Großer Andrang herrschte am Samstag morgen bei winterlichen Temperaturen vor den Wilhelm-Studios im Berliner Stadtteil Reinickendorf. Schon von weitem war erkennbar: Hier musste sie sein, die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2025. Nachdem das Nadelöhr am Eingang überwunden war, füllte sich langsam der Saal. Groß waren auch die Erwartungen auf die diesjährige RLK an neuem Ort. Die Spannung löste sich, als dann pünktlich um 10.30 Uhr das Hannes-Zerbe-Orchester die Konferenz mit jazzigen Klängen furios eröffnete. Die zahlreichen Bläser wandelten zunächst durch das Publikum, bis sie dann zu den anderen Musikern auf der Bühne stießen. Genauso vereinten sich die einzelnen Musikstränge zu einem mitreißenden Stück, dessen solistische Einlagen spontanen Beifall fanden. Es handelte sich um das Stück »Sawod« des russischen Komponisten Alexander Mosorow, das – passend zum Veranstaltungsort, einer alten Industriehalle – die Geräusche einer Eisengießerei nachempfindet. Darauf folgte eine weitere Komposition von Zerbe selbst mit aufrüttelndem Sprechgesang nach dem sowjetischen »Futuristischen Manifest«, das eine neue Epoche und das Ende der »alten Zeit« ankündigte. Den Abschluss bildete Hanns Eisler: Das Orchester spielte die ebenso schräge wie mitreißende Filmmusik zu dem unvergesslichen Klassiker »Kuhle Wampe« von Slatan Dudow: »Vorwärts und nicht vergessen ...« Applaus brandete auf, bevor dann Moderatorin Gina Pietsch auf die Bühne trat. Sie warnte vor der erhöhten Kriegsgefahr, der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps in den USA und begrüßte die zahlreichen Gäste – unter anderem diplomatische Vertreter Russlands, Chinas, Vietnams und nicht zuletzt Kubas. Inzwischen hatten sich auch die Reihen gefüllt. Es kann eng werden! (jt)
Aktuell
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12.01.2025 19:26 Uhr
Furiose Eröffnung mit dem Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester
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12.01.2025 19:26 Uhr
Bildstrecke (1): 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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11.01.2025 14:00 Uhr
Clare Daly: »Wir sind die einzigen Erben von Luxemburg und Liebknecht«
Als erste Referentin begrüßen wir nun Clare Daly, irische Politikerin und bis zum vergangenen Jahr Abgeordnete im EU-Parlament. Mit ihrer kraftvollen Stimme, die sie seit Jahren im Kampf gegen Krieg und Kapital erhebt, führt sie das Publikum in einer Tour de Force durch die Herausforderungen unserer Zeit – und zeigt, wie die herrschende Klasse alles daran setzt, diese Welt zu zerstören. Die EU spielt dabei eine zentrale Rolle und hat sich vollkommen den US-Interessen unterworfen. Der sogenannte Europäische Verteidigungsfonds, die Friedensfazilität – alles Institutionen, die tatsächlich auf Krieg ausgelegt sind. Und den größten Kontrast zu der EU-Propaganda von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten bildet die Unterstützung der »Barbarei, die in Gaza entfesselt« wurde. Und wie schon Julian Assange zum Krieg in Afghanistan erklärte: Das einzige Ziel ist es, das Geld der transnationalen Elite zu waschen.
Allen voran die sozialdemokratischen und »grünen« Parteien weltweit »baden im Blut ihrer Komplizenschaft« und ermöglichen den Genozid mit ihren Waffenlieferungen. Zu diesen deutlichen Worten am Beginn der Konferenz brandet Applaus auf. Dabei sei es unerträglich, so Daly, über das »abschlachten«, das alle täglich verfolgen könnten, zu sprechen. Palästina ist ein Labor, »ein Testfall für die Menschheit« mit einem Staat Israel, der Standards – »die natürlich nicht für uns geschaffen wurden, aber doch eine gewisse Ordnung vorgaben« – nach dem Zweiten Weltkrieg außer Kraft gesetzt hat. Und Daly macht klar, »niemand kommt, um uns zu retten«. Es liege an der weltweiten Arbeiterklasse, den Kampf gegen Krieg und Militarisierung aufzunehmen. Gaza zeige, was uns alle erwarte, und wir alle müssten unsere Anstrengungen verdoppeln. »Wir sind die einzigen Erben von Luxemburg und Liebknecht.«
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12.01.2025 19:25 Uhr
Die junge Welt in eigener Sache
Eine Konferenz wie die RLK ist nicht billig. Daran erinnerten Verlagsleiter Sebastian Carlens und der leitende Chefredakteur Daniel Bratanovic im Anschluss an den Beitrag von Kwesi Pratt. Carlens bezifferte die Ausgaben auf ganze 300.000 Euro. Diese stolze Summe müsse irgendwie wieder reinkommen, und selbstverständlich ist auch eine tägliche Zeitung kostspielig. Es gibt aber für die junge Welt und den Verlag 8. Mai keine Zuwendungen von Institutionen wie dem Staat oder der Kirche. Also bleiben vor allem Spenden – und nicht zuletzt Abos, Abos, Abos, um die gedruckte Ausgabe zu erhalten, auf die die junge Welt gegen den Trend nach wie vor setzt. Jonas Pohle vom AVZ-Verlag mahnte, dass für die im Sommer begonnene Aktion »3.000 Abos für die Pressefreiheit« noch 700 fehlen. Diese war nach dem enttäuschenden Urteil in dem Prozess gegen die BRD wegen der Verfolgung durch den Inlandsgeheimdienst gestartet worden. jW-Mitarbeiterin Jeannette Quaas wies auch auf die Unterstützerinitiativen für die jW hin, die es bundesweit gibt bzw. die noch gegründet werden. Auch werden weiter Helfer gesucht für die Aktionen der Zeitung am 1. Mai. Um alle Anstrengungen zu koordinieren, gibt es monatlich einen eigenen Unterstützer-Newsletter. Vor dem nächsten Wortbeitrag spielte dann das Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester eine weitere Komposition von Hanns Eisler, die »Kleine Sinfonie«. (jt)
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12.01.2025 19:23 Uhr
Yücel Demirer: Der Weg, um imperialistische Kriege zu beseitigen, führt über den Kampf gegen das kapitalistische System,
Der Politikwissenschaftler Yücel Demirer aus der Türkei, der seine Anstellung an einer Universität aufgrund seiner Unterstützung eines Friedensappells verloren hat, kann nicht persönlich an der Rosa-Luxemburg-Konferenz teilnehmen, da er nicht rechtzeitig ein Visum erhalten hat. In seinem Videobeitrag widerspricht er zwar dem Motto der diesjährigen Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, wonach sich der westliche Imperialismus bereits im Niedergang befinde. Gleichwohl setzte der Imperialismus auf Krieg und Faschismus als »Lösung«, wie die Entwicklungen in der Ukraine und Syrien zeigten.
Demirer sieht zwei grundsätzliche Trends: Nach dem Ende der Konfrontation mit dem sozialistischen Block ist seit den 1990er Jahren das relative Gleichgewicht gebrochen, und Kriege unterschiedlicher Dimension haben zugenommen. Zum anderen wurden in vielen Teilen der Welt in den letzten Jahren gemäßigte Mitte-rechts-Parteien durch autoritäre und faschistische Parteien ersetzt und der Rahmen der bürgerlichen Demokratie erschüttert.
Es zeige sich, dass Kriege und regionale Konflikte mit imperialistischen Motiven von autoritären Regierungen zur Legitimierung ihrer antidemokratischen Praktiken genutzt werden. Imperialistische Staaten oder Regionalmächte, die am imperialistischen Aufstieg teilhaben wollen, nutzen diese Konflikte auch zur Herrschaftssicherung im Inneren. Hier verweist Demirer auf das Beispiel des Erdogan-Regimes in der Türkei, das die Entwicklungen in Syrien seit dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad genutzt hat, um im eigenen Land trotz wirtschaftlicher Krise und Verarmung der Arbeiterklasse Unterstützung zu gewinnen.
Weiterhin setzte sich Demirer mit bürgerlichen Legitimierungspraktiken für imperialistische Kriege auseinander, mit denen es gelingt, Teile der Arbeiterklasse unter patriotischen Parolen für den Kriegskurs zu gewinnen. So mache die Betonung des Machtkampfes zwischen den Ländern den Konflikt zwischen den Kapitalfraktionen unsichtbar und stelle die Ausbeutung in den Schatten.
Dies gelte es von kommunistischer Seite im Antikriegskampf mit einem Diskurs zu kontern, der auf das Alltagsleben der Arbeiterklasse zielt und imperialistische Verzerrungen auch in der Sprache entschleiert.
Der Weg, um imperialistische Kriege und das Gemetzel und Elend der Kriege generell zu beseitigen, führt über den Kampf gegen das kapitalistische System, betont Demirer abschließend.
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12.01.2025 19:25 Uhr
Eine andere Welt ist möglich!
Verschiedenste Konfliktherde schwelen in Westafrika: Islamistische, dem IS nahestehende Rebellen proben den Aufstand – besonders davon betroffen sind Tschad, Burkina Faso, Mali und Niger. Verstärkt wird dies durch die Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA), die in Nordmali eine unabhängige Republik gründen will.
Ein weiterer Krisenherd ist Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, in dem die Hälfte der gesamten westafrikanischen Bevölkerung lebt: Im Osten des Landes, in der Region Biaffra, findet ein sezessionistischer Aufstand statt, im Nordosten treibt die Miliz Boko Haram ihr Unwesen, und auch die Situation im Nigerdelta ist schwierig. Das Problem: Wenn Nigeria explodiert, dann wird das die gesamte Region ins Wanken bringen.
Noch immer befinden sich US-Militärbasen in der Region, so auch auf dem internationalen Flughafen Ghanas, die die Kämpfe der Beschäftigten (Proletarier?) bedrohen. Der Kampf gegen diese westlichen Militärs nimmt zu – so haben Niger, Burkina Faso, Mali und Tschad westliche Militärs Schritt für Schritt aus dem Land gejagt. Dennoch ist der Imperialismus weiter stark: In den französischsprachigen Ländern, die die Währung CFA-FRANC benutzen, müssen noch immer Zinsen gezahlt werden, um eigenes Geld zu leihen. Um sich aus diesen neokolonialen Verstrickungen zu befreien, hat sich die Westafrikanische Volksorganisation (West African Peoples Organisation) gegründet, ein Netzwerk panafrikanischer Bewegungen und Organisationen.
Während Afrika für seine Unabhängigkeit kämpft, dürfe nicht vergessen werden, dass auch die Welt in Flammen steht: Das israelische Apartheidsregime verübt einen Genozid im Gazastreifen, Marokko hält entgegen von UN-Resolutionen und öffentlicher Meinung die Demokratische Arabische Republik Sahara weiter besetzt, die USA führen mit einer Wirtschaftsblockade einen tödlichen Kampf gegen die unabhängige Regierung Kubas. Auch gegen Venezuela gehen die USA vor, weil ihnen die Wahlentscheidung des venezolanischen Volkes nicht passt. Nicht zu vergessen sind der Ukraine-Krieg, den die NATO mit ihrem Verhalten gegenüber Russland vom Zaun gebrochen hat, und die Provokationen gegenüber China mit der US-Politik der strategischen Zweideutigkeit.
Trotz alledem, das macht Pratt in seinen Schlussbemerkungen unmissverständlich klar: Eine andere Welt als die des Hungers, des Analphabetismus, des Krieges und des aggressiven Imperialismus ist möglich. Und zwar, »indem wir uns die Hände reichen und zusammenarbeiten, sodass wir gemeinsam eine Welt aufbauen, in der kein Kind mit leerem Magen schlafen gehen muss und in der uns der Boden gehört, auf dem wir stehen.«
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12.01.2025 19:25 Uhr
Grußbotschaft von Mumia Abu-Jamal
Seit 43 Jahren sitzt er zu Unrecht aus rein politischen Gründen im Gefängnis: der US-amerikanische Autor und Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal. Lesern der jungen Welt ist er durch seine regelmäßigen Kolumnen bekannt. Gina Pietsch bittet Jennifer Black auf die Bühne. Sie ist Ärztin und Mitarbeiterin des Prison Radio in den Vereinigten Staaten, das Mumias geschliffene Glossen übermittelt und sich für die Abschaffung des repressiven Gefängnissystems in den USA einsetzt. Sie berichtet davon, dass der Fall Mumia paradoxerweise in Pennsylvania, von wo Mumia stammt und wo er im Gefängnis festgehalten wird, weniger bekannt ist als in Deutschland. Im Anschluss wird eine Grußbotschaft Mumias eingespielt. Er spricht über den Rechtsruck nicht allein in den USA und die Furcht, die permanent gesät wird, um die Gesellschaften vor allem in den reichen Ländern noch weiter nach rechts zu rücken: Furcht vor sogenannten Migranten, Furcht vor Transpersonen, Furcht vor allem … Mumia zitiert keinen Geringeren als US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der 1934 sagte: »Das einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.« Auch erinnerte er an das Credo aller aufrechten Linken, dass die Arbeiterklasse keine Heimat habe. »Wir können uns organisieren: Migranten, Arbeiter, LGBTQ …« Denn: »Furcht ist nicht mehr als eine Emotion.« Zu Beginn des Programmpunktes hatte Moderatorin Gina Pietsch bereits daran erinnert, dass Mumia Abu-Jamal nicht der einzige politische Gefangene in den USA ist. Insbesondere der indigene Aktivist Leonard Peltier – der noch länger einsitzt als Mumia, und zwar seit 1977 – könnte aufgrund einer ruinierten Gesundheit und mangelnder medizinischer Versorgung die Haft nicht überleben. Nur noch etwas mehr als eine Woche bleibt für die fällige Begnadigung durch den scheidenden US-Präsidenten Joe Biden. (jt)
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12.01.2025 19:25 Uhr
Bildstrecke (2): 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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12.01.2025 19:24 Uhr
Stück gegen Krieg und Untertanengeist
Ein höchst aktuelles Minidrama führten im Anschluss an den spannenden Vortrag von Dietmar Dath Anja Panse und Anna Keil auf: »Clara Z. – kämpfen, wo das Leben ist«. Sie schlüpften in die Rollen von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, die sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs zu einem fiktiven Gespräch treffen, in dem es vor allem um den Opportunismus der Sozialdemokraten angesichts des aufziehenden imperialistischen Massenschlachtens geht. Mit der Ausnahme Karl Liebknechts unterstützte die SPD im Reichstag damals die für die Kriegführung erforderlichen, von der Regierung geforderten Kredite. Ganz ähnlich wie in der gegenwärtigen Situation, in der es wieder darum geht, einen angeblichen »Verteidigungskrieg« gegen Russland zu führen. Doch egal, ob Angriff oder Verteidigung – »alle Kriege müssen aufhören«, so Clara und Rosa einmütig, die zugleich fragen: »Was ist aus der SPD geworden?« Auch geht es in dem kleinen Stück um den deutschen Untertanengeist: »Die Regierung pfeift, und die Abgeordneten tanzen.« Clara und Rosa lassen in dem Dramolett wie in der Realität keinen Zweifel: Solange das Kapital herrscht, werden die Kriege nicht aufhören. (jt)
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12.01.2025 19:25 Uhr
Dietmar Dath: KI ist mehr als Technik, es ist eine Neuformierung der Ausbeutung
Alles soll sie können, die Artifical General Intelligence, womit die leidige Arbeit passé sein könnte. Doch dieses aktuelle Versprechen der bürgerlichen Gesellschaft ist ebenso glaubwürdig wie das Versprechen der Menschenrechte, erinnert der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath in seinem Vortrag. Oder des Weltmarktes, der mittels Angebot und Nachfrage auch nicht den Wohlstand für alle brachte.
Die KI-Entwicklung lief wie immer im Kapitalismus im Schnelldurchlauf: Von Non-Profit zu Profit. Sie verbindet wie das Internet offenbar Menschen, vereinzelt sie aber vor allem. Es geht um ein Koordinationsmonopol auf das, was wir wissen.
Schon früh waren bei dieser Entwicklung die US-Demokraten an Bord. Wer das weiß, schaut anders auf eine scheinbare Bromance zwischen Donald Trump und Elon Musk. Zerfall des Geistes im Monopolkapitalismus bedeutet heute auch: Nachwuchssorgen selbst bei den Intelligenzjobs der MINT-Fächer. Wenn du auf der Galeere die guten Jobs streichst, starren die Ruderer nur auf ihre Ketten – oder halt die Smartwatch. Die Lieferkette des Wissens wird zur Befehlskette.
Wir werden von Programmen imitiert mithilfe von sehr viel Trainingsmasse. Die Aufmerksamkeitsspanne der Maschinen steigt, die der Menschen sinkt, dank ständiger Behelligung mit Push-Meldungen etc. Vor einigen Jahren ging es noch darum, jeden Nischenmarkt zu erschließen, heute geht es nur noch darum, Ramsch loszuwerden. Das ist Teil des offen autoritären Turns des Silicon Valley. Lenin nennt das die Fäulnis des Imperialismus. Weltweite Gewerbefreiheit für die heutigen Monopole ist unvereinbar mit Demokratie, ein Vordenker der Fascho-Technokratie wie Curtis Yarvin sagt das ganz offen. Der Staat soll geführt werden wie ein Unternehmen.
Wie sorgt man für Massenanhang für so was: Mit Populismus. Dagegen ist kein Kraut des bürgerlichen Humanismus gewachsen.
