75 Ausgaben junge Welt für 75 €
Gegründet 1947 Sa. / So., 23. / 24. November 2024, Nr. 274
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
75 Ausgaben junge Welt für 75 € 75 Ausgaben junge Welt für 75 €
75 Ausgaben junge Welt für 75 €

Wir brauchen mehr Whistleblower

Das Militär gibt den bürgerlichen Medien die Stichworte vor, Journalisten und Verlage werden gezielt beeinflußt. Auszüge aus Redebeiträgen bei einem Podiumsgespräch der XIX. Rosa-Luxemburg-Konferenz
Auf dem Podium (v. l. n. r.): Freja Wedenborg, Anders Kaergaard, Rüdiger Göbel, Karin Leukefeld und Rainer Rupp
Um den Einfluß des Militärs auf die öffentliche Meinung ging es in einem Podiumsgespräch, das am Samstag in der Berliner Urania im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Konferenz stattfand. Moderiert wurde die Veranstaltung vom stellvertretenden Chefredakteur der jW, Rüdiger Göbel. Gäste waren die jW-Korrespondentin Karin Leukefeld, der ehemalige dänische Offizier Anders Kaergaard, Freja Wedenborg, Redakteurin der dänischen Zeitung Arbejderen sowie jW-Autor Rainer Rupp, ehemals Mitarbeiter im NATO-Hauptquartier. Die Diskussion fand unter dem Titel: »Vierte Gewalt und Heimatfront: Wie Medien Kriege möglich machen« statt.
Rüdiger Göbel:

Trau keinem Fernsehbild aus einem Kriegsgebiet, lautet der Ratschlag eines erfahrenen Journalisten. Eine anderer formuliert: Wichtiger als die Täuschung des Feindes ist heute die der eigenen Bevölkerung. »Die Presse ist Teil des Schlachtfelds«, hat der frühere US-General Wesley Clark einmal konstatiert. Erasmus Schöfer und Paula Elvira Keller haben dieses Zitat und zahlreiche weitere in ihren antimilitaristischen Lesekalender »Neues von der Heimatfront. Krieg beginnt hier – Widerstand auch« aufgenommen. Darunter auch das von Bundespräsident Joachim Gauck: »Daß es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.«

Die Berichterstattung über den Krieg in und gegen Syrien verändert sich moderat. Hintergrund dürfte die bevorstehende Friedenskonferenz in Genf sein. Mit einem Mal hört man von islamistischen Terrorgruppen, die in Syrien Angst und Schrecken verbreiten. Auch im Irak treten sie zunehmend dominanter auf, zeitweise sollen sie die Städte Ramadi und Falludscha besetzt gehalten haben. Iraks Regierungschef Nuri Al-Maliki hat die »Vernichtung« dieser Kräfte angekündigt, setzt Artillerie ein und erhält Unterstützung aus den USA und von den meisten Medien, die das gleiche Vorgehen von Syriens Präsident Baschar Al-Assad als einen »Krieg gegen die Zivilbevölkerung« bezeichnen. Zwei Fragen dazu an Karin Leukefeld, die für junge Welt immer wieder aus Syrien berichtet und die in den vergangenen zwei Wochen im Irak war: Sind die Journalistenkollegen vor Ort blind, dumm oder einfach nur folgsam?

Karin Leukefeld:

Bei den Medien gibt es eine Zweiklassenhierarchie. Auf einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen habe ich das einmal besonders drastisch erlebt: Zuerst wurden die Kolleginnen und Kollegen des Fernsehens unterrichtet, anschließend diejenigen, die für Rundfunk und Printmedien berichten.

Das Fernsehen hat aber bekanntlicherweise sehr wenig Platz für Berichte, in einer oder anderthalb Minuten läßt sich nicht viel unterbringen, es ist klar, daß dabei so manches unter den Tisch fällt. Hinzu kommt, daß diese Kolleginnen und Kollegen die Länder, über die sie berichten sollen, kaum kennen – manchmal fliegen sie nur für zwei, drei Tage ein. Sie kennen die tatsächliche Lage also kaum und sind auf Leute angewiesen, die ihnen zuarbeiten. Das ist oft mit einer gewissen Arroganz verbunden – sie kommen mit vorgefaßten Meinungen und hören ungern auf diejenigen, die an Ort und Stelle leben.

Natürlich gibt es auch Selbstzensur – die Redaktionen machen Vorgaben, wie berichtet werden soll. Neuerdings gibt es eine neue Masche: Die Reporter werden gebeten, den Konflikt »einzuordnen«, das heißt, sie sollen keinen Bericht abliefern, sondern ihre Meinung. Die Redaktionen wiederum sind von der Politik abhängig, ich habe das in der Berichterstattung über Syrien deutlich miterlebt.

Hinzu kommt, daß diese Korrespondenten häufig mit Vorurteilen ins Land kommen und daß unter ihnen auch Konkurrenz herrscht. Entscheidend für die Art der Berichterstattung ist auch der öffentliche Druck, der durch politische Stellungnahmen aufgebaut wird. Verfälschend wirkt ebenso, daß als Quellen häufig die jeweiligen Kriegsparteien selbst genommen werden – Gegenrecherche findet dann nicht mehr statt.

Im Falle Syrien läuft das so: Da heißt es in der Redaktion zunächst, wir können nicht nur das bringen, was die Regierung in Damaskus sagt. Dann wird aber fast ausschließlich nur über das berichtet, was die sogenannte Opposition Syriens herausgibt. Die ist ja auch in Deutschland aktiv und läßt ihre Leute mit der Forderung im TV auftreten: Wir brauchen Waffen, damit wir den Diktator stürzen können. Die Meinungsbildung wird auch stark von Nichtregierungsorganisationen oder der sogenannten Zivilgesellschaft beeinflußt, die immer wieder auf dieselben Quellen zurückgreifen und dadurch letztlich das Nachrichtenbild bestimmen.

Daß die bürgerlichen Medien so agieren, ist natürlich nicht neu, wir haben es auch im Jugoslawienkrieg erlebt. In ihrer Berichterstattung über Konfliktherde betätigen sich diese Medien als Brandstifter; sie arbeiten mit daran, daß die Bevölkerung in Deutschland oder auch ganz Europa über die tatsächlichen Hintergründe nicht sehr viel erfährt. Sie sind mitverantwortlich für Haß und Gewalt. (…)

Was wir im Irak und anderswo erleben, ist das Ergebnis einer Entwicklung, die sicherlich nicht erst vor drei Jahren mit dem sogenannten arabischen Frühling begonnen hat – ich meine die geostrategischen Interessen der USA und ihrer Verbündeten. Mit der Zerstörung des Iraks und Afghanistans hat die politische, regionale, konfessionelle und ethnische Zersplitterung einer von Toleranz geprägten Region begonnen, in der die verschiedenen Bevölkerungsgruppen friedlich miteinander gelebt und großartige kulturelle Zeugnisse hinterlassen haben. Heute werden in dieser Region die verschiedenen konfessionellen Gruppen des Islam gegeneinander in Stellung gebracht, um sich wegen politischer oder wirtschaftlicher Gründe gegenseitig zu töten.

Wem nützt es? Der betroffenen Bevölkerung auf gar keinen Fall, sie verliert alles und versucht zu fliehen. Es nützt Rüstungsunternehmen, Waffen- und Menschenhändlern, auch denen, die aus der Hilfe ein Geschäft machen. Der schwedische Möbelkonzern IKEA z. B. hat im Auftrag des UN-Flüchtlingsrats Selbstbauhütten entwickelt, die die bisherigen Flüchtlingszelte ersetzen sollen.

Rüdiger Göbel:

In seinem Vortrag hier auf der Konferenz hat der dänische Whistleblower und Geheimdienstaussteiger Anders Kaer­gaard deutlich gemacht, wie er vom erklärten Befürworter der Irak-Invasion zu deren Gegner und schließlich zum Kronzeugen gegen die Beteiligung Dänemarks an der Besatzung wurde. Als Nachrichtenoffzier warst du zuständig für psychologische Kriegsführung und Desinformation. Wie wichtig ist die bei heutigen Kriegen?

Anders Kaergaard:

Der Krieg in Afghanistan wurde geplant und durchgeführt von recht brillanten Menschen, die einen Marketinghintergrund haben. Fast alles, was wir in Verbindung mit diesem Krieg wahrnehmen, ist sorgfältig überlegt: Der Name des Konflikts, der Begriff »Krieg gegen den Terror« – es ist wohl der erste Krieg in der Geschichte, der schon einen Namen hatte, bevor er angefangen hatte. Und diesen Namen haben die Medien willfährig übernommen – ohne jede kritische Nachfrage. Warum?

Der Begriff »Terror« hat in der gesamten westlichen Welt dieselbe Bedeutung, er wurde mit Sorgfalt ausgewählt – wer würde schließlich nicht gegen den Terrror kämpfen wollen? An diesem Beispiel sieht man, wie man durch geschickte Begriffswahl eventuelle Kritik an einem kompletten Krieg von vornherein begrenzen kann.

Der Vorwand für diesen Krieg waren bekanntlich die Attentate vom 11. September 2001 in New York. Die USA sind sehr effektiv bei der Manipulation der öffentlichen Meinung vorgegangen. Der damalige US-Präsident George Bush brachte es auf ganz einfache Formeln wie: »Entweder sind sie für uns oder gegen uns«. Das sind dann oft kurze Sätze, holzschnittartig und hollywoodgerecht, was kein Zufall ist. Im Pentagon arbeiten Leute, die zuvor in Hollywood Drehbücher verfaßt haben. Im dänischen Verteidigungsministerium ist das übrigens ebenso.

Psychologische Kriegsführung hatte früher das Ziel, Propaganda auf dem Schlachtfeld zu verbreiten. Das ist heute anders – es geht darum, den Krieg als gerecht darzustellen und sich die Unterstützung der Bevölkerung in den Heimatländern zu sichern. Einer der wichtigsten Gegner der US-Kriege in den 80er und 90er Jahren war damals die Bundesrepublik Deutschland. Kritik aus dieser Richtung wurde dadurch abgewürgt, daß die USA darauf verweisen konnten, daß die Attentäter vom 11. September offenbar aus Hamburg kamen: Wie kann sich Deutschland gegen einen Krieg aussprechen, der seinen Ursprung genau in diesem Lande hat? Das ist das, was wir psychologische Kriegsführung nennen.

Dänemark hat keinen Krieg mehr gewonnen, seitdem es im Mittelalter Teile von Großbritannien besetzt hatte. Wir haben sowohl den Krieg von 1848 als auch spätere Kriege verloren, die USA haben uns schließlich 1945 gerettet. Während des Kalten Krieges betrieb Dänemark eine sorgfältig abgestimmte Außenpolitik, die sich zwischen Ost und West bewegte. Dänemark legte z. B. Wert auf die Zusammenarbeit mit der DDR. Aber im Verlaufe des »Krieges gegen den Terror« orientierte sich der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen einseitig an den USA – wahrscheinlich auch deswegen, weil er sich davon versprach, NATO-Generalsekretär zu werden.

Ich war damals bei den dänischen Streitkräften, wir wurden in einem neuen Bereich eingesetzt. Als ich meine Arbeit begann, war die eben beschriebene psychologische Kriegsführung für uns noch etwas Neues. Es ging um zwei Komplexe: Wie können wir die zivile Bevölkerung und den Feind durch psychologische Kriegsführung beeinflussen? Und wie können wir die Medien auf Linie bringen? Letzeres war zunächst untergeordnet, wurde aber später zur Hauptaufgabe. Wir haben jeden Tag daran gearbeitet, diesen Zielen näher zu kommen. (…)

Dänemark hat viele Kriege verloren. Eine große Siegesparade ist auch bei den Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan nicht angebracht, wir mußten also etwas anderes machen, um die Armee in der Öffentlichkeit positiv darzustellen: Jedes Team, das aus dem Irak zurückkehrte, bekam also seine kleine Parade, alle sechs Monate, jeweils in einer anderen Stadt. Diese Aufzüge werden von der Polizei begleitet und vom Staatsschutz, sie werden immer wichtiger für das Militär. Die Öffentlichkeit wird auch dadurch beeinflußt, daß aus den USA die Sitte übernommen wurde, durch das Tragen gelber Schleifen seine Unterstützung für die Truppe zu signalisieren. In Dänemark werden diese gelben Schleifen mit Magneten an PKWs befestigt, man weist sich damit als Unterstützer der Armee aus. Wer diese gelbe Schleife nicht hat, wird schon fast als Verräter angesehen.

Und genau darum geht es, für jeden sichtbar: für oder gegen, schwarz oder weiß, Freund oder Feind.

Rüdiger Göbel:

Freja Wedenborg arbeitet bei der dänischen linken Tageszeitung Arbejderen. Ausgerechnet diese kleine Zeitung hat die Geschichte von Anders Kaergaard publik gemacht. Eigentlich ist das eine Enthüllungsgeschichte, um die sich alle Medien reißen müßten – warum ist sie bei euch gelandet?

Freja Wedenborg:

Das habe ich mich auch schon einige Male gefragt. In den 80er Jahren war die Friedensbewegung sehr stark, in Bonn demonstrierte eine Million Menschen, es gab eine kritische Opposition, die sich auch in den Medien niederschlug. Heute hingegen ist die Friedensbewegung enorm geschrumpft, was auch Auswirkungen auf die Berichterstattung hat – sie ist reaktionärer geworden, wichtige Fragen werden gar nicht erst gestellt.

Heute wird darüber diskutiert, unter welchen Bedingungen wir in Ländern wie Mali, Syrien oder im Irak militärisch präsent sein sollten – niemand sagt aber, daß es zu Krieg und Ausbeutung Alternativen gibt. Die Frage stellt sich also: Was sollen wir unter diesen Bedingungen machen, um die antiimperialistische Bewegung zu stärken? Wir müssen als progressive Medien neue Wege suchen, um das Bewußtsein der Menschen zu schärfen. Wir müssen den antiimperialistischen Journalismus nach vorne bringen.

Hin und wieder geschehen allerdings unerwartete Dinge. Zum Beispiel hatten wir im April vergangenen Jahres eine Redaktionskonferenz, bei der sich plötzlich Anders Kaergaard meldete und uns einige als »geheim« gestempelte Berichte und Videomaterial aus seinem Arbeitsbereich übergab. So etwas hatten wir an einem ganz normalen Donnerstagmorgen wirklich nicht erwartet. Natürlich waren wir erst einmal mißtrauisch und haben eine Menge Fragen gestellt.

Arbejderen ist die einzige linke Tageszeitung Dänemarks, sehr klein dazu. Wieso, fragten wir uns, sollte Anders mit seiner Enthüllungsstory ausgerechnet zu uns kommen? Ich konnte mir das nur so erklären, daß er Vertrauen zu uns hatte, daß wir die gesamte Geschichte bringen und uns nicht auf sensationelle Aspekte stürzen würden, die letztlich die Auflage steigern. Seine Dokumente bezogen sich auf »Green Desert«, die größte Operation unter dänischer Führung im Irak-Krieg. Anders zeigte uns, daß dänische Soldaten zugeschaut hatten, als irakische Soldaten Zivilisten aus den Häusern zerrten und zusammenschlugen. Er zeigte uns auch Beweise, daß der dänische Befehlshaber von vornherein wußte, daß die Operation letztlich gegen Zivilisten gerichtet war. (…)

Warum ist das so interessant? Wir sehen hier genau, wie die Armee funktioniert und wie sie versucht, die Öffentlichkeit irrezuführen. Wir sehen, daß der Krieg für die Presse, für die Öffentlichkeit nicht mehr als eine große Lüge ist.

Wir haben von Anders, der ja als Offizier für psychologische Kriegsführung gearbeitet hat, viel gelernt. Unter anderem über die Strategie, wie man einen Krieg der Öffentlichkeit als Erfolg verkauft. Wir haben von ihm auch erfahren, wie eng die meisten Reporter mit dem Militär verbunden sind, wenn sie über den Krieg schreiben – Stichwort »eingebetteter Journalismus«.

Jetzt zu der Frage, welche Reaktionen es auf den Abdruck von Anders Geschichte in Arbejderen gab. Es zeigte sich, daß mächtige Kräfte gegen uns standen. Wir hatten uns wegen einer Stellungnahme auch an das Verteidigungsministerium gewandt – erst kurz vor dem Abdruck natürlich, um der Armee nicht allzuviel Zeit zu lassen, die kritische Story zu unterbinden. Sobald die Leute dort wußten, was bei uns auf dem Tisch lag, wurde das Telefon aufgelegt, sie waren nicht mehr zu erreichen. Vorsichtshalber hatten wir unseren Bericht an einem sicheren Ort noch zusätzlich gespeichert.

Die Armee gab dann eine Pressemitteilung heraus mit der Behauptung, wir hätten für unseren Bericht gar keine Beweise. Diese Lüge wurde von zahlreichen Medien einfach übernommen. Wir stellten also sämtlich Dokumente ins Internet, so daß sich jedermann von ihrer Echtheit überzeugen kann. Alle dänischen Medien haben schließlich dieses Thema aufgegriffen, selbst im Parlament wurde eine Reihe Fragen gestellt. (…)

Wir sind aber weit von einem Happy-End entfernt. Weder die verantwortlichen Generäle noch die Minister wurden angeklagt, keiner der betroffenen Iraker kann vor einem internationalen Gerichtshof Klage einreichen. Bestraft wurde nur Anders – zunächst wurde ihm ein halbes Jahr Gefängnis angedroht, dann mußte er eine hohe Geldstrafe zahlen. Eines ist auf jeden Fall klar: Wir brauchen mehr Whistleblower, Leute wie Anders.

Dieses Beispiel zeigt, daß auch eine kleine Zeitung die Macht herausfordern kann. Besonders dann, wenn man in der glücklichen Lage ist, Unterstützung aus dem Inneren des Systems zu bekommen.

Rüdiger Göbel:

Die Bundeswehr ist mit viel größeren Kontingenten als Dänemark in Auslandseinsätzen – 16 sind es momentan. Seitdem sich die Bundesregierung aus SPD und Grünen 2001 solidarisch an die Seite der USA gestellt hat, sind Zehntausende Soldaten im Kampf gewesen, unter deutscher Verantwortung wurden Verbrechen begangen. Ich würde mich freuen, wenn sich endlich auch mal ein Whistleblower aus der Bundeswehr an die Medien wendet – erste Adresse wäre natürlich junge Welt und nicht Bild oder Spiegel.

Keiner hier im Raum kennt die NATO so gut wie Rainer Rupp, er hat viele Jahre dort gearbeitet und weiß, wie diese Kriegsmaschine arbeitet. Glauben die NATO-Offiziere eigentlich an ihre eigene Propaganda? Wie funktioniert es, daß die Mainstreammedien die oft ja einfache Feindbildpflege fleißig mitmachen?

Rainer Rupp:

Die NATO-Mitarbeiter glauben in der Tat selbst, was sie erzählen. Das hängt auch mit ihrer Herkunft zusammen – 99,9 Prozent von ihnen wurden nämlich von ihren nationalen Ministerien dorthin delegiert, sie müssen sich also schon viele Jahre im militärischen Bereich bewährt haben. Wer einen solchen Werdegang hat, der glaubt auch daran, daß die NATO die größte Friedensorganisation der Weltgeschichte ist. Sie führt zwar überall Krieg – aber das sind ja Kriege für den Frieden. Und wer das tut, kann nur ein Guter sein. Früher ging es gegen die Kommunisten, heute gegen die Terroristen.

Es sind aber nicht nur die USA, die viel Geld für die psychologische Kriegsführung ausgeben, alle anderen Ländern haben ebenfalls Spezialabteilungen dafür. Man trifft sich dort zum Brainstorming und entwickelt tolle Ideen, mit denen die Mitbürger dann gefüttert werden. Das alles ist nichts Neues, das wird schon seit vielen Jahrzehnten so gemacht. (…)

Früher hatte ich mich regelmäßig über den Spiegel informiert, als ich aber in meinem zweiten Jahr bei der NATO war, habe ich mir das Magazin nicht mehr gekauft. Ganz einfach deshalb, weil ich merkte, daß praktisch alle Kernpunkte, die wir den Medien mit unseren Presseerklärungen und Hintergrundgesprächen vermittelt hatten, kritiklos wiedergegeben wurden. Das allerdings wurde dann als Resultat eigener Recherche gefeiert.

Wie funktioniert es, daß die NATO eine so gehorsame Presse hat? Gerade in Deutschland kann das Bürgertum auf über 100 Jahre Antikommunismus zurückblicken, eine kritische Meinung kann sich in einem solchen Umfeld schwer durchsetzen. Es ist also relativ leicht, die deutschen Medien auf Linie zu bringen. In regelmäßigen Abständen werden z. B. ausgesuchte Korrespondenten sogenannter Qualitätsmedien zu Informationsreisen eingeladen: Abenteuer und Luxustour zugleich. Ich erinnere mich an einen Fall, daß die Korrespondenten von Neapel aus per Hubschrauber auf einen US-Flugzeugträger gebracht wurden: Tolle Bewirtung, persönliches Gespräch mit dem Kapitän, Rückflug zum Hauptquartier. Von dort weiter zur NATO-School, dann nach Mons zum SACEUR, dem Oberbefehlshaber des Bündnisses in Europa. Das ist natürlich immer ein US-amerikanischer General. Der Korrespondent spricht also mit bedeutenden Leuten und kommt sich selbst ungeheuer wichtig dabei vor.

Oder man wird eingeladen zu einem Manöver in Nordnorwegen, fliegt im Hubschrauber über die Baumwipfel und wird dann im Feldhauptquartier abgesetzt. Selbstverständlich verbunden mit einem guten Essen. Man schläft nicht im Zelt wie die Soldaten, sondern wird im Luxushotel untergebracht. Ganz toll also. Man braucht sich auch keine große Mühe machen, wenn die Berichte stromlinienförmig sind, wird man im nächsten Jahr wieder zu einer interessanten Abenteuerreise eingeladen. Es ist aber auch ganz einfach, beim nächsten Mal nicht dabeizusein: Man braucht nur anzufangen, kritisch zu schreiben.

Zusammenstellung und Bearbeitung der Redebeiträge: Peter Wolter

Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter