Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Unterwerfen oder entkoppeln

Chinas Platz im Weltsystem
Von Sit Tsui, Erebus Wong, Lau Kin Chi und Wen Tiejun
Auch in China fließt überschüssiges, in der Realwirtschaft nicht mehr profitabel anzulegendes Kapital in hochspekulative Sphären (Skyline von Shanghai, dem Finanzzentrum der Volksrepublik)

Auf der XXVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 14. Januar 2023 im Moa-Hotel Berlin-Moabit wird der chinesische Agrarökonom Wen Tiejun zum Thema »Entwicklungsmodell China. Wovor hat der Westen Angst?« sprechen. Wir veröffentlichen an dieser Stelle, aus dem Englischen übersetzt und redaktionell gekürzt, einen Aufsatz, den Wen zusammen mit drei weiteren chinesischen Wissenschaftlern für die sozialistische US-amerikanische Zeitschrift Monthly Review verfasst hat. (jW)

Die Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und China im Namen eines Handelskriegs kündigen einen neuen Kalten Krieg im 21. Jahrhundert an. Seit den 1990er Jahren hat die kontinuierliche Integration Chinas in die Globalisierung in gewissem Sinne auch den Zerfall der beiden Lager des früheren Kalten Krieges bedeutet. Die ganze Welt ist unter ein einziges System der kapitalistischen Globalisierung geraten.

Die Demagogie des Kalten Krieges wurde nach den Kriegen der Vereinigten Staaten im Irak, in Libyen und in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sowie nach Barack Obamas öffentlichkeitswirksamem »Schwenk nach Asien« (pivot to asia) und Donald Trumps Eskalationen wieder aufgegriffen. Indem er sich selbst zum Mittelpunkt der Welt machte, hatte Trump das strategische Ziel »Eine Welt – Zwei Systeme« in den Vordergrund gestellt, um China vom Westen zu isolieren. Da China nun der Hauptrivale der USA ist, versuchen die Vereinigten Staaten, wenig überraschend, China mit allen Mitteln einzudämmen.

Das Jahr 2013 war eine Wegmarke bei der Neuausrichtung der USA, China und andere Länder der Peripherie von einer globalen Finanzallianz auszuschließen. Am 31. Oktober 2013 vereinbarten die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank sowie die Zentralbanken des Vereinigten Königreichs, Japans, Kanadas und der Schweiz ein langfristiges Währungs-Swap-Abkommen, das die vorübergehenden gegenseitigen Liquiditäts-Swap-Vereinbarungen ersetzte. Angesichts der Verknappung der Dollar-Liquidität dominiert das Monopol der sechs Zentralbanken das weltweite Währungs-, Finanz- und Wirtschaftssystem. Geld- und Finanzmärkte, die Teil dieses Systems werden, erhalten sowohl Liquiditätshilfe wie auch eine »Krisengewinnprämie«. Wirtschaftssysteme weltweit, die nicht das Glück haben, Mitglied dieser Allianz zu werden, sind anfällig für Angriffe auf die Wechselkurse und die Finanzmärkte.

Am 19. März 2020 kündigte die Federal Reserve die Einrichtung von befristeten US-Dollar-Liquiditätsvereinbarungen (Swap-Lines) mit neun weiteren Zentralbanken an: »Diese neuen Fazilitäten werden die Bereitstellung einer US-Dollar-Liquidität in Höhe von jeweils bis zu 60 Milliarden US-Dollar für die Reserve Bank of Australia, die Banco Central do Brasil, die Bank of Korea, die Banco de Mexico, die Monetary Authority of Singapore und die Sveriges Riksbank sowie jeweils 30 Milliarden US-Dollar für die Danmarks Nationalbank, die Norges Bank und die Reserve Bank of New Zealand unterstützen. Diese US-Dollar-Liquiditätsvereinbarungen werden für mindestens sechs Monate gelten.«

Auf diese Weise bildet das Währungssystem des Westens in der Ära der finanziellen Globalisierung ein ähnliches Muster wie in der Weltsystemtheorie von Immanuel Wallerstein: Kern – Semiperipherie – Peripherie. Mit anderen Worten: Der US-Dollar bleibt in der zentralen Position und bildet zusammen mit den Währungen, die ihn umkreisen – Euro, britisches Pfund, Yen, kanadischer Dollar und Schweizer Franken – das Kernwährungssystem. Die neun neu beigetretenen Zentralbanken sind die semiperipheren Mitglieder. Die Wirtschaftssysteme, die vom Tauschgeschäft mit den Kernzentralbanken ausgeschlossen sind, werden in die Randlage verwiesen. Dieses institutionelle Arrangement im Finanzsystem stärkt das US-Lager im neuen Kalten Krieg.

