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»Das taucht sonst in der Kunst kaum auf«

Lieder über die soziale Frage: Die »Grenzgänger« treten bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz auf. Ein Gespräch mit Michael Zachcial
Interview: Gitta Düperthal
Michael Zachcial in Aktion

Auch bei der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar 2022 wird es ein vielseitiges Kulturprogramm geben. Unter anderem werden Sie mit der Band »Grenzgänger« dort auftreten. Was verbindet Sie mit der RLK?

Diese Konferenz ist eine Veranstaltung mit großer Strahlkraft. Schon in der Vergangenheit hatten wir uns bemüht, eingeladen zu werden. Der Name von Rosa Luxemburg steht für positive Werte. Sie war eine sehr moderne Frau, hat zu ihren Lebzeiten mutig und leidenschaftlich für Sozialismus und Menschenrechte gekämpft. Wir freuen uns, mit dem Klang ihres Namens, ihrem Lebenswerk und ihren Idealen verbunden zu sein. Wir werden Lieder darbieten, die zwar in der Vergangenheit geschrieben wurden, aber große Wirkkraft für das Heute und das Morgen besitzen. Zuletzt haben wir uns mit der Pariser Commune beschäftigt.

Mit welchem Anliegen haben sich die »Grenzgänger« im Jahr 1988 gegründet?

Im Ton-Steine-Scherben-Lied »Schritt für Schritt ins Paradies« hieß es: »Ich bin aufgewacht und hab’ gesehen, woher wir kommen, wohin wir gehen.« Das war auch unsere Idee. Damals intonierten wir Lieder über die Verachtung gegenüber der Obrigkeit sowie über den Widerstand gegen Militarismus. Mehrere Liedermacher arbeiteten so, um diese populär zu machen: etwa die westdeutsche Folkgruppe Liederjan, das Duo Zupfgeigenhansel, der sozialkritische Liedermacher Hannes Wader, »Die Schmetterlinge« aus Wien, aber auch die Bands Wacholder und Folkländer aus der DDR. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet, damals geprägt vom Zechensterben, von Strukturwandel und hoher Arbeitslosigkeit und – wie die BRD insgesamt – von der sogenannten geistig moralischen Wende Helmut Kohls.

Gab es besondere Momente in der Geschichte der Band?

Wir durften mit der im Juli 2021 verstorbenen Antifaschistin Esther Bejarano auf der Bühne stehen. Berührend war, als nach einem unserer Konzerte ein sehr alter Mann mit Tränen in den Augen sagte: Wir hätten die schönste Version der Internationale gespielt, die er je gehört habe. Er hatte sicher viele gehört. Ein migrantisches Paar lachte sich mal kaputt über die Satire zu deutsch-nationalen Charaktereigenschaften in Hoffmann von Fallerslebens Lied von 1843 »Ich bin also denke ich (Sum ergo cogito)«.

Wie haben Sie als Künstler bislang die Coronakrise mit all den Einschränkungen überstanden?

Es ist frustrierend. Veranstaltungen werden ins Streaming versetzt. In der Anfangszeit war nicht abzusehen, ob es überhaupt eine Entschädigung gibt. Man merkt, dass Kultur hierzulande einen geringen Stellenwert hat. Wir leben hauptsächlich von Eintrittsgeldern und Gagen. Wieviel Geld man bei Ausfall erhielt, war »Glückssache«. Man hätte alle in der Künstlersozialkasse registrierten Künstler mit einer Art Kurzarbeitergeld entschädigen können, gemessen am Einkommen der letzten zwei oder drei Jahre. Schließlich gründeten wir eine Art Netzwerk: Viele Leute zahlten ein, denen unsere Arbeit etwas wert war.

Wie setzt sich das Publikum der »Grenzgänger« zusammen? Kommen da nur Leute, die die Gesellschaft grundlegend verändern wollen?

Das wäre ein Ausschlusskriterium. Wir finden es nicht gut, wenn die Presse schreibt, wir seien eine linke Band. Nach dem Motto: Mit unserer Kunst müsste man sich gar nicht mehr beschäftigen. Wir wollen keine Schlagzeilen produzieren, es geht um Zwischentöne. Humor kann vieles auflösen, Tragik manches bewirken. Schlussfolgerungen muss der Zuhörer selber ziehen. Freilich wollen wir mit unserem Auftritt bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz auch ein Zeichen setzen. In unseren Liedern beschäftigen wir uns mit Menschen aus der »Unterschicht«, stellen deren Perspektive dar. Das taucht sonst in der Kunst kaum auf.

Michael Zachcial ist Sänger, Gitarrist und Mitbegründer der Band »Grenzgänger«

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