Ende und Anfang
Mit einem Besucheransturm ist am Sonntag die zehntägige internationale Buchmesse in der kubanischen Hauptstadt zu Ende gegangen.
Noch einmal drängten zig Tausende Literaturfreunde zu den Ausstellerständen, Buchmärkten und Veranstaltungen in die Kasematten der die Hafenmündung überragenden spanischen Kolonialfestung San Carlos de la Cabaña. Auch ohne vorliegende Statistiken über Besucherzahlen oder Buchabsatz läßt sich zweifellos eine positive Bilanz der 17. Auflage der jährlichen »Feria de Libro«ziehen. Für eine endgültige Auswertung ist es zu früh, das Literaturfest findet noch bis zum 9. März eine landesweite Fortsetzung in vierzig weiteren Städten. Damit kommt es der eingeschränkten Mobilität vieler Kubaner im Wortsinne entgegen.
Einen besonderen Glanzpunkt bildete der geistreich-frivole Auftritt des mexikanischen Krimiautors Paco Ignacio Taibo II. Im Mittelpunkt der meist offen und kritisch geführten Debatten stand vor allem die an Widersprüchen reiche gesellschaftliche Realität Kubas. Diesem Ansatz, der sich mit der Ermutigung der Öffentlichkeit zu mehr politischer Einmischung durch den amtierenden Staatschef Raúl Castro deckt, entsprach auch die Auswahl der diesjährigen Ehrenautoren. Der herausragende Essayist Antón Arrufat war in der sogenannten grauen Periode der 1970 Jahre drangsaliert worden, Graziella Pogolotti stellte ihren Band »Die Kulturpolemik der 60er Jahre «vor, der einen Beitrag zur weiter aktuellen Aufarbeitung von ideologischer Bevormundung der Intellektuellen liefert.
Diesjähriges Gastland war die spanische autonome Provinz Galicien, Herkunftsland der Vorfahren einer halben Million Kubaner, darunter der historische Führer seit der Revolution 1959, Fidel Castro Ruz. Mit Beiträgen vertreten waren wichtige Autoren in Galego wie Chus Pato, Miguel Anxo Ferrán Vello, Manolo Rivas oder der Historienschreiber Ramón Villares Paz.
Die Messe ist Literatur- und Volksfest zugleich. Der Eintrittspreis fällt kaum ins Gewicht und die landeseigenen Druckerzeugnisse sind sehr günstig zu erstehen. An Ständen und in Restaurants gab es reichlich zu essen und zu trinken. Manchmal für kubanische Pesos, die Moneda nacional, oft für CUC (Pesos convertible), die nur gegen Devisen zu haben sind. Keine billigen Vergnügungen bei einem monatlichen Durchschnittslohn von etwa 15 Euro.
Die meisten ausländischen Verlage boten ihre Produkte ausschließlich gegen CUC an, wenn auch zu niedrigen Preisen. Ein großer Renner auf der Fiesta waren Comics und Kinderbücher. In den Morgenstunden nahmen regelmäßig zahllose Schulklassen in Pionierkleidung die Festung in Besitz.
Zum vierten Mal in Folge war die junge Welt auf der Buchmesse vertreten, gemeinsam mit der Freundschaftsgesellschaft BRD–Kuba. Ein Kraftakt für Verlag und Redaktion und die vor Ort tätigen Journalisten sowie unsere freiwilligen Helfer am Stand. Unsere Solidarität geht auch nach dem Ende des Boykotts der Buchmesse durch die deutsche Regierung weiter. 2003 hatte diese sich EU-Sanktionen angeschlossen, um Kuba in Sachen Menschenrechten zu belehren: Das souveräne Kuba – und nicht etwa die Betreiber von Guantánamo.
Präsent waren Frankfurter Buchmesse und Auswärtiges Amt, welches eine So-schön-ist-Deutschland-Broschüre unter die Leute brachte. Die junge Welt präsentierte eine andere Sichtweise und hatte erstmals eine spanischsprachige Sonderausgabe dabei, in der über die soziale Wirklichkeit, Friedens- und Solidaritätsbewegung berichtet wurde. Auch gab es in der Internetausgabe der jW einen Blog über die Messe – gespeist direkt aus einem improvisierten Büro neben dem Messestand. Von der jW organisiert, stellte der Linke-Politiker Hans Modrow, moderiert von Harald Neuber, sein Buch »In historischer Mission «einem interessierten Publikum vor. In der Cátedra, einem ehrenamtlichen deutschsprachigen Kulturprojekt an der Universität Havanna, berichteten wir über die Schließung des Nokia-Werkes in Bochum und stellten Studierenden die junge Welt als Projekt und Zeitung vor. In vielen Gesprächen – mit Politikern, Gewerkschaftern, Künstlern oder neugierigen Messebesuchern – tauschten wir uns aus und lernten hinzu. Wir erkundeten den oft surrealen Alltag, erneuerten und vertieften unsere Verbundenheit mit diesem schönen, widerständigen Land.