Wechselseitige Umstrukturierungen

In den 1960er Jahren wurde China faktisch aus den beiden großen Lagern ausgeschlossen: dem sowjetischen und dem US-amerikanischen Lager. Etwa ein Jahrzehnt lang, bevor sich die Volksrepublik mit den Vereinigten Staaten versöhnte und 1971 wieder den Vereinten Nationen beitrat, war das Land gezwungen, sich um die Entwicklung innerhalb seiner eigenen Grenzen zu bemühen und erreichte dadurch ein gewisses Maß an Entkopplung. Nach der Normalisierung der Außenbeziehungen in den frühen 1970er Jahren holte sich China wieder ausländisches Kapital ins Land. Ende der 1990er Jahre war China im großen und ganzen in die Globalisierung integriert, importierte Rohstoffe, exportierte Industriegüter und Dienstleistungen, beteiligte sich an der Finanzialisierung und begann, seine Produktionskapazitäten für Industrie und Dienstleistungen durch die Neue Seidenstraße (»Belt and Road Initiative«) zu erweitern. Nachdem es jedoch explizit als Hauptkonkurrent der Vereinigten Staaten ins Visier genommen wurde, sah sich China mit wachsenden Handelsbeschränkungen konfrontiert, die in Verbindung mit den globalen Krisen der Covid-19-Pandemie zum Zusammenbruch der globalen Industrieketten führten.

Das Wirtschaftswachstum der Volksrepublik hat sich seit 2013 verlangsamt und ist um fast 50 Prozent seines Höchststandes zurückgegangen – ein Rückgang, wie er seit zwanzig Jahren nicht mehr zu verzeichnen war. Die Dynamik des alten Globalisierungsmodells hat sich erschöpft, und die negativen externen Effekte der vergangenen drei Jahrzehnte hinterlassen tiefe Spuren. In den vergangenen Jahren hat China jedoch eine Strategie zur Wiederbelebung des ländlichen Raums verfolgt, die als Versuch verstanden werden kann, sich von einer Entwicklungspolitik abzuwenden, die dem westlichen Modernisierungsmodell folgt, und zu einer integrativen und nachhaltigen Entwicklung überzugehen, um die Armut in den ländlichen Regionen zu beseitigen.

Dieser große Wandel wird durch den amerikanisch-chinesischen Handelskrieg und die gleichzeitige wirtschaftliche Umstrukturierung der beiden Länder eindeutig erschwert. Die Umstrukturierung ist eine Reaktion auf die Finanzkrise von 2007 bis 2009 und den allgemeinen Niedergang des Globalisierungsregimes der vergangenen vier Jahrzehnte. Inzwischen zeichnet sich am Horizont wieder die Gefahr neuer Krisen ab, sowohl weltweit als auch im eigenen Land. Dieser anhaltende Wirtschaftsabschwung, der eine Fortsetzung der Krise von 2007 darstellt, hat China in die Deflation gestürzt. Die Beendigung der quantitativen Lockerungspolitik (expansive Geldpolitik) der US-Notenbank im Jahr 2013 hatte große Auswirkungen auf die Schwellenländer in aller Welt. China bildet zwar keine Ausnahme, aber dank der Kapitalverkehrskontrollen und der soliden wirtschaftlichen Basis des Landes waren die Auswirkungen weniger gravierend.

Als Reaktion auf die Krise führte die chinesische Regierung angebotsseitige Reformen durch und ergriff Maßnahmen, die im Grunde prozyklisch waren: Deindustrialisierung und Finanzialisierung. Im Gegensatz zu den antizyklischen Maßnahmen der Jahre 1997 und 2008, als die Regierung in erheblichem Umfang in die nationale Industrie und Infrastruktur investierte, wurde die übermäßige industrielle Produktionskapazität zwangsweise abgebaut. Angetrieben vom Enthusiasmus für eine radikale Finanzreform, wie sie vom aufstrebenden Block der Finanzwirtschaft vor dem Hintergrund der sinkenden Rentabilität des verarbeitenden Gewerbes befürwortet wurde, führte die Raserei der schnellen Finanzialisierung zum Börsencrash von 2015, gefolgt von der Devisenreform, die den Wechselkurs des Renminbi (Yuan) unter Druck setzte. Die Regierung musste bis zu einer Billion US-Dollar ihrer Devisenreserven auf den Markt bringen, um den Wechselkurs des Yuan zu stabilisieren.

Falle der Finanzialisierung

Das auffälligste Merkmal der Situation zwischen 2013 und 2018 war, dass es der Regierung nicht gelungen ist, den Trend der Finanzialisierung der Wirtschaft umzukehren. Der Geldmengen-Preismechanismus Chinas war in den letzten zwanzig Jahren stark auf den Zufluss ausländischer Währungen angewiesen. Per Verordnung müssen alle nach China fließenden Devisen an die Zentralbank verkauft werden, und die Geldbasis wird entsprechend ausgeweitet. Die Liquidität hat zugenommen, ohne dass ein entsprechendes Wachstum der Realwirtschaft zu verzeichnen war. Darüber hinaus haben die Mängel im monetären Leitmechanismus dazu geführt, dass es für kleine und mittlere Unternehmen in der Realwirtschaft schwierig ist, Kredite von Banken zu erhalten. Angesichts der sinkenden Gewinnraten im verarbeitenden Gewerbe und in der Realwirtschaft floss das Kapital in spekulative Bereiche wie den Aktien- und Immobilienmarkt. Infolgedessen erlebte China von 2013 bis 2018 starke Schwankungen an diesen Märkten. Diese Krise ist im Wesentlichen der Preis dafür, dass China unter dem Druck des überschüssigen Finanzkapitals in die globale Finanzialisierung eingebunden wurde.

Der Trend zur Finanzialisierung in China ist sowohl endogen als auch exogen bedingt. Die Rentabilität des verarbeitenden Gewerbes im Allgemeinen sinkt aufgrund von Überkapazitäten und schwacher globaler Nachfrage. Nach der Finanzkrise von 2007 bis 2009 und den darauf folgenden Krisen im Westen brach die weltweite Nachfrage ein. China durchläuft eine Deindustrialisierung, wobei die Industrien des Landes noch technologisch aufgerüstet werden müssen, um eine höhere Wertschöpfung zu erzielen. Gleichzeitig nimmt China mehr und mehr an der finanziellen Globalisierung teil. Seit 1993 hat sich der chinesische Bankensektor nach dem angelsächsischen Modell kommerzialisiert, und der Finanzsektor ist zu einem der größten Interessenblöcke des Landes geworden, der sich immer mehr mit dem globalen Finanzkapitalismus vermengt.

Infolgedessen hat sich der Finanzsektor mehr und mehr von der Realwirtschaft entfremdet. Während kleine und mittlere Unternehmen sowie das verarbeitende Gewerbe nur schwer Kredite von Banken erhielten, gilt dies nicht für den Ausbau der Infrastruktur, für staatliche Unternehmen und für Kredite mit Immobilien als Sicherheiten. Auf diese Weise hat eine Handvoll chinesischer Finanzgiganten den größten Teil der wirtschaftlichen Erträge abgeschöpft. Die Realwirtschaft wiederum wurde infolge der Imperative der Finanzwirtschaft verdrängt. Während erstere ausgehöhlt wird, drängt der Finanzblock auf weitere radikale Finanzreformen, wodurch überschüssige Liquidität in spekulative Sektoren fließt, Vermögensblasen entstehen und die Verschuldung steigt.

Der chinesische Aktienmarkt hat seine eigentliche Funktion nicht erfüllt, nämlich überschüssige Liquidität effektiv in die Realwirtschaft zu leiten, um die industrielle Modernisierung zu fördern. Nach dem Crash von 2015 wurde überschüssiges Kapital den nicht mehr profitablen Aktienmärkten entzogen und auf andere Weise verspekuliert, vor allem im Immobiliensektor. Da die Immobilienpreise in den Großstädten in die Höhe schießen, können sich immer weniger Menschen eine Wohnung leisten. Erschwerend kommt hinzu, dass die lokalen Regierungen sich in eine Abhängigkeit von Grundstücken und Immobilien als Einnahmequellen begeben haben. Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes belief sich der Gesamtwert der Immobilien in siebzig Großstädten Chinas im Jahr 2018 auf 65 Billionen US-Dollar, damit ist er höher als in den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und Japan zusammen. Gleichzeitig betrug der Wert der chinesischen Aktienmärkte nur ein Zehntel des Wertes dieser drei geographischen Blöcke.

Es gibt eine offensichtliche Verzerrung in der Struktur des Vermögensportfolios der chinesischen Bürger. Einer Umfrage zufolge machte der Nettowert von Wohneigentum im Jahr 2017 66,35 Prozent des Vermögens der chinesischen Haushalte aus. Die Hypothekenkosten könnten den Haushalten die Konsumkraft rauben. Das Wachstum des verfügbaren Einkommens der Bürger ist hinter dem Wirtschaftswachstum zurückgeblieben und die Ersparnisse der Haushalte sind sogar zurückgegangen. Immobilien sind zu einer untragbaren Belastung für die chinesische Gesellschaft und Wirtschaft geworden, die die chinesische Regierung in die Enge treibt. Ein weiteres Anwachsen der Immobilienblase muss verhindert werden, aber ein Absturz der Immobilienpreise wäre ebenfalls eine Katastrophe.

Der Börsencrash von 2015 hat den Finanzrausch nicht gestoppt. Finanzprodukte und Derivate haben weiter exponentiell zugenommen. Der Wert des von verschiedenen Finanzinstituten verwalteten Gesamtvermögens belief sich 2018 auf mehr als 100 Billionen Yuan (rund 13,5 Billionen Euro). Angesichts einer schwachen Wirtschaft und sinkender Rentabilität ist die Sorge um das exponentielle Wachstum von Finanzanlagen und vor einem möglichen Schneeballsystem berechtigt. Die rasche Finanzialisierung im vergangenen Jahrzehnt hat die chinesische Wirtschaft umgestaltet und ihr zusehends Züge eines Kasinokapitalismus verliehen. Ende 2017 belief sich der Gesamtwert der Vermögenswerte des chinesischen Finanzsektors auf 250 Billionen Yuan und war damit der höchste der Welt. Darüber hinaus geht die Ausweitung der Verschuldung immer mit einer Finanzialisierung einher, da Schulden und Finanzen zwei Seiten derselben Medaille sind. Ende 2000 belief sich der Gesamtkreditbestand im chinesischen Finanzsystem auf 9,9 Billionen Yuan. Im Juli 2014 wuchs er auf 78,02 Billionen Yuan an, ein Anstieg um 688 Prozent, während das nominale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts lediglich 473 Prozent betrug. Die Kreditausweitung ist eindeutig größer als das Wachstum der Realwirtschaft.

Nach Angaben des Institute of International Finance belief sich die weltweite Gesamtverschuldung (einschließlich Regierungen, Unternehmen, Haushalte und Finanzinstitute) im März 2018 auf 247 Billionen US-Dollar, was einem Wachstum von 43 Prozent seit 2008 entspricht, während das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in den zehn Jahren nach der Krise 37 Prozent betrug. Die Neuverschuldung privater Unternehmen belief sich auf 28 Billionen Dollar, wovon zwei Drittel von chinesischen Unternehmen gehalten wurden. China hat als Wachstumsmotor der Welt fungiert, aber wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, könnte die Last der Schulden untragbar werden.

Zugegeben, ein großer Teil der Schulden in China steht im Zusammenhang mit dem Ausbau der Infrastruktur. Wenn die Volkswirtschaft weiter wächst, handelt es sich um produktive Schulden; besorgniserregend sind unproduktive Schulden wie Hypotheken- und Finanzschulden, die auf Spekulationsgewinne abzielen. Aber angesichts einer drohenden globalen Finanzkrise drängen die politischen Entscheidungsträger auf eine stärkere Liberalisierung der Finanzmärkte, um die Finanzialisierung zu vertiefen und zu beschleunigen. In diesem Sinne haben die Interessenblöcke der Finanzwirtschaft die Entscheidungsfindung in China fest im Griff.

Entkopplung

Während der ersten beiden Jahrzehnte der Beteiligung der Volksrepublik an der Globalisierung haben sich die USA und China trotz ständiger politischer Auseinandersetzungen in bezug auf ihre Wirtschaftsstruktur symbiotisch ergänzt. Die rasche Industrialisierung Chinas erfolgt gleichzeitig und komplementär mit der Deindustrialisierung der USA und der wachsenden Finanzialisierung. Der Schlüsselmechanismus, der China mit den Vereinigten Staaten verbindet, ist der große Dollarkreislauf zwischen den beiden Ländern. Aufgrund von Handelsdefiziten können US-Dollars nach China zirkulieren und fließen in die Vereinigten Staaten zurück, indem sich China mit Staatsanleihen eindeckt. Dieser große Dollarkreislauf ist ein internationales und institutionelles Arrangement. Das internationale Handelsregime der Nachkriegszeit wurde von den USA gestaltet und dominiert, und Chinas anfängliche Integration in die Globalisierung war nur möglich, weil die Vereinigten Staaten ihm das institutionelle Recht zugestanden, am globalen Handelsregime teilzunehmen. So gesehen ist der Dollarkreislauf eine Art Seigniorage-Vereinbarung (Geldschöpfungsgewinn, jW). Es ist daher keine Überraschung, dass China sowohl wirtschaftlich als auch institutionell immer abhängiger von den USA geworden ist.

Vierzig Jahre nachdem China begonnen hat, den Zustrom westlichen Kapitals zu akzeptieren, und zwanzig Jahre nach seiner Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft drohen die Vereinigten Staaten, die immer noch das internationale Gefüge dominieren und die Währungshegemonie innehaben, China mit einem Handelskrieg zu bestrafen. Vordergründig geht es dabei um das riesige Handelsdefizit sowie um Vorwürfe wie erzwungene Technologietransfers und Diebstahl von geistigem Eigentum und Geschäftsgeheimnissen. Doch ganz gleich, wie viele Zugeständnisse China zu machen bereit ist und wie sehr es verspricht, den Handel auszugleichen und seine Finanz- und Kapitalmärkte zu öffnen, die herrschenden Eliten in den USA lassen sich offenbar nicht beschwichtigen.

Zweck des Handelskriegs ist das Bestreben, die globale Wirtschaftsstruktur umzugestalten und zu verhindern, dass China durch seine technologische Entwicklung und seine Feinabstimmung der internationalen Handelsstruktur wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangt. China bleiben zwei Möglichkeiten: eine stärkere Unterwerfung oder der Austritt aus dem neuen Welthandelssystem, in dem die Vereinigten Staaten nach wie vor das Sagen haben. Die USA sind nicht nur ein überlegenes Mitglied der Weltgemeinschaft, sondern auch deren Regelsetzer. Das Welthandelsregime der Nachkriegszeit wurde von den Vereinigten Staaten geschaffen, und sie sind das einzige Land der Welt, das trotz jahrzehntelang wachsender Handelsdefizite wohlhabend bleiben kann.

Das multinationale Kapital (insbesondere das US-Kapital) und die chinesischen kapitalistischen Eliten haben am meisten von Chinas Einbindung in die Weltwirtschaft profitiert. All dies geschah durch ökologische Degeneration und die Ausbeutung des Mehrwerts der Arbeit. Obwohl China eine beachtliche Entwicklung aufweist, ist die chinesische Industrie immer noch stark von den fortgeschritteneren Ländern abhängig. Der größte Teil der Wertschöpfung in China wird von multinationalen Konzernen erwirtschaftet. Im Finanzsektor behält China immer noch weitgehend seine Souveränität, was den Unmut des ausländischen Finanzkapitals hervorruft, das in dem Land eine höhere Rentabilität anstrebt. Dabei scheint die chinesische Regierung jedoch ihren Einfluss auf die ausländischen Finanzkapitalströme zu verlieren. Die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde (China Securities Regulatory Commission) gab im März 2020 bekannt, dass sie die Obergrenze für ausländische Beteiligungen an Wertpapierunternehmen abschafft. Zuvor lag sie bei 49, später bei 51 Prozent.