KI könnte in einer tatsächlichen »Leistungsgesellschaft« große Chancen bieten, ist Dath überzeugt. Aber das seien Gedankenspiele. Entscheidend sei: Wo sind die Kämpfe, wie laufen die Kämpfe, wie sind die Kräfteverhältnisse? Ohne soziale Kräfte, die aus Einfällen Verhältnisse machen, passiert nichts. Hemmt KI diesen Kampf oder stimuliert sie ihn? Eins bringt die KI: Sie bedeutet eine Verkürzung der Lernwege. KI ist mehr als Technik, es ist eine Neuformierung der Ausbeutung. Dieser Monopolismus frisst Gesellschaft und scheißt Privatinteresse aus. Nur im Kampf gegen die Klasse, die diese Art Ausbeutung organisiert, ist irgendeine Form von Humanismus vorstellbar – diese Botschaft gibt Dath dem Publikum mit. (pm)
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12.01.2025 19:24 Uhr
Jugendpodium gegen Krieg und Sozialabbau
Das war eine starke Diskussion, die fünf Vertreter von Jugendorganisationen der Gewerkschaften, der DIDF-Jugend und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) auf der RLK darboten. Sie erzählten von ihrem Kampf gegen sozialen Kahlschlag, Stellenabbau und Krieg, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. In Berlin wollten Erzieher zum Beispiel einen Erzwingungsstreik durchführen, der aber vom Gericht verboten wurde, wie Jim von der Jungen GEW erzählte. Denn gleichzeitig tagte bundesweit eine Tarifkommission. Der Abbruch sei bedauerlich gewesen, wie Jim rekapituliert. Denn der Erziehungsbereich hätte ruhig einmal komplett zusammenbrechen sollen, um die Bedeutung der Arbeit zum Beispiel in den Kitas allgemein vor Augen zu führen. Auch versicherte Jim: »Streiken macht Spaß.« Er hatte klare Ratschläge an die Gewerkschaftsführungen: Die Forderungen der Gewerkschaft müssten den Mitgliedern und den Streikenden »schmecken«, nicht den Verhandlungsführern. Die Vorstellung, dass die Gewerkschaft ruft, und die Streikenden kommen, sei veraltet. Die Konzerne hätten vor allem eine Stellschraube, an der leicht zu drehen ist, sagte Henrik von der Jugend der IG Metall. Das sei das Personal. Er arbeite bei Bosch, und die Firma wollte Stellen abbauen und Fertigungsstätten ins Ausland verlegen – einzig, um die sogenannte EBIT-Rate zu verbessern, was wichtig ist, um günstig an neue Kredite zu kommen. Hier regiere auch auf betrieblicher Ebene gewissermaßen das »Diktat der schwarzen Null«.
Beklagt wurde zudem, dass Streikmaßnahmen immer mehr diffamiert werden, zum Beispiel im öffentlichen Personenverkehr. Das gehe so weit, dass sogar über Streikverbote nachgedacht werde, obwohl die Zulässigkeit von Streiks ohnehin geregelt ist. Hinzu komme eine Entpolitisierung der Gewerkschaften, die früher einmal ein bedeutender Teil der Friedensbewegung waren. Wer sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine einsetze, würde auch in der Gewerkschaft häufig als »Putin-Freund« verunglimpft, wer ein Ende des Gazakriegs fordere, als »Antisemit«. Dabei gebe es einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Krise und den Kriegen. Doch die Militarisierung erfasse mittlerweile die ganze Gesellschaft. Die Teilnehmer waren sich einig: Der Antiimperialismus müsse in die Schulen, an die Universitäten und in die Betriebe getragen werden. Vorbild dabei könnten Italien oder Griechenland sein, wo Gewerkschafter Waffenlieferungen an die Ukraine oder Israel verhinderten. (jt)
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12.01.2025 19:24 Uhr
Mitreißende Konzerteinlage
Im Anschluss an das aufschlussreiche Jugendpodium heizten die beiden Musiker Ezé Wendtoin und Mal Élevé dem dieses Jahr ausgesprochen jungen Publikum der RLK ein. Ezé Wendtoin kommt aus Burkina Faso – wie Moderatorin Gina Pietsch erklärte, heißt der Name übersetzt »Land der Aufrechten«. Mal Élevé (zu deutsch »schlecht erzogen«) wiederum wurde als Sänger der Heidelberger Gruppe Irie Révoltés (in etwa »Glückliche Aufständische«) bekannt, die allerdings 2017 aufgelöst wurde. Beide Sänger wandten sich in ihren Songs zwischen Pop und HipHop vor allem gegen den Rechtsruck, gegen Rassismus und Faschismus. Auch erinnerten sie an den derzeit stattfindenden AfD-Parteitag in Riesa – während zur gleichen Zeit über soziale Netzwerke Nachrichten eintrafen, dass ein Abgeordneter der Partei Die Linke dort bei einer Gegendemonstration übel von Einsatzkräften malträtiert worden sei. »Faschismus! Warnung! Sie kommen nicht durch!« sang Mal Éléve unter dem Beifall des Publikums. (jt)
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12.01.2025 19:23 Uhr
Bildstrecke (3): 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
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12.01.2025 19:23 Uhr
Für sofortigen Waffenstillstand
Die Saalmanifestation ist wie immer aktuellen internationalen Kämpfen gewidmet. »Unblock Cuba! Free Palestine!« ist das Motto. George Rashmawi, Vorsitzender der Union der palästinensischen Gemeinden, Institutionen und Aktivitäten in Europa, spricht über die Lage in Gaza. Der Konflikt habe nicht am 7. Oktober 2023 begonnen, betont er, sondern mit den Vertreibungen von 1948. Seit 15 Monaten herrsche in Gaza ein Inferno, vor den Augen der Weltöffentlichkeit werde ein Völkermord verübt. Die Berichterstattung in Deutschland darüber erreiche nicht einmal das kritische Niveau von Teilen der israelischen Presse. Und die deutsche Regierung interveniere vor dem Internationalen Gerichtshof zugunsten der israelischen Regierung. Die Kriegsverbrechen hätten derweil ein solches Ausmaß angenommen, dass der Internationale Strafgerichtshof sich gezwungen gesehen habe, Haftbefehle gegen den israelischen Ministerpräsidenten und den ehemaligen Verteidigungsminister zu erlassen. George Rashmawi fordert zum Abschluss einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza.
Emilia Neurys, Tierärztin und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, spricht über die schwierige Lage in Kuba, wo die jahrzehntelange US-Blockade und eine Häufung von Naturkatastrophen gravierende Auswirkungen haben. Sie betont, dass der Kampf auch international nur zu gewinnen sei, wenn die linken und progressiven Kräfte einig bleiben. Von »Spaltung und Sektiererei« profitiere nur der Imperialismus. Ausdrücklich spricht sie sich für das Recht des palästinensischen Volkes auf einen unabhängigen Staat in den Grenzen von vor 1967 und mit Ostjerusalem als Hauptstadt aus. In Kuba werde die Kommunistische Partei Kubas gemeinsam mit dem Volk den Aufbau des Sozialismus vorantreiben: »Wir werden unermüdlich arbeiten!« Die in vielen Jahren des Kampfes errungene Souveränität werde verteidigt. (jW)
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12.01.2025 19:23 Uhr
»Diese EU ist nicht reformierbar.«
Peter Mertens, Generalsekretär der belgischen Partei der Arbeit (PVDA-PTB), spricht über das Thema »europäische Friedensordnung«. Die USA, die ihre globale Hegemonie nicht aufgeben wolle, stehe heute vor Herausforderungen wie noch nie in der Geschichte. China sei viel stärker, als es die Sowjetunion je war. In diesem Kontext wolle die EU nach dem Bekunden von Ursula von der Leyen lernen, die »Sprache der Macht zu sprechen«. Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte seien seit der Nachkriegszeit Juniorpartner der USA. In diesem Zusammenhang entstand die Idee einer europäischen Einigung, und am Anfang habe ein kollektiver Neokolonialismus gestanden. Seit 2022 werde nun systematisch die Steigerung der Militärausgaben betrieben. Mehr Kanonen, mehr Gewehre sei die neue »Geostrategie« der EU.
Europas Position habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg, mit Bretton Woods 1944, als der Dollar zum Weltgeld aufstieg, und vor allem mit den erfolgreichen antikolonialen Kämpfe geändert. Mit den Verträgen von Rom 1957 und der damit erfolgenden Prozesse der politischen und ökonomischen Kooperation der europäischen Staaten in den EG hat sich, wie der ghanaische Präsident Kwame Nkrumah festgestellt habe, ein Neokolonalismus des gemeinsamen europäischen Marktes entwickelt.
Sieben Jahrzehnte nach dem Vertrag von Rom ist die Europäische Union in schlechtem Zustand, sagte Mertens. Offene Geopolitik und bisher ungekannte Aufrüstung seien die Losungen des Tages. Mertens stellte die rhetorische Frage, warum die riesigen Summen, die in die Rüstungen fließen, nicht an Krankehäuser, nicht an Schulen, nicht für den Aufbau einer Friedensordnung dienen. Alles werde auf dem Altar der Rüstungsproduktion geopfert, der Green Deal ist beerdigt worden.
