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»Am besten man schreit«

?Shmaltz! spielen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Ein Gespräch über Klezmer und die DDR-Indie-Band Ornament & Verbrechen (Teil 1)
Interview: Alexander Reich
Nicht grundsätzlich klaustrophobisch: Die Band ?Shmaltz!
Die Musiker der Berliner Band ?Shmaltz! haben sich in Klezmer- und Balkanbands kennengelernt. Ihre Songs zitieren Tänze aus Osteuropa und Südamerika wie Polka oder Cumbia. Im Mai wird eine Neueinspielung ihres Debütalbums »Welcome to Malwonia« (2008) erscheinen. ?Shmaltz! besteht aus: Levante I. N. Patsh (Tuba, Trommel, Gesang) – bürgerlich Detlef Pegelow; Cosmo W. Pepper (Kontrabaß, Gesang, Singende Säge) – Carsten Wegener; Dr. Itzbar Dschucka (Banjo, Tenorhorn, Triangel) – Thomas Schudack; Aurora Mende bzw. Danubia Kakosz (Geige) – Claudia Mende bzw. Vera Kardos; Calypsia Bradzbudjamon (Akkordeon, Toypiano, Gesang) – Paula Sell; Marcia Luxcovia (Posaune, Toypiano) – Anke Lucks

Herr Patsh, spielen Sie Gitarre auf der ersten Independentsingle der DDR, die 1988 als Beilage der Zeitschrift Verwendung – Heft 4 erschien?

Levante I. N. Patsh: Ja. Das ist die Vertonung eines Gedichts des Beatnik-Poeten Bob Kaufman. Die Witwe in Kalifornien hatte das sozusagen erlaubt. In die Wege geleitet wurde es von Christoph Tannert, glaube ich.

Was war das für Musik?

Levante I. N. Patsh: Wir gehörten als Ornament & Verbrechen zur sogenannten Undergroundszene und haben nie festgelegt, daß wir jetzt eine Punkband oder psychodelisch wären, sondern immer ganz verschiedene Einflüsse ausgelebt. Uns war halbwegs scheißegal, was die anderen dachten. Hauptsache, wir hatten unseren Spaß. Wir hatten auch echt seltsame Gigs, zum Beispiel bei DT 64 … – wie hieß die Sendung, die da immer aufgenommen wurde?

Dr. Itzbar Dschucka: Parocktikum.

Levante I. N. Patsh: Genau. Da gab es so einen Musikguru. Der hat uns für den Mitschnitt angefragt, obwohl wir als Ornament & Verbrechen nicht offiziell spielen durften. Also spielten wir als die Detlefs, glaub ich. Unter anderem war da noch Sido – ach nee, quatsch, aus Cottbus …

Dr. Itzbar Dschucka: Sandow.

Levante I. N. Patsh: Genau. Alle hatten eine Einstufung. Wir haben uns ja verweigert und jedesmal gesagt: Leckt uns am Arsch. Trotzdem haben die diesen Radiomitschnitt mit uns gemacht im Lindenhof Potsdam. Das Irre dabei war der Zeitaufwand. Als am Schluß aufgenommen werden sollte, waren alle betrunken. Nur ich nicht. Dementsprechend pur hab ich das musikalische Lustspiel mitgekriegt. Im Radio wurde dann angesagt: ein halbes Dutzend stark angetrunkener junger Männer versuchte, ein Konzert zu geben. Es war wirklich skurril.

Wenn überhaupt, ist Ornament & Verbrechen heute als Band der Lippok-Brüder in Erinnerung.

Levante I. N. Patsh: Ich war von Anfang an als Dritter mit dabei, aber natürlich ist der Kult um die Lippoks, also das Rumkulten, immer gut. Wie hieß noch mal dieser Ostlyriker? Ich vergeß alle Namen. Der durfte immer in den Westen fahren. Der große Undergroundpoet des Ostens …

Dr. Itzbar Dschucka: Sascha Anderson?

Levante I. N. Patsh: Nein, der andere, Bert Papenfuß. Der hat vor einigen Jahren die Struktur von Ornament & Verbrechen in einem Gedicht sehr schön beschrieben. Ronald war der König, Robert war der Prinz und ich war der General. General Pegelow. Ich bin der Stratege gewesen, habe mit meiner Soloeinstufung vor den Gigs die einmalige Spielerlaubnis besorgt und solche Sachen.

Haben Sie die Single aus Heft 4 der Verwendung noch?

Levante I. N. Patsh: Die habe ich an eine hübsche Frau in Portugal geschickt. Ich wollte sowieso die DDR verlassen und dachte: Wozu brauche ich Vergangenheit, wenn ich Zukunft habe?

Läßt sich von Ornament & Verbrechen ein Bogen zu den Klezmer-Bands schlagen, in denen Sie drei sich kennengelernt haben?

Levante I. N. Patsh: Vielleicht. Ornament & Verbrechen waren ja auch bekannt dafür, Partys an der Kunsthochschule zu schmeißen, zum Teil mit Coverversionen von Violent Femmes und so – das waren meine ersten Bewegungen in Richtung Folk. Die Folkszene der DDR, aber auch Zupfgeigenhansel konnte ich nicht wirklich ertragen. Ich hab’ mich nicht als Düsterfürst gesehen, sondern auch Jazz und Bossa Nova gemacht oder haufenweise Salsa gehört, aber was Folk angeht, hat mich nur der amerikanische in Verbindung mit Punk interessiert. Diese Musiker mußten ackern wie die Säue, um überhaupt leben zu können. Da mußt du schon ganz schön Mumm haben, so einen Lifestyle durchzuziehen.

Ist das schon ein Bogen zum Klezmer?

Levante I. N. Patsh: Nein, aber das wird auch nichts mehr. Zum Klezmer bin ich einfach dadurch gekommen, daß ich 1991 meine jüdische Freundin aus Kalifornien kennengelernt habe. Da gab es oft Klezmer als Hausmusik und zum Tanz.

Herr Pepper, wie sind Sie zum Klezmer gekommen?

Cosmo W. Pepper: Mit dem Revival Anfang der 90er, The Klezmatics waren hier damals sehr bekannt. Mich hat die Mischung umgehauen aus orientalischen Melodien und Rock ’n’ Roll. Totale Intensität, aber auch dieses Leidende – das fasziniert mich nach wie vor. Aus demselben Grund mag ich Zigeunermusik. Die wollen was. Vielleicht könnte man so auch den Bogen von Ornament & Verbrechen zu ?Shmaltz! schlagen: Uns ging es von Anfang an darum, verschiedenes zusammenzubringen. Amerikanischer Blues – John Lee Hooker oder Howlin’ Wolf, meine Roots – und Klezmer haben eine emotionale Haltung gemeinsam: Man schreit was raus, und ist nicht wie ein Liedermacher, der einfach nur leidet. Bei ?Shmaltz! versuchen wir, das in eine neue Form zu bringen, mit Musik aus Osteuropa, Südamerika und mittlerweile auch deutschen Texten.



Lesen Sie morgen: ?Shmaltz! über ihr Verhältnis zu Polka und Ska

?Shmaltz! spielen am 12. Januar auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt in der Urania, Berlin

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