Große Spaltung

Die untergeordnete Stellung Chinas im globalen Handelsregime zeigt sich auch in seinen fehlenden Rechten bei der Preisgestaltung für wichtige Rohstoffe. Obwohl es der größte Importeur ist, hat China nicht das Recht, die Preise für die wichtigsten Rohstoffe auszuhandeln, da die bedeutendste Abrechnungswährung der US-Dollar ist und die internationalen Rohstoffmärkte hochspekulativ sind. In den letzten Jahren hat China seine eigenen Rohstoffmärkte aufgebaut, um eine größere Preismacht zu erlangen. Eine dieser Bemühungen ist die Schaffung des Petroyuan, der von den Vereinigten Staaten als Bedrohung für den Petrodollar angesehen wird, der seit den 1970er Jahren zum Eckpfeiler der nationalen Interessen der USA geworden ist. Mit anderen Worten: China ist bestrebt, ein vorteilhafteres internationales Handelsregime zu schaffen, wenn innerhalb des bestehenden Regimes keine günstigeren Bedingungen geschaffen werden können.

Die große Spaltung des derzeitigen Welthandelsregimes nimmt Gestalt an. Um seinen Status in der globalen Industriekette zu sichern, muss China – passiv oder proaktiv – ein internationales, vom alten, US-dominierten Regime abgespaltenes Handelssystem etablieren. Es ist vielleicht noch zu früh, diese Spaltung als einen umfassenden neuen Kalten Krieg zu bezeichnen, da nicht alle Länder gezwungen sind, sich für eine Seite zu entscheiden. Aber wir werden Zeuge der Entstehung von zwei Kernen mit sich überschneidenden Lieferketten und Märkten, die auf komplizierte Weise miteinander verwoben sind.

Bei dieser großen Spaltung ist nicht so sehr die sogenannte Thukydides-Falle (Hegemoniekampf zwischen einer aufstrebenden und einer etablierten Macht) besorgniserregend, sondern die Unhaltbarkeit des derzeitigen Schuldensystems. Das alte System mit dem Federal-Reserve-Mechanismus als Herzstück könnte sich immer mehr zu einem Schneeballsystem entwickeln. In letzter Zeit mussten die großen Zentralbanken auf verschiedene Arten auf eine quantitative Lockerung zurückgreifen, weil die private Nachfrage nicht ausreicht, um das Spiel am Laufen zu halten. Wird, wenn China die weitere Beteiligung an diesem im Kern US-amerikanischen System verweigert, oder schlimmer noch, wenn China einen Teil des Tributs anstrebt, die Welt einen Beitragszahler finden, der groß genug ist, um das Spiel aufrechtzuerhalten? Droht, wenn das große Schuldenspiel nicht mehr tragbar ist, wie es vor dem Ersten Weltkrieg der Fall war, ein neuer Weltkrieg?

Interne Zirkulation

Die Regierung unter Xi Jinping ist derweil zu antizyklischen Maßnahmen zurückgekehrt, indem sie eine effektive Nachfrage geschaffen hat. Im Juli 2020 schlug die Zentralregierung zur Bewältigung des Zusammenbruchs der globalen Lieferketten und des Wirtschaftsabschwungs vor, »ein neues Entwicklungsmuster zu schaffen, das sich auf den ›internen Kreislauf‹ konzentriert, und ein Wachstumsmodell mit ›doppeltem Kreislauf‹ zu beschleunigen, bei dem sich der ›interne Kreislauf‹ und der ›internationale Kreislauf‹ gegenseitig fördern.« Der interne Kreislauf umfasst die Binnenwirtschaft, insbesondere auf dem Land. Die lokalen Regierungen investierten rund 34 Billionen Yuan (4,9 Billionen US-Dollar) in »neue Infrastruktur«-Projekte wie 5G-Technologie, Internet der Dinge, Cloud Computing, Blockchain, Big Data und intelligentes Verkehrswesen.

Eine weiterer wichtiger politischer Ansatz ist die Wiederbelebung des ländlichen Raums mittels der Förderung einer umweltfreundlichen Wirtschaft. Eine der wichtigsten Strategien der ländlichen Revitalisierung ist die Aufwertung der natürlichen Ressourcen in den Dörfern sowie die »Kapitalvertiefung der Ökowirtschaft«, um die durch den Handelsüberschuss und den Zustrom ausländischen Kapitals verursachte Krise des Geldüberflusses zu lösen.

Chinas derzeitige wirtschaftliche und währungspolitische Maßnahmen sind Teil seiner proaktiven Bemühungen, sich von dem jahrzehntelang verfolