne) über die Frage, ob sich die Linke von der internationalen Solidarität verabschiedet. Wir dokumentieren das Podiumsgespräch an dieser Stelle in Auszügen. (jW)

    Stefan Huth: Die Asyl- und Flüchtlingspolitik war nicht nur im zurückliegenden Wahlkampf ein dominierendes Thema, sondern hat uns seit dem Herbst 2015 kontinuierlich begleitet. Damit einher ging ein signifikanter Rechtsruck, der bei den Bundestagswahlen im erschreckend hohen Ergebnis für die AfD seinen Ausdruck fand. Das ist eine echte Herausforderung für die fortschrittlichen Kräfte in diesem Land. Auch vor dem Hintergrund, dass in einem fort neue Fluchtursachen in Gestalt der Kriegs- und Einmischungspolitik des Westens in Afrika und anderswo geschaffen werden. Die Bundesregierung setzt ihre Repressionspolitik nach Außen fort, das Asylrecht wurde in den letzten Jahren systematisch geschleift. Die Linke ist zersplittert und nicht auf breiter Basis mobilisierungs- und widerstandsfähig, sie hat keine wirkliche Strategie, kein Konzept, wie dem Rechtstrend bündnispolitisch begegnet werden kann.

    Die Wahlen in Österreich zeigten ebenfalls einen drastischen Rechtsruck an. Die Österreichische Volkspartei ist mit der FPÖ eine Koalition eingegangen, Vizekanzler Hans-Christian Strache von der FPÖ erwog unlängst öffentlich die Kasernierung von Flüchtlingen, verbunden mit einer nächtlichen Ausgangssperre. Und vor zwei Tagen sagte sein Parteikollege, Innenmister Herbert Kickl, er wolle die Flüchtlinge »konzentriert« unterbringen. Wie haben die Wahlen und die Koalitionsbildung auf die Linke in Österreich gewirkt, welche Gegenstrategien werden entwickelt?

    Selma Schacht: Heute haben in Wien 70.000 Menschen gegen Schwarz-Blau, gegen Rassismus und Sozialabbau demonstriert. Für österreichische Verhältnisse ist das eine riesige Zahl. Unterschiedliche Bündnisse haben sich zusammengefunden, um diese Demonstration zu organisieren. Aber das darf trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Linke auch in Österreich sehr heterogen präsentiert, oder anders gesagt, stark zersplittert ist. Es gibt auch bei uns viele Diskussionen darüber, welche Ausrichtung der Protest gegen Schwarz-Blau haben muss und welche Antwort wir auf die Flüchtlingsfrage geben sollen.

    ÖVP und FPÖ haben eine parlamentarische Mehrheit. Nimmt man aber die Mandate der Neos, also der Neoliberalen, hinzu, so haben diese drei Parteien eine Zweidrittelmehrheit. Und das hat für die Arbeiterbewegung eine noch größere Bedeutung, weil somit viele Institutionen und viele Regelungen unter Beschuss geraten könnten, zum Beispiel die Arbeiterkammer, die sofort nach der Koalitionseinigung angegriffen wurde. Wir müssen in unseren Kampf gegen Schwarz-Blau fortwährend die soziale Frage einbringen. Es geht selbstverständlich gegen den Rassismus der Regierung, aber es geht ebensosehr gegen den Sozialabbau. Dagegen muss ein gewerkschaftlicher Kampf geführt werden. In dieser Frage scheiden sich die Geister, weil viele Initiativen bloß auf den Kampf gegen den Rassismus bei FPÖ und ÖVP setzen. Als Marxisten ist es unsere Aufgabe zu erklären, dass Rassismus nur bekämpft werden kann, wenn wir es schaffen, unsere gemeinsamen Interessen zu formulieren. Jene, die rassistische Ressentiments hegen, die medial bedient werden, müssen ihre wahren Interessen erkennen; sie müssen erkennen, dass ihre Interessen die gleichen sind wie die der Flüchtlinge und der migrantischen Kollegen. Schwarz-Blau verschärft die Bestimmungen in der Asylpolitik bis hin zur Unmenschlichkeit. Den Flüchtlingen soll sämtliches Geld abgenommen werden, sie sollen kaserniert werden, ihre Gesundheitsdaten sollen keinem besonderen Schutz unterliegen und so weiter. Der Kampf der neuen Regierung gilt nicht den Fluchtursachen, sondern den Flüchtlingen. Im Regierungsprogramm steht, dass Kolleginnen und Kollegen, die keinen österreichischen Pass haben, aber teilweise seit Jahrzehnten im Land leben, im Falle von Langzeitarbeitslosigkeit »der Rückführung zugeführt« werden sollen. Das kann einerseits für manche lebensbedrohlich sein, reißt die betroffenen Menschen jedenfalls aus ihrem normalen Leben. Und auf der anderen Seite kann das sozial- und gewerkschaftspolitisch dazu führen, dass ein Dumpingsektor errichtet wird, bei dem das Kapital auf eine Gruppe von Menschen zugreifen könnte, die sich noch billiger verkaufen müssen. Über diese Aspekte müssen wir in den Gewerkschaften und in den Bündnissen diskutieren.

    Huth: In der Linkspartei gibt es Diskussionen zur Flüchtlingsfrage. Das geht kreuz und quer, ein klar konturiertes Bild lässt sich nur schwer verschaffen. Sahra Wagenknecht hat am Wahlabend, am 24. September, auf die Frage, wie sie den Aufstieg der AfD bewerte, gesagt, man habe es der AfD überlassen, bestimmte Dinge so auszusprechen und anzusprechen, wie sie von den Menschen wahrgenommen werden, etwa, welche Probleme sich für die arbeitende Bevölkerung angesichts der ankommenden Flüchtlinge ergeben. Sie deutete damit an, dass Die Linke der AfD Terrain überlassen habe. Auf der anderen Seite wird in der Partei über ein Einwanderungspapier diskutiert, hinter das sich die Parteivorsitzende Katja Kipping gestellt hat und in das gleichsam Nützlichkeitserwägungen implementiert worden sind. Beides, Wagenknechts Positionen und dieses Papier stehen nicht auf dem Boden des Programms, sagen zumindest Kritiker.

    Gösta Beutin: Auch die Linke ist in starkem Maße vom gesellschaftlichen Rechtsruck betroffen, zu dem auch die regierenden Parteien mit ihren Asylrechtsverschärfungen beigetragen haben. Und jemand wie Boris Palmer von den Grünen trägt seinen Teil dazu bei, wenn er Flüchtlinge im Bus fotografiert, die angeblich schwarzfahren. Oder ein Sigmar Gabriel, der die These vertritt, die SPD müsse sich wieder verstärkt Themen wie Heimat oder Leitkultur zuwenden, während zum Beispiel Gleichstellung und Klimagerechtigkeit Themen der Postmoderne seien.

    Die Linke ringt um Antworten und beschreitet so manchen Irrweg. Beispielsweise zu glauben, man erreiche Wählerinnen und Wähler, indem man mit rechten oder populistischen Parolen spielt. Die Auseinandersetzung lässt sich nur gewinnen, wenn man die Ursachen des Erfolgs der Rechtsradikalen, die jetzt auch im Bundestag sitzen, ernst nimmt. Und die heißen soziale Spaltung, Glaubwürdigkeitsverlust von Politikerinnen und Politikern, Krise der parlamentarischen Demokratie. Die Linke ist gut beraten, klare, solidarische und letztlich systemüberwindene Positionen zu vertreten. Wir müssen in der Bundesrepublik grundsätzlich etwas ändern. Die Linke trägt große Verantwortung, sie hat aber auch die Chance, zum Zentrum eines solidarischen Lagers zu werden, in dem gewerkschaftliche, klimapolitische, antirassistische und antikapitalistische Positionen zusammengeführt werden. Den Rechten dagegen ihre Parolen wegzunehmen, hat in der Geschichte noch nie funktioniert, davon sollten wir die Finger lassen.

    Ich komme zur Einwanderungspolitik. Es gibt innerhalb von SPD, CDU und FDP die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz, mit dem Argument: »Zuwanderung ist notwendig, etwa um günstige Pflegekräfte zu rekrutieren. Das erfolgt also nach Nützlichkeitserwägungen. Das klingt ein bisschen nach einer einstigen Formulierung von Roland Koch: »Wir brauchen weniger Ausländer, die uns ausnützen, die wollen wir nämlich abschieben, und wir brauchen mehr Ausländer die uns nützen, für die wollen wir ein Einwanderungsgesetz.« Diese Trennung dürfen wir als Linke nicht mitmachen. Wir sind grundsätzlich solidarisch, und wir spalten weder die migrantische Bewegung, noch die Arbeiterbewegung, noch irgendeine andere fortschrittliche Bewegung. Es gibt diesen Entwurf eines Einwanderungsgesetzes. Aber in dem Papier finden sich keine Nützlichkeitserwägungen, und das ist auch gut so. Die müssen wir als Linke klar zurückweisen. Wir haben eine Verantwortung für solidarische Position innerhalb dieses kapitalistischen Staates Bundesrepublik Deutschland, der Fluchtursachen schafft. Dieser Staat exportiert Waffen und führt Kriege. Dieser Staat unterstützt Saudi-Arabien bei dessen verheerenden Krieg in Jemen. Es reicht nicht zu sagen, wir müssen Verantwortung übernehmen, treten in eine Regierung ein und schauen mal, wie sich die Einwanderung regeln lässt. Wir müssen dagegen ohne Wenn und Aber an der Seite der Beherrschten in diesem Land stehen.

    Huth: Wie wird die Flüchtlingsfrage in der Kommunistischen Partei diskutiert? Mir scheint, da gibt es ebenfalls verschiedene Antworten. Mitunter war zu hören, die Öffnung der Grenze 2015 sei nicht richtig gewesen, wegen der Lage der Arbeiter im eigenen Land.

    Günter Pohl: Merkels »Wir schaffen das« hat sich an diejenigen gerichtet, die es schaffen können. Das sind die Reichen und vielleicht auch noch der Mittelstand. Aber die Arbeiterklasse? Die befindet sich permanent in einer Situation der Konkurrenz – um Arbeitsplätze und Wohnungen angesichts steigender Mieten. Diese Konkurrenz wird verschärft, wenn weitere Menschen hierher kommen. Vor dieser Lage standen wir 2015. Wir haben damals gesagt: »Unsere Willkommenskultur heißt, gemeinsam zu kämpfen«. Die Menschen, die hierher kommen, sind Teil der Arbeiterklasse. Völlig irrelevant, ob Menschen, die schon immer hier gelebt haben, oder solche, die vielleicht vor einigen Jahrzehnten zu uns gekommen sind, oder diejenigen, die gerade jetzt zu uns kommen – sie alle sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

    Wie sind wir in eine solche Situation geraten? Es sind vor allem die Kriege. Krieg wird es immer wieder geben, wenn wir dieses System nicht überwinden. Kapitalismus und Krieg sind nicht voneinander zu trennen. Das ist sozusagen das Geschäftsmodell des Kapitalismus. Als Kommunistinnen und Kommunisten dürfen wir, auch wenn wir eine kleine Partei sind, diesen Kampf nicht aufgeben. Es ist unsere verdammte Pflicht, dieses System zu überwinden. Das müssen wir alle tun, das ist auch ein Appell an andere Parteien. Aber was kommt danach? Wir sagen: »Wir wollen Sozialismus.« Unabhängig davon, ob der Sozialismus des 20. Jahrhunderts gescheitert ist. Er hatte Fehler, denn andernfalls wäre er nicht überwunden worden.

    In der Flüchtlingsfrage haben wir eine ziemlich eindeutige Haltung, innerparteiliche Debatten gab es da nicht: Wir sind solidarisch mit den Fliehenden, die zu uns kommen, wir wollen aber auch nicht, dass diese Konkurrenzsituation auf dem Rücken der Arbeiterklasse ausgetragen wird. Die Milliardenüberschüsse im Haushalt zeigen, es ist genügend Geld vorhanden. Wir brauchen Investitionen in Wohnungsbau. Wir brauchen Investitionen im Gesundheitsbereich und im Bildungsbereich. Grundsätzlich steht jedoch die Frage, wie gelingt es uns, dieses System abzuschaffen?

    Huth: Die Verhandlungsspitze der Grünen schien bei den Sondierungsgesprächen mehr oder weniger zu jeder Schandtat bereit. Da war die Rede vom »atmenden Rahmen« anstelle von »Obergrenze«, gemeint war aber etwas Ähnliches. Die Grünen haben zudem viele Kriege und Bundeswehr-Einsätze befürwortet und aktiv unterstützt. Wie kann man weiterhin in dieser Partei tätig sein? Und wie kann eine solche Partei ein Bündnispartner sein?

    Canan Bayram: Ich bin seit 2009 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. In der Zeit der »Rot-roten« Regierung in Berlin bin ich als Mitglied des Abgeordnetenhauses aus der SPD ausgetreten. Ich kann mich noch gut dran erinnern, dass der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, der heutige Regierende Bürgermeister Michael Müller zu mir sagte: »Dass du bei uns nicht glücklich bist, das weiß ich. Aber kannst du nicht zumindest zur Linken gehen, damit die Koalition nicht gefährdet ist?« Und ich habe gesagt: »Nein, was die Linke hier unter Rot-Rot verantwortet hat, will ich nicht verantworten.« Als einzige Grüne mit Direktmandat im Bundestag verstehe ich mich als Abgeordnete im besten Sinne. Ich habe einen eigenen Kopf, ich habe ein eigenes Herz und wäge immer wieder meine Entscheidungen ab, die ich vor den Wählern verantworten muss. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich einer »Jamaika-Koalition« nicht zustimmen werde und mit meiner Stimme nicht Frau Merkel zu einer weiteren Amtszeit verhelfen werde. Merkel hat einen großen Anteil an der Polarisierung unserer Gesellschaft.

    Warum ist unsere Gesellschaft so gespalten, warum funktioniert es, dass Menschen gegen andere Menschen aufgebracht werden? Wenn, wie wir von Österreich gehört haben, das Bleiberecht an das Einkommen gekoppelt wird, wenn Menschen mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gezwungen werden, jedes Arbeitsverhältnis anzunehmen, kann ich nur sagen: Ein solches Einwanderungsgesetz wird es auch mit uns Grünen nicht geben.

    In Deutschland heißt es, das Asylrecht werde nicht angetastet. Aber hierzulande wird nur einer sehr kleinen Zahl von Menschen das Bleiberecht gewährt. Der Großteil lebt in ständiger Unsicherheit und von den Familien getrennt. Das ist skandalös und zeigt, wie weit die Entsolidarisierung der Gesellschaft schon fortgeschritten ist. Immer weniger Menschen gehen dagegen auf die Straße.

    Zu den Fragen von Krieg und Frieden kann ich sagen, dass ich in der Tradition von Hans-Christian Ströbele stehe. Es wird bei den Grünen mit mir eine Stimme geben, die für den Frieden kämpft. Das ist ein wesentlicher Teil meiner politischen Arbeit, an der möchte ich gemessen werden.

    Zu Boris Palmer: Immer wieder werde ich gebeten, es noch einmal zu sagen: »Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten, Palmer.« Ich setze mich mit den Leuten meiner Partei auseinander, wenn sie Grenzen überschreiten. Aber ich finde auch, man sollte einen Bürgermeister aus der Provinz nicht wichtiger machen, als er ist. Schlimm genug, dass die Medien ihn so wichtig nehmen und dass er in jede Kamera seine menschenverachtenden Thesen hinein sprechen darf. Die meisten Grünen sind aber auch nicht der Ansicht von Boris Palmer.

    Huth: Ich möchte noch mal den Blick auf Österreich lenken. Dort gibt es keine Linkspartei wie in Deutschland, sondern viele kleine Gruppen. Selma, du selbst bist in einer kleinen, aber sehr umtriebigen kommunistischen Partei aktiv, der Partei der Arbeit. Wie reagiert ihr auf die Zersplitterung der Linken, wie geht ihr damit in der täglichen Praxis um?

    Schacht: Neben der Partei der Arbeit bin ich vor allem in der Gewerkschaftsinitiative Komintern aktiv, der kommunistischen Gewerkschaftsinitative – international, und für diese übe ich auch ein ehrenamtliches Mandat in der Arbeiterkammer aus. Wir tragen dieses »International« nicht nur im Namen, damit sich ein nettes Kürzel ergibt. Die Arbeiterklasse ist, wie Günter gesagt hat, multiethnisch. Und das wollen wir auch leben, indem wir einerseits in unserer Organisation unterschiedlichste Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichsten Hintergründen, Herkünften etc. zusammenbringen und indem wir andererseits dieses Bild auch in die Gewerkschaften, in die Arbeiterkammern und in andere Bündnisse hineintragen. Denn dort herrscht oft das Motto: »Wir helfen denen, weil sie Hilfe brauchen«. Das ist zwar empathisch, macht aber die Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund und die Geflüchteten lediglich zu »Empfängern« von Solidarität. Wir aber sagen: »Das sind eigenständige politische Subjekte. Wir kämpfen mit ihnen auf Augenhöhe.« Der gemeinsame Kampf ist in Österreich eher fremd, weil die Gewerkschaften sozialpartnerschaftlich ausgerichtet sind. Das aber müssen wir durchbrechen, denn sonst wird es sehr schwierig, gemeinsame Kämpfe zu initiieren.

    Huth: In der Linkspartei wird debattiert, ob es eine Linke Sammlungsbewegung braucht, ähnlich wie in Frankreich mit Jean-Luc Mélenchon oder in Großbritannien mit Jeremy Corbyn. Oskar Lafontaine hat das Ende des Jahres in einem Interview angestoßen, Sahra Wagenknecht in einem Spiegel-Interview aufgegriffen: Entstehen soll so etwas, was auch Teile der SPD und der Grünen integriert, die Partei Die Linke aber in ihrer Verfasstheit in Frage stellte. Kann eine solche Bewegung die Linke voranbringen?

    Beutin: Einer solchen Idee liegen zwei falsche Analysen zugrunde. Das ist einmal der Vergleich mit der Situation in Frankreich oder in Großbritannien. In Frankreich haben wir eine von Mélenchon angeführte Partei, La France insoumise (»Unbeugsames Frankreich«; d. Red.), das ist aber keine Bewegung. Mélenchon setzt sehr auf die nationalistische Karte. Bei Veranstaltungen von La France insoumise sieht man lauter französische Fahnen. Die rote Fahne, das Symbol des Sozialismus, ist von der Trikolore abgelöst worden. Das lässt sich nicht vergleichen mit der Bundesrepublik. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auf Bundesparteitagen der Linken die Deutschlandfahne geschwenkt wird, und ich möchte es auch nicht erleben. In Großbritannien gibt es eine andere Entwicklung. Dort geht es um die Erneuerung der Labour-Partei, also darum, mit dem Neoliberalismus zu brechen. Auch hier handelt es sich um eine Partei.

    Das zweite Missverständnis betrifft das Vertauschen von Bewegungen und Parteien. Es gibt gesellschaftliche Bewegungen. Sie entstehen aus Arbeitskämpfen, aus Kämpfen gegen Sozialabbau usw. Auch die Friedensbewegung ist ein Ergebnis solcher Kämpfe. Eine Partei ist keine Bewegung. Und Lafontaine und Wagenknecht machen den Fehler, dass sie genau das behaupten, dass eine Sammlungsbewegung identisch wäre mit einer linken Volkspartei. Aber eine Bewegung entsteht nicht von oben, nicht durch Menschen, die über die Medien kommunizieren. Die Partei Die Linke ist aus einer Bewegung hervorgegangen, aus dem Kampf gegen die Agenda 2010. Sie war das Ergebnis einer Bewegung, aber sie ist nicht identisch gewesen mit dieser Bewegung. Wir brauchen Die Linke als Organisationseinheit, als Partei links von der SPD. Zum einen, um im Parlament deutlich zu machen: Nein zu jeglichen Auslandseinsätzen. Nein zur Agenda 2010, nein zu Hartz IV, nein zu Sozialabbau, nein zu Neoliberalismus, nein zu Austeritätspolitik. Ja zu Klimagerechtigkeit und globaler Solidarität. Es ist fahrlässig, so etwas wie eine neue linke Volkspartei vorzuschlagen.

    Die Linke hat keiner Asylrechtsverschärfung zugestimmt. Sie ist im Deutschen Bundestag immer gegen die Agenda 2010 aufgetreten. Und sie wird das auch weiterhin tun. Aber was Die Linke brauchen wird, ist solidarischer Druck. Sie braucht die Kritik von links, von Bewegungen, die eine klare Linie einfordern: beim Widerstand gegen Auslandseinsätze, beim Klimawandel. Wir benötigen den Druck von links, der formuliert: Mit diesem Kapitalismus ist kein Staat zu machen. Wir wollen eine Gesellschaft, die solidarisch ist und den Menschen dient und nicht der Wirtschaft. Unsere gemeinsame Aufgabe ist, der Linken immer wieder in den Arsch zu treten.

    Huth: Als ich Anfang des Jahres Oskar Lafontaines Äußerungen in der Presse gelesen habe, hat mich das an eine alte Debatte in der DKP erinnert, die – wie mir scheint – inzwischen geklärt ist. Lange Zeit war in Teilen der Partei die Rede davon, dass die DKP Teil einer »Mosaik-Linken« sei, also Teil einer großen Sammlungsbewegung. Wie wird das heute mit Blick auf die Bündnispolitik diskutiert? Wie grenzt sich die DKP von einem solchen Gedanken an eine Sammlungsbewegung ab?

    Pohl: Den Namen Lafontaine werde ich zu Hause mal googeln. Was Lafontaine aufbauen will, ist ja offenbar etwas, das dann parlamentarisch agieren könnte. Wie er sich das vorstellt, ist mir schleierhaft. In unserer Partei gibt es natürlich sehr intensive Debatten über die Frage, wie wir als Kommunistinnen und Kommunisten in die Gesellschaft eingreifen können – angesichts unserer Schwäche, aber auch angesichts des sehr großen Anspruchs, den wir haben, die Gesellschaft von Grund auf zu ändern. In den Bewegungen dürfen wir nicht unkritisch agieren, denn wir stellen grundsätzlich immer die Systemfrage. In die Friedensbewegung bringen wir antiimperialistische Positionen ein. Man muss sich immer wieder fragen: Was ist der Vorteil, den das Kapital aus bestimmten Aktionen zieht? Wo wird der Profit gemacht? Wie können wir dagegen angehen? Und zwar ohne moralischen Impetus. Moral bringt uns nicht weiter, da das Kapital sich sehr rational verhält. Der Irrationalismus ist in den unteren Schichten viel stärker verbreitet als in der Oberschicht. Dagegen müssen wir angehen. Wir brauchen eine klare, rationale Position, mit der wir den Problemen begegnen, sonst werden wir den Gegner nicht besiegen können.

    Huth: Die Grünen sind aus einer Bewegung entstanden. Gibt es dort noch eine linke Basis? Ist das noch eine Größe, mit der die Parteioberen rechnen müssen, oder sind da schon alle Messen gesungen? Man hört doch sehr wenig Widerspruch, wenn es etwa um Kriege geht.

    Bayram: Ich zitiere Anton Hofreiter, den Fraktionsvorsitzenden, der gesagt hat, die Grünen sind weiterhin eine linke Partei und haben den Anspruch, linke Politik zu machen. Ob das den hier formulierten Anforderungen genügt, kann ich nicht beantworten. Die letzten Jahre haben uns auch beim Thema Flucht und Migration gezeigt, dass die Bereitschaft der Parteien, wieder in nationales Denken zu verfallen, eine andere ist als die der Menschen, die einfach handeln und das tun, was gebraucht wird, die also solidarisch sind. Das habe ich bei den Protesten der Geflüchteten in Berlin erlebt, vom Hungerstreik am Brandenburger Tor über die Proteste am Oranienplatz. Wir müssen verstehen, dass diejenigen, die hierher kommen, Menschen sind, die in ihren Herkunftsländern politisch aktiv waren. Hier werden sie zu Bittstellern und als Sozialleistungsempfänger kleingemacht. Dabei haben sie die Power und die Ideen, wie es in ihren Ländern gerechter zugehen könnte. In solchen Bewegungen steckt sehr viel Kraft. Also, einer Partei oder den Parteien wird es alleine nicht gelingen. Und von dieser Idee des Herrn Lafontaine, um das abschließend noch mal zu sagen, halte ich wenig bis gar nichts.

    Beutin: Dein persönliches Engagement in Ehren. Aber dennoch muss man sich anschauen, welche Positionen bei den Grünen mehrheitlich getragen werden. Sie haben die größte Rentenkürzung in der bundesdeutschen Geschichte mitgetragen, die Rente mit 67. Und auch die Absenkung des Rentenniveaus war kein Problem. Die Grünen haben sich weder von ihrer Kriegspolitik verabschiedet noch von ihrer neoliberalen Sozialkürzungspolitik. Das will ich bei allem Respekt doch einmal gesagt haben. Das heißt, auch die Grünen brauchen Druck, klare linke Positionen zu vertreten – noch viel mehr als Die Linke.

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    Der Hitler in uns

    Wiederveröffentlicht: Aimé Césaires große Polemik »Über den Kolonialismus« von 1950 ist heute noch lehrreich
    Kai Köhler
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    Schon damals ein Vorbild, heute umso mehr: Aimé Césaire (M.) mit Fans an der TU Wroclaw, 28. August 1948

    Vieles, was heute gedacht wird, wurde bereits früher einmal gedacht, und manchmal sogar besser. Darum sind neue Ausgaben von Texten wie Aimé Césaires »Über den Kolonialismus« willkommen. Die 1950 geschriebene, 1955 erweitert vorgelegte Polemik hat an Aktualität nichts verloren.

    Césaire, 1913 auf Martinique geboren, war einer der wenigen schwarzen Jugendlichen, denen die französische Kolonialmacht eine gute Ausbildung zugestand. Er nutzte die Kenntnisse, die er so erwarb, um sich gegen die Unterdrücker zu wenden. Von der Brillanz seines Französisch vermittelt der Übersetzer Heribert Becker mehr als nur eine Ahnung: Der mal ironische, mal aggressive Gestus der Sprache ist in den deutschen Wendungen gut erkennbar.

    Tatsächlich ist es eine üble Bande, die Césaire den Stoff für sein Buch liefert. Die Großen der französischen Kulturgeschichte wie auch zeitgenössische Parlamentsabgeordnete bevölkern ein Panoptikum, in dem alle Formen des Rassismus ihren Platz finden: von der weißen Herrenmenschenphantasie über vermeintlich zivilisierende Fürsorge bis hin zu der exotistischen Verharmlosung der »Negerkultur« als besonders spirituell – auf dass die Kolonialisierten bloß nicht auf die Idee kommen, materielle Interessen einzufordern.

    Sicherlich formulieren heute die Ideologen des Neokolonialismus vorsichtiger. Zwar findet sich immer noch das vermeintliche Lob für die »Primitiven«, die man vorsichtshalber nicht mehr so nennt: Sie seien näher an der Natur und damit glücklicher als der westlich zivilisierte Bürger. Aber die politischen Phrasen kommen heute technokratisch daher. Liest man indessen Césaire, so ist es gar nicht mehr schwierig, die aktuellen Phrasen von »Marktöffnung« und »good governance« zu durchschauen. Man kann das Pamphlet auch ohne den ausführlichen Stellenkommentar gut lesen.

    Über die Einzelkritik hinaus treibt Césaire seine Kritik des Kolonialismus ins Grundsätzliche. Die Kolonialherrschaft wirke auch zurück auf den, der sie ausübe. Europa sei »geistig und sittlich unhaltbar« geworden. Er schreibt, was 1950, fünf Jahre nach dem Sieg über den Faschismus, in einem der Siegerländer eine kaum überbietbare Provokation gewesen sein muss: Hitler habe in Europa und an Europäern verübt, was zuvor außerhalb Europas Praxis gewesen sei. Jedem »ach so humanistischen, ach so christlichen Bourgeois des 20. Jahrhunderts« gelte es begreiflich zu machen, »dass er selbst einen Hitler in sich trägt« und es Hitler nur nicht verzeihe, seine Verbrechen gegen weiße Menschen gerichtet zu haben.

    Hier ließe sich einwenden, dass der Kolonialismus ohne Rücksicht auf den möglichen Tod seiner Opfer Kriege führt und ausbeutet, anders aber als der deutsche Faschismus nicht auf die Ausrottung einer zum Feind erklärten Rasse zielt. Das Gemeinsame jedenfalls, auf das es Césaire ankommt, ist der Kapitalismus. Hitler gilt ihm, in einer schönen Metapher, als das »Vergrößerungsglas«, durch das der Zustand des »nach seinem Überleben trachtenden Kapitalismus« gesehen werden kann. Und so nennt Césaire als die einzige Klasse, »die noch eine universale Aufgabe hat«, nämlich die »engstirnige Tyrannei einer entmenschlichten Bourgeoisie« zu beseitigen, das Proletariat.

    Césaire bezieht sich hier auf eine Universalgeschichte, auf eine Entwicklung der Menschheit als Ganze. Dem steht nur bedingt entgegen, dass er die »um ihre Identität gebrachten Gesellschaften«, die »niedergetrampelten Kulturen« beklagt: denn dieser Satz endet in der Trauer um die »vereitelten großen Möglichkeiten«, »Möglichkeiten« sogar kursiv hervorgehoben. Es geht ihm nicht um das jeweils besondere Volk, das unbedingt sein Eigenes zu bewahren habe, sondern um Chancen der Entwicklung, um Beiträge für die Menschheitsgeschichte, die der Kolonialismus gerade verhindert habe.

    Ein Problem bleibt. Fragwürdig ist das Lob der vorkolonialen Welt: »Es waren demokratische Gesellschaften – immer«, oder gar: »genossenschaftliche, brüderliche Gesellschaften«. Das ist antikolonialer Trotz. Es lassen sich Beispiele genug nennen, wo wenige Kolonialisten siegten, weil irgendeine unterdrückte Gruppe die Illusion hatte, mit deren Hilfe sich zu befreien. Der Kolonialismus konnte seine neuen Schrecken oft auch deshalb verbreiten, weil er zuerst als Alternative zu alten Schrecken erschien und weil er stets Kollaborateure fand und findet.

    Fragwürdig ist auch die Kritik der europäischen Zivilisation als krank und verrottet. Dies stimmt, insofern ihr Humanismus der Rechtfertigung kolonialer Verbrechen diente. Gleichzeitig stimmt es nicht, denn die antikapitalistische Kritik, auf die sich Césaire stützt, ist eben die materialistische Konsequenz des universalistischen europäischen Humanismus. Die Kritik richtet sich damit gegen ihre eigene Grundlage.

    Auch in solchen Widersprüchen erweist sich Césaires Kolonialismuskritik als aktuell – schließen doch die dümmeren Vertreter des Postkolonialismus mit ihrem undurchdachten Lob der Vielfalt an die fragwürdigsten Passagen dieses Werks an. Auch in diesem Fall liest man besser das Original. Stärker als Césaires Lob der vorkolonialen Gesellschaften, das zu einer exotistischen Begeisterung fürs Fremde verführen kann, ist sein Argument, dass gerade der Kolonialismus den Prozess der Zivilisierung verhindert. Die koloniale Heuchelei behauptet zwar das Gegenteil – doch kann sich über Heuchelei nur derjenige so beredt wie Césaire empören, der die nur vorgeschobenen Werte im Ernst verteidigt. Es waren glücklichere Zeiten, in denen die Hoffnung bestand, die sozialistische Zivilisierung der Welt zu erleben.

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    Gute Ernte

    Olivenöl und Arbeit: Die Initiative »Synergasia« auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Arnold Schölzel
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    Oliven müssen nach der Ernte so schnell wie möglich in die Ölmühle gebracht werden, um eine gute Qualität zu erhalten. Hier ein Foto aus Südfrankreich nördlich von Nizza von 5. Dezember 2013

    Als »Arbeitsbeschaffung auf dem Familienacker« beschrieb jW-Autor Hansgeorg Hermann vor fast fünf Jahren in dieser Zeitung die Initiative »Synergasia« (»Zusammenarbeit«) in der griechischen, im Westteil der Insel Kreta gelegenen Ortschaft Vamos. Die Diktate aus Berlin und Brüssel für Athen hatten damals die Arbeitslosigkeit in Griechenland auf 30 Prozent, die unter jungen Leuten auf 60 Prozent steigen lassen. Die Idee: durch Hilfe bei der Direktvermarktung von Olivenöl aus kleinen bäuerlichen Betrieben vor allem jungen Frauen und Männern Arbeit und echte Entlohnung zu schaffen. Darüber hinaus ging es darum, einer ganzen Region wieder auf die Beine zu helfen. Die Bauern, die in das Projekt einbezogen wurden, besitzen kleinere Plantagen (zwischen 50 und 500 Bäume), die ausschließlich von Familienmitgliedern – Töchter, Söhne, Cousins – bewirtschaftet werden und das Einkommen für die Wintermonate sichern.

    »Synergasia« nahm seither den Olivenbauern in Vamos 1.000 Liter pro Jahr ab – vorfinanziert durch deutsche Freunde der Initiative – und verkaufte es zum Literpreis von 15 Euro in Fünf-Liter-Kanistern. Nach Abzug der Kosten für Organisation, Verpackung und Vertrieb, so berichtete Hansgeorg Hermann ein knappes Jahr später in jW, erhielten die Olivenbauern bis zu 9,50 Euro pro Liter. Die Olivenmühlen zahlen den Bauern bis heute zwischen zwei und drei Euro.

    Im Dezember 2017 trafen sich in Vamos acht deutsche Freunde von »Synergasia« mit deren Initiatoren und Organisatoren, Giorgos Xatsidakis und Hansgeorg Hermann, sowie mit Olivenbauern. Beraten wurde, wie das Vorhaben, das organisatorisch mittlerweile an Grenzen stößt, weiterentwickelt werden kann. Bei der Verwirklichung der Grundidee, so zeigte sich, ist Wichtiges erreicht worden: Einige junge Leute, die Kreta auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten, kehrten zurück. Die Abnahmegarantie und feste Bezahlung durch »Synergasia« sicherte den betreffenden Familien ein Einkommen. Das Dorf insgesamt profitiert davon. Im Oktober begann die laufende Olivenernte, die diesmal besonders gut auszufallen verspricht. Günstige Witterung und ausreichend Regen sorgten für eine besonders gute Qualität der Oliven, gearbeitet wird buchstäblich Tag und Nacht.

    Wer mehr wissen will: Am Sonnabend werden ein junges Ehepaar, Olivenbauern aus Vamos, Giorgos Xatsidakis und Hansgeorg Hermann am Stand von »Synergasia« auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz Auskunft geben und Bestellungen für den neuen Olivenöljahrgang entgegennehmen.

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    »Häute mit Narben«

    Ibrahim Mahama entlarvt die Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft. Der Künstler ist zu Gast auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin
    Susann Witt-Stahl
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    Documenta-Performance »Check Point - Prosfygika« auf dem Syntagma-Platz in Athen (April 2017)

    Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama interessiert sich für »stark historisch geprägte Gebrauchsgegenstände« gesellschaftlicher Arbeit. Jutesäcke sind das wichtigste Gestaltungsmaterial seiner als »künstlerische Intervention in das bestehende Produktionssystem« zu verstehenden Werke: Flexible Transportbehälter, in denen sich die Geschichte des Welthandels materialisiert, weil in ihnen Produkte wie Kakao oder Bohnen zwischen Lagerhäusern, Märkten, Städten und Kontinenten hin und her bewegt werden.

    Mahama verhängt Gebäudefassaden mit riesigen Schleiern aus zusammengenähten Jutesäcken. 2016 hatten aus seinem Heimatland stammende Migranten ein solches Monstrum für die Kunsthal Charlottenborg in Kopenhagen fertiggestellt – ein Prozess kollektiver Arbeit, der rund zwei Jahre dauerte. Der Werktitel »Nyhavn’s Kpalang« setzte sich aus dem Namen des Hafens der Hauptstadt Dänemarks »Nyhavn« und dem Wort »Kpalang« zusammen, das auf Dagbani, der Sprache des Dagomba-Volkes im Norden Ghanas, sowohl »Sack« als auch »Fleisch« bedeutet und auf das Naturmoment, das Elementare jeglicher Arbeit verweist. Die Jutesäcke »erzählen uns etwas über die Hände, die sie anheben«, so Mahama. »Wer webt, verpackt, belädt und transportiert, hinterlässt auch seinen Schweiß, seinen Namen, Daten und andere Koordinaten«, erinnert Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, der mehrere Projekte von Mahama kuratiert hat, an das Wesen, das nach Marx durch den Einsatz der seiner Leiblichkeit angehörenden Naturkräfte, Kopf, Arme, Hände und Beine, die Naturstoffe in die für sein Leben nötige Form bringt und sich damit selbst erschafft, aber mehr und mehr hinter dem stetig expandierenden Selbstverwertungsprozess des Kapitals verschwindet: der Mensch. Im Zentrum von Mahamas Schaffen steht der gestern wie heute Kolonialherrschaft unterworfene. Die von ihm verarbeiteten Säcke seien »Häute mit Narben«, sagt Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Vor allem dienten sie Mahama als »forensische Beweismittel bei seiner Suche nach Manifestationen kapitalistischen Wirtschaftens in der Welt« und Mittel zur Sichtbarmachung »lokaler Bezüge innerhalb der internationalen Arbeiterklasse«.

    Der 1987 in Tamale, der Hauptstadt der Nordregion Ghanas, geborene Künstler besuchte die renommierte Kwame-Nkrumah-Universität in Kumasi und setzte sich zunächst mit der Collagentechnik von Robert Rauschenberg auseinander, einem Wegbereiter der US-amerikanischen Pop Art. Vor rund fünf Jahren vollzog Mahama einen Wandel und begann, zunächst mit Gipsabdrücken von seinem eigenen Körper, sich historisch-materialistischen Konzepten zu nähern. 2012 breitete er über einen ständig präsenten riesigen Holzkohlestapel auf dem Mallam Atta Market in Accra zum ersten Mal einen Jutesackteppich aus.

    Mittlerweile sorgt der »Christo Afrikas« (im Gegensatz zu dem berühmten Verpackungskünstler geht es Mahama allerdings nicht um eine jeglicher Erkenntnisinteressen und Normen entledigter Ästhetisierung der Lebenswelt) mit seinen Arbeiten weltweit für Aufsehen: auf der 56. Biennale in Venedig 2015; 2016 im Tel Aviv Museum of Art. Im Februar 2017 wurde in der Londoner White-Cube-Galerie seine erste große Einzelausstellung eröffnet mit Installationen aus Hunderten von Holzboxen der Schuhputzer und originalen Ledersitzen aus den Zügen in Ghana. Im Sommer war er auf der Documenta 14 in Athen und Kassel vertreten.

    Mahama will mit seinen Arbeiten, wie er in einer Kolumne der aktuellen Ausgabe der Kulturzeitschrift M&R betont, »stets in Erinnerung rufen, in welchem Maße neokoloniale Kräfte die Weltpolitik bestimmen«. Indem er aus Produktionsmitteln, die als zirkulierendes konstantes Kapital in Afrika und anderen Ausbeutungszentren der Welt lebendige Arbeit einsaugen, Kunstwerke schafft, entlarvt er nicht nur die Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft und die nicht von ihr zu trennende Barbarei. Er klagt darüber hinaus eine ganz andere Produktionsweise ein, die endlich allen, auch jenen, die bis heute »durch Blut und Schmutz, durch Elend und Erniedrigung« geschleift werden, wie Marx über die Kolonisierten schrieb, das Menschenrecht garantiert.

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    Tunesien in Aufruhr

    Landesweite Massenproteste gegen Preissteigerungen und Steuererhöhungen
    Sofian Philip Naceur
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    Auf den Straßen von Tebourba wird am 9. Januar gegen die Sparmaßnahmen der Regierung demonstriert

    Die am Sonntag in Tunesien ausgebrochenen Proteste halten an und haben inzwischen mindestens ein Dutzend Städte im ganzen Land erfasst. Neben mehreren industriell geprägten Ortschaften im Süden Tunesiens sind auch die Hauptstadt Tunis und die beliebten Touristenhochburgen Hammamet und Sousse betroffen. Lokale Medien melden auch gewaltsame Zusammenstöße zwischen aufgebrachten Demonstranten und der Polizei, die in einigen der betroffenen Städte mit Tränengas gegen die Proteste vorging.

    Dutzende Menschen wurden bislang bei den Ausschreitungen verletzt. Nach Angaben des tunesischen Innenministeriums ließen die Behörden in den letzten zwei Nächten mindestens 237 Protestierende wegen angeblicher Beschädigung öffentlichen und privaten Eigentums und Plünderung verhaften. 45 Polizeifahrzeuge seien beschädigt und 49 Polizisten verletzt worden, heißt es.

    Auf der Insel Djerba wurde derweil ein Brandanschlag auf eine jüdische Schule verübt. Unbekannte hatten offenbar die verringerte Polizeipräsenz auf der Insel für den Angriff ausgenutzt und Molotowcocktails in das Gebäude geworfen. Proteste wurden aus Djerba bisher nicht vermeldet.

    Laut Nachrichtenagentur Reuters hatten Demonstranten am Dienstag versucht, einen Supermarkt in einem Vorort von Tunis zu stürmen. In Tebourba, einer Stadt im Norden des Landes, war am Montag ein Demonstrant unter noch ungeklärten Umständen getötet worden. Offiziellen Angaben zufolge war er erstickt. Inzwischen kursieren allerdings Videoaufnahmen, die belegen sollen, dass der Mann von einem Fahrzeug der Polizei überrollt wurde. Details aus dem Obduktionsbericht des Toten wurde bislang nicht veröffentlicht.

    Grund für die landesweite Erhebung frustrierter Demonstranten ist vor allem die wirtschaftlich angespannte Lage in dem nordafrikanischen Land. Die bisher vornehmlich unorganisierten Proteste richten sich insbesondere gegen die Austeritätspolitik der Regierung, die im Zuge des seit 1. Januar geltenden neuen Staatshaushalts die Steuern erhöht und Subventionen auf Treibstoffe und Grundnahrungsmittel reduziert hatte. Nach den neuerlichen Preissteigerungen eskalierte die Situation und Tausende Menschen gingen auf die Straßen.

    Die seit Jahren anhaltende Wirtschaftskrise hat die Inflationsrate auf inzwischen fast sieben Prozent getrieben, während das Lohnniveau weitgehend stagniert. Einkommensschwache Haushalte stehen daher unter massivem Druck. Die jüngsten Austeritätsmaßnahmen stehen auch in Zusammenhang mit einem Kreditabkommen, das Tunesien mit dem Internationalen Währungsfond getroffen hat.

    Die oppositionelle Tunesische Volksfront, ein von Hamma Hammami geführtes linkes Parteienbündnis, stellte sich derweil wie auch der mächtige tunesische Gewerkschaftsdachverband UGTT hinter die Proteste und rief zu weiteren Kundgebungen auf, sollte sich die Regierung der Forderung nach einer teilweisen Rücknahme des neuen Haushalts nicht beugen.

    Demonstrationen wurden unterdessen auch aus der Kleinstadt Sidi Bouzid im Zentrum des Landes gemeldet. Dort hatte sich Ende 2010 der Gemüsehändler Mohammed Bouazizi aus Protest gegen das Konfiszieren seiner Waren durch die Behörden selbst angezündet und damit die Massenaufstände in Tunesien, die kurz darauf zum Sturz des langjährigen Diktators Ben Ali führten, ausgelöst.

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    Neokoloniale Handelspraktiken

    Vom Kakao- und Kaffeeverkauf profitiert Europa mehr als Afrika
    Fabian Wagner
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    Ein Arbeiter der Export Firma SAF CACAO in San Pedro, Côte d'Ivoire, hält Kakaobohnen in seiner Hand (29. Januar 2016)

    Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten geben viel Geld dafür aus, jungen Menschen in Afrika zu erzählen, wie schön ihr eigenes Land ist. Gleichzeitig tragen ihre Handelspraktiken entscheidend dazu bei, dass der Kontinent der Bevölkerung nicht viel zu bieten hat.

    Ein Beispiel: Das Hauptexportprodukt der Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) ist Kakao. Mit einem jährlichen Wert von 3,75 Milliarden US-Dollar macht der Rohstoff rund ein Drittel aller Exporte des Landes aus. Die EU hingegen exportiert jedes Jahr Schokolade im Wert von 18 Milliarden US-Dollar. Das sind 75 Prozent der globalen jährlichen Schokoladenexporte. Der gesamte afrikanische Kontinent, wo die Kakaobäume ja unter anderem bekanntlich wachsen, bleibt mit weniger als 200 Millionen US-Dollar weit dahinter zurück. Wie kann es sein, dass Europa, wo ein Kakaobaum außerhalb eines Tropenhauses nicht überleben würde, 90mal soviel Geld mit Schokolade macht als Afrika, wo die Hauptzutat wächst?

    Die Antwort ist einfach: Handelsbeziehungen, die sich seit der Kolonialzeit kaum verändert haben. Die Zollpolitik gegenüber den afrikanischen Staaten erlaubt den freien Import von Kakaobohnen nach Europa. Verarbeitete Produkte, zum Beispiel Schokolade, werden jedoch mit Einfuhrzöllen belegt, die eine Verarbeitung des Kakaos vor Ort unrentabel machen. Die großen Profite werden dort generiert, wo die Bohnen verarbeitet werden.

    Wollte Europa ernsthaft etwas gegen Fluchtursachen unternehmen, beispielsweise durch die Schaffung von Jobs, wäre eine entsprechende Anpassung der Handelspolitik ein guter Ausgangspunkt. Würde der Kakao in Westafrika zu Schokolade verarbeitet, würden dazu mit einem Mal Tausende, wenn nicht sogar Millionen Jobs geschaffen. Ganze Produktionsketten könnten entstehen, die mit Blick auf die wachsende Bevölkerung Afrikas auch dringend benötigt werden. EU und Afrikanische Union kennen diese Fakten und geben vor, daran zu arbeiten. Die europäische Handelspolitik aber »pro-poor« zu gestalten, also im Rahmen der vielzitierten Harmonisierung aller Politikbereiche im Sinne der Armen, hat für Europa scheinbar keine Priorität.

    Das trifft nicht nur Côte d’Ivoire. Ein anderes Beispiel ist Äthiopien, das Heimatland des Kaffeebaums. Deutschland alleine aber macht mehr Geld mit dem Kaffeehandel als ganz Afrika zusammen. Von den Steuern, die der deutsche Staat unter anderem durch den Handel von äthiopischem Kaffee und ivorischem Kakao kassiert, wird dann ein winziger Teil durch die deutsche staatliche Entwicklungsorganisation GIZ für Konferenzen in Afrika ausgegeben, auf denen »afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme« diskutiert werden.

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    Waffen für Nordafrika

    Immer mehr deutsche Rüstungsgüter werden nach Ägypten, Algerien, Marokko und Tunesien verkauft. Im Interesse von Bundesregierung und Konzernen
    Jörg Kronauer
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    Vizeadmiral Ahmed Khaled (r.) freute sich über ein neues U-Boot, Andreas Burmester (Thyssen-Krupp) über den Gewinn (Kiel, August 2017)

    Die Bundesregierung hat 2017 Rüstungsexporte in Rekordhöhe nach Ägypten und in Milliardenhöhe an Algerien genehmigt. Dies geht aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Demnach hat der Bundessicherheitsrat von Januar bis Mitte November 2017 der Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 428 Millionen Euro an Ägypten zugestimmt. Algerien darf Produkte deutscher Waffenschmieden mit einem Volumen von mehr als 1,1 Milliarden Euro kaufen. Damit zählen die beiden Länder im Gesamtjahr 2017 offensichtlich erneut zu den Top fünf der Käufer deutschen Kriegsgeräts weltweit. Die Genehmigungen erfolgten, obwohl insbesondere Ägypten, aber auch Algerien wegen Menschenrechtsverletzungen scharf kritisiert werden und obwohl – vielleicht aber auch weil – sie in Konfliktregionen liegen.

    Ägypten hat sich im vergangenen Jahr unter anderem die Lieferung von Luft-Luft-Lenkflugkörpern des Typs »Sidewinder« aus dem Hause Diehl Defence sowie die Lieferung von U-Booten aus der Produktion von Thyssen-Krupp Marine Systems genehmigen lassen. Insgesamt wird das Land vier deutsche U-Boote erhalten, zwei wurden bereits an die ägyptische Marine übergeben. Berlin ist unter anderem aus geostrategischen Gründen viel an guten Beziehungen zu Ägyptens Militär gelegen: Der Suezkanal und das Rote Meer, das von der ägyptischen Marine kontrolliert wird, sind Teil eines der für Deutschland wichtigsten Seewege. Desjenigen, der nach Asien führt.

    Im Roten Meer beteiligt sich die ägyptische Marine zudem an Operationen im Zusammenhang mit Saudi-Arabiens Krieg im Jemen. Riad sucht den Sieg unter anderem mit einer Hungerblockade zu erzwingen, die auch jemenitische Häfen am Roten Meer betrifft. Mit Blick auf die Rüstungsexporte ist anzunehmen, dass Riads Krieg im Jemen, der sich gegen eine etwaige Einflussnahme Irans auf das Land richtet, den Interessen Berlins entspricht: Saudi-Arabien, dessen Marine die Hauptverantwortung für die Blockade trägt, wird gegenwärtig mit deutschen Patrouillenbooten beliefert.

    Die umfangreichen Rüstungsexporte an Algerien spiegeln ihrerseits zweierlei wider. Zum einen hat das Land zuletzt zwei teure deutsche Fregatten erhalten. Deutsche Marinekreise verbinden mit der Lieferung die Hoffnung, Algier werde künftig enger »mit europäischen Mittelmeermarinen« kooperieren, wie das Fachblatt Marine Forum Ende 2015 berichtete. Zum anderen hat Rheinmetall in Zusammenarbeit mit dem algerischen Verteidigungsministerium einen Ableger nahe Constantine gegründet; Rheinmetall Algérie soll Radpanzer des Modells »Fuchs« für die algerischen Streitkräfte herstellen. Daimler wiederum lässt in der Nähe von Algier Geländewagen und »Unimogs« montieren, mit denen ebenfalls die algerische Armee ausgestattet wird. Berlin setzt darauf, dass Algier auch weiterhin die Wüstengebiete des Landes scharf kontrolliert, um die Reise von Flüchtlingen ans Mittelmeer zu verhindern.

    Ebenfalls mit Rüstungslieferungen bedacht wurden Marokko (11 Millionen) und Tunesien (58 Millionen). Tunesien hat unter anderem deutsche Sturmgewehre erhalten. In dem Land wurde am Montag bei Demonstrationen gegen steigende Preise und Steuererhöhungen ein Demonstrant getötet. Die Proteste weiteten sich zuletzt aus. Gewalttätige Zusammenstöße wurden aus mindestens zehn Städten gemeldet. Auf deutsche Waffen können die tunesischen Repressionsbehörden nach wie vor zählen.

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    Konferenzgast: Clotilde Ohouochi

    Die ehemalige Kolonialmacht entschied den Machtkampf: Am 11. April 2011 rückten in Côte d’Ivoire französische Kampfhubschrauber und Panzer auf die Residenz des Präsidenten Laurent Gbagbo vor. Damit endeten monatelange Auseinandersetzungen zwischen dem Staatschef und dessen vom »Westen« unterstützten Widersacher Alassane Ouattara. Im Dezember 2010 hatten sich beide zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt. Eine von Gbagbo und dessen Ivorischer Volksfront (FPI) daraufhin vorgeschlagene Neuauszählung der Stimmen wurde von Ouattara und seinen Hintermännern in Paris, Washington und bei den Vereinten Nationen abgelehnt. »In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Lagern, wobei Ouattara vom Westen unterstützt wurde«, berichtete die frühere Sozialministerin des westafrikanischen Landes, Clotilde Ohouochi, im vergangenen Sommer im Gespräch mit junge Welt.

    Ohouochi arbeitete zwischen 2000 und 2011 als Ministerin für Solidarität, Gesundheit und soziale Sicherheit. Nach dem Sturz Gbagbos und der einsetzenden Repression gegen dessen Gefolgsleute und gegen Mitglieder der FPI floh sie über Belgien nach Frankreich, wo sie Asyl beantragte und heute lebt. »Als Ministerin habe ich an der Einführung einer obligatorischen Gesundheitsversicherung mit nach Einkommen gestaffelten Beiträgen gearbeitet. Das war dringend notwendig, denn die Lebenserwartung lag bei lediglich 50 Jahren. Viele Menschen sind gestorben, weil sie einfach nicht das Geld hatten, um zum Arzt zu gehen. Das hat Ouattara gestoppt. Er hat ein Gesetz verabschiedet, nach dem jeder dieselbe Prämie entrichten muss. Während Gbagbo die Armutsquote auf etwa 30 Prozent senkte, liegt sie nun wieder bei 50 Prozent«, so Ohouochi gegenüber jW.

    Bei einer Ende Juni 2017 von der Hamburger Linksfraktion im Umfeld des G-20-Gipfels organisierten Veranstaltung betonte Ohouochi, dass es den westlichen Mächten nach wie vor um die Ausplünderung Afrikas gehe. Es sei ein Paradox, dass ein an sich reicher Kontinent mit riesigen Rohstoffvorkommen und fruchtbaren Böden ökonomisch so arm sei. Ursache dafür sei, dass westliche Konzerne diese Ressourcen ausbeuteten und ihre Profite abschöpften, statt sie zu investieren – und weil Afrikas Regierungen das zuließen.

    Bei der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend in Berlin spricht Clotilde Ohouochi über das Thema »Die imperialistischen Einmischungen in Afrika, vor allem des französischen Imperialismus, am Beispiel der Elfenbeinküste«. (scha)

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    »Mein Paradies ist hier!«

    Die Europäische Union finanziert in Afrika Propagandaveranstaltungen gegen Migration. Über die strukturellen Ursachen dieser schweigt sie
    Fabian Wagner
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    Umhängetaschen zum Mitnehmen im Kinosaal des Französischen Instituts in Abidjan im Rahmen einer Nebenveranstaltung des EU-Afrika Gipfels 2017. Aufschrift: »Nein zur ungeregelten Migration!«

    Was für eine bizarre Szene an diesem heißen Novemberabend in Abidjan, der Hauptstadt der westafrikanischen Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste): ein Stadion, gefüllt mit jungen Menschen, skandiert auf Geheiß des ivorischen Fußballsuperstars Didier Drogba: »Ich schwöre, ich wandere nicht aus! Ich schwöre, ich wandere nicht aus! Ich schwöre, ich wandere nicht aus!« Die Menge eingeheizt hatte die auch international bekannte ivorische Band »Magic System« auf der Veranstaltung am Vorabend des 5. Gipfeltreffens von Afrikanischer und Europäischer Union (AU-EU). Das Stadion brummt unter Rufen und Gesängen Hunderter junger Leute, die alle auf die Ankunft Drogbas warten, eines Idols der ivorischen Jugend. Es handelte sich nicht um ein einfaches Konzert. Vielmehr befand ich mich inmitten eines von der EU finanzierten Propagandaevents gegen Migration. Die kurzen Ansprachen zwischen den Songs, Drogbas Rede, die Interventionen der hochrangigen Gäste, alles hatte die gleiche Botschaft: »Auswandern ist keine Lösung für unsere Probleme«, sagte der Sänger der Band. »Die beste Art, glücklich zu werden, ist, hier bei uns zu bleiben.« Die Ehrengäste, darunter die Minister für Jugend und Kultur, folgten in gleicher Manier: »Wir haben dieses Konzert nicht nur organisiert, um Jugendliche über die praktische Ausbildung zu informieren, sondern vor allem, um über illegale Migration aufzuklären.«

    »Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen« sind ein zentraler Bestandteil von Europas »Fluchtursachenbekämpfung«. Der 2015 geschaffene Nothilfetreuhandfonds der EU »zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen von irregulärer Migration und Vertreibungen in Afrika« stellt eine Million Euro für »die Schaffung eines Bewusstseins für die Gefahren der illegalen Migration« bereit. Einzelne Mitgliedsstaaten geben für ähnliche Maßnahmen noch einmal zusätzliches Geld.

    Das Konzert war nicht die einzige Nebenveranstaltung des EU-AU-Gipfels in Abidjan. Einige Tage später fand ich mich im Publikum einer Podiumsdiskussion wieder, bei der acht Gäste zwei Stunden über Fluchtursachen diskutierten, ohne dass ein einziges Mal die Rolle Europas zur Sprache gekommen wäre. Finanziert vom Auswärtigen Amt und unterstützt von der Internationalen Organisation für Migration (IOM), organisierte das Französische Institut in Abidjan eine Diskussion und Filmvorführung darüber, wie die Debatte um Migration »entemotionalisiert« werden könne. In Wahrheit war die Veranstaltung selbst jedoch voller Emotionen: traurige Gesichter von Müttern, die ihre flüchtenden Kinder an die See verloren haben, gruselige Filmaufnahmen toter Körper, die an die Strände des Mittelmeers schwappen, verstörende Handyclips eines Mannes, der in einer libyschen Zelle verzweifelt »Helft mir!« flüstert, bevor er von seinen Peinigern ins Gesicht geschlagen wird, und zum Schluss deprimierte Geflüchtete, die, zurück in Westafrika, aus dem Abschiebeflieger steigen. Die Botschaft hätte nicht klarer sein können: Wenn du emigrierst, passiert dir all das, und du bist selbst Schuld.

    Im Raum sind Infomaterialien verteilt, die das noch einmal wiederholen. »Nein zur ungeregelten Migration!« steht auch auf der Vorderseite der Umhängetaschen, die auf Stühlen zum Mitnehmen liegen. Auf der anderen Seite in den Umrissen der Côte d’Ivoire : »Mein Paradies ist hier.« Ein Poster proklamiert: »Das Meer tötet, die Wüste auch. Nein zur illegalen Migration!« Dasselbe ist auch auf großformatigen Werbeplakaten zu lesen, die entlang der Hauptfluchtrouten in ganz Westafrika aufgestellt wurden.

    Einige Wochen vor meinem Aufenthalt in Abidjan besuchte ich in der Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba, eine Konferenz der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Für »Africa talks Jobs« wurden mehr als 300 Jugendliche aus Afrika und Europa eingeflogen, um darüber zu diskutieren, wie Afrikas Jugend in Arbeit gebracht werden kann, vor Ort natürlich. Europas Rolle war wieder nur auf die des wohlwollenden Unterstützers beschränkt. Kritische Stimmen? Fehlanzeige.

    Die Beispiele zeigen, wie riskant es für progressive Kräfte ist, blind auf den Zug der Erzählung von der »Fluchtursachenbekämpfung« aufzuspringen. Im besten Fall ist das nur ineffizient. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die Erzählung von den eigentlichen Problemen ablenkt und der Erhaltung des ungerechten Status quo dient. Für linke und progressive Kräfte kann die Bekämpfung der Fluchtursachen nur heißen, systemische Veränderungen anzustoßen. Würde Europa sein ausbeuterisches Handelssystem ändern, anstatt Fußballspieler zu Propagandainstrumenten zu machen, wer weiß, vielleicht wäre Côte d’Ivoire dann wirklich ein Paradies für die eigene Jugend.

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    Fenster in die Zukunft

    Der Philosoph und Historiker Achille Mbembe ist am Sonnabend Gast der Rosa-Luxemburg-Konferenz
    Arnold Schölzel
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    Neuvermessung des Kapitalismus: Am Samstag wird Achille Mbembe bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin sprechen

    Afrika, sagte der Philosoph und Historiker Achille Mbembe 2014 der Zeit, »ist der Name des Kontinents, von dem man immer meinte, nichts Universelles könne dort entstehen. Afrikaner waren törichte Kinder. Aber Afrika ist nicht die Vergangenheit der Welt, sondern es ist wie ein Fenster: Von dort sieht man die Zukunft.«

    Die Thesen des 1957 in Kamerun Geborenen, heute in Johannesburg als Professor Lehrenden über die Geschichte des Kapitalismus sind scharf, aber nicht einseitig, weil seine Aufmerksamkeit der ganzen heutigen Welt gilt. Kolonialismus und »Krieg gegen den Terror«, Sklaverei und heutige »selbständig« bei sogenannten Dienstleistern beschäftigte »Arbeitsnomaden« sind sein Gegenstand. In der Bundesrepublik hat der Suhrkamp-Verlag drei seiner Bücher herausgebracht, »Kritik der schwarzen Vernunft« 2014, »Ausgang aus der langen Nacht. Versuch über ein entkolonialisiertes Afrika« 2016 und im Oktober 2017 »Politik der Feindschaft«. 2015 erhielt Mbembe in München den Geschwister-Scholl-Preis, seit 2017 ist er Mitglied der American Academy of Arts and Sciences. Am Sonnabend ist er Gast der XXIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.

    Die »Kritik der schwarzen Vernunft« heißt im französischen Original »Critique de la raison nègre«, was präziser ist als das harmlose »schwarz«. Denn »Neger«, zeigt Mbembe, ist nicht einfach ein rassistischer Begriff, er steht stellvertretend für alle, die im Kapitalismus lediglich als Instrumente betrachtet und behandelt werden. Der damit verbundene Herrschaftsmechanismus, die »Politik der Feindschaft«, wirkt auf der heutigen technischen Basis erstmals tatsächlich global. Rassismus und Gewalt sind in Mbembes Analyse Ausgangspunkt und Bestandteil des historischen wie des gegenwärtigen Kapitalismus. Auf dieser Grundlage leben Nationalismus, religiöser Fundamentalismus und Faschismus immer wieder auf und werden dominierend. Mbembe hat Vorläufer: Karl Marx und Friedrich Engels, die schilderten, wie irische Arbeiterinnen und Arbeiter in der britischen Industrie des 19. Jahrhunderts als »weiße Neger« behandelt wurden. Längst haben Historiker im Anschluss an den Theoretiker des antikolonialen Befreiungskampfes, Frantz Fanon, nachgewiesen, wie das Plantagenwesen moderne Lager- und Zwangssysteme vorbereitete. Rosa Luxemburg konstatierte: ohne Zerstörung und Enteignung der Gesellschaften in den kolonisierten Ländern, ohne Verelendung und Ausrottung kein Kapitalismus.

    Mbembes Sicht auf dessen Geschichte besagt erstens in groben Zügen: Ohne den transatlantischen Sklavenhandel seit etwa 1500, ohne rechtlose Arbeitskräfte für die Plantagenwirtschaft Amerikas auch keine ursprüngliche Akkumulation.

    Zweitens: Der Beginn der Sklavenrevolution in Haiti 1791 gegen das bürgerlich-revolutionäre Frankreich war der Anfang eines Kampfes um Anerkennung als Menschen, der mit dem Ende des Apartheidregimes in Südafrika in den 1990er Jahren noch nicht abgeschlossen ist.

    Drittens: Im Zeichen eines neuen Imperialismus, des sogenannten Neoliberalismus und der Kriege zur Rekolonisierung, werden Erdbewohner unabhängig von ihrer Hautfarbe in Arbeitsverhältnisse gezwungen, in denen sie faktisch rechtlos sind. Wer prekär beschäftigt ist, als moderner Tagelöhner vom Anruf auf seinem Handy abhängig ist, kennt kein Arbeitsrecht, wird zum »Neger«.

    Mbembes Thema ist das globale soziale Verhängnis, das sich hinter seiner These, die Welt werde »schwarz«, verbirgt. Die Jury des Geschwister-Scholl-Preises schrieb zu Recht, er habe »nicht weniger vorgelegt als eine Neuvermessung der Geschichte der Globalisierung«.

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    Kämpfer für Mensch und Umwelt

    Nnimmo Bassey setzt sich für die Rechte der Gemeinden im Nigerdelta ein
    Christian Selz, Kapstadt
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    2010 erhielt Nnimmo Bassey (rechts) den »Alternativen Nobelpreis«

    Zumindest international war das Ereignis noch eine Meldung wert. Am Abend des 2. Januar, so berichtete die Nachrichtenagentur Reuters tags darauf unter Berufung auf das dortige Energieministerium, brach in Nigeria das öffentliche Stromnetz zusammen, wieder einmal, landesweit. Ein Feuer an einer Gaspipeline habe den Stromausfall ausgelöst, hieß es. In weiten Teilen der auf dem Papier größten Volkswirtschaft Afrikas sei der Zusammenbruch des Netzes allerdings kaum bemerkt worden, schrieb die britische Agentur weiter, denn wegen der häufigen Unterbrechungen nutzten Geschäfte und Reiche eigene Generatoren, während »die weniger Wohlhabenden« schlicht »gar keine Elektrizität« hätten.

    Die fast zum Normalzustand gewordene Stromkrise verdeutlicht zwei der Hauptprobleme Nigerias, gegen die Nnimmo Bassey seit nunmehr gut drei Jahrzehnten unermüdlich ankämpft: die Abhängigkeit des Landes von Öl und Gas und die extreme Ungleichverteilung von Reichtum. Bassey, ein studierter Architekt, ist heute Vorsitzender der Umweltschutzorganisation »Health of Mother Earth Foundation«. Der Schutz der Natur ging für ihn jedoch immer einher mit dem Kampf für Menschenrechte. Schon in den 80er Jahren setzte sich Bassey im Vorstand der »Civil Liberties Organization« für die Belange der von Ölkonzernen ihrer Lebensgrundlagen beraubten Gemeinden im Nigerdelta ein.

    Der nigerianische Staat als Erfüllungsgehilfe der Ölkonzerne reagierte stets mit Repression auf seine Arbeit. In den 90er Jahren wurde er mehrmals ohne Prozess inhaftiert. 2010, und damit ein Jahr nachdem ihm trotz Akkreditierung der Zutritt zur UN-Weltklimakonferenz in Kopenhagen verwehrt worden war, wurde Bassey für sein Engagement mit dem als »Alternativer Nobelpreis« bekannten »Right Livelihood Award« ausgezeichnet.

    Die Ehrung mag inzwischen bald acht Jahre zurückliegen, doch Bas­seys Arbeit bleibt, wie die Probleme im Nigerdelta, aktuell. Denn während sich internationale Konzerne und korrupte Eliten dort an der Ölförderung bereichern, lebt die Mehrheit der Nigerianer nicht nur »weniger wohlhabend«, wie Reuters es so nett umschrieb, sondern in bitterster Armut. Für die Menschen im Delta kommt hinzu, dass sie ihrer traditionellen Lebensgrundlagen infolge der mit der Ölförderung einhergehenden Umweltzerstörung beraubt wurden. Boden und Wasser sind verseucht, Fischerei und Landwirtschaft vermögen die Einwohner der einst an natürlichen Ressourcen reichen Region kaum noch zu ernähren. Statt dessen führt die Verschmutzung durch das Abfackeln des bei der Erdölförderung anfallenden Gases zu Atemwegserkrankungen, Krebs, Leukämie und anderen Leiden.

    Als die Probleme nicht mehr zu leugnen waren, begannen die Ölkonzerne Gaspipelines zu bauen. Sie priesen dies als Maßnahme zum Schutz von Umwelt und Klima an, die Weltbank überwies Fördermittel. Doch Bassey wies schon 2006 in einem bei Pambazuka veröffentlichten Papier darauf hin, dass damit nur eine zusätzliche Gasförderung subventioniert wurde, während das weniger rentable, bei der Ölförderung als Nebenprodukt anfallende Gas größtenteils weiter abgefackelt wurde. Minutiös listete er zudem auf, wie der nigerianische Staat die friedlichen Proteste von lokalen Gemeinden, die unter der Ölförderung litten, immer wieder mit Massakern niederschlug.

    Nutzlos waren die Kämpfe trotzdem nicht. Mächtige Giganten wie Shell und Chevron mussten Vergehen eingestehen und sich in Gerichtsprozessen verantworten. Doch an der generellen Lage der Menschen in Nigeria und insbesondere im Nigerdelta hat sich noch immer wenig geändert. Das, darauf hat Bassey immer wieder hingewiesen, kann erst passieren, wenn die Bodenschätze unter der Kontrolle der lokalen Bevölkerung sind.

    Lesen Sie dazu auch Nnimmo Basseys Artikel »Die Kunst einer vergangenen Idylle. Wie Kulturschaffende den Ökozid im Nigerdelta verarbeiten« in vollständiger Länge in Melodie & Rhythmus

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    Wer, wenn nicht wir?

    Die Rosa-Luxemburg-Konferenz steht ganz im Zeichen der internationalen Solidarität
    Dietmar Koschmieder
    20. Internationale Rosa Luxemburg Konferenz; 2015
    20. Internationale Rosa Luxemburg Konferenz; 2015

    Es ist unsere 23. Konferenz – und jede war eine besondere. Aber in diesem Jahr findet die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz unter veränderten politischen Vorzeichen statt: Noch nie waren linke Bewegungen, Parteien, Strukturen so in der Defensive, schon lange nicht mehr waren rechte bis offen faschistische Positionen in der Gesellschaft so akzeptiert wie in diesen Tagen. Die Konferenz wird zeigen, ob es eine Linke im Land überhaupt noch gibt. Und sie wird zeigen, ob sich diese nur noch mit sich selbst beschäftigt oder ob noch immer gilt, dass die internationale Solidarität ihr unverzichtbares Kennzeichen ist.

    Regionaler Schwerpunkt 2018 ist Afrika, für dessen Klassenkämpfe sich leider viele europäische Linke kaum interessieren. Obwohl auch ihr relativer Wohlstand Ergebnis kolonialer Ausbeutungsverhältnisse ist. Menschen aus Afrika, die von imperialistischen Ländern in Armut gezwungen und mit Kriegen gequält werden und deshalb nur noch in der Flucht eine Überlebensperspektive sehen, werden in Europa oft als Gefahr für den eigenen, noch verbliebenen Wohlstand gesehen. Wir wollen mit der Konferenz ein Zeichen setzen: Namhafte Wissenschaftler, Kulturschaffende, Philosophen und Politiker des Kontinents werden nicht nur über ihre Arbeit und Kämpfe berichten – sondern den aufmerksamen Zuhörern auch viele wichtige Erkenntnisse für die eigene Arbeit mit auf den Weg geben. Weitere Gäste aus Afrika haben sich angekündigt und stehen den Konferenzbesuchern für Gespräche zur Verfügung, so der Generalsekretär der südafrikanischen Gewerkschaft NUMSA und Kollegen von der Zeitschrift Pan Africa Today.

    Aber nicht nur aus Afrika kommen interessante Gäste zur Konferenz. Entsprechend dem Schwerpunkt »Internationale Solidarität« wird es eine spezielle Solidaritätskundgebung der Konferenzteilnehmer mit der Bolivarischen Republik Venezuela geben. In einer Gesprächsrunde stehen der Stellvertretende Außenminister Venezuelas, William Castillo, der Internationale Sekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas, Carolus Wimmer, sowie der Publizist Luis Britto García und der Historiker Vladimir Acosta dem jW-Auslandschef André Scheer Rede und Antwort – anschließend soll eine Berliner Erklärung zur Solidarität mit der Bolivarischen Revolution verabschiedet werden, mit der sich die Konferenzteilnehmer verpflichten, den venezolanischen Freunden und Genossen in ihrem Kampf für Unabhängigkeit, Fortschritt und gegen die in Europa übliche Desinformation auch in den kommenden Monaten aktiv beizustehen.

    Solidarität mit den Genossinnen und Genossen in Palästina und Israel spielen in der europäischen Linken eine besondere Rolle – auf der Konferenz werden wir Adel Amer, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Israels, begrüßen können, und die palästinensische Spoken-Word-Künstlerin und Autorin Faten-El-Dabbas wird eine Kostprobe ihres künstlerischen Schaffens geben. Traditionell nehmen auch befreundete Zeitungen teil, etwa der Morning Star aus Großbritannien und Arbejderen aus Dänemark. Alle zusammen beenden wir die Konferenz am kommenden Samstag mit dem gemeinsamen Singen der Internationale um genau 20 Uhr.

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    »Afrika am Scheideweg«

    Die Kunstausstellung auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz
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    Kämpferische Kunst auf der kommenden Rosa-Luxemburg-Konferenz: Aus der Porträtserie »Die mächtigen historischen afrikanischen Frauen, gewidmet Queen Nanny von den Maroons« von Idona Asamoah

    Kennen Sie Queen Nanny? Sie wurde im 18. Jahrhundert als Kind aus Ghana, Westafrika nach Jamaika entführt, wo sie in die Sklaverei gezwungen wurde. Doch sie lief weg, versteckte sich in den Bergen und wurde zu einer Anführerin der Maroons, wie die von den jamaikanischen Plantagen geflohenen Sklaven genannt wurden. In über 30 Jahren befreite sie mehr als 800 Sklaven. Um an sie zu erinnern, hat Idona Asamoah eine Porträtserie produziert: »Die mächtigen historischen afrikanischen Frauen, gewidmet Queen Nanny von den Maroons« (Foto). Sie wird am nächsten Samstag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz gezeigt – in der Kunstausstellung »Afrika am Scheideweg – Aufbau oder Migration«, die die Gruppe Tendenzen organisiert hat und bei der 19 Künstler und Künstlerinnen mitwirken.

    Für den Hamburger Asamoah, der in Ghana geboren wurde, werden kämpfende oder anführende Frauen viel zu wenig thematisiert. Oft gibt es Bilder von Müttern mit ihren Kindern. Doch das Motto der Rosa-Luxemburg-Konferenz ist »Amandla! Awethu! Die Machtfrage stellen!«. Auch die Berliner Künstlergruppe Tendenzen hat das Ziel, realistisch-naturalistische Bilder zu verbreiten, damit man die Dinge klarer sieht: gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Militarismus.

    Im Rahmen von »Afrika am Scheideweg«, präsentiert Marion Lange eine Serie im Wandzeitungsstil mit Bleistift-Kohle-Zeichnungen und erklärenden Texten wie nachrichtliche Bildmeldungen aus Zeitungen, in denen politische Proteste in Marokko, Polio-Schutzimpfungen der UNESCO und Knebelverträge der deutschen Entwicklungshilfe zusammengedacht werden – eben als Aufruf, »die Machtfrage zu stellen«. Cora Glees-Creutzfeldt zeigt ihr Ölbild »Menge – Warten und Hoffen« und Porträts der südafrikanischen Freiheitskämpfer Steve Biko und Winnie Mandela (letzteres von filmplakatartiger Schönheit).

    Inga Okan hat »Das Mädchen im gelben Kleid« gezeichnet, es hockt in einem Zelt in einem Kriegsgebiet zwischen Ruinen und Panzern. Alles ist schwarzweiß gehalten, nur das Mädchen hat ein ganz matt schimmerndes gelbes Kleid an, ein V-Effekt, der das wohlfeile Brot-für-die-Welt-Klischee aufhebt und die Zeichnung intensiviert. Clementine Klein zeigt ältere Radierungen und Zeichnungen, die den Biafra-Krieg und den Bürgerkrieg in Sierra Leone thematisierten, digital bearbeitet. Passend dazu ihre Graphik »Brandblase«, auf der planetengleich eine Harzkugel mit Banknoten zu sehen ist, um die Münzen schwirren, als wären sie Weltraumschrott in der Erdumlaufbahn. Eindrücklich ist auch Marco Schaubs (Bleistift-)»Skizze vom Marxismus zur Kleptokratie«, die auf das Abwürgen der afrikanischen Befreiungsbewegungen (in erster Linie durch den Westen) anspielt. Diese Skizze enthält drei Rubriken: »Ausbeutung – Revolution – Ausbeutung«. 2017 hieß die Ausstellung der Gruppe Tendenzen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz »No pasaran! – Die Reaktionäre werden nicht durchkommen!« (jW)

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    Wir sind es

    Die neue Melodie & Rhythmus hat das Schwerpunktthema »Afrika«
    Christof Meueler
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    Die ökonomischen Bedingungen bleiben terroristisch: Wussten Sie, dass bei einer Großwildsafari der Abschuss der »Big Five« (Elefant, Löwe, Büffel, ­Leopard und Nashorn) bis zu 175.000 Euro Dollar kostet? (Schreibt Matthias Rude in seinem Text über »Herrenmenschenkultur«)

    Ein Klassiker des Comic und des Rassismus: »Tim im Kongo«, aus der berühmten Reihe Tim und Struppi. Die Kongolesen erscheinen als faul und dumm, haben wulstige Lippen und radebrechen dummes Zeug: »Massa! (…) Dingsbums Gefangener futsch!« Der Reporter Tim geht auf Großwildjagd und muss aufpassen, dass er nicht selbst getötet wird – natürlich von einem weißen Bösewicht, weil die Schwarzen nicht ernst zu nehmen sind. Der Tim-Schöpfer, der belgische Zeichner Hervé, entschuldigte sich später dafür, dass er die Kongolesen als »große Kinder« präsentiert habe, doch gegen ein kritisches Vorwort, mit dem der Comic in den USA und in Großbritannien erschien, wehrte sich in Deutschland der Verlag, angeblich hätten die Hergé-Erben etwas dagegen. »Tim im Kongo« erschien erstmals 1930 als Fortsetzungsgeschichte, damals gab es noch die Kolonie Belgisch-Kongo. Es war die zweite Tim-Geschichte überhaupt, die erste stammt von 1929: »Tim im Lande der Sowjets«, die in ihrem plakativen, primitiven Antikommunismus fast schon surreal wirkt.

    Gegen »Tim im Kongo« gab es in Belgien zwei Klagen wegen Rassismus, die Geschichte wurde dreimal nachbearbeitet, aber noch immer verbreitet sie »reaktionäre Projektionen«, schreibt Andreas Eikenroth in der neuen Ausgabe der Melodie & Rhythmus, die – wie die Rosa-Luxemburg-Konferenz dieser Zeitung am 13. Januar – den Schwerpunkt »Afrika« hat.

    Darin gibt es einen bemerkenswerten Text von Arnold Schölzel über den senegalesischen Historiker und Chemiker Cheikh Anta Diob, dessen Buch »Nations nègres et culture« (Schwarze Nationen und Kultur) 1955 in Frankreich großes Aufsehen erregte, weil er darin die ägyptische Kultur als Vorläufer der Antike schilderte – als eine Kultur von schwarzen Menschen. Gegen diese These läuft hierzulande die Ägyptologie, für Schölzel »seit ihrem Entstehen mit der Entzifferung der Hieroglyphen 1822 bis heute ein Quell ›wissenschaftlich‹ begründeten Rassismus«, konstant Sturm, weil sie »die Ägypter zu Weißen« machen möchte. Für den Kameruner Philosophen Achille Mbembe, der auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz einen Vortrag halten wird, wollte Diop »die universalistischen Ansprüche des westlichen Humanismus entmystifizieren und die Grundlagen für ein Wissen legen, das seine Kategorien und Konzepte aus der Geschichte Afrikas schöpft«, schreibt Mbembe in seinem Buch »Politik der Feindschaft«.

    Solche verleugneten Transferbeziehungen betreffen auch die geraubte afri­kanische Kunst, die bekanntlich Max Ernst, Pablo Picasso oder Paul Klee stark beeinflusste und die noch immer in den zu Kolonialzeiten angelegten europäischen Museen ausgestellt wird. In seinen »Randbemerkungen« zum geplanten Umzug der »Ethnologischen Sammlung« von Dahlem nach Berlin-Mitte in das neugebaute Humboldt-Forum, schreibt Thomas Koppenhagen: »Die Kolonialmächte haben nicht nur die Kulturen Afrikas auf dem Gewissen. Wie die klassische Moderne zeigt, ging die Ausbeutung tiefer: Wir haben sie uns einverleibt. Das Fremde, das Andere, von dem wir uns distanzieren wollen, in dem wir es in Ethnologischen Museen abstellen, ist längst schon wir selbst. Wir sind es.«

    Die ökonomischen Bedingungen hierfür bleiben terroristisch. Für den nigerianischen Dichter und Umweltaktivisten Nnimmo Bassey hat das Nigerdelta mit seinen Ölvorkommen »wie keine andere Region des Landes eine so lange und unmenschliche Aggression erleiden müssen«. Der südafrikanische Soziologe Faisal Garba bilanziert allgemein: »Überall auf dem Kontinent hält das imperialistische Kapital die Löhne niedrig (…). Es betrachtet Afrika vielmehr als ein Reservoir, aus dem man unbegrenzt Superprofite schlagen kann«. Gleichzeitig sieht Garba, aber den »antiimperialistischen Panafrikanismus (…) wieder auf dem Vormarsch.« Der senegalesische Germanist Maguèye Kassé erinnert an den linken Schriftsteller und Filmemacher Ousmane Sembène aus Dakar, weil dessen Werk – »universal im Goetheschen Sinne« – nicht »nationale Autarkie« propagiere, sondern einen »Brückenschlag« der Stile und Kulturen. In einem schönen Text erklärt Gerd Schumann, wie der Reggae von Jamaika nach Simbabwe gekommen ist: Die Guerilla hörte im Untergrund Bob Marley genauso wie den Befreiungsrock von Thomas Mapfumo. Beide sangen im April 1980 gemeinsam im Stadion von Harare, das damals noch Salisbury hieß. Draußen stand die Guerilla. Hinten im Heft von Melodie & Rhythmus schreibt der Musikwissenschaftler Hanns-Werner Heister zum Thema: »Revolution! Gern, aber welche und wie?«

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    Neue Führungsfiguren, alte Systeme

    Jahresrückblick 2017. Heute: Südliches Afrika. Personelle Erneuerung in Simbabwe und Südafrika
    Christian Selz, Kapstadt
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    Erst geschasst, dann Partei- und Staatschef: Ein Bild von Emmerson Mnangagwa wird vor dessen Vereidigung in Harara aufgehängt (4.12.2017)

    Am Tag, nachdem in Simbabwe das Militär ausgerückt war, um Staatschef Robert Mugabe zu stürzen, schrieb Derek Hanekom in Südafrika eine kurze Nachricht auf Twitter. »Vielleicht gibt es eine Botschaft aus Simbabwe – Präsidenten sollten ihr Glück nicht überstrapazieren«, textete der Veteran des Anti-Apartheid-Kampfes und derzeitige Vorsitzende des Disziplinarkomitees der südafrikanischen Regierungspartei African National Congress (ANC) am 15. November.

    An wen sich Hanekoms Botschaft richtete, war offensichtlich: Südafrikas Staatschef und damals noch ANC-Präsident Jacob Zuma versuchte zu dieser Zeit mit aller Kraft, seine ehemalige Ehefrau Nkosazana Dlamini-Zuma an der Parteispitze zu installieren. Das Vorhaben misslang, auf dem ANC-Wahlparteitag übernahm Zumas Gegenspieler Cyril Ramaphosa die Führung der einstigen Befreiungsbewegung, er wird damit bei den Präsidentschaftswahlen 2019 auch Spitzenkandidat der Partei werden. Der Personalwechsel an der Staatsspitze, der in Simbabwe vollzogen wurde, ist also auch in Südafrika bereits programmiert. Politisch waren das die wichtigsten Ereignisse im südlichen Afrika 2017. Einen radikalen Wandel bedeuteten sie indes in keinem der beiden Länder.

    Natürlich sind Simbabwe und Südafrika nicht wirklich vergleichbar. Der Binnenstaat nördlich des Limpopo-Flusses liegt gebeutelt von internationalen Sanktionen, hausgemachter Vetternwirtschaft und Korruption sowie einer daraus resultierenden Hyperinflation seit 2008 wirtschaftlich am Boden, der große Nachbar an der Südspitze des Kontinents ist noch immer ein regionales Zugpferd. Ebenso entscheidend sind die Unterschiede in der Staatsstruktur: Während in Südafrika starke demokratische Institutionen die Regierung kontrollieren und die Gerichte sich nicht scheuen, regelmäßig gegen den Präsidenten zu urteilen, steht in Simbabwe das Militär über allem. Besonders deutlich wurde das beim Putsch im November. In dem Moment, als Staatschef Mugabe auf Drängen seiner Ehefrau Grace den Vizepräsidenten Emmerson Mnangagwa entlassen hatte, griffen die Generäle durch.

    Unter Kontrolle der Armee

    Mnangagwa war der Mann des Militärs in der Regierung, ihn kaltzustellen hätte bedeutet, das System auszuschalten. Die Armee kontrolliert weite Teile der simbabwischen Wirtschaft, vor allem im Bergbau. Und in letzter Konsequenz lenkt sie auch die Regierungspartei Zimbabwe African National Union – Patriotic Front (ZANU-PF), was in deren Aktionen im November klar zu erkennen war. Nur wenige Wochen, nachdem die ZANU-PF den Rauswurf Mnangagwas eifrig beklatscht und diesem in einer öffentlichen Erklärung »Züge von Untreue, Missachtung, Hinterlist und Unzuverlässigkeit« attestiert hatte, hob sie den Mann mit dem Beinamen »Krokodil« auf die Posten des Partei- und Staatschefs. Grace Mugabe, die schon wie die Siegerin im Rennen um die Nachfolge ihres 41 Jahre älteren Gatten ausgesehen hatte, wurde auf Lebenszeit aus der Partei ausgeschlossen. Der Putsch war damit kein Umbruch, sondern lediglich die Entfernung der Führungsfigur Mugabe, der entscheidende Schlag gegen die nach der Macht greifende jüngere Fraktion um dessen Ehefrau und letztlich die Restauration des alten Regimes.

    In Südafrika ist die Rolle des Militärs nicht annähernd so stark, in der Wirtschaft spielt es praktisch keine Rolle. Der Konflikt, der den ANC insbesondere in diesem Jahr so tief wie nie zuvor gespalten hat, beruht dagegen auf einem Kampf zweier Kapitalflügel. Hintergrund ist der Versuch geschäftlich mit dem Lager von Präsident Zuma verbundener Unternehmer, ihren politischen Einfluss in monetäre Gewinne umzuwandeln. Weil sie dazu vor allem bei der Vergabe staatlicher Aufträge zugreifen oder zumindest in eine Vermittlerrolle zwischen Regierung und internationalen Konzernen schlüpfen – die Grenze zwischen »Berater« und »Schmiergeldempfänger« ist hier fließend –, beschreibt nicht nur die South African Communist Party (SACP) dieses Vorgehen als »parasitäre Unterwanderung des Staates«.

    Diese steht jedoch nicht nur der von den Kommunisten angestrebten demokratischen Kontrolle der Wirtschaft im Wege, sondern schmälert auch die Gewinnmargen des etablierten Kapitalflügels, also der internationalen Konzerne nebst lokaler Partner. Letztere Fraktion hatte nach dem Ende der Apartheid versucht, die neue politische Elite mit Unternehmensbeteiligungen einzubinden. Der Mitte Dezember zum neuen ANC-Präsidenten gewählte Exgewerkschafter und bisherige Parteivizepräsident Cyril Ramaphosa ist dafür ein ideales Beispiel: Mit zahlreichen Konzernengagements, darunter beim Platinriesen Lonmin, an dessen Marikana-Mine im Jahr 2012 während eines Streiks 44 Menschen getötet worden waren, wurde er zum Milliardär. Sein Aufstieg an die Parteispitze untermauert den Einfluss des prowestlichen Kapitals, da aber auch das Zuma-Lager mindestens die Hälfte des neugewählten Personals der Parteispitze stellt, ist der Ausgang des ANC-Wahlparteitags eher als Kompromiss zwischen den Fraktionen zu werten. Auch wenn die Vorzeichen und Verhältnisse andere sind, findet in Südafrika ähnlich wie in Simbabwe eher eine Festigung des alten Systems als ein Umbruch statt.

    Kleines Übel

    Sowohl Mnangagwa als auch Ramaphosa stehen dabei für eine unternehmensfreundliche, neoliberale Politik und werben offen um internationale Investoren. Der Einfluss linker Kräfte ist dabei in Simbabwe kaum noch wahrnehmbar und auch in Südafrika ist er stark geschwächt. Die SACP, bisher stets im Bündnis mit dem ANC, beschloss dort infolge einer nicht abgesprochenen Kabinettsumbildung durch Zuma in der ersten Jahreshälfte, künftig eigenständig zu Wahlen anzutreten, und hat diese Ankündigung bei ersten kommunalen Nachwahlen bereits umgesetzt. Sie bleibt jedoch wie auch der Gewerkschaftsbund COSATU Teil der Regierungsallianz. Deren Zerbrechen wurde nun auch mit der Wahl Ramaphosas verhindert, den sowohl SACP als auch COSATU gegen die Kandidatur von Zumas Exfrau unterstützt hatten – wenn auch eher als geringeres Übel denn aus programmatischen Gründen.

    Ruhe dürfte damit dennoch nicht einkehren. Denn die Allianzpartner, die bisher offen und deutlich Zumas Rücktritt gefordert haben, werden dies auch künftig tun. Noch am 24. Dezember kritisierte die SACP, dass der Präsident Einspruch gegen eine Gerichtsentscheidung eingelegt hatte, mit der die Einberufung einer Untersuchungskommission zur Unterwanderung des Staates durch politisch vernetzte Unternehmer durchgesetzt worden war. Zuma, so argumentieren die Kommunisten, wolle den Prozess verschleppen, weil er selbst in den Skandal verwickelt sei. Der Druck der Justiz und der Allianzpartner allein hat bisher freilich nicht ausgereicht, um den Staatschef aus dem Amt zu drängen. Da der ANC mit seinem Skandalpräsidenten allerdings Gefahr läuft, bei den Wahlen 2019 seine absolute Mehrheit zu verlieren, könnten künftig auch bisherige Zuma-Loyalisten zur Wahrung ihrer eigenen Machtinteressen umschwenken. Wie schnell das gehen kann, hat sich in der ZANU-PF gezeigt. Nicht ausgeschlossen also, dass Derek Hanekom, der Anfang des Jahres übrigens als Tourismusminister entlassen worden war, nachdem er Zumas Rücktritt gefordert hatte, am Ende doch recht behält mit seiner »Botschaft aus Simbabwe«.

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    Afrika im Visier

    Frankreich und Deutschland eskalieren Krieg in der Sahelzone – nebenbei gewinnen salafistische Reaktionäre aus Saudi-Arabien an Einfluss
    Jörg Kronauer
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    Ein Minusma-Konvoi auf dem Weg von Gao nach Kidal in Mali (Februar 2017)

    Natürlich sind sie verlängert worden, die Mandate für die Bundeswehr-Einsätze in Nordmali, Sudan und Südsudan, als der Bundestag vor den Weihnachtsfeiertagen über sie und vier andere abstimmte. Und natürlich hat es eine breite Mehrheit dafür gegeben, dass deutsche Soldaten in den drei Ländern stationiert bleiben. Über drei weitere Einsätze in Afrika wird im Frühjahr abgestimmt: Die Mandate für die EU-Trainingsmissionen (EUTM) in Mali und Somalia und für die Marineintervention am Horn von Afrika laufen zur Zeit noch. Auch sie werden aller Voraussicht nach verlängert. Die nördliche Hälfte des afrikanischen Kontinents ist zu einem Schwerpunktgebiet deutscher Militäroperationen geworden, und das wird sie wohl bleiben.

    Zentral für die deutsche Afrika-Politik ist derzeit der Einsatz in Mali, der letztlich die gesamte Sahelzone im Visier hat. Begonnen hat er 2013, offiziell mit dem Ziel, die Unruhen im Norden des Landes, die zum Teil dschihadistisch geprägt sind, unter Kontrolle zu bekommen. Das ist – nach immerhin fast fünf Jahren – nicht gelungen. Nicht nur Nord-, auch Zentralmali sei »quasi außer Kontrolle«, hat kürzlich der frühere französische Diplomat Laurent Bigot konstatiert, der sich im Sahel bestens auskennt: »Noch nie gab es ein derartiges Niveau an Gewalt in Mali wie heute.« Der UN-Einsatz in Nordmali (Minusma), an dem die Bundeswehr aktuell mit fast tausend Soldaten beteiligt ist, gilt denn auch als gefährlichste »Blauhelm-Intervention« weltweit: Bis September 2017 waren 133 Todesopfer zu verzeichnen.

    Das bisherige Scheitern des Einsatzes ist der Grund dafür, dass im Sahel größere militärische Umgruppierungen bevorstehen. Sie betreffen den Bestand der beiden Einsätze, in deren Rahmen deutsche Soldaten in Mali stationiert sind, zwar nicht unmittelbar; Minusma wird mit ihren gut 11.000 Soldaten und rund 1.600 Polizisten weitergeführt, und auch EUTM Mali wird mit etwa 600 Soldaten, darunter fast ein Drittel Deutsche, das malische Militär weiterhin trainieren. Frankreich will allerdings langfristig Ersatz für seine »Opération Barkhane« schaffen, die mit rund 3.000 Mann im Prinzip in fast der gesamten Sahelzone operiert – und auf Dauer viel Geld kostet. Paris und Berlin haben deshalb die Gründung einer Eingreiftruppe (Force conjointe) der sogenannten G5 Sahel vorangetrieben, auf die sich die Opération Barkhane erstreckt: Neben Mali sind dies Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad.

    Offiziell ist die Aufstellung der »G5 Sahel«-Eingreiftruppe, die langfristig die Kriegführung in der Sahelzone von der Opération Barkhane übernehmen soll, Anfang Juli beschlossen worden. Sie soll letzten Endes 5.000 Soldaten umfassen – 1.000 aus jedem der beteiligten Länder. Aktuell wird die Truppe aufgebaut, und das mit deutscher Hilfe: Im Rahmen von EUTM Mali trainieren auch deutsche Militärs schon seit einiger Zeit immer wieder Soldaten aus den Staaten der »G5 Sahel«. Zuletzt fanden »Beratungsmaßnahmen« und ein zweiwöchiger Ausbildungskurs für »G5 Sahel«-Stabspersonal bei EUTM Mali statt. Berlin hat darüber hinaus versprochen, den Aufbau einer Verteidigungsakademie (»Collège de défense du G5 Sahel«) in Mauretanien zu fördern. Am 8. Dezember hat der UN-Sicherheitsrat beschlossen, dass in Zukunft Minusma-Einheiten die »G5 Sahel«-Eingreiftruppe punktuell unterstützen sollen, etwa bei der Versorgung mit Treibstoff und Wasser sowie bei der Evakuierung von Verletzten. Auf diese Weise geriete die Bundeswehr ein weiteres Stück in den sich ausweitenden Sahelkrieg hinein.

    Dabei bekommt dieser nun eine neue Dimension. Mitte Dezember ist auf einem Gipfeltreffen in Paris, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel teilgenommen hat, die Finanzierung der Truppe festgeklopft worden. Der Bedarf wird offiziell auf 500 Millionen US-Dollar pro Jahr, inoffiziell auf weniger als 300 Millionen US-Dollar geschätzt. Die »G5 Sahel«-Staaten haben jeweils zehn Millionen Euro zugesagt, die EU 50 Millionen, Frankreich acht, die USA jüngst 60 Millionen US-Dollar. In Paris haben die Vereinigten Arabischen Emirate 30 Millionen sowie Saudi-Arabien 100 Millionen US-Dollar in Aussicht gestellt. Die Emirate wollten sich am Aufbau der Verteidigungsakademie in Mauretanien beteiligen, hieß es. Insbesondere Riad, in gewissem Maß aber auch Abu Dhabi sind seit einiger Zeit dabei, außenpolitisch in die Offensive zu gehen und ihre Aktivitäten jenseits der Arabischen Halbinsel zu intensivieren, etwa in Ägypten und in Libyen. Sie nutzen dies auch, um ihre Stellung im regionalen Machtkampf gegen Iran zu stärken. Um Irans Einfluss zurückzudrängen, führen beide zudem einen blutigen Krieg im Jemen, in dem zahlreiche Zivilisten bei Luftschlägen der von Riad geführten Kriegskoalition zu Tode kommen. Zudem hat Saudi-Arabien eine mörderische Hungerblockade gegen den Jemen initiiert.

    Auf dem Pariser Gipfeltreffen hat Saudi-Arabiens Außenminister Adel Al-Dschubeir mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Kanzlerin Merkel vereinbart, dass Riad sich auch militärisch an der Kriegführung im Sahel beteiligen wird. Als Instrument dazu soll ein von Saudi-Arabien im Dezember 2015 gegründetes Militärbündnis dienen, das unter dem Namen »Islamic Military Counter Terrorism Coalition« (IMCTC) firmiert und offiziell rund 40 Staaten Afrikas und Asiens umfasst, die sunnitisch geprägt sind oder zumindest einen großen sunnitischen Bevölkerungsanteil aufweisen. Die Gründung des Bündnisses gilt als Teil der saudischen Bestrebungen, die Dominanz über die islamische Welt zu erlangen und Irans Einfluss zu schwächen. Laut Al-Dschubeir wird die IMCTC die »G5 Sahel«-Eingreiftruppe mit Logistik, Aufklärung und Ausbildung unterstützen. Die dazu notwendigen Schritte sollen in Kürze auf einem IMCTC-Treffen in Saudi-Arabien eingeleitet werden. Kann Saudi-Arabien, die Speerspitze der salafistischen Reaktion, tatsächlich seinen Einfluss im Sahel ausweiten, dann wird man daran erinnern dürfen, dass es dies auf wohlwollende Einladung aus Berlin und Paris getan hat.

  • · Berichte

    Kein Konflikt von Interesse

    Sudan und Südsudan: Sezession mit Beifall des Westens. China präsentiert sich als Alternative
    Jörg Kronauer
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    Chinesische Friedensmission: Soldatinnen in Zhengzhou vor ihrer Verabschiedung in den Südsudan (September 2017)

    Die Einsätze im Sudan und im Südsudan gehören inzwischen zum Altbestand der Bundeswehr. Im April 2005 beschloss der Bundestag zum ersten Mal, deutsche Soldaten in einen UN-Einsatz im damals noch nicht geteilten Sudan zu entsenden: Die Blauhelmtruppe UNMIS sollte das am 9. Januar 2005 im kenianischen Naivasha geschlossene »Umfassende Friedensabkommen« zwischen der Regierung des Sudan und dem südsudanesischen Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) überwachen; die Bundeswehr nahm daran teil. Vor dem Abschluss des Friedensabkommens hatte die Bundesregierung jahrelang die südsudanesischen Separatisten unterstützt. Es ging damals im Westen allgemein gegen die arabische Welt, der sich die ohnehin nicht kooperationswillige Regierung des Sudan zuordnete. Zur Strafe förderte der Westen die Abspaltung des Südens. Kritische Beobachter warnten schon früh, im sudanesischen Bürgerkrieg seien mehr Menschen bei Kämpfen zwischen unterschiedlichen Fraktionen im Süden zu Tode gekommen als in Gefechten zwischen Süd- und Nordsudan, was befürchten lasse, dass es nach einer Abspaltung des Südens zu fürchterlichen Gemetzeln kommen könne. Argumente halfen jedoch nicht; Berlin bejubelte die Sezession im Juli 2011 als geostrategischen Erfolg – und entsandte deutsche Militärbeobachter in die umbenannte UNMISS (United Nations Mission in South Sudan).

    Es kam, wie es kommen musste: Mitte Dezember 2013 begannen heftige Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen im Südsudan, die binnen weniger Monate zu einer fünfstelligen Anzahl an Todesopfern führten und mehr als eine Million Menschen in die Flucht trieben. Schätzungen über die Zahl der Menschen, die in dem Bürgerkrieg seit Ende 2013 ihr Leben verloren, belaufen sich inzwischen auf bis zu 300.000. Von den zwölf Millionen Südsudanesen sind weit mehr als drei Millionen auf der Flucht. Die deutschen Militärbeobachter beobachten weiter; weil’s aber keinen Staat mehr von einem arabischen Land abzuspalten gilt und die Weltlage sich ohnehin geändert hat, interessiert der Westen sich nicht für den Konflikt. Obwohl es nicht dabei bleiben muss. China, das bedeutende ökonomische Interessen im Südsudan hat, hat erstmals begonnen, in einem Krieg in Afrika zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, Friedensgespräche zu führen, auch einmal Druck auszuüben, um ein Ende des Krieges herbeizuführen. Ob dies klappt, weiß niemand. Im Sommer beurteilte die International Crisis Group, ein prowestlicher Thinktank, die chinesischen Bemühungen durchaus positiv. Die Frage ist aber, ob das auch so bleibt, sollte Beijing in Juba erfolgreich als Ordnungsmacht auftreten und sich damit – gewollt oder ungewollt – als Alternative zum Westen präsentieren. Denn der duldet bekanntlich freiwillig keine Konkurrenz.

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