Europa sei inzwischen immer tiefer in die Krise gerutscht. Rezession in Deutschland, Macron in Frankreich abhängig von Marine Le Pen, die Niederlande haben sich den Grillen von Geert Wilders unterworfen, eine ultrarechte Regierung in Italien und wahrscheinlich bald auch in Österreich. Belgien sei Weltmeister in nicht endenden Regierungsverhandlungen, die Widersprüche zwischen Frankreich und Deutschland verschärfen sich. Die Europäische Union verstricke sich immer tiefer in Widersprüche. Mertens: »Die EU der Krise und des Krieges ist nicht reformierbar. Wir brauchen eine komplett anderes Europa.«
Dabei sei die Wut der Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Europa groß. Marxisten sollten den Willen zu radikaler Änderung erkennen und damit umgehen. Mertens rief dazu auf Arbeiterparteien mit dem Ziel Sozialismus zu gründen, und politisch die großen Fragen bündeln: »Pensionen statt Kanonen, Löhne statt Kanonen, Schulen statt Kanonen, Gesundheitswesen statt Kanonen, Öcologie statt Kanonen, Demokratie statt Kanonen, Sozialismus statt Krieg.«
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12.01.2025 19:23 Uhr
Solidarische Grüße
Rolf Becker trägt eine Grußbotschaft der inhaftierten Daniela Klette vor. Klette sitzt seit 2024 in Vechta in Haft, derzeit bereitet die Justiz den Prozess gegen sie vor. Sie habe sich immer als Teil der weltweiten Bewegungen gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Kapitalismus, Krieg und Militarismus gesehen, schreibt Klette. Die Mächtigen rüsteten für den Erhalt ihrer Macht für den großen Krieg, die Armut wachse, der Kapitalismus steuere auf eine ökologische Katastrophe zu. Der Zustand der heutigen Welt zeige, dass die Fragen nach Überwindung dieser Zustände gerechtfertigt waren. »Wir werden diese Fragen nur in großen Bewegungen beantworten können«, betont Daniela Klette – und dafür gibt es starken Beifall. Die Inhaftierten seien im Gefängnis, weil revolutionäre Kämpfe delegitimiert werden sollten. Der Prozess gegen sie sei ein Prozess gegen eine antikapitalistische, linksradikale, emanzipatorische Opposition, »gegen alle, die sich mit der Frage der Überwindung des Kapitalismus auseinandersetzen«. Sie freue sich über jegliche Solidarität und über jeden, der zu ihrem demnächst beginnenden Prozess komme. Sie schließt mit solidarischen und kämpferischen Grüßen. (jW)
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12.01.2025 19:22 Uhr
Über die Kanonen reden
Im Rahmen der abschließenden Podiumsdiskussion diskutiert jW-Chefredakteur Nick Brauns mit Petra Erler (Autorin/SPD-Mitglied), Mark Ellmann (DKP/GEW), Ulrike Eifler (Die Linke/IG Metall) und einem Vertreter von »Rheinmetall entwaffnen« über die Frage, wie die Aufrüstung in Deutschland zu stoppen ist. Ulrike Eifler sagt auf die Frage, was die »Zeitenwende« für die Menschen in den Betrieben bedeute, dass das ein Frontalangriff sei. Die »Zeitenwende« werde von den arbeitenden Menschen bezahlt. Es werde ein Klima des Verzichts erzeugt – die Zeitenwende sei auch eine Umverteilungsstrategie. Mark Ellmann verweist, angesprochen auf die Analyse der DKP zum »reaktionär-militaristischen Staatsumbau, auf den Zusammenhang von reaktionärer Entwicklung und Sozialabbau im Inland und Aggressivität nach außen. Die Verfassungsrealität verändere sich, etwa im Bereich der Meinungsfreiheit. Petra Erler betont, dass die Mehrheit der Menschheit nach Verständigung und Frieden suche – der deutsche Mainstream dagegen stehe für eine Minderheit. Der Vertreter von «Rheinmetall entwaffnen» sagt, dass Konzerne wie Rheinmetall auf dem Weg in die «gesellschaftliche Mitte» seien. «Rheinmetall entwaffnen» versuche, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass in Deutschland die Waffen hergestellt werden, mit denen in anderen Ländern getötet wird.
Nick Brauns fragt Ulrike Eifler, wie vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen über die Stellung zur Friedensbewegung der Stand der Debatte in der Linkspartei ist. Eifler sagt, dass sie es regelmäßig erlebe, dass die Linke häufig nicht mehr als Friedenspartei wahrgenommen werde. Ein aktueller schwerer Fehler sei, dass im Bundestagswahlkampf, während andere über Kanonen statt Butter sprächen, von der Partei vor allem über Butter, aber kaum über die Kanonen gesprochen werde. Eigentlich müsse die Linkspartei die Infrastruktur der Friedensbewegung, die seit dem NATO-Krieg gegen Serbien 1999 schwer angeschlagen sei, stärken.
Petra Erler fordert von der SPD eine neue Entspannungspolitik. Das sei keine Illusion. Diplomatie und Verständigung seien allerdings kriminalisiert. Mark Ellmann betont, dass ein Zusammengehen mit der AfD in der Friedensfrage keine Option sei. Die AfD sei eine Alternative für das herrschende Monopolkapital. Der Vertreter von «Rheinmetall entwaffnen» konstatiert eine «gewisse Orientierungslosigkeit» in der Friedensbewegung. Die Friedensbewegung sei aber noch nie eine «homogene Truppe» gewesen. Wichtig sei, eine Klassenposition und eine antikapitalistische Orientierung in die Friedensbewegung hineinzutragen. Teile der «radikalen Linken» seien allerdings «umgekippt» und für Waffenlieferungen.
Petra Erler sagt mit Blick auf die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen, dass die Grundsatzentscheidung darüber bereits 2017 gefallen sei. Jeder Vermittlungsversuch, den INF-Vertrag zu retten, sei unterminiert worden. In Deutschland würden diese US-Entscheidungen einfach nachvollzogen. Hier gehe es um Angriffswaffen, nicht um Verteidigungswaffen. Es gehe den USA darum, territoriale Verteidigungssysteme in Russland und China «zu knacken».
Mit Blick auf die gewerkschaftliche Diskussion sagt Ulrike Eifler, dass die Integration der Gewerkschaften in den Regierungskurs ein großes Problem sei. Aber es gebe Kollegen, die dafür kämpfen, dass die Gewerkschaften Teil der Friedensbewegung sind. Die Frage der Mittelstreckenraketen spiele in dieser Diskussion eine sichtbare Rolle. Die Gewerkschaften seien unersetzlich für die Friedensbewegung, in der die «Kraft der Klasse» zur Geltung kommen müsse. Mark Ellmann sagt, dass es bereits gewerkschaftliche Friedensproteste gebe. Aber oft fehle noch der Mut, diese gesellschaftliche Auseinandersetzung zu führen. Man dürfe nicht den Fehler machen, sich Gedanken über die Probleme der Herrschenden zu machen, während die Herrschenden tägliche neue Probleme für die Arbeiterklasse schaffen. (jW)
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08.01.2025 19:30 Uhr
Bewegungen verbinden
Traditionell bildet die Podiumsdiskussion den Abschluss der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie steht dieses Mal unter dem Motto »Kriegstüchtig? Nie wieder! Wie stoppen wir die Aufrüstung in Deutschland?« Wie in den Jahren zuvor haben wir die Diskutantinnen und Diskutanten auch in diesem Jahr gebeten, ihren Standpunkt vorab vorzustellen. (jW)
Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind gegen die Lieferung des Marschflugkörpers »Taurus« an die Ukraine. Laut ARD-»Deutschlandtrend« vom November findet sich in dieser Mehrheit fast jeder zweite Union-Wähler wieder. Deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz formuliert mittlerweile »Bedingungen« für die »Taurus«-Lieferung, damit Deutschland keine Kriegspartei werde. Sollte Merz Kanzler werden, so ist also auch er, wie sein Vorgänger im Amt, mit der mangelnden Kriegstüchtigkeit der Wählerinnen und Wähler konfrontiert.
Bellizisten, also verbale Kriegstreiber in Leitmedien und Parteien, wurden nicht müde, den scheidenden Kanzler als »Zweifler« darzustellen, der zu »zögerlich« an der Eskalationsspirale drehe. Dabei endet mit der Regierung Scholz eine SPD-geführte Koalition, die geschafft hat, woran die Außenpolitik des deutschen Imperialismus seit der Euro-Krise verstärkt arbeitet: die Schaffung einer Heimatfront für eine deutsche Führungsrolle in Europa und damit in der Welt.
Besondere Dienste haben dabei – wie schon beim Aufstieg der AfD – die großen Medien geleistet. Trotzdem ändern sich die Zustimmungsraten zu mehr Waffenlieferungen und Kriegseskalation kaum. Statt dessen fühlt die Mehrheit, als könnte sie ihre Meinung zu politischen Themen nur hinter vorgehaltener Hand äußern. Kein Wunder, wird doch jegliches Befürworten von Diplomatie und Abrüstung als Auftragsarbeit für den Kreml oder andere »Feinde« abgetan.
Kein Geld für Sozialklimbim
Die 30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz findet fast drei Jahre nach der Verkündung der »Zeitenwende« statt. Diese ist ihrem Wesen nach ein militaristisch-reaktionärer Umbau der gesamten Gesellschaft mitsamt Sozialkahlschlag zum Zwecke der Schaffung der Kriegsfähigkeit gegen Russland. Seitdem die Kriegskredite mit dem Titel »Sondervermögen« durch den Bundestag geprügelt wurden, wird die Bundeswehr aus- und aufgerüstet. Der zurecht unbeliebte damalige Finanzminister Christian Lindner läutete dafür das Ende der »reinen Verteilungspolitik« ein. Das ist die Kehrseite der »Zeitenwende«, denn wenn alle Gelder in militärische Aufrüstung gesteckt werden, bleibt nichts mehr für Soziales, Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur.
Und so steht das »Bürgergeld« auf der Kürzungsliste der nächsten Regierung. Dazu kommen Überlegungen zur Reform von Kündigungs- und Arbeitsschutzgesetzen und konkrete Stellenabbaupläne in der Industrie. Ebenfalls gekürzt werden soll die Unterstützung für Menschen, die vor Krieg fliehen. Gegen Kinderarmut oder marode Krankenhäuser ist kein Geld da, statt dessen gibt es Kassenbeitragserhöhungen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung bei zeitgleicher Ankündigung von weiteren Krankenhausschließungen.
Währenddessen wird ein »Operationsplan Deutschland« bekannt und von tausend Kriegsverletzten täglich gesprochen, die künftig in den Kliniken behandelt werden sollen – während alle wissen und viele täglich als Beschäftigte oder Patienten erfahren müssen, dass das Gesundheitssystem schon jetzt am Anschlag ist. Im vergangenen Jahr zeigten Brückeneinstürze das ganze Dilemma kaputtgesparter Infrastruktur.
Der Kriegskurs verschärft, was wir schon in Friedenszeiten ertragen müssen: Bildung, Gesundheit, Heizung, Brot und Frieden – nichts davon hat dieses System für uns übrig.
Tagtägliche Propaganda für die Verlängerung von Kriegen führt zum Diskursbruch durch Fake News. Die ständige Wiederholung der Narrative, nach denen Russland gegenüber der NATO eine Bedrohung darstelle zum Beispiel, trifft auf eine anderslautende Realität: Selbst die europäischen NATO-Staaten ohne die USA liegen bei ihren militärischen Budgets, Truppenstärken und Waffensystemen vor Russland, wie eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie nachweist. Oberst a. D. Richter stellt für die Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass die Eskalationsgefahr hingegen von der realen Bedrohung durch die NATO gegenüber Russland abhängt, also konkret davon, ob »der Westen« oder die NATO ihr Ziel nach »Siegfrieden« und »Regime-Change« in Russland erreichen und umsetzen können. Diese Argumente nicht zu würdigen, schränkt, wie das Gerede von »Staatsräson« und »schweigender Mehrheit« (Robert Habeck), die gelebte Verfassungsrealität des Grundrechts der Meinungsfreiheit ein.
Es ist die auf Spaltung der Arbeiterklasse ausgelegte Aufrüstungs- und Kriegspolitik des Monopolkapitals, die den Nährboden für den gesellschaftlichen Rechtsruck mitsamt dem Aufstieg der AfD mit ihrem faschistischen Flügel bietet. Die Abschaffung des Asylrechts durch die Grenzschließungen der SPD-Grünen-FDP-Regierung – getrieben von CDU und CSU, die schon neue »Obergrenzen« fordern – sorgt für Hetze statt für Lösungen. In diesem Klima kann sich die AfD als scheinbare »Alternative« präsentieren, indem sie »brennendste Nöte und Bedürfnisse« wie Energiepreise und Eskalationspolitik anspricht. Dabei steht die AfD für die NATO und kann sich doch als schärfster Kritiker des NATO-Kriegskurses gegen Russland inszenieren. Sie inszeniert sich als Alternative für Deutschland bzw. der arbeitenden Leute und bekommt dafür lobende Worte vom reichsten Mann der Welt, dem US-Regierungsberater Elon Musk.
Ablenkungsmanöver
Dabei zeigt die Migrationspolitik der AfD-Konkurrenten von CDU bis SPD deutlich, dass das Monopolkapital die durch Ausbeutung und Kriege verursachte Migration nutzt, um die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen zu verschärfen und um von den konkreten Maßnahmen der Kriegspolitik abzulenken: Für die langen Wartezeiten beim Arzt seien nicht die mangelnden Sozialausgaben aufgrund der Kriegskredite verantwortlich, sondern die Ausländer, will uns der nächste Kanzler glauben machen. Für die vielen Verspätungen bei der Bahn sind diesen Politikern zufolge auch die streikenden Bahnangestellten schuld und nicht das Management. Da ist es nur konsequent, dass dieselben Kräfte die Einschränkung des Streikrechts fordern und dabei wie selbstverständlich einen Übergang zur Kriegswirtschaft organisieren.
Die deutsche Außenpolitik, genauer die Außenpolitik des deutschen Imperialismus, der mit der Euro-Krise ab 2008 die dominante Rolle in EU-Europa einnahm, sieht sich heute mit neuen Problemen und steigender Abhängigkeit von den USA konfrontiert. Der EU-Austritt Großbritanniens, die gescheiterten Versuche einer eigenständigen EU-Militärpolitik unter deutscher Führung und die Wiederbelebung der US-dominierten NATO haben die Position Berlins in Europa und die EU als imperialistisches Bündnis vorerst geschwächt. Hinzu kommt der abgeschnittene Zugriff auf ehemals sowjetische Bodenschätze als auch der mittlerweile messbare wirtschaftliche Aufstieg der VR China, welcher auf geplanter Entwicklung der Produktivkräfte basiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat bereits 2019 die Weichen für den künftigen Umgang mit dem systemischen Rivalen China gestellt und dabei – in anderen Worten ausgedrückt – festgestellt, dass die imperialistischen Zentren zunehmend unter Druck geraten werden, ihren weltweiten Hegemonieanspruch durchzusetzen. Die Folge ist nicht von Putin oder Xi, sondern von der Realität geprägt, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist: Der deutsche Imperialismus zeigt uns seine reaktionäre Seite mit dem größten Aufrüstungsprogramm der Geschichte und finanziert dieses auf unserem Rücken.
Unabhängig davon, wie sich die wirtschaftliche Konkurrenz zu den USA entwickelt und wie sehr dabei digitale Abhängigkeit und Russland-Sanktionen den Handlungsspielraum des deutschen Imperialismus einschränken: Beim Wirtschafts- und Stellvertreterkrieg gegen die VR China und deren Verbündete vertreten sie gemeinsame Interessen. Die massive Hochrüstung in Deutschland dient dabei nicht nur kurzfristigen Zielen wie der Kriegsfähigkeit gegen Russland, sondern auch der Schaffung einer ökonomischen Grundlage für die Großmachtphantasien von SPD bis AfD.
Deutsche Führungsrolle
Diese deutsche »Führungsrolle« zeigt sich schon heute bei der Stationierung deutscher Soldaten an der russischen Grenze in Litauen, bei der Waffenschieberrolle der von Deutschland dominierten EU oder bei der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Denn die geplante Stationierung der Raketen macht Deutschland nicht nur zur Führungsmacht an der Seite der USA, sondern auch zum potentiellen Kriegsschauplatz.
Ob es so weit kommt, hängt davon ab, wie lange wir die Einbindung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in diesen Kriegskurs und damit einhergehend den Angriff auf erkämpfte soziale Standards noch zulassen werden. Die gemeinsame Demonstration unter dem Motto »Soziales rauf! Rüstung runter« von Verdi, GEW und Münchner Friedensbündnis am 12. Oktober 2024 war ein gutes Beispiel dafür, wie wir der Kriegstüchtigkeit die soziale Frage entgegenstellen können.
Es muss uns gelingen, Arbeiter- und Friedensbewegung in Ost- und Westdeutschland zu einen, indem wir den Kampf für den Frieden in die Betriebe und auf die Plätze tragen. Der am 3. Oktober veröffentlichte »Berliner Appell« richtet sich gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und kann das verbindende Element zwischen den verschiedenen Kämpfen der Arbeiter- und Friedensbewegung gegen die Kriegstüchtigkeit Deutschlands werden.
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08.01.2025 19:30 Uhr
Gegen Krieg und Kapital
Im Jahr 2018 rollten »Leopard 2«-Panzer aus deutscher Produktion durch das seither von der Türkei besetzte Afrin im Nordwesten Syriens. Dass die kurdische Selbstverwaltung von der türkischen Armee so offensichtlich mit Hilfe deutschen Kriegsgeräts angegriffen werden konnte, gab den Anstoß für eine antimilitaristische Mobilisierung, an deren Ursprung ein internationalistischer Gedanke stand. Statt ungehört an Staatsoberhäupter zu appellieren, beschlossen wir, die deutsche Rüstungsindustrie direkt anzugreifen und damit praktische Solidarität mit Unterdrückten und Ermordeten weltweit zu üben.
Die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung erwächst dabei nicht nur aus der Notwendigkeit, die Komplizenschaft der deutschen Rüstungsindustrie mit mordenden Militärs und autoritären Herrschern wie Recep Tayyip Erdoğan anzuprangern. Wir halten die Konzepte von Demokratie und Freiheit, die in der kurdischen Selbstverwaltung jenseits des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Ökonomie entwickelt und praktiziert werden, für wegweisend. Um die herrschenden Verhältnisse zu überwinden, ist die demokratische Konföderation der Völker und Gemeinschaften unser Horizont. Den Versuch eines multiethnischen Zusammenlebens, basisdemokratisch und an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, wollen wir durch internationale Solidarität unterstützen. Und ebenso wie die Befreiung der Frauen zentraler Bestandteil der Revolution in Rojava ist, betonen wir die enge Verzahnung von Krieg, Kapitalismus und patriarchaler Unterdrückung durch eine autonom-feministische Organisierung innerhalb des Bündnisses und bei Aktionen.
Kein Frieden im Kapitalismus
»Rheinmetall entwaffnen« ging es von Anfang an nicht nur um strengere Rüstungsexportkontrollgesetze oder die Einstellung militärischer Produktion. Vielmehr geht es auch darum, auf die militärische Absicherung des kapitalistischen Systems zu verweisen, bei der Staaten wie die Bundesrepublik ganz vorne mitspielen. Die Bundesregierung propagiert heute ganz offen Aufrüstung zur Durchsetzung ihrer eigenen und westlicher Interessen in der Welt. Dass es dabei eben nicht um die Einhaltung von Menschenrechten geht, zeigt nicht zuletzt das Paktieren mit nützlichen Autokraten wie Erdoğan, die offene Unterstützung der menschenverachtenden Regierung Benjamin Netanjahus und Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Dass einige Nationalstaaten in der internationalen Hackordnung weiter unten stehen, bedeutet nicht, dass sie nicht ihrerseits versuchen, ihren heimischen Unternehmen Zugriff auf Ressourcen anderswo zu sichern. Daher verwehren wir uns einem Lagerdenken, das meint, in jeglichen gegen die globale Vorherrschaft der USA gerichteten Initiativen das »kleinere Übel« erkennen zu wollen, das es zu unterstützen gilt. Gleichzeitig ist auch uns die Heuchelei unerträglich, mit der der Westen die eigenen imperialistischen Ambitionen verschleiert.
Dass es heute vergleichsweise nur noch wenige wirkmächtige linke Gegenprojekte zur herrschenden kapitalistischen Weltordnung gibt, hat dazu beigetragen, dass linke Antikriegspositionen deutlich an Schärfe und Mobilisierungskraft verloren haben. Nicht umsonst blieb es in bezug auf den seit 2011 in Syrien tobenden Krieg recht still in der deutschen Linken. Dass sich Teile der Friedensbewegung positiv auf Russland oder Baschar Al-Assad als Bollwerke gegen den US-Imperialismus bezogen, war für viele von uns befremdlich. Gleichzeitig konnten wir – zum Teil politisiert zu Zeiten der westlichen Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen – ein militärisches Eingreifen des Westens nicht befürworten. Dieses anscheinende Dilemma verfolgt uns bis heute und spiegelt sich auch in aktuellen Auseinandersetzungen um die Aufrüstung der Ukraine gegen Russland wider.
»Rheinmetall entwaffnen« ist ein Vorschlag an die linke Bewegung, wieder entschlossener gegen Militarismus und Imperialismus aktiv zu werden: indem wir die deutsche Rüstungsindustrie angreifen und uns auf den Hauptfeind im eigenen Land fokussieren, anstatt darüber zu sinnieren, welche Herrscher uns auf menschenfreundlichere Art und Weise unterdrücken, während uns sowieso niemand nach unserer Meinung fragt. In den vergangenen Jahren haben wir zu antimilitaristischen Aktionswochen im Rahmen spektrenübergreifender Camps mobilisiert und Blockadeaktionen gegen Rheinmetall in Unterlüß, Heckler & Koch in Oberndorf, Krauss-Maffei Wegmann in Kassel und kürzlich gegen die Rüstungsindustrie in Kiel durchgeführt. 2019 gelang es uns zudem, die Rheinmetall-Aktionärsversammlung zu stören; in Unterlüß gedachten wir mit einem Weg der Erinnerung der bis zu 5.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und setzten einen Schwerpunkt auf Rheinmetalls Machenschaften im Faschismus.
Austausch fördern
Die sich überschlagenden Ereignisse der vergangenen Jahre haben die Notwendigkeit einer Antikriegsbewegung mit einer linken Perspektive noch verstärkt. Seit Verkündung der »Zeitenwende« scheint die militärische Eskalation das offizielle Mittel der Wahl zu sein. Wegen der russischen Invasion in der Ukraine und des nun seit über einem Jahr andauernden Massakers der israelischen Armee an den Palästinenserinnen und Palästinensern gingen so viele Menschen gegen Krieg auf die Straße wie seit dem US-Einmarsch im Irak nicht mehr. Allerdings standen die verschiedenen protestierenden Gruppen teils gleichgültig nebeneinander oder sich gar unversöhnlich gegenüber.
In Berlin diskutierten und demonstrierten wir unter dem Motto »No War but Class War« gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Aktienkurse von Rheinmetall in ungeahnte Höhen treiben und das Gemetzel von Tausenden von ukrainischen und russischen Soldaten und Zivilisten weiter befeuern. Wir demonstrieren mit »Stop Arming Israel« gegen die Unterstützung von Bundesregierung und deutscher Rüstungsindustrie, ohne die die Ermordung Zehntausender und die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Gazastreifen nicht möglich wäre. Und wir protestieren auch jetzt gegen den neuen Rüstungsdeal mit der Türkei, der die Existenz der kurdischen Selbstverwaltung und damit auch die Hoffnung und Perspektive, die diese gibt, bedroht.
Angesichts der neuen Allgegenwärtigkeit militärischer Konflikte sind weitere Gruppen zum Bündnis gestoßen, wir wurden für viele Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen angefragt, und zum letzten Camp in Kiel kamen mehr Menschen als je zuvor. Dem »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnis ist es zudem gelungen, eine klare Position zu Waffenlieferungen und zum Gazakrieg zu beziehen, ohne sich zu spalten. Trotzdem bleibt die Entwicklung des Bündnisses weit hinter der verstörenden Geschwindigkeit zurück, mit der uns Nachrichten von immer mehr Kriegstoten, Rüstungsdeals und der militärischen Mobilmachung von Wirtschaft und Gesellschaft erreichen. Unsere Suche nach Antworten auf dieses Missverhältnis dauert an. Das darf uns aber nicht aufhalten, schon jetzt zu handeln.
Falscher Moralismus
Ohne dass wir uns über den Umgang damit einig wären, sehen wir uns mit folgenden Herausforderungen konfrontiert: Ein oberflächlicher Moralismus hat in Teilen der Linken eine klassenpolitische Analyse verdrängt. Wer nur noch vagen »Verhaltensrichtlinien« folgt, wird empfänglich für Manipulationen, die von politischen Inhalten und ökonomischen Interessen abstrahieren. So begegnet uns regelmäßig der Vorwurf, wir würden das Selbstbestimmungsrecht »der Ukrainer« nicht anerkennen, während völlig ausgeblendet wird, dass die ukrainische Nation Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und Interessen umfasst und wir andersherum niemals auf die Idee kämen, uns automatisch der Mehrheitsmeinung in Deutschland anzuschließen, Interessen deutscher Unternehmer zu verteidigen oder uns mit der deutschen Regierung gleichzusetzen.
Die Strategie der Regierung, oppositionelle Stimmen pauschal als rechts, antisemitisch oder putinfreundlich zu verunglimpfen, ist mehr als erfolgreich. Die extreme staatliche Repression und mediale Hetze gegen palästinasolidarische Proteste haben viele schockiert, aber nicht dazu geführt, die seit über einem Jahr stattfindenden Demonstrationen aufzuhalten. Auffällig ist jedoch die geringe Beteiligung weißer Linker, die sich aus Angst vor Antisemitismusvorwürfen in Abgrenzungsdebatten und dem Ausloten von akzeptablen Meinungskorridoren verloren haben, während die Straßen längst brannten. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung, die uns regelmäßig Querfrontdebatten beschert. Diese Debatten waren lähmend, ein Stück weit sind uns in der Praxis aber auch Klärungen gelungen.
Wir lehnen die Zusammenarbeit mit rechten und antisemitischen Kräften ab, denken aber, dass linke Interventionen in zum Teil diffus aufgestellten Antikriegsprotesten sinnvoll und notwendig sind. Wir dürfen uns nicht für die Machtkämpfe von Staaten, ihren Unternehmern und Großaktionären vor den Karren spannen lassen. »Rheinmetall entwaffnen« ist der Versuch, spektrenübergreifend zusammenzukommen, durch Diskussionen aber eben auch durch direkte Aktionen die Möglichkeiten eines zeitgemäßen antikapitalistischen Antimilitarismus aufzuzeigen und für eine bessere Welt für alle zu kämpfen.
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07.01.2025 19:30 Uhr
Designpreise gewinnen. Und Kriege
Der folgende Text ist die gekürzte Fassung eines Referats, das der Verfasser am 23. Dezember 2024 vor der Anton-Semjonowitsch-Makarenko-Gesellschaft in Freiburg-Munzingen gehalten hat. (jW)
Ende 2024 wurde es einigen Beschäftigten bei Open AI endlich mulmig. Die Folgen von Chat-GPT und anderen Erzeugnissen des Hauses hatten ihnen noch nicht das Gewissen gezwickt. Jetzt aber kündigte die Firmenleitung eine Partnerschaft mit dem Militärausrüster Anduril Industries an. Teile der Belegschaft murrten also. Es half nichts: beschlossene Sache.
Eine ältere Formulierung in den Open-AI-Nutzungsbedingungen hatte den Gebrauch der eigenen Produkte auf dem Feld »military and warfare« noch ausgeschlossen, nun aber hieß es aus der Chefetage, man wolle gemeinsam mit Anduril dafür sorgen, dass keine feindlichen Maschinen amerikanischem Militärpersonal Ungelegenheiten machen könnten. Sam Altman, das öffentliche Gesicht von Open AI, bekannte sich pathetisch dazu, Menschen helfen zu wollen, die ihr Leben riskierten, um »unsere Familie und unser Land« zu schützen.
Man kann die Verbindung zwischen Politik, Krieg und dem Stand der Technik, die Imperialismus heißt, auch weniger patriotisch beschreiben. In den Aufzeichnungen, die Lenin zwischen 1912 und 1916 verfasste, um seine große Abhandlung über den Imperialismus vorzubereiten, steht die hilfreiche Bemerkung: »Der Sozialchauvinismus ist ein ebenso unvermeidliches Produkt des Imperialismus wie der drahtlose Telegraph.«
Wenn man weiß, dass mit »Sozialchauvinismus« die (hier und da notdürftig sozialistisch verhüllte) aggressive Vaterlandspropaganda der moralisch zusammengebrochenen Zweiten Internationale gemeint war, dann kann man dem Satz ein etwas detailreicheres und verwickelteres Update für 2025 entlocken: Die zunehmend kriegsaffinere Ideologie der bürgerlichen »international rules-based order«, besonders laut vertreten beim Establishment-Linksliberalismus, von den US-Demokraten bis zu den deutschen Grünen, ist ein ebenso unvermeidliches Produkt des Imperialismus wie die Digitalisierung (inklusive künstlicher Intelligenz).
Kriege werden in Wirtschaftszusammenhängen ausgebrütet, nicht in Regelstreitigkeiten, deswegen ist Donald Trumps Verachtung für Regeln keine Garantie, dass er die Kriege bleibenlassen wird, die Obama und Konsorten mit Regelverstößen des Feindes zu rechtfertigen pflegen. Ideologie macht nur Geräusche zum falschen Produktionsverhältnis, Politik gibt dann die tödlichen Mittel frei.
Wenn also etwa die NATO-Leitung sich auf die Aufgabenliste schreibt, man wolle bald mal nachsehen, ob sich unbemannte intelligente Boote eignen, Untersee-Internetkabel vor Anschlägen zu schützen, und wenn Admiral Pierre Vandier, zuständig für »Concepts and Transformation« an genau dieser Front, dazu bereits vorhandene KI-kompatible Einheiten ausbauen will, dann passiert das eben in Wirtschaftszusammenhängen, also auf dem Spielfeld von Open AI, Microsoft und Google. Die Aufwertung der Wehrhaftigkeit des Gemeinwesens ist nämlich nur die dialektische Kehrseite der Entwertung von allerlei zivilen Qualifikationen, zum Beispiel derjenigen promovierter Arbeitskräfte, die sich auf einmal in Hilfsarbeitsdienstleistungspools wiederfinden. Es gibt Betriebe, die nichts anderes leisten als die Organisation solcher Schieberei. Ihre Namen kennt jedoch im Gegensatz zu denen von Open AI, Microsoft und Google kaum jemand. Einer heißt Centaur Labs, Anbieter der Arbeitskraft akademischer Koryphäen zur bedarfsgerechten Fütterung von KI-Software im medizinischen Bereich. Sehr viel »intelligente« Software lässt sich ohne derartige menschliche Assistenz gar nicht profitabel nutzen – »custom tooling and experts-in-the-loop for machine learning and generative AI model evaluation« heißt diese Assistenz bei einer weiteren Firma aus diesem neuen Wirtschaftszweig, die sich »iMerit« nennt. Der Wortbestandteil »merit« im Firmennamen meint »Verdienst«, aber nicht im Sinne von Entgelt. Gemeint ist »Wert der Leistung«, wie in »Meritokratie«. Herrschen soll das Verdienst indes gerade nicht (»-kratie« kommt von »kratein«, herrschen), denn dafür gibt’s schon Monopolbosse.
Die Radiologin, der Festkörperphysiker, der roboterkundige Massenmörder mit Abschluss bei einer Heeresakademie: nach dieser Art Fachkraft gieren Investitionsinstanzen, die das KI-Geschäft befeuern. Das gesamte Digitalwesen ist wagniskapitalgetrieben. Figuren wie Raj M. Shah, ehemals Direktor der »Defense Innovation Unit« im Pentagon, die heute mit Spießgesellen das Unternehmen Shield Capital steuert, ködern »Angel Investors«, die dann ihrerseits Startup-Firmen wie den Rüstungs-Ideenzünder Vannevar Labs züchten. Dieser Betrieb heißt nach dem Ingenieur Vannevar Bush, einem der Väter des Manhattan-Projekts, also der Atombombe, dessen 1945 lancierter Bericht »Science, the endless Frontier« den US-Kongress zur Schaffung der National Science Foundation bewegte, die der Digital Libraries Initiative in Stanford auf die Beine half, bei der Sergey Brin und Larry Page die Algorithmen entwickelten, aus denen Google wurde. Ein Stand entsteht: Schon Brins Vater war Informatiker an der Michigan State Uni gewesen, als dort allerlei Raketenballistik ausgetüftelt wurde, und seine Mutter gehörte zur NASA-Belegschaft.
Staat und Kapital verschaltet
Rasch nähert sich der Imperialismus in Sachen Erblichkeit von Funktionsposten heute feudalen Verhältnissen an. Vergessen ist die »vertikale soziale Mobilität« (heißt: auch armer Leute Kinder können interessante Jobs ergattern), ein Hauptanliegen sozialliberaler Bildungspolitik während der letzten großen westlich-nördlichen Modernisierungen vor einem halben Jahrhundert. Die aktuelle Produktivkraftentwicklung verschaltet Staat und Monopolkapital mit erheblich größerem Wirkungsgrad als ehedem, von der Halbleiterindustrie bis zur Elektromobilität – wer ernsthaft meint, Elon Musk suche erst jetzt die Nähe zum Staat, dessen Sozialsperenzchen er für seinen erfolgreichen Kandidaten zusammenstreichen soll, ignoriert den 500-Millionen-Dollar-Kredit des Energieministeriums, ohne den Tesla nicht ins Rollen gekommen wäre.
Während Musk sein Showmanship ausübt, vernetzt der im Schatten solcher Show wirkende Raj M. Shah technische Expertise-Kader mit politischen Strategie-Cracks, über Organisationen wie die »Tech Track 2«-Initiative bei der Hoover Institution, einem scharf reaktionären Thinktank, dessen Aktivitäten in den bürgerlichen Medien genau wie Shah eher wenig Licht abkriegen, im Gegensatz zum »Project 2025«, das von 2022 an bei der Heritage Foundation als Blaupause für einen autoritären Rollback in die Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, mit dem strukturfunktionalen Zweck der Beseitigung binnenstaatlich-verwaltungsstruktureller Widerstände gegen faschistoides Durchregieren der entschlossensten Kapitalfraktionen. So was wie das »Project 2025« alarmiert Linksliberale, aber »Tech Track 2« will viel mehr, nämlich Russland und die VR China kleinkriegen, und morgen die ganze Welt. Im Handbuch für dieses Programm »Unit X: How The Pentagon and Silicon Valley are transforming the Future of War« (2024), gemeinsam verfasst von Shah und einem Tech-Berater des National Security Council unter Drohnen-Obama namens Christopher Kirchhoff, erklären die beiden, das geopolitische Ziel sei nur zu erreichen mit den besten Köpfen, und zwar im Verteidigungsministerium wie im Silicon Valley. Vermittlungseinrichtungen sollen dabei helfen, zum Beispiel In-Q-Tel, der Venture-Capital-Arm der CIA. Wie bitte?
Lenins Klarheit
Ja: Dieser fürchterliche Geheimdienst besitzt einen Kapitalmanagement-Flügel. Überraschen kann das nur Menschen, die keinen Begriff vom Monopolkapitalismus haben, nicht mal in Form von Lenins schöner Eselsbrücke »Heute Minister, morgen Bankier; heute Bankier, morgen Minister!«
Gemessen an Lenins Klarheit war selbst die berühmte Abschiedswarnung des Präsidenten Eisenhower im Jahr 1961 vor »unwarranted influence« (also: ungerechtfertigtem Einfluss) des »military-industrial complex« ein Stochern im Nebel, genau wie das Gerede von Uni und Medien über »Industriegesellschaft« statt »Imperialismus«. Welche Vielfalt der Erscheinungen wird dem Hirn zugemutet: »Neoliberalismus«, dann »Globalisierung«, dann »Finanzmarktkapitalismus«, dann »Digitalkapitalismus«, immer werden diese Namen gebastelt unter Hypostasierung einzelner Aspekte des imperialistischen Gesamtprozesses. Kritik wird so auf geordnet kritisch-reformistische Bahnen abgeleitet. Sofern nämlich etwa »Finanzparasiten« und deren Übermacht übers »schaffende Kapital« (um gleich den Nazi-Ausdruck zu nennen, der dieses ganze dumme Zeug ideal zusammenfasst) das Problem sind, muss man ja lediglich Steuerinstrumente in Stellung bringen. Sofern Robert Habeck, wie die Black-Rock-Merz-CDU und die AfD ihm vorwerfen, bloß Exekutor einer obskuren »Klima-Ideologie« ist, obgleich er dazu ansetzt, das Wohneigentum der letzten paar Kleinbesitzenden per Mehrfach-Umbaubelastung im Nachhaltigkeitskorsett zu liquidieren, interessiert uns eben auch nur, was dieser Onkel subjektiv in der Rübe hat, und wir können vornehm davon schweigen, dass er diesen Rübeninhalt nur als Knecht der Monopole ausagieren darf (denn der Kleinbesitz der Ruinierten wird an »private equity« verkauft, wenn die Nummer klappt). Wo man den Typus Habeck derart missdeutet, wird er in der Phantasie wieder gut, sobald der empirische Habeck sich besinnt und im Wahlkampf mit der Parole »Milliardärssteuer« auf Dummenfang geht. Hurra, er hat die »Klima-Ideologie« im Sinne eines sozialen Gewissens einzuschränken gelernt!
Der Milliardär, der härter besteuert werden soll, könnte ganz aufrichtig schimpfen: Woher soll ich’s nehmen, wenn die vorhandenen Produktionsverhältnisse nicht mal mehr auf dem Sektor »Innovationen« eine Profitrate hergeben, die sich halbwegs sehen lassen kann, wie früher, im Eisenbahnräuberkapitalismus? Per Staatsgewalt und Gewaltstaat lässt sich allerdings doch noch ein bisschen an den Profiten drehen, nämlich zum Beispiel durch Rüstung, und deshalb erklärte dann Noam Perski vom Big-Data-Unternehmen Palantir im Dezember 2024 auf dem ersten »Defense Tech Summit« der Uni von Tel Aviv, »kein moderner Krieg« könne mehr ohne die richtige Software gewonnen werden (die Rolle der Infanterie in Syrien hin oder her).
Software ist tatsächlich, wie Perski in jener Ansprache predigt, das »most malleable« Waffenmaterial, also: das formbarste. Es kann dabei spektakulär nach hinten losgehen, wie die Arroganz der Datenfirmenchefs lernen könnte, wenn diese Leute zum Beispiel ein Ohr dafür hätten, wie die Hege- und Pflegetruppen bei Open-Source-Programmen derzeit von wertlosen Fehlerwarnungen überflutet werden, die KI-Systeme unablässig abfeuern. Unter technisch-naturwissenschaftlich geschulten Leuten erheben sich aber zunehmend Stimmen wie die des »Intellectual Dark Web«-Mitbegründers Eric Weinstein für neue digitalisierte Waffenproduktion. Dieser Mann ist von Haus aus mathematischer Physiker, außerdem Geldmanager für Trumps Strippenzieher Peter Thiel und absolut kein Dummkopf. Neuerdings fordert er die Abschaffung von juristischen Sicherheitsvorkehrungen, die in den USA bislang dafür gesorgt haben, den Einfluss des Militarismus auf die avancierteste Forschung einzuschränken. Weinstein verlangt, man solle jetzt vor allem die »Mansfield Amendments« loswerden, Bestimmungen, die a) militärischer Finanzierung von Forschungsprojekten Grenzen setzen und b) auch die indirekte Verfilzung der zwei Sphären erschweren.
Es kennt meinen Namen
Als die Militärs uns, den Forschungsfachleuten, noch näherstanden, so erzählt Weinstein jetzt allen Podcasts, die es hören wollen, haben sie uns meistenteils in Ruhe gelassen, wir hatten allenfalls eine Art Bereitschaftsdienst, wurden also gefragt, falls mal was los war, da müssen wir wieder hin, und wichtiger als Breitenbildung ist, dass diejenigen, die in Physik, Mathe, Biologie Neues und Außergewöhnliches zustande bringen, im Zivilen wie Militärischen zeitgemäße Formen von intellektuellen Besitzrechten beanspruchen können, auch für Grundlagenforschung, nicht nur bei Sachen, für die man Patente anmelden kann.
Wenn Herr Weinstein das wirklich glaubt, dann glaubt er wohl auch, dass arbeitslose Reservearmeen von Niedrig- und Unqualifizierten eine Menge Spaß beim Rumsitzen als Opportunitätskostendarsteller und Lohndrücker haben. Es wird Weinsteins imaginären Eliten auf diesem Kurs nicht besser gehen als dem von Simon Pegg gespieltem Techniker Benji Dunn in den »Mission: Impossible«-Filmen, der in »Dead Reckoning« (2023) seinen Schock angesichts der Reichweite der Verfügung künstlicher Intelligenz über die lebendige Arbeit in die entsetzten Worte kleidet: »It knows my name!«
Ja, dein Name steht auf der Speisekarte der KI, die braucht viel Eiweiß für Künstliche Neuronale Netze insgesamt, für konkrete, bedarfsgerechte Versionen wie RNNs (Recurrent Neural Networks), LSTM-Networks (Long Short-term Memory) und schließlich für die Transformer-Architekturen, die seit 2017 das Spiel grundsätzlich umgekrempelt haben. Die nächsten Gänge sind bekannt: Quantencomputer, Kühlsystemfragen, Verschlüsselungswettläufe, Quantensensorik fürs Messen von Strahlung und Kräften, unter Wasser, im Erdinnern, für die Zielerfassung, dann Energie- und Rohstoffsicherung für all dies und so weiter. Die Eigengesetzlichkeit der Hardware- und Softwareneuerungen ist dabei das eine. Die Aneignung von Lösungen sämtlicher Probleme, die sie schaffen, das andere. Nämlich unter den versauten Gebrauchswertbestimmungen der monopolkapitalistischen Klassengesellschaft ins irrationale Belieben von Instanzen gesetzt, die nur fragen: Läuft das Programm auf dieser oder jener Maschine richtig? Aber nicht: Ist es das richtige Programm, ist das die richtige Maschine für uns Menschen?
Die Irrationalität des Arrangements wird verschleiert mittels Systemrationalitätsbehauptungen, deren Plausibilität mit Erfindungen wie den Künstlichen Neuronalen Netzen und insbesondere der Transformer-Architektur einen fatalen Plausibilitätsschub bekommt: »Autonome Maschine« wird ein glaubhafter Begriff, gerade auch in dem spezifischen Sinn der Definition des Internationalen Roten Kreuzes für Waffenkontrollbelange: »Autonom« ist nach dieser Bestimmung eine militärische Vorrichtung, die erstens selbständig Angriffsziele aussucht und diese zweitens ohne direkten Befehl angreift.
The First AI War
Am 16. Dezember 2020 gaben die USA bekannt, dass zum ersten mal (wenn’s stimmt …) ein KI-System die komplette Kontrolle über das Sensor- und Navigationssystems eines U-2-Dragon-Lady-Spionageflugzeugs übernommen hatte. Das Programm suchte nach Raketenabschussrampen des Gegners und wertete Radaraufnahmen aus. Dem Piloten aus Fleisch und Blut blieb nur noch das Erkennen angreifender Flugzeuge und gegebenenfalls die Reaktion darauf. Eine Maschine attackiert, der Mensch darf sich gerade noch verteidigen – die Schwelle, die da überschritten wird, macht Geräte zu etwas, das nicht einfach »funktioniert«, sondern zum Beispiel »lauert« wie die in ihrem Einsatzgebiet herumschwebenden »Harpy«-Drohnen des israelischen Militärs. Der Waffenexperte Zachary Kallenborn schrieb schon 2021 einen Alarmaufsatz namens »Israel’s Drone Swarm over Gaza schould worry everyone« und nannte das, was ihn da umtrieb, den »first AI war«: den ersten KI-Krieg. Wo eine Maschine autonom agiert und attackiert, zeigt sich der Anteil der menschlichen Arbeit (nämlich: des falschen Produktionsverhältnisses) an der Entmenschlichung des Menschen als katastrophenförmiger Übergang vom naturgeschichtlichen zum produktionsgeschichtlichen Aggressionsmuster.
So sehr gewisse Gelehrte der Welt mit sozialdarwinistischem Gedankenlärm in den Ohren liegen, der die Destruktivität der herrschenden Unordnung als »Kampf ums Dasein« (und also als naturgegeben) verkaufen soll, so ungern hört man in der sogenannten »Soziobiologie« (wie auch der seriösere Teil entsprechender Forschungen seit Edward O. Wilsons in der Tat unerschöpflich anregendem Hauptwerk gleichen Namens aus dem Jahr 1975 heißt) etwas über die energetischen Kosten-Nutzen-Rechnungen, die unsereins von Natur aus gerade nicht aggressiv, sondern eher defensiv macht. Als Lebewesen darf ich mich in der Knappheitslandschaft der Naturressourcen nämlich auch dann immer nur soweit anstrengen, wie ich eben muss, um meine Nahrungsquellen, mein Territorium und meine Fortpflanzungsaussichten zu schützen, wenn ich ein sehr böser Affe bin. Falls ich nämlich vor lauter Bosheit andauernd konspezifisch oder außerhalb meiner Art unprovoziert irgendwas oder irgendwen angreife, wird mir bald die Puste ausgehen.
Maschinen jedoch, die von Selbsterhaltung und Reproduktion nichts wissen müssen (aber können, wenn man’s reinprogrammiert), sind an diese Prämissen nicht von vornherein gefesselt. Wenn wir die Kriegführung jetzt Automaten überlassen, weil wir mit ihrer Rechengeschwindigkeit nicht mithalten können, ändert sich folglich eine erdgeschichtliche Biosphären-Tiefenkonstellation: Unprovozierte Aggression wird vom Nachteil zum potenziellen Vorteil im Entwicklungsgang.
Wir unterstehen heute ökonomischen Abläufen, in denen mit ungeheurem Aufwand sehr vieles produziert wird, was für die Mehrheit der Menschen keinerlei Gebrauchswert hat, zum Beispiel Warenwerbung (inklusive Manipulation und suchterzeugende Attribute der Waren selbst) oder Mordwerkzeug. In Simon Stålenhags illustriertem Roman »The Electric State« hängt über einer tristen spätimperialistischen Steppenlandschaft ein Schild, auf dem steht, worauf irgend so eine Computerkram-Firma besonders stolz ist: »Winning design awards. And wars.«
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