Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Sa. / So., 21. / 22. Dezember 2024, Nr. 298
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025

»Sie wollen uns in den Krieg führen«

Über das von westlichen Staaten verursachte Chaos im Sahel und die Interessen der internationalen Oligarchie. Ein Gespräch mit Aminata Dramane Traoré
Von Raphaël Schmeller
Haben genug von Macron und Co.: Demonstration gegen die französische Militärpräsenz in Mali (Bamako, Januar 2022)

Der Ukraine-Krieg wird in den Medien täglich thematisiert. Der Standpunkt des afrikanischen Kontinents spielt dabei kaum eine Rolle. Wie blicken Sie auf diesen Konflikt?

Der Krieg verschärft unsere Probleme erheblich. Man könnte sagen: Er ist das eine Übel zuviel für Afrika. Das Bittere ist, dass man am Anfang noch Lösungen hätte finden können, um eine Eskalation zu verhindern. Daran hatte aber wohl niemand ein Interesse. Und auch aktuell habe ich den Eindruck, dass niemand die Absicht hat, den tieferen Ursachen des Kriegs auf den Grund zu gehen.

Was sind ihrer Meinung nach die tieferen Ursachen?

Es geht um die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der verschiedenen Akteure. Es sind diese Fragen, die aus meiner Sicht den Umwälzungen, die in der Ukraine im Gange sind, zugrunde liegen. Aus afrikanischer Perspektive hängt der Krieg also auch mit der Wirtschaftspolitik zusammen, die unseren Staaten aufgezwungen wird.

Können Sie das etwas näher erläutern?

Wir wollten in den 1960er Jahren aus der Dominanz und einem Modell ausbrechen, das auf dem Export einiger weniger Rohstoffe beruht, ohne dass diese jemals lokal verbraucht würden und es möglich würde, Arbeitsplätze zu schaffen und unsere Landwirtschaft und unseren eigenen Nahrungsmittelbedarf umzugestalten. Unsere Wirtschaft besteht bis heute darin, für die internationale Nachfrage und die Bedürfnisse anderer zu produzieren. Massenerwerbslosigkeit, Massenarmut, Abwanderung und das, was man Dschihadismus nennt, stehen in direktem Zusammenhang mit diesen wirtschaftlichen Fragen.

Im Westen wird vor allem Russland für Probleme wie Hungerkrisen verantwortlich gemacht. Teilen Sie diese Ansicht?

Nein. Es ist doch der Westen und nicht Moskau, der mit seiner Politik und seinen militärischen Interventionen in den vergangenen Jahren gescheitert ist und alles verschlimmert hat. So im Irak oder in Afghanistan. Und als das britisch-französische Paar und die NATO beschlossen haben, Muammar Al-Ghaddafi anzugreifen und Libyen zu zerstören, war Russland auch nicht dabei. Der Westen sollte damit aufhören, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.

Können Sie erklären, welche Folgen die westlichen Sanktionen gegen Russland für Ihren Kontinent haben?

Russland und die Ukraine haben ein erhebliches Gewicht bei der Versorgung mit Weizen, der jetzt unter anderem wegen der Sanktionen fehlt. Das führt zu Hunger, und damit kommen wir auf meine vorige Antwort zurück: Wenn wir unsere Volkswirtschaften so strukturieren könnten, dass wir nach unserem eigenen Bedarf produzieren, wären wir heute nicht in dieser Lage. Die Ukraine ist also ein weiteres Problem für uns, nicht aber das grundlegende.

Russland und Mali haben vergangene Woche ein Abkommen zur Bekämpfung des Terrorismus unterzeichnet. Worum geht es dabei?

Es geht nicht darum, den Westen systematisch herauszufordern. Es geht darum, dass wir das Recht haben wollen, unsere militärische Partnerschaft zu diversifizieren. Denn bei der Terrorismusbekämpfung ist der Westen unfähig. Die französische Militäroperation »Barkhane« hat es in einem Zeitraum von gut zehn Jahren nicht geschafft, den Dschihadismus einzudämmen und wirksam zu bekämpfen. Im Gegenteil: Die Zahl der Dschihadisten lag 2013 in Mali bei rund 400, mittlerweile sind es Tausende in mehreren Ländern des Sahel. Das liegt daran, dass die Dschihadisten lokal rekrutieren können, weil jedes Jahr Hunderttausende junge Männer und Frauen in diesen Ländern auf den Arbeitsmarkt kommen, wobei es aber keine Arbeit gibt. Das herrschende Wirtschaftsmodell hat keine Antwort auf die Armut.

Jetzt sind die französischen Truppen aus Mali abgezogen. Das hatten Sie schon vor zehn Jahren gefordert. Warum?

Der wirkliche Grund für die militärische Intervention war nie der Terrorismus. Dieser ist ja umgekehrt eine Folge der expansionistischen Politik des kapitalistischen Systems. Länder wie Mali treffen nicht die Entscheidungen, wenn es um ihre Wirtschaftspolitik geht, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben längst die Macht übernommen. Der Kern der Debatte ist also, dass nichts getan wurde, um die Grundbedürfnisse der Afrikaner unter Wahrung ihrer Menschenrechte und einer intakten Umwelt einschließlich des Klimas zu befriedigen. Noch mal: Frankreich und seine Verbündeten, darunter Deutschland, sind gar nicht in der Lage, den Dschihadismus erfolgreich zu bekämpfen. Diese Länder sind hier, weil sie uns in einen Krieg führen wollen, damit sie ihre Interessen verteidigen können.

Wird sich diese Situation nun, da Frankreich Mali den Rücken kehrt, ändern?

Frankreich will das Land in Wirklichkeit nicht verlassen, es wird nur so getan, als würde man gerade gehen. Und das gilt nicht nur für Frankreich. Die deutsche Außenministerin beispielsweise sagt, dass es nicht in Frage komme, dass man jetzt Russland das Land überlasse. Ich finde dieses Russland-Argument, das gerade ständig für alles in allen möglichen Variationen serviert wird, unglaublich. Der Westen war vor Russland da – er war es, der das Problem nicht gelöst hat. Und jetzt soll sich trotzdem alles um Russland drehen? Die große Mehrheit der Malier will schon lange, dass mit den malischen Dschihadisten verhandelt wird. Doch Frankreich und Deutschland sagen, dass ein Dialog zwischen Maliern, das heißt zwischen den Dschihadisten, den Behörden und der Zivilgesellschaft, nicht in Frage komme. Sie haben solche Verhandlungen in den vergangenen Jahren immer wieder verhindert.

Warum wurden diese Verhandlungen nicht zugelassen?

Weil der Westen nicht gehen will. Denn wenn die Afrikaner das Problem selbst lösen können, werden sie gezwungen sein zu gehen. Die Militäreinsätze, der CFA-Franc (an den Euro gebundene Währung der ehemaligen französischen Kolonien, jW), die Handelsabkommen zwischen dem Westen und Afrika sind doch alle nur dazu da, die Interessen der internationalen Oligarchie zu verteidigen.

Zu den bestehenden Problemen in Afrika kommt nun zunehmend noch ein weiteres dazu: die Klimakrise.

Ja, das ist ein großes Problem. Afrika, das gerade einmal vier Prozent der Treibhausgase produziert, ist die Region der Welt, die die Folgen der Klimakrise bereits jetzt am stärksten zu spüren bekommt. Wenn wir sehen, wie wenig Fortschritte seit der Pariser Klimakonferenz 2015 erzielt wurden, wie um kleine Reparationszahlungen gestritten wird und wie jetzt auch noch Milliarden für Krieg ausgegeben werden, dann fühlen wir uns im globalen Süden wirklich verspottet. Die Mittel sind da, um dafür zu sorgen, dass weder Afrika noch andere Teile der Welt so sehr unter den Folgen der Klimakrise leiden müssen. Doch es wird kaum etwas im Kampf dagegen getan, weil auch das nicht im Interesse des Kapitalismus liegt.

Trägt das Klimathema dazu bei, dass der Widerstand gegen den Westen größer wird?

Ich denke, schon. Es gibt heute eine neue Generation von Afrikanern, die diese Zusammenhänge verstanden hat. Macron spricht in diesem Kontext von antifranzösischer Stimmung, die angeblich auf dem Vormarsch sei. Doch darum geht es nicht. Die Menschen sind sich einfach der kulturellen und rassischen Verachtung bewusst geworden und wollen sich emanzipieren. Es ist dieser Widerstand, der im Mittelpunkt des Konflikts in Mali steht – nicht Russland oder der Dschihadismus.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Die Zeiten sind hart, und jeder weiß, worum es geht. Es liegt also an uns, die Verhältnisse zu verändern. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass alle afrikanischen Anführer, die in der Vergangenheit versucht haben, die Interessen ihrer Völker zu vertreten, getötet, ihre Regierungen destabilisiert oder auf die eine oder andere Art und Weise marginalisiert wurden. Es wird in Afrika also keine Demokratie geben können, solange die Demokratie in den angeblich entwickelten Ländern, die heute mit denselben Schwierigkeiten wie die sogenannte dritte Welt konfrontiert sind, in der Krise steckt. Tatsächlich sind im Westen aktuell große demokratische Rückschritte zu beobachten. Man könnte sagen, diese Staaten befinden sich jetzt selbst auf dem Weg Richtung »dritte Welt«. Vielleicht können wir ja dann auf Augenhöhe miteinander sprechen.

Aminata Dramane Traoré ist Autorin, Menschenrechtsaktivistin und ehemalige Kulturministerin von Mali. Sie wird als Referentin auf der kommenden »Internationalen Rosa Luxemburg Konferenz« Gast sein

Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter