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»Rein in die Praxis«

Krise und Widerstand. Über antikapitalistische Gegenwehr in Zeiten der Pandemie. Auszüge aus der Diskussion des mit der SDAJ veranstalteten Jugendpodiums auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz
Kämpferische Jugend (v. l. n. r.): Sascha Hevalski (North East Antifascists Berlin), Leon Sierau (SDAJ), Moderatorin Carolin Zottmann (SDAJ), Roylan Tolay (DIDF-Jugend) und Erik Busse (Verdi-Jugend)

Carolin Zottmann (SDAJ, Moderatorin): Willkommen zum Jugendpodium der SDAJ auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2021. Unser Thema lautet »Kampf der Jugend in Zeiten von Krise und Pandemie«. Wie bei jeder Krise trifft es auch uns, die arbeitende und lernende Jugend. Was also tun? Diese Frage diskutiere ich mit dem Düsseldorfer Krankenpfleger Erik Busse, Mitglied der Verdi-Jugend und der Bundestarifkommission öffentlicher Dienst bei Verdi, mit der Erziehungswissenschaftsstudentin Roylan Tolay, Bundesvorstandsmitglied der DIDF-Jugend, mit Leon Sierau, Bundesvorstandsmitglied der SDAJ und als studierter Psychologe im öffentlichen Dienst tätig, und mit Sascha Hevalski, Mitglied der North East Antifascists Berlin. Beginnen wir mit der Frage: Woran erkennt ihr, dass wir in einer Wirtschaftskrise stecken, und was tut ihr dagegen?

Roylan Tolay: Zunächst einmal ist anzumerken, dass wir schon vor Corona in einer kapitalistischen Krise feststeckten, die Auswirkungen sind jetzt nur stärker. Wir machen das fest an dem hohen Stellenabbau und der eingeführten Kurzarbeit, beispielsweise in der Automobilindustrie. Parallel dazu sehen wir, dass Unternehmen oder Großunternehmer wie Lidl, Aldi oder Amazon trotzdem ihre Milliardengewinne einfahren. Hier sehen wir die Zuspitzung der Widersprüche: Auf der einen Seite die Arbeiterinnen und Arbeiter und auf der anderen Seite jene, die trotzdem ihre Milliardengewinne machen. Und was die Jugend betrifft, sehen wir, dass komplette Bereiche wegfallen, die als soziale Auffangnetze dienen, beispielsweise Jugendzentren. Als Organisation gehen wir in Bündnisse und kämpfen mit anderen Gruppen dagegen an. Wir stehen aber auch an der Seite der Arbeiter, wenn sie auf die Straßen gehen und ihre Rechte einfordern.

Leon Sierau: Ich kann mich dem anschließen. Wir haben immer noch mehr als vier Millionen Menschen in Kurzarbeit. Und allein in der Metall- und Elektroindustrie werden in den nächsten Jahren voraussichtlich 250.000 Stellen wegfallen, also gerade in dem Bereich, in dem die Tarifbindung sehr gut ist und die Leute noch verhältnismäßig gute Arbeitsbedingungen haben. Wir befinden uns in einer kapitalistischen Wirtschaftskrise und nicht in einer Krise, die durch diese Pandemie über uns hereingebrochen ist. Wie immer sollen jetzt die arbeitenden Menschen die Kosten für die Krise tragen. Das kriegen wir ja täglich zu spüren, zum Beispiel in unserer politischen Arbeit im Betrieb und in der Schule oder auch zuletzt in den Tarifrunden, wo jetzt ganz offen von Unternehmerseite auf die sogenannte Sozialpartnerschaft gespuckt wird. Hoffnung macht, dass es vermehrt Widerstand gibt. Was tut die SDAJ? Wir sind in den Gewerkschaften aktiv. Und für uns geht es jetzt darum, auf eine Bewegung gegen die Abwälzung der Krisenkosten zu orientieren. Für uns als sozialistisch-revolutionäre Organisation ist es wichtig zu verdeutlichen: Umverteilungsforderungen sind nicht die Lösung. In diesem System, im Kapitalismus, sind unsere Rechte und unsere Gehälter, alles, was wir uns erkämpft haben, ständig in Gefahr. Deswegen brauchen wir in Krisenzeiten mehr denn je eine geplante Wirtschaft und nicht die Anarchie des Marktes.

Zottmann: Erik, woran erkennst du, dass wir in einer Wirtschaftskrise stecken?

Erik Busse: Ich bin Mitglied in der Verhandlungskommission öffentlicher Dienst und war es auch für die Auszubildenden in der Verhandlungskommission in der vergangenen Tarifrunde öffentlicher Dienst 2020, Bund und Kommunen. Die »Arbeitgeber« haben alle Forderungen abgewiesen und gesagt, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollten sich darüber freuen, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben. Damit haben sie Verdi überhaupt erst in die Situation gebracht, in dieser schwierigen Zeit Arbeitskämpfe zu führen. Ganz viele »Arbeitnehmer« haben sich an den Streiks beteiligt. Und auf uns kommen noch harte Kämpfe zu, aber gemeinsam können wir sie auch gewinnen.

Sascha Hevalski: Niemand bestreitet ernsthaft, dass wir uns in einer Wirtschaftskrise befinden. Man wird wahrscheinlich erst in den nächsten Monaten sehen können, welche Probleme nach der Coronakrise noch bleiben werden, aber man kann nicht annehmen, dass es wirtschaftlich keine Konsequenzen haben wird, wenn eine große Zahl der »Arbeitnehmer« bloß siebzig Prozent ihres Gehalts bekommen hat. Die Auswirkungen auf die Jugend lassen sich insbesondere darin sehen, dass kaum noch Ausbildungsplätze zu finden sind. Das gilt selbst für Schlosserei- oder Tischlereibetriebe – Bereiche, in denen eigentlich seit zwanzig Jahren Auszubildende händeringend gesucht werden.

Zottmann: In den vergangenen Jahren sind Jugendbewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter in Erscheinung getreten und haben es in kürzester Zeit geschafft, sich lokal zu verankern und Widerstandskämpfe zu initiieren. Wie habt ihr euch mit euren Organisationen in diese Bewegungen eingebracht?

Tolay: Zunächst einmal: Fridays for Future und Black Lives Matter waren sehr spontane Bewegungen, die es aber geschafft haben, Tausende von Jugendlichen auf die Straßen zu bringen. Es ist sehr wichtig, sie nicht nur zu beobachten, sondern teilzunehmen, sie zu lenken und eigene Inhalte reinzubringen. Denn es reicht nicht, bloß zu sagen, sie seien systemkonform. In einigen Orten haben wir uns bei Fridays for Future beteiligt und mit anderen Organisationen antikapitalistische Kerne gebildet. Black Lives Matter ist schwieriger zu bewerten, da diese Bewegung sehr unorganisiert war. Wir haben versucht, diese Jugendlichen zu organisieren und eigene Demonstrationen anzumelden, da viele auf den Straßen gar nicht wussten, worin denn das eigentliche Problem besteht, konkret das System hinter dem Rassismus: Es geht nicht nur um die Privilegien des Weißseins, die Benachteiligung durch Nichtweißsein, nicht nur darum, dass jemand getötet wurde, weil er schwarz ist, sondern darum zu zeigen: Rassismus ist ein System, das ausbeutet.

Sierau: Letzten Endes sind sowohl die Klimakrise als auch rassistische Polizeigewalt generell sowie der immer weitergehende Ausbau polizeilicher und geheimdienstlicher Befugnisse Auswirkungen einer Krise des Systems. Ebenso ist die Privatisierung und die immer weiter um sich greifende Ökonomisierung aller Bereichen der Gesellschaft Ausdruck dieser Krise. Und deswegen ist auch diese riesige Krankenhaus- und Pflegebewegung eine Reaktion auf die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Wie aktiv waren wir in diesen Bewegungen? Bei Fridays for Future war es auch unser Ansatz zu sagen: Wir wollen antikapitalistisches Bewusstsein in dieser riesigen Jugendbewegung verbreiten. In einigen Städten haben wir uns in der Plattform »Change the ­Future« eingebracht, allerdings war das nicht in allen Städten sinnvoll. Niemand sieht es jedoch gerne, wenn die SDAJ oder irgend jemand anderes zu Treffen von Fridays for Future kommt und dort erklären will, wie die Welt funktioniert. Das wollen wir gemeinsam erarbeiten. Ein letzter Punkt: Ein großes Problem von Fridays for Future und auch von Black Lives Matter war sicherlich, dass diese Bewegungen bei den arbeitenden Menschen nicht sehr stark verankert waren. Es gab keine Verzahnung mit gewerkschaftlichen Kämpfen.

Tolay: Ich bin schon der Meinung, dass wir mutig genug sein müssen zu sagen, dass wir diese Bewegung lenken. Denn wir gehen doch davon aus, dass es spontane Bewegungen sind, die irgendwann abflachen. Warum flachen sie ab? Weil sie nicht gelenkt werden und nicht genug strukturiert sind.

Zottmann: Leon hat die Klinikbewegung schon angesprochen. Erik, kannst du etwas dazu sagen?

Busse: Gerne. Es gab zwar eine umfangreiche Kooperation zwischen Fridays for Future und Verdi, aber im Moment ist es so, dass die Organisierung von Massenbewegungen aufgrund der Pandemie sehr schwierig wird. Dennoch gibt es weiterhin Unterstützung, beispielsweise in der Frage Ausbau des ÖPNV – da haben Fridays for Future und Verdi eng zusammengearbeitet. In jedem Fall freut mich, dass sich unglaublich viele Menschen beteiligen, politisch aktiv werden, Erfahrungen sammeln und auch das Mittel des Streiks nutzen.

Hevalski: Es wurde jetzt recht viel in der Vergangenheitsform geredet, aber Fridays for Future und Black Lives Matter sind ja tatsächlich noch lebendige Bewegungen. Die antikapitalistischen Ansätze sind zwar meist Minderheitenpositionen geblieben, aber sie existieren noch. Natürlich könnte Fridays for Future mehr antikapitalistische und revolutionäre Ansätze haben, aber machen wir uns nichts vor: Solche Ansätze waren bei eigentlich jeder vergangenen Massenbewegung in Deutschland immer Minderheitenpositionen, auch bei den Studentenprotesten 1968 waren marxistisch-revolutionäre Positionen nicht in der Mehrheit. Das ist natürlich kein Grund, davor zu kapitulieren. Die effektivste Möglichkeit, radikale Ansätze bei Bewegungen wie Fridays for Future zu verstärken, ist es nicht zu versuchen, sie von außen zu lenken, sondern sich mit gutem Beispiel einzubringen und die Kämpfe selbst zu führen. In der Ökobewegung gelingt das recht gut: Zu den öffentlich wirksamsten Aktionen gehören »Ende Gelände« oder die Besetzung des Hambacher Forstes, die komplett von radikalen, antikapitalistischen Linken dominiert sind.

Sierau: Wir als SDAJ sind überrascht, wie lange Fridays for Future schon existiert und immer wieder in der Lage ist, auch große Mengen von Menschen zu mobilisieren. Am Ende geht es darum, die Macht in Händen zu halten, um das, was man fordert, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene umsetzen zu können. Sicher ist es auch möglich, durch vereinzelte Aktionen wie zum Beispiel im Hambacher Forst mal zu verhindern, dass da was abgeholzt wird, aber damit erledigt sich das Grundproblem nicht, nämlich dass diese Produktionsweise unsere Lebensgrundlage immer weiter zerstört. Um daran etwas ändern zu können, braucht es eine Beteiligung der arbeitenden Menschen, die in der Lage sind, durch einen Streik auch real etwas zu verändern.

Zottmann: Erik, in der Vergangenheit seid ihr in der Organisation der Abwehrkämpfe an den Kliniken beachtliche Schritte gegangen. Der Gesundheits- und Pflegebereich wurde kaputtgespart und privatisiert. Bräuchte es nicht eher gesetzliche Regelungen und Maßnahmen, die von einer breit aufgestellten Bewegung erkämpft werden?

Busse: Im Moment besteht die Situation, dass es in den Krankenhäusern sehr wenig gesetzliche Regelungen gibt. Verdi hat in den vergangenen fünf Jahren in langen, sehr aufwendigen Arbeitskämpfen viele Tarifverträge abgeschlossen, die auf Station die Personalrichtlinien festlegen. In der Uniklinik Düsseldorf war ich selbst daran zwei Monate lang beteiligt. Eine gesetzliche Regelung müsste endlich erfolgen, aber es passiert nichts. Dabei ist es unglaublich, dass es Krankenhausstationen gibt, in denen nicht festgelegt ist, wieviel Personal mindestens vorhanden sein muss. Um all dem entgegenzuwirken, um zu verhindern, dass das Personal verheizt wird, sind die Tarifverträge ein erster Schritt. Doch Verdi kämpft auch darum, entsprechende gesetzliche Regelungen einzuführen.

Zottmann: Sascha, in einer von euch veröffentlichten Broschüre zu »Querdenkern« und »Hygienedemos« weist ihr darauf hin, dass linke Politik mehr sein muss als nur antifaschistischer Widerstand. Von Krisenzeiten profitieren aber nun mal oft Faschisten und Reaktionäre. Wie erklärt sich das?

Hevalski: Protest und politischer Aktivismus auf der Straße können erfolgreich sein, das gilt natürlich auch für reaktionäre Bewegungen. In Zeiten, in denen sie stark sind, darf man sich nicht wundern, wenn auch der Staat relativ ungehemmt reaktionäre Politik durchsetzen kann. Von Krisenzeiten profitieren oft Rechte, aber es gibt keinen immanenten Grund, warum die Linke nicht in der Lage sein sollte, sich in Krisenzeiten eine stärkere Basis zu schaffen. Es sieht bei der Coronakrise zugegebenermaßen ganz danach aus, als würden die Rechten das deutlich effektiver nutzen als die Linke. Das liegt aber zu einem guten Teil auch an unseren Schwächen. Uns gelingt zu selten, trotz aller guten theoretischen Ansätze tatsächliche Abwehrkämpfe gegen die Krise zu führen. Hoffnung macht da aber die Krankenhausbewegung.

Zottmann: Roylan, ihr seid als DIDF-Jugend in dem Bündnis »Nicht auf unserem Rücken« bundesweit aktiv. Warum engagiert ihr euch gerade jetzt in Bündnissen gegen die Abwälzung der Krisenlasten?

Tolay: In den jetzigen Zeiten ist es wichtiger denn je für die fortschrittlichen Organisationen, sich untereinander zu vernetzen. Es ist wichtig, die Widersprüche der heutigen Zeit aufzuzeigen. Wenn ich darüber rede, dass Studierende nicht einmal Überbrückungshilfen bekommen oder vom Staat mit bürokratischen Auflagen überhäuft werden, um irgendwie knappe 500 Euro zu erhalten, und wenn wir sehen, dass die BRD im vergangenen Jahr 45,2 Milliarden Euro in die Rüstung gesteckt hat, dann müssen wir sagen: Das Geld ist da, aber wofür wird es ausgegeben? Das ist die Perversion, die wir immer wieder benennen müssen, die wir den Menschen klarmachen müssen: »Hier läuft etwas falsch, das betrifft auch dein Leben.«

Zottmann: Leon, wer das Wort »Krise« hört, denkt fast immer zuerst an Corona und nicht an die Krise des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Was tut die SDAJ konkret, um schneller auf das politische Geschehen reagieren zu können?

Sierau: Ein ganz entscheidender Punkt ist, in das politische Geschehen frühzeitig orientierend eingreifen zu können. Sascha meinte eben, dass wir als Linke zu schwach waren, was eine Ursache dafür ist, dass die Rechte jetzt so einen Auftrieb hat mit den Protesten gegen die Coronamaßnahmen. Das hat viel damit zu tun, dass es der Rechten immer leichter fällt, an die herrschenden gesellschaftlichen Gegebenheiten anzuknüpfen, aber zum Teil sicherlich auch damit, dass wir als politische Linke insgesamt zu langsam und nicht konsequent genug darin waren, fortschrittliche Proteste auf den Weg zu bringen. Noch etwas: Erik, du hast eben gesagt, es gehe erst einmal und vornehmlich darum, tarifliche Regelungen zu finden. Das sehe ich grundsätzlich auch so. Aber mich würde interessieren, wie du zum Thema Recht auf politischen Streik stehst.

Busse: Diese Forderung unterstütze ich uneingeschränkt, und auch Verdi ist dem politischen Streik, so wie ich das einschätze, nicht prinzipiell abgeneigt. Denn es lässt sich ja leicht einsehen, dass ganz viele unserer Forderungen etwa im öffentlichen Dienst mit grundsätzlich politischen Fragen eng zusammenhängen.

Zottmann: Wir haben jetzt viele Fragen von den Zuschauern bekommen. Mehrere gehen in die Richtung: Worin bestehen die politischen Gemeinsamkeiten, und wie können die fortschrittlichen Jugendorganisationen in der BRD enger zusammenarbeiten?

Busse: Eine enge Zusammenarbeit besteht ja ohnehin schon über die verschiedenen Bündnisse. Die Vernetzung und die gegenseitige Einladung zu Treffen führt dazu, die Kräfte zu bündeln.

Sierau: Uns alle eint inhaltlich, dass wir einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Krise sehen sowie mit all den Auswirkungen, die das mit sich bringt, also wachsende Polizeibefugnisse, rechte Massenbewegungen, ein immer repressiver auftretender Staat, der auch nach außen aggressiver wird. Wenn wir dann dahin gelangen, auch die Ursachen klar zu benennen und gemeinsam mit unseren Mitschülerinnen und Mitschülern, Kolleginnen und Kollegen auch die Menschen, die nicht Mitglied in einer sozialistischen Organisation sind, zu der Erkenntnis zu bringen: »Dieses System handelt nicht in meinem Interesse«, dann sind wir einen großen Schritt weiter.

Zottmann: Noch eine Frage an Sascha. »Ende Gelände« und Co. sind deiner Aussage nach massenwirksam. Aber bei den angesprochenen Besetzungen werden teilweise Arbeiterinnen und Arbeiter bei ihrer Arbeit behindert. Die sehen sich dann persönlich angegriffen, weil sie sich teilweise sehr stark durch ihre Tätigkeit definieren, da sie ihr ganzes Leben in diesem Bereich gearbeitet haben. Dass die Aktionen nicht gegen sie gerichtet sind, wissen sie oft nicht, was auch teilweise an der Aktionsform liegt. Wäre es nicht wesentlich wirksamer, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern zusammen für eine gemeinsame Zukunft und gegen die Profitinteressen der Bonzen zu kämpfen, beispielsweise indem Diskussionen zur Ökologie in den Basisorganisationen der Gewerkschaft geführt werden?

Hevalski: Die North East Antifa ist nicht »Ende Gelände«. Daher kann ich nicht als deren Sprecher über Stärken oder Fehler dieser Bewegung urteilen. Tatsächlich wird doch auch mit den Gewerkschaften zusammengearbeitet. Das klappt im rheinischen Braunkohlerevier deutlich besser als im Revier in der Lausitz, was auch daran liegt, dass im Rheinland ein sehr viel höherer gewerkschaftlicher Organisierungsgrad besteht. Natürlich wäre es besser, wenn alle Arbeiter sich an gemeinsamen Protesten beteiligen würden, aber wenn die letzten 8.000 Beschäftigten im Braunkohlesektor sich partout weigern, den Schuss zu hören und irgendwie für die Zukunft einzustehen … Man kann nicht zu jeder Zeit auf jeden »Arbeitnehmer« uneingeschränkt Rücksicht nehmen.

Sierau: Ich stimme dir grundsätzlich darin zu, dass man nicht auf jeden individuell Rücksicht nehmen kann, aber wir sind uns doch hoffentlich darin einig, dass den Leuten eine Perspektive geboten werden müsste, wenn man sie einbinden will. Wir müssen mit den dort Beschäftigten solidarisch sein.

Tolay: Diese Gegenüberstellung kann sehr gefährlich werden. Die Arbeiter, die da ein Stück Wald abholzen, handeln sicher nicht im eigenen Interesse. Das gilt es anzuerkennen.

Zottmann: Welche Schlüsse ziehen wir aus dem Gespräch?

Sierau: Kultur und Freizeit bleiben ein großes Thema, da sind viele Jugendliche ganz konkret von den Krisenbewältigungsmaßnahmen des deutschen Staates betroffen: Wenn etwa in der öffentlichen Daseinsfürsorge gekürzt werden wird, wenn die Kommunen immer weiter ausbluten und dann Freizeitangebote, Sportplätze, Jugendzentren und anderes kaputtgespart werden. Was uns ebenfalls weiterhin begleiten wird, ist das Problem Polizei. Nicht nur die rassistische Polizeigewalt oder rassistische Einstellungen in der Polizei, sondern generell die Ausweitung der polizeilichen und geheimdienstlichen Befugnisse. In der Bevölkerung herrscht durchaus ein Bewusstsein dafür, dass es nicht gerade cool ist, wenn die demokratischen Rechte immer weiter abgebaut werden.

Busse: Schon jetzt werden viele Kultureinrichtungen geschlossen. Da findet jeder einen Anknüpfungspunkt.

Tolay: Für mich ist besonders wichtig, was wir hier bereits festgehalten haben: Wir müssen endlich raus aus der Beobachterperspektive. Wir müssen rein ins Handeln, wir müssen in die Bewegungen selbst gehen und die Kämpfe von morgen schon heute führen. Und hierbei ist es auch enorm wichtig, gerade dort anzuknüpfen, wo sich der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit am schärfsten darstellt, und das ist letzten Endes in den Betrieben.

Hevalski: »Raus aus der Beobachterposition, rein in die Praxis«, das ist das Stichwort.

Mittwoch, 27. Januar, in junge Welt: jW-Spezial zur XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-KonferenzAb Ende März im Handel erhältlich: Broschüre mit den Vorträgen, dem Podiums­gespräch sowie weiteren Beiträgen.

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