Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
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Buchmesse Havanna 2008

Buchmesse Havanna 2008

Tagebuch

  • · Tagebuch

    Redaktionsschluß in Havanna

    Harald Neuber, Peter Steiniger und Peter Wolter
    »Leer es crecer«: Lesen heißt Wachsen
    »Leer es crecer«: Lesen heißt Wachsen
    Nach elf anstrengenden Messetagen stellt das junge Welt-Büro in der alten spanischen Festung von Havanna in wenigen Minuten seine Arbeit ein.
    Wir haben an unserem Messestand nicht nur die jW, sondern auch Bücher aus unserem Verlags-Sortiment präsentiert, Plakate verteilt und zahllose Gespräche geführt. Erstmals war die jW auch mit einer spanischsprachigen Sonderausgabe auf der Messe vertreten, von der alle 12 500 Exemplare verteilt wurden. Die Nachfrage danach war so groß, daß wir jeden Tag nur ein bestimmtes Kontingent verteilten, um nicht in den letzten Tagen mit leeren Händen da zu stehen. Die Straße vor dem Messestand erinnerte zeitweise an Szenen, wie wir sie von Demonstrationen in Deutschland kennen: Jeder zweite hatte die jW in der Hand. Völlig ungewohnt war allerdings: Selbst Polizisten und Soldaten vertieften sich in die jW-Lektüre. Alles übriggebliebene Material – Bücher, Plakate etc. - wird der Cátedra Humboldt übergeben.

    Besonderen Dank schulden wir unseren kubanischen Kooperationspartnern: Der Buchkammer, der Messeleitung, dem Institut für Völkerfreundschaft (ICAP), der Cátedra Humboldt. Unser Dank geht auch und vor allem an die Helferinnen und Helfer, die es uns möglich machten, den Stand hin und wieder auch für unsere journalistische Arbeit zu verlassen: Marion Leonhardt von der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, Oliver Desoi, Rainer Schulze, Michael, der extra aus Mexiko-Stadt angereist war, Mónica Zurbano sowie den beiden von der Messe zur Verfügung gestellten »trabajadoras sociales«, Yessica und Yainet.

    Wir bedanken uns auch bei unseren Gesprächspartnern, mit denen wir über viele Aspekte der kubanischen Gegenwart reden konnten: Z. B. bei der Chefredaktion der Nachrichtenagentur Prensa Latina sowie beim kubanischen Gewerkschaftsbund.

    Der von Havanna aus beschickte Online-Auftritt der jW war ein weiterer Probelauf für unser Vorhaben, das Internet künftig noch intensiver zur Information unserer Leserinnen und Leser zu nutzen. Wir hoffen, daß wir Ihre Erwartungen und Ihr Informationsbedürfnis weitgehend erfüllt haben.

    ¡Hasta la victoria siempre!

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    Zu Gast bei Freunden

    Marion Leonhardt (Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba)
    In wenigen Stunden wird die Buchmesse von Havanna in die anderen Regionen von Kuba ziehen. Nicht nur deshalb ist es schwer, schon jetzt ein Fazit zu ziehen.
    Zu frisch und zu vielfältig sind noch die Eindrücke der letzten Tage. Und mit der Wahl einer neuen Staatsführung durch die Nationalversammlung hatten wir das Glück, einen besonderen Moment der kubanischen Geschichte erleben zu dürfen.

    Zahlreiche Begegnungen am Stand und mit unseren anderen Gesprächspartnern haben zu intensiven Diskussionen geführt und freundschaftliche Kontakte vertieft. Erstaunlich das große Interesse an der deutschen Sprache und Kultur. Viele Kubaner überraschten mich mit ihren exzellenten Deutschkenntnissen. Vielleicht ist darauf das für mich unerwartet große Interesse an dem Projekt der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba mit der Cátedra Humboldt zurückzuführen. Die Cátedra gehört zur Universität Havanna und bildet Deutschlehrer weiter. Unser Infomaterial dazu war schon vor Messeende vergriffen.

    Gut getan hat es auch, mit einer Veranstaltung in der alten Cátedra zu sein – auch gerade in dem Wissen, daß bald geeignetere Räume am Bulevar Obispo bezogen werden können und somit der erste Teil unseres Projekts umgesetzt ist. Das ist ein Baustein dafür, daß den Kubanern angesichts des Propagandamaterials, das der Stand der Frankfurter Buchmesse im Auftrag der Bundesregierung verteilte, ein realistisches Deutschlandbild vermittelt werden kann.

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    Preis und Leistung

    Peter Steiniger
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    Von jung und alt wird auf der Messe fleißig konsumiert. Angesichts der Preise wirkt das erstaunlich.

    Die Angebote gegen „Westgeld“ lasse ich mal außen vor. Für ein Hühnerbein werden stolze 20, für ein Würstchen 5, Limo 10 und Bier 18 Pesos aufgerufen. Theoretisch ist dies zu messen an einem Durchschnittslohn von 350 Peso, der Umtauschsatz zum Ersatz-Dollar Peso convertible liegt bei 1:24. Wer Zugang zu Devisen hat, im Tourismus arbeitet, von den Verwandten in Miami oder anderswo in der weiten Welt unterstützt wird, kann also seine Pesos cubanos explosionsartig vermehren.

    Einen echten Engpass kann man auch auf der Messe studieren: Die Aufpasser, die am Eingang zu den sanitären Einrichtungen sitzen, sind nicht auf ein paar Münzen aus. Sie teilen Bedürftigen in kleinen Abschnitten das Toilettenpapier zu. Eine Rolle auf den Klos wäre sofort begehrtes Sammlerstück. Denn auch dieses hygienische Utensil ist, ebenso wie zum Beispiel die meisten Kosmetika, nur im „Intershop“ zu haben – und das ist fast jeder Laden in Havanna.

    Um einen Teil des Grundbedarfs zu decken, hat jede Person in Kuba ein Anrecht darauf, in den bodegas rationierte Produkte zu vergünstigten Preisen zu erwerben. Dazu zählen Reis - manchmal gibt es auch Spagetti -, Bohnen, Öl, Kaffee, Schokolade, Fleisch, so etwas Ähnliches wie Zahnpasta und etwas, was leider nur wie Seife aussieht. Die mandados reichen längst nicht zum Leben, aber helfen sehr.

  • · Tagebuch

    Angebot und Nachfrage

    Peter Steiniger
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    Die Buchmesse ist ein echtes Volksfest mit allem, was dazugehört: Musik, Tanz, Essen und Trinken.
    Den Tag über strömen die Menschen über das Gelände und drängen sich an den Ständen.

    Die antiken Kanonen werden zur beliebten Sitzgelegenheit, ebenso die Festungsmauer mit Ausblick über die Bucht. Viele suchen Schutz vor der Sonne im Schatten von Bäumen und Gebäuden. Gegen 18 Uhr bricht die Dunkelheit rasch herein. Die Messestände in den Kasematten der Festung schließen; dort übernehmen jetzt Reinigungskräfte das Regiment. Jeder Messetag klingt schließlich mit einem Konzert auf der Plaza San Francisco aus.

    Wie sieht das kulinarische Angebot aus und wie erschwinglich ist es? Es ist reichlich, Engpässe treten kaum auf, das Sortiment ist überschaubar. Schweinehälften schaukeln in der Sonne, die zerstückelt und auf zu Grills umfunktionierten halbierten Ölfässern fertig gegart werden. Hähnchenfleisch und Reis schmoren in den Tiegeln, Grünzeug wird eher spärlich verwendet. Das Essen wird in kleinen grauen Schachteln, die ursprünglich als Geschenkboxen produziert wurden, abgegeben. Besteck oder Servietten gibt es nicht; ein Stück abgerissene Pappe wird zum Behelfslöffel. Wasser, Cola, Zitronenlimo und Bier sind erhältlich, fast ausschließlich in Büchsen.

    An den Imbiss- und Getränkeständen wird geduldig gewartet, vor allem dort, wo mit Moneda nacional bezahlt werden kann. Auch hier gilt: Ein Land, zwei Währungen. Obwohl hinter den Ständen emsiger Betrieb herrscht, geht es nur langsam voran. Der Verkaufsakt selbst ist nicht Schwerpunkt der hiesigen ambulanten Gastronomie. Überhaupt konnten wir beobachten, daß die Kubaner fleißig arbeiten und zugleich Meister in der Kunst der Entschleunigung sind.


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    Volle Konzentration

    Peter Steiniger
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five),  Mónica Corbano (Uni-Leh
    Graziella Ramirez (Komitee Cuban Five), Mónica Corbano (Uni-Lehrerin), Prof. Ivan Munoz (Leiter der Cátedra)

    Am Morgen geht es zur Cátedra Humboldt. Maikel Veloz vom Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) holt uns mit dem Kleinbus von der Messe ab.
    Die Cátedra ist eigentlich die deutsche Spezialbibliothek der Universidad de La Habana und befindet sich in deren unmittelbarer Nachbarschaft in einer schönen Stadtvilla im Stadtteil El Vedado. Das Sortiment in den Regalen weist gewisse Überschneidungen mit meinem eigenen Bücherbestand auf: Feuchtwanger, B. Traven, Dieter Noll. Einige tausend Bücher aus DDR-Beständen haben hier ein neues, dankbares Zuhause gefunden. Tatsächlich ist die Cátedra viel mehr als nur eine Bibliothek. Ehrenamtlich werden hier kostenlose Sprachkurs sowie Veranstaltungen zu Kultur und Landeskunde angeboten. Auch der DAAD-Lektor hat hier sein Domizil. Sie ist ein beliebter Treffpunkt kubanischer Deutschstudierender und deutscher Gaststudenten in Havanna.


    Wir sind im Doppelpack gekommen. Etwa 50 Studierende drängen sich sitzend oder stehend in dem kleinen, bald überhitzten Vortragssaal. Marion Leonhardt stellt das vom Komitee Basta ya! herausgegebene Buch über die Cuban Five vor. In Anwesenheit von Graziella Ramirez, der Präsidentin des internationalen Komitees, das die Solidaritätsaktionen zugunsten der fünf Kubaner organisiert. Kubas Helden werden wegen ihrer Aufklärertätigkeit gegen terroristische Aktivitäten von Miami aus seid bald zehn Jahren ohne Gerichtsurteil in den USA gefangengehalten. Die Cátedra wird bald einige Exemplare dieses Buchs zu ihrem Bestand zählen können.

    Ich berichte vom freien Wettbewerb. Zunächst von den Nokia-Protesten, den Hintergründen der Werksschließung - als Beispiel, wie europaweit die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden. Anschließend stelle ich die junge Welt vor und erläutere, wie sich unsere Zeitung gegen die kapitalstarken Medien behauptet.
    Fast zwei Stunden dauert die Veranstaltung, unser Publikum bleibt konzentriert bei der Sache und fragt interessiert nach. Wir tragen uns in das Gästebuch der Cátedra ein. Günther Grass war auch schon da.

    Bericht in juventud rebelde
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    Fast eine diplomatische Mission

    Peter Wolter
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    Das Meer sehen wir leider nur aus der Ferne ...
    Nicht, daß jemand meint, wir würden hier auf Kuba Urlaub machen. Den Strand wird in den zwei Wochen unserer Präsenz auf der Buchmesse niemand von uns gesehen haben, freie Tage konnten wir uns auch nicht leisten, obwohl wir uns das vorgenommen hatten.
    Neben der Standbetreuung und dem Recherchieren und Schreiben von Beiträgen für die jW gibt es eine Vielzahl von Einladungen und Gesprächen, die wir wahrnehmen.
    Mit dem ICAP etwa, dem kubanischen Institut für Völkerfreundschaft. Oder mit der kubanischen Buchkammer.Gestern stand eine Visite in der größten lateinamerikanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina an.

    Da ich selbst jahrelang für dpa, ddp und Reuters gearbeitet habe, kann ich mir ein fachmännisches Urteil erlauben: Hochprofessionell, was die 120 kubanischen Kollegen tagtäglich auf die Beine stellen! Die Redaktionsräume sind vollgestopft mit Computern, es sieht aus wie in der Hamburger dpa-Zentrale, allerdings weniger geräumig. Wir führten ein sehr informatives Gespräch mit der Chefredaktion: Prensa Latina hat Auslandsbüros in über 20 Ländern, weitere sollen hinzukommen. Die Agentur steht finanziell auf eigenen Beinen, kommt also ohne irgendwelchen staatlichen Zuschüsse aus.

    Nachmittags ein Besuch bei Hans Werner Richert, Chefredakteur der deutschsprachigen Ausgabe der Parteizeitung Granma, der die Gelegenheit gleich beim Schopf ergreift und ein Interview mit der jW und mit Marion Leonhardt führt, die die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba an unserem Stand vertritt. Heute nachmittag sollen wir kubanischen Gewerkschaftern über Arbeitskämpfe in Deutschland berichten.

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    Stalin neben Trotzki in Kuba

    Harald Neuber
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    Vielleicht ist es ganz gut, dass die mexikanische Friedrich-Engels-Stiftung unserer Halle noch keinen Besuch abgestattet hat.
    Denn anders als ihr Name vermuten lässt, sind die Mexikaner glühende Anhänger Leon Trotzkis. Nur zwei Hallen neben den revolutionären Freunden hat der Kollege Ronald Koch vom Frankfurter Zambon-Verlag in unserem Ausstellungssaal das Buch „Stalin – anders betrachtet" des Belgiers Ludo Martens ausgestellt. „das Interesse an dem Buch hier ist enorm", sagt Koch, „ich hätte noch einige Kisten mitbringen können". Nicht so richtig begeistert ist Raimundo Gonzalez, der am Institut für Meteorologie beschäftigt ist und sich mit der Nutzung alternativer Energiequellen für Kuba befaßt. „Wer so etwas präsentiert, ist doch einfach bescheuert. Die Verbrechen Stalins überwiegen seine Verdienste meilenweit. "
    Koch will nun weitere Stalin-Bücher nach Havanna schicken. An Interessenten gibt er noch die Adressen einer befreundeten Buchhandlung heraus, in der sie verkauft werden.
    Die trotzkistische Fraktion ist nicht weniger erfolgreich. In einem überfüllten Lesesaal stellt die Engels-Stiftung am Dienstag Trotzkis „Verratene Revolution" vor. Ein junger Vertreter, der mit Brille und Bartschnitt aussieht wie die Reinkarnation seines ideologischen Übervaters, stellt die Grundthesen des Trotzkismus vor, um dann die Zusammenarbeit Kubas mit China zu verurteilen, einem „Staat, der die Interessen der Arbeiter verraten hat". Dass Busimporte aus China das Transportproblem entschärft haben und auch die Stadtreinigung mit Fahrzeugen aus dem Reich der Mitte ausgestattet wurde, interessiert den revolutionären Ideologen nicht. Manchmal ist die Ideologie so wichtig, dass für Politik kein Platz mehr bleibt.
    Trotzdem wird die trotzkistische Lesung von Celia Hart begleitet, der Tochter von Armando Hart, einem der wichtigsten Intellektuellen Kubas. Was beweist, dass ideologische Debatten in Kuba souveräner geführt werden, als mitunter angenommen wird.

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    Vom Schreibtisch vor die Kamera

    Harald Neuber
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    Auf der Internationalen Buchmesse in Havanna treffen wir viele Kollegen aus Lateinamerika und Europa wieder.
    Da geschieht es schon mal, dass man die Rollen wechselt. Gerade noch hatte ich ein Interview geführt, da sitze ich vor der Kamera. Pascual Serrano, Mitbegründer des Internetportals Rebelion.org und Korrespondent des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur bittet mich um ein Interview über die junge Welt. Mit Pascual sind wir seit langem in Kontakt, im Berlin hatte er 2004 an einer Medienkonferenz teilgenommen, die unter anderem von der jW organisiert wurde. Pascual hat auf Telesur unter anderem eine Sendung über alternative Medien. Besonders interessiert ihn das Genossenschaftsmodell der jungen Welt – „ein Vorbild für linke und alternative Medienprojekte in Lateinamerika“, wie er sagt.
    Die Lage hier ist um einiges zugespitzter als in Europa. In Lateinamerika kontrollieren nur wenige Medienkonzerne die Branche – viele wie Televisa oder die Cisneros-Gruppe mit direkten Verbindungen in die USA. Der politische Kampf gegen die Linke wird in Kuba und auf dem Kontinent über die Presse ausgetragen. Diese Erfahrung machen wir hier fast täglich. Als kürzlich ein Student mit dem Parlamentspräsidenten Ricardo Alarcón diskutierte, lancierten rechtsgerichtete Redaktionen, der junge Mann sei festgenommen worden. Eine glatte Lüge, die den Kubanern wieder einmal vorführte, mit welcher Dreistigkeit der Medienkrieg gegen die Regierung in Havanna geführt wird.
    Pascual Serrano ist nicht der einzige Kollege, der sich den Kampf gegen diese neue Gefahr für Demokratie und Frieden auf die Fahnen geschrieben hat. Der Kampf um die Meinungshoheit ist voll entbrannt. Auf der einen Seite die Bevölkerung, auf der anderen die Medienkonzerne. Mit unserer Präsenz auf der Buchmesse in Havanna hat junge Welt in den vergangenen vier Jahren schon einen Beitrag zu diesem Ringen geleistet. Und wir werden weiter präsent sein, wo es nötig ist.

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    Deutsch als Fremdsprache

    Peter Steiniger
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    Yaidarys, Leydi und Danisbel freuen sich über deutsche Lektüre

    Wissbegieriger Besuch am Stand der jungen Welt - Deutsch-Studierende der Universität Havanna.
    Sie lassen sich alles über die junge Welt erklären und en detail unsere Internetausgabe vorführen. Daß wir soviel über Kuba und Lateinamerika berichten, beeindruckt sie. Besonders freuen sie sich über die verschiedenen thematischen jW-Beilagen, die am Stand abgegeben werden.
    Derzeit belegt die Gruppe den einjährigen Vorbereitungslehrgang mit Deutsch-Intensivkursen, Spanisch und Sport. Fünf Jahre Ausbildung schließen sich an. Neben der ersten und mindestens einer weiteren Fremdsprache kommen dann noch weitere Fächer hinzu, wie Geschichte, Linguistik und Literatur. Ab dem dritten Jahr wird ausschließlich in den Fremdsprachen unterrichtet. 
    Obwohl noch am Anfang ihrer Ausbildung, sprechen einige unserer Besucher schon erstaunlich gut deutsch. Aussprache und Grammatik seien das Schwerste - das Kompliment kann ich zurückgeben.

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    Revolution auf dem Tanzboden

    Peter Steiniger

    Havanna ohne Musik und Tanz ist nicht denkbar.
    Nach einem langen, durch Hitze und Lärm schlauchenden Tag am jW-Stand auf der Buchmesse brauchen wir Auslauf. Im Altstadtviertel Vieja, am Bulevar Obispo, einer historischen, touristisch geprägten Einkaufsgasse, gibt es an einer Ecke noch eine kleine Kiezkneipe. An der Wand hängt eine recht eindrucksvolle Urkunde mit dem Konterfei von Che Guevara. Bei genauerem Hinsehen handelt es sich um die Schanklizenz. "Für den Hut" musiziert hier ein Trio: Kontrabass, eine dreisaitige Gitarre und Gesang. Die voluminöse Sängerin reißt mit Stimme, Ausstrahlung und Temperament mit.
    Anschließend ist Salsa angesagt. Im Lluvia de Oro ("Goldregen"), einer legendären Tanzbar nur wenige Schritte weiter, spielt eine geradezu explosive Combo auf. Jeder Ton, jede Bewegung ist Lebensgefühl, die Musik bezieht den ganzen Körper ein. Model-Figuren werden auf der Tanzfläche kaum vorgeführt, zählen tun Hingabe und Rhythmusgefühl. Im ganzen Lokal herrscht eine lärmende Ausgelassenheit, wird mitgesungen. Kubanische Sinnlichkeit ist der genaue Gegensatz von deutschem "Frohsinn". Alle und alles ist in Bewegung. Die Fremden fallen tänzerisch etwas ab, bleiben abwärts der Hüfte steif.
    Unter den Tanzenden sind auch viele Schwarze, vor allem Frauen, Nachfahren der Sklaven, die in den Minen, in den Zuckermühlen und auf den Plantagen ausgebeutet wurden. Großformatige Fotografien an den Wänden zeigen das Lokal in viel früheren Tagen: voller hellhäutiger Männer. Vor der Revolution haben Schwarze hier nicht getanzt, sondern den Boden gewischt.

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    Frage des Standpunkts

    Peter Wolter

    Schlüpfen wir zur Abwechslung doch mal in die Rolle eines Journalisten von Panorama oder Spiegel-Online

    »Kubanische Polizei geht brutal gegen Dissidenten vor«

    Havanna. Kubanische Polizisten haben in der Nacht zum Sonntag in der Altstadt von Havanna einen Dissidenten auf brutale Weise festgenommen und abtransportiert. Nach Berichten von Augenzeugen wurde der etwa 30jährige Mann auf offener Straße mit Gewalt festgehalten, in Handschellen gelegt und unter Schmerzensschreien in einem Wagen abtransportiert. Grund der Festnahme war offenbar, daß er ein T-Shirt mit einem Anti-Castro-Aufdruck trug. Protestierende Anwohner, die den Vorfall beobachteten, äußerten die Sorge, daß er im Gefängnis gefoltert wird. Über den weiteren Verbleib des Festgenommenen wurde bislang nichts bekannt. »

    Und so war es wirklich:

    Der Festgenommene war betrunken und hatte auf offener Straße wegen eines Ehestreits eine Schlägerei angezettelt. Polizisten versuchten zunächst, ihn zu beruhigen. Als er dann um sich schlug, wurden ihm Handschellen angelegt. Die waren allerdings etwas zu fest angezogen, worauf sich ein Polizist bemühte, sie zu lockern. In der Tat kam dann ein Polizeiwagen, der den Mann zur Wache mitnahm. Sein T-Shirt war mit dem Namen einer Band bedruckt, Passanten beobachteten die Szene und gaben belustigte Kommentare ab.

    Den oben erwähnten Lohnschreibern könnte man auch folgendes empfehlen: Ein Klassenraum einer Grundschule in der Calle Obispo ist durch ein offenes Gitter von der Straße abgetrennt, so daß Passanten den Verlauf der Schulstunde beobachten können. Wie wäre es mit der Schlagzeile: »Castros Kuba: Jetzt auch Kinder hinter Gittern«?

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    Komplexe Realität

    Peter Steiniger
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    Wie schmeckt, wie riecht, wie fühlt sich Kuba an?, fragt uns eine Leserin aus Berlin-Kreuzberg. Wir sollten mehr darüber für diejenigen berichten, die dieses Land noch nicht selbst kennenlernen konnten.

    Selbst Kuba-Neuling, lassen sich die ersten Eindrücke aus Havanna so zusammenfassen: Dies ist ein sehr sonderbares Land. Im Stadtbild wechseln ländliche Szenen mit glanzvollen Kolonialbauten, Verfall und den Überbleibseln realsozialistischer Moderne. Die Gerüche der Stadt mischen sich mit denen des Meeres, von der Seeseite weht stets eine leichte, angenehm kühlende Brise. Die Parks und Grünanlagen sind gepflegt, die Straßen und Wege werden einigermaßen sauber gehalten, sind aber voller Schlaglöcher und Stolperfallen. Wer Leuchtreklamen und Werbeschilder mag, wird sie in Havanna vermissen. Nur hier und da grüßen Fidel, Ché oder Los Cinco von einer Hauswand oder Propagandatafel.

    Als erstes fällt hier der Verkehr ins Auge. Das Aufkommen ist für eine Großstadt mit etwa drei Millionen Einwohnern spärlich und viele Fahrzeuge machen einen abenteuerlichen Eindruck. Neben modernen Touristenbussen und Mietwagen sind vor allem Lada, amerikanische Straßenkreuzer - die mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben und mit umgebauten Dieselmotoren aus Traktoren fahren -, Motorräder von Java oder aus Zschkopau sowie alles unterwegs, was bei uns in Deutschland schon lange auf dem Schrottplatz ruhen würde. Natürlich darf man es sich nicht nehmen lassen, mit so einem uralten Chevrolet, der als Linientaxi für 10 Peso nacional pro Person verkehrt, mitzufahren. Ein intensives Erlebnis, auch angesichts von sechs Fahrgästen, die sich in den Veteran quetschen. Als Déjà-vu-Erlebnis entpuppt sich für die Fahrt mit den osteuropäischen Fabrikaten. Im Fahrzeuginneren riecht es nach Kraftstoff. Ostdeutsche wissen: Nicht die Benzinpumpe ist gebrochen – das muß so sein. Eine leichte Übelkeit gehörte in der Kindheit zu Autofahrten einfach dazu.

    Wie lebt es sich in dieser Synthese aus Dritter Welt und Sozialismus, aus Karibik, Afrika, USA und DDR, wie denken und fühlen die Kubanerinnen und Kubaner selbst? Die kubanische Realität entschlüsselt einem sich nicht in wenigen Tagen. Das Fremdheitsgefühl jedoch weicht schnell - nicht nur wegen der Anklänge an eigene Erfahrungen – es liegt an der Offenheit und Freundlichkeit der Menschen.

    Über vieles hier herrscht Unzufriedenheit: die Bürokratie, eintönige Zeitungen, katastrophale Wohnbedingungen, fehlende Reisemöglichkeiten, die viel zu niedrigen Einkommen, von denen allein das Leben nicht zu bestreiten ist. Viele wichtige Dinge sind nur gegen Devisen zu haben. Der Peso convertible untergräbt als Parallelwährung die gesellschaftliche Moral. Qualifizierte Leute müssen versuchen, irgendwie im Tourismus Fuß zu fassen. Taxifahrer und Vermieter an Ausländer verdienen ein Vielfaches von Universitätsprofessoren.

    Wenn man den kubanischen Alltag beobachtet, fällt auf, daß vieles mühselig und improvisiert ist, Dinge fehlen, die für uns selbstverständlich sind. Auf offene Armut trifft man kaum. Die meisten Menschen in Havanna sind gut gekleidet und ernährt, ohne Zahnlücken, im Unterschied zu Berlin wird man nirgendwo angebettelt. Und noch etwas unterscheidet sich von der Welt, wie wir sie bei uns kennen: Das andere Tempo, eine kubanische Entspanntheit - den Menschen hier steht nicht die Existenzangst ins Gesicht geschrieben.

    Am Malecón, der langen, sehr romantischen Uferpromenade, gehen ständig zahlreiche Menschen spazieren, sitzen Pärchen, wird Musik gemacht und kreist die Rumflasche. In der Nacht kann man auf das tief dunkle Meer hinausblicken, auf dem kein einziges Boot oder Schiff seine Lichter wirft. Kuba erscheint dann als ein verwunschener, abgeschnittener Ort. In der letzten Nacht sahen wir am Malecon einen Auflauf mit hunderten, die ein „Gay-Treffen" feierten. Übrigens völlig unbehelligt von der Polizei.

    Unser kleines Hotel liegt in einer düsteren Seitenstraße in Alt-Havanna, nur wenige Fußminuten vom Capitolio und den aufgemotzten Geschäftsstraßen für Touristen und alle, die sonst noch mit harter Währung zahlen können. Nachts wirkt das Viertel um die Calle Consular wenig vertrauenserweckend, Dealer und leichte Mädchen lungern herum. An den Straßenkreuzungen beobachten Ordnungshüter aus ihren Autos heraus das Treiben ringsum. Morgens strömen aus den verschlissenen Häusern die Leute, um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen und junge Pioniere ziehen in Gruppen durch die Straßen.

    In den Reiseführern wird unsere Absteige als Etablissement beschrieben, welches vor allem von Studenten aus aller Welt gern frequentiert wird. Studenten haben es nämlich gerne fensterlos und legen auch auf warmes Wasser keinen großen Wert. Tatsächlich haben sich einige junge Leute aus Norwegen und England hier einquartiert. Überwiegend aber sind es männliche Touristen, aus Kanada oder Deutschland. In der Lobby lassen sich am Abend ein, zwei herausgeputzte Afrokubanerinnen nieder, um sich etwas ausgeben zu lassen oder einträgliche Bekanntschaften zu schließen. Einen Hort der Revolution würde man hier nicht unbedingt vermuten. Und doch finden sich in einem abgelegenen Winkel, neben Gerümpel, Abfällen und einem versifften Pissoir, zwei lieblos gestaltete Wandzeitungen. Die Parteigruppe der PCC informiert darüber, daß Fidel aufruft. Daneben prangt die Straße der Besten.

  • · Tagebuch

    Hallo Jazz-Freunde

    Peter Steiniger
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    Havanna ist eine Stadt voller Musik. Noch bis heute läuft hier das 24. internationale Jazz-Festival


    Im La Zorra y el Cuervo Jazz Club, einem traditionellen Kellerlokal der Szene, bekamen wir davon einen Eindruck. Der Eintritt kostet 15 Peso convertible (etwa 12 Euro) – das entspricht fast dem durchschnittlichen Monatseinkommen der Kubaner, zwei Mojito sind inklusive.
    Was hier geboten wird, ist feinster moderner, schwarzer Latin-Jazz. Wir erleben den Pianisten Harold López Nussa und das Frauen-Ensemble "Canela", gemeinsam mit Jesus Fuentes (Saxophon). Michael, der etwas davon versteht, aus Dresden stammt, in Mexiko lebt und extra nach Kuba gekommen ist, um die jW auf der Buchmesse zu unterstützen, findet: Weltklasse. Unsere ND-Kollegin Ute ist eindeutig keine Jazzerin: „Ziemlich laut." Mein Urteil fällt freundlicher aus: Die Hüften der Sängerin aus Barbados scheinen sich völlig losgelöst vom Rest ihres katzenartigen Körpers zu bewegen.

    Auf dem Weg zurück in unser Hotel ist die Luft angenehm warm wie in einer Julinacht in Berlin.

  • · Tagebuch

    Solidarität ist überall

    Marion Leonhardt
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    Am Stand des Internationalen Komitees zur Befreiung der Los Cinco
    Auch die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba (FG) ist am Messestand der jW vertreten.

    Die FG legt dort Informationen über ihr Cátedra-Projekt aus. (Die Cátedra gehört zur Universität Havanna und dient der Weiterbildung kubanischer Deutschlehrer.) Es liegen auch Publikationen des Komitee »basta ya« zur Befreiung der Los Cinco aus – das sind die fünf in den USA inhaftierten Kubaner, die den von Miami ausgehenden Terrorismus gegen ihr Land aufklären wollten. Beides ist immer wieder Anknüpfungspunkt für interessante Gespräche.

    Umso größer ist die Freude, als mir plötzlich ein Plakat mit der Forderung nach Visa für die Ehefrauen der Fünf unter die Nase gehalten wird. Graziella Ramirez vom Internationalen Komitee zur Befreiung der Fünf und die kubanische jW-Korrespondentin Daisy Francis Mexidor machen Werbung für ihre Kampagne und bitten die jW um Veröffentlichung ihres Aufrufs, den u.a. die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) unterzeichnet hat.

    Im Namen von »basta ya« übergebe ich Graziella unser Buch über die Geschichte der Fünf, die seit zehn Jahren in US-Gefängnissen einsitzen. Als ich später zum Stand des Internationalen Komitees komme, steht es gleich vorne im Regal mit anderen Publikation aus Kuba zu dem Fall. Zudem gibt es einen Tisch mit Karikaturen und Zeichnungen, die die Fünf in der Haft gefertigt haben. Das greife ich gerne auf und bitte die Genossinnen um Unterstützung: Die Zeichnungen und weitere Dokumente zu den Fünfen wären gut für die vom Komitee geplante Ausstellung zum 10. Jahrestag ihrer Verhaftung geeignet. Wir werden gemeinsam daran arbeiten und die Ausstellung vielleicht auch in der Cátedra in Havanna zeigen können.

  • · Tagebuch

    Zeit ist relativ

    Peter Steiniger
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    Im jW-Büro, das wir mit Plastetisch und -stühlen zwischen den Zeitungsstapeln neben dem Stand improvisiert haben, ist revolutionäre Geduld gefragt.
    Die Arbeit mit dem Internet hier auf der Buchmesse ist mühselig - Seitenaufbau und Datenübertragung gehen nur im Schneckentempo, das Versenden einer E-Mail dauert eine kleine Ewigkeit. Bei der Hitze und dem Krach ringsum nervt es besonders, Sklave der Maschine zu sein. In Berlin warten die Kollegen und scharren mit den Füßen, weil Termine für die Herstellung der Seiten einzuhalten sind. Keine leichte Sache, denn dort ist die Uhr stets sechs Stunden weiter.

    Für eine schnelle Berichterstattung ist unser Blog hier umso wichtiger. Der Internetzugang dient darüber hinaus unserer journalistischen Arbeit insgesamt - für Recherchen, die Übertragung von Texten und Bildern, die Kommunikation mit der Redaktion in Berlin. Zu unserer Erleichterung, wenn auch gegen ein hübsches Sümmchen, klappte es mit der Einrichtung schnell und professionell. Kubas Telekommunikationsfirma ETECSA, ein Joint Venture mit der italienischen Telecom, bietet auf der Buchmesse diesen Service für die Veranstalter.

    Es ist so eine Sache mit dem Internet in Kuba: In den Universitäten, Behörden und anderen Institutionen gibt es Zugänge zum Netz, wenn auch viel zu wenige, lange Wartezeiten sind die Folge. In der eigenen Wohnung ist es nicht gestattet und einen Computer kann sich ohnehin fast kein Kubaner leisten. Privatanwender sind auf Internetcafés angewiesen, was jedoch für die wenigsten erschwinglich ist. Denn dort muß mit der nur gegen harte Devisen erhältlichen Zweitwährung CUC bezahlt werden. Auf einigen Postämtern besteht immerhin die Möglichkeit, E-Mails zu versenden.

    Von einer Datenautobahn kann hierzulande nicht die Rede sein. Von schnellen Breitband-Zugängen über die in der Karibik vorhandenen Unterseekabel ist der Inselstaat wegen des US-Embargos ausgesperrt. Die Satellitenverbindung, die das Land erst seit 1996 mit dem weltweiten Datennetz verbindet, ist langsam und kostet Kuba hohe Summen. Abhilfe schaffen soll eine Glasfaserverbindung mit Venezuela. Bis die Realität ist, wird es aber noch zwei, drei Jahre dauern.

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    Literarisches Volksfest

    Peter Wolter
    Hans Modrow hatte viele Signierwünsche zu erfüllen
    Hans Modrow hatte viele Signierwünsche zu erfüllen
    Samstag auf der Buchmesse: Zehntausende Kubanerinnen und Kubaner schieben sich durch die Straßen der alten spanischen Festung, die Messestände sind umlagert, in manchen Gängen zwischen den Kasematten ist kein Durchkommen mehr.
    Dem jW-Stand geht es nicht anders. Unsere Helfer Jessica, Monica, Rainer und Michael verteilen die spanische jW-Ausgabe, beantworten Fragen, diskutieren und verkaufen hin und wieder einige der mitgebrachten Bücher. Wir müssen aufpassen, daß wir wenigstens noch Ansichtsexemplare übrig behalten.

    Am Rande des Geschiebes schwitzt unsere Havanna-Redaktion an einem wackligen Tischchen vor den Laptops. Neugierige schauen ständig über die Schulter. Bei dem Stimmengewirr ist es mitunter schwierig, einen klaren Gedanken zu fassen, was noch dadurch erschwert wird, daß man ständig von Interessenten angesprochen wird. Das Gewusel ist manchmal chaotisch – das haben die kubanischen Genossen jetzt davon. Selber schuld, warum muß man auch gleich ein ganzes Volk alphabetisieren?

    Am Vorabend stellte Hans Modrow, der vorletzte Ministerpräsident der DDR, sein Buch »In historischer Mission« vor - eine Veranstaltung von junge Welt und Cuba Sí, moderiert von Harald Neuber. Unter den Gästen waren zahlreiche Funktionäre aus Ministerien und Kulturinstitutionen, darunter Francisco Brown Infante, Direktor am Institut für Europäische Studien in Havanna.Die deutsche Botschaft hatte einen Beobachter geschickt. Eine Diskussion kam nicht auf, die Atmosphäre hatte einen Hauch von Feierlichkeit. Verständlich, denn Hans Modrow ist Staatsgast, der mit allen Ehren und allem Respekt behandelt wird.

  • · Tagebuch

    Lesung im Büro des Che

    Harald Neuber
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    Verstärkung am jW-Stand: unsere kubanische Freundin Mónica

    Der Stand der jungen Welt läuft gut – auch dank unserer Unterstützer. Erste Veranstaltung mit Hans Modrow heute


    Wir können kaum glauben, daß heute erst der zweite Tag auf der Messe ist. Seit Montag waren wir schließlich schon mit dem Aufbau des Standes beschäftigt, haben unser Material beim Zoll ausgelöst, Tische besorgt und erste Probleme mit dem Internet ausgeräumt. Nun stellt sich Routine ein. Ein guter Zeitpunkt also, kleine Verbesserungen vorzunehmen. Kurzerhand haben wir unser provisorisches Redaktionsbüro in Havanna auf einen zweiten Tisch neben den Stand verlegt. So bleibt in der Sechs-Quadratmeter-Kabine mehr Raum für Gespräche. Bei den Menschenmassen, die sich schon jetzt, am Freitag, durch die kolonialen Hallen zwängen, werden davon am bevorstehenden Wochenende nicht wenige geführt werden.

    Inzwischen sind unsere Unterstützer eingetroffen. Michael, ein jW-Internetleser aus Mexiko ist für einige Tage nach Havanna gekommen, um auszuhelfen. Auch Rainer von der jW-Leserinitiative in München ist zu uns gestoßen. Beide sprechen ebenso gut Spanisch wie unsere kubanische Freundin Mónica, die wir schon aus den vergangenen Jahren kennen, Deutsch beherrscht.

    Wir alle haben alle Hände voll zu tun, die spanischsprachige jW-Sonderausgabe unter die Leute zu bringen. Zehn Zeitungspakete glt es jeden Tag zu verteilen und in der Mittagshitze ist das eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Bei einer zweiten, genaueren Durchsicht sind uns aber doch noch eine Reihe Rechtschreibfehler aufgefallen. Immerhin aber ist es die erste fremdsprachige Ausgabe der jungen Welt nach 1989. Trotzdem nehmen wir uns vor, im kommenden Jahr mehr Vorlauf einzuplanen als die sieben Tage, die wir vor unserer Abreise für die Produktion hatten. Spontaneität ist zwar eine Stärke der jungen Welt. Nötig ist sie nicht immer. Dieser kleinen Probleme ungeachtet ist das Interesse an der Ausgabe groß. Unser diesjährges Thema »Krieg und Frieden« kommt in Havanna an.

    Die Veranstaltung des Tages findet in der alten Kommandantur von Ernesto »Che« Guevara statt. Um halb sechs wird dort Hans Modrow mit junge Welt sein Buch »In historischer Mission« vorstellen. Gemeinsam haben wir vor unserer Abreise die Passagen ausgesucht die wir vorlesen wollen. Dabei soll es vor allem um die Kontakte zwischen der DDR und Kuba sowie Lateinamerika gehen. Ein Freund in Bogotá hat die Textabschnite übersetzt und so schauen wir zuversichtlich einer gut vorbereiteten Lesung entgegen. Bei dem Interesse, das die DDR in Kuba immer noch genießt, sind wir froh, daß unserer Freunde von der Solidaritätsorganisation Cuba Sí noch 30 Ausgaben des Buches mitgeschickt haben.

    PS: Im Programm ist Hans Modrows Buch mit »Ein Historiker auf Mission« übersetzt. So ganz falsch ist das ja aber nicht, denn es geht im Endeffekt um das historische Gedächtnis in Deutschland – und die Lehren, die Kuba daraus ziehen kann. Insofern bietet die Lesung dem Publikum einen anderen Standpunkt zu Deutschland, als er in den Hochglanzprospekten der Frankfurter Buchmesse und des Auswärtigen Amtes vermittelt wird.

  • · Tagebuch

    In Kontakt

    Peter Wolter
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    Punkt 13.00 Uhr, als sich die Buchmesse für das Publikum öffnet, bricht die Invasion herein: Tausende Kubanerinnen und Kubaner strömen in das Messegelände in der alten Spanierfestung.

    Schon nach wenigen Minuten schiebt sich ein Menschenstrom durch den engen Gang vor dem jW-Stand. Unserer Helferin Jessica, einer uns als Hilfskraft zugeteilten »trabajadora social«, wird die Messe-Sonderausgabe der jW buchstäblich aus der Hand gerissen. Auch Oliver Desoi hat sich als Helfer zur Verfügung gestellt – er studiert zur Zeit in Havanna. Er hält ein wachsames Auge auf unsere Bücherkartons und Zeitungsstapel hinter dem Stand. Leider nicht auf seinen Rucksack, der ist nämlich schon nach zehn Minuten geklaut.

    Immer wieder kommen Besucher freudestrahlend zu unserem Stand: Der eine hat in Halle gearbeitet, der andere in Leipzig promoviert, der dritte war Maschinenbauingenieur in Magdeburg. Über 30000 Kubanerinnen und Kubaner haben ihre Ausbildung in der DDR absolviert, die alte jW ist ihnen in guter Erinnerung und sie freuen sich, daß es uns noch gibt. Einer von ihnen ist Leonel R. Cala Fuentes, der ein Buch über seine Zeit in der DDR geschrieben hat. Wir verabreden uns für Freitag mit ihm zu einem Interview, das dann auch online zu lesen sein wird.

    Auch die Medien interessieren sich für unseren Stand. Eine Kollegin von Radio Havanna macht mit uns ein Interview, weitere Pressekontakte haben wir schon am Tag zuvor mit der kubanischen Seite verabredet. Mal sehen, was daraus wird.

    In den Vorjahren wurde die Messe jeweils von etwa einer halben Million Menschen besucht – der Bildungshunger und die Lust am Lesen scheinen ungeheuer zu sein. Die Organisation ist perfekt und routiniert, das Militär stellt Wasserbehälter und Transportmittel zur Verfügung, hunderte »trabajadores sociales« helfen an den Ständen oder schleppen Material herbei. Im Freigelände gibt es Stände mit Bier, Spanferkel und Limonade – diese Buchmesse ist ein riesiges Volksfest.

    Nach etwa drei Stunden stellen wir die Verteilung unserer Kuba-Ausgabe erst einmal ein, wir wollen noch etwas für die nächsten Tage übrig behalten. Auch die mitgebrachten Plakate gehen weg wie warme Semmeln - Hits sind das mit dem Fidel-Castro-Foto und das mit einer politisch-sinnlichen Zeichnung von Thomas J. Richter.

  • · Tagebuch

    Alles paletti!

    Peter Wolter
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    »Alles paletti?« strahlt uns ein unbekannter Kubaner an, als er uns beim Altstadtbummel deutsch sprechen hört.
    Erstaunlich, wie dieser flapsige Spruch seinen Weg in die Karibik gefunden hat – es ist wohl schon das vierte oder fünfte Mal, daß ich in Havanna auf diese Weise angesprochen werde. Und jedesmal werde ich ungläubig angestaunt, wenn ich erkläre, daß »paletti« nur bedingt mit dem Italienischen zu tun hat – den wahren Ursprung kennen auch in Deutschland die wenigsten. Hier also ein Beitrag zur Aufklärung: »Paletti« war der Nachname eines italienischen Hausmeisters in einem Studentenheim in Münster (an der Steinfurter Straße, wer es genau wissen will). Immer wenn ein Wasserhahn tropfte oder eine Glühbirne auszuwechseln war, war der Mann mit dem Wort zur Stelle: Paletti macht das! Irgendwie entstand daraus »alles paletti«. Wie sich dieser Spruch über ganz Deutschland bis hin in die Karibik verbreitet hat – das müßten Sprachforscher herausfinden.

    Beim Gang durch die Altstadt Havannas kommen wir aus dem Staunen nicht heraus: Immer mehr Gebäude wurden stilgetreu renoviert – Kuba hat mit UNESCO-Hilfe enorme Mittel investiert. Es ist ein Jahr her, daß ich zum letzten Mal in Havanna war, seitdem sind wieder dutzende Altbauten instandgesetzt worden. Zumindest in diesem Stadtviertel wurde der oft beklagte Zerfall der Bausubstanz aufgehalten – anderswo sieht es allzuoft leider noch anders aus. Dennoch, auch dort wird fleißig restauriert. Jetzt scheint auch die weltberühmte Uferstraße, der Malecón, an der Reihe zu sein.

    Kuba ist immer noch ein Entwicklungsland, wenn auch ein vergleichsweise entwickeltes: Unser Hotel bietet unteren Standard: die Zimme haben keine Fenster, Warmwasser gibt es nicht. Der Fernseher funktioniert auch nicht. Das Personal sehr nett – kubanisch eben. Die Rezeptionistin liest zwischendurch die kubanische Sonderausgabe der jW. Selbstverständlich haben wir gleich das Personal agitiert.

    Am Morgen, vor dem Frühstück, ein kleiner Bummel über den Prado und ein kurzer Abstecher in die Calle Obispo, an deren Anfang sich die weltberühmte Bar El Floridita befindet. Auf den Parkbänken sitzen Männer und Frauen, jeder zweite liest die Parteizeitung Granma. Und überall wimmelt es von Schulkindern – man könnte meinen, ganz Kuba gehe zur Schule.

    Und dann der tägliche Ärger: Der Kampf der Partei gegen die Korruption hat die Taxifahrer immer noch nicht erreicht. Taxameter gibt es zwar, werden aber nur selten eingeschaltet. Wer nicht aufpaßt und kein Spanisch kann, zahlt mitunter Phantasiepreise. Wir haben es uns zur Regel gemacht, nur Taxis mit blauem Nummernschild zu nehmen, die sind nämlich staatlich.

  • · Tagebuch

    Sicher, sicherer, Frankfurt am Main

    Peter Wolter

    Da sind wir uns alle einig - einer der grausigsten Flughäfen ist Frankfurt/Main.

    Nicht nur, weil der Rassist Roland Koch in diesem Bundesland immer noch das Sagen hat – die gesamte Anlage ist gigantisch, unübersichtlich, vom Kommerz durchorganisiert. Gewusel überall, viele Werbeplakate sind gleich in Englisch oder in einem lächerlichen Denglisch abgefaßt. Man wird von Schritt auf Tritt darauf gestoßen, daß Hessen US-amerikanische Besatzungszone war. Und auch wohl noch ist – die Anbiederung an den american way of life ist penetrant.

    Noch penetranter sind die Sicherheitsvorkehrungen im Flughafen. Bei der Kontrolle müssen wir Gürtel und Jacket ablegen, die Taschen leeren, die Schuhe ausziehen. Die Visitation der Unterhose erspart man uns - ein schneller Griff in den Schritt stellt sicher, daß wir dort keine Kalaschnikow versteckt haben. Glücklicherweise sind wir von der Notwendigkeit dieses Griffs überzeugt ... Vielleicht sollte man auf diese Art Kontrolle eine Luststeuer erheben? Das wäre konsequent im neoliberalen Sinne.
    Flüssigkeiten im Handgepäck sind nur bis zu 100 ccm gestattet – selbst halbleere Zahnpastatuben werden konfisziert. Wenn auf der Tube oder der Gesichtswasserflasche die Zahl 50 ccm steht, darf man es mitnehmen – allerdings nur, wenn es in einen durchsichtigen Beutel verpackt ist. Den kann man natürlich jederzeit öffnen. Das ist offenbar ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Terror, auch wenn niemand zu erklären vermag, was dieser Blödsinn soll.

    Noch lustiger wird es im Flugzeug selbst. Jeder weiß, daß bei Terroristen seit dem 11. September 2001 Teppichmesser der Hit sind. Seitdem werden sogar Nagelscheren und -feilen konfisziert, selbst bei den Piloten. Wenn denen im Cockpit ein Fingelnagel abbricht, können sie sich immerhin mit der rasiermesserscharfen Notfallaxt behelfen. Die steckt für den Notfall, falls man bei einem Unfall aus einem Fenster aussteigen muß, in einer Halterung an der Cockpitwand.

    Messer sind eindeutig Terroristengeräte und gehören also nicht an Bord. Damit der harmlose Normalpassagier das zähe Rindergeschnetzelte in der Bordverpflegung auch zerkleinern kann, serviert Condor ein Plastikmesser. Das ist allerdings so scharf, daß sich leicht eine Halsschlagader anritzen ließe. Bei der Air France gibt es immerhin richtige Metallmesser mit Sägezahn – aber Nagelfeilen gelten auch dort als terrorträchtig.

    Ein elfstündiger Transatlantikflug nach Havanna regt unsere Phantasie an. Welch großartiges Terrrorwerkzeug könnte z. B. ein 0,3-L-Rotweinfläschchen sein? Jeder zweite Tatort-Film macht es uns vor: An der nächsten Kante den Flaschenhals abschlagen und schon hat man ein Bedrohungspotential in der Hand, hinter dem jede Nagelschere verblaßt.

    Nun ja, wenn wir es nicht schon wüßten – es geht auch gar nicht um den real exisitierenden Terrorismus bei diesen Sicherheitsmaßnahmen. Es geht um Einschüchterung, Disziplinierung und darum, die Menschen in Angst zu halten. Wer Angst hat, läßt sich leichter steuern und bevormunden. Die wirklichen Terroristen fliegen nicht von Frankfurt/M ab, sondern von Ramstein und Spangdahlem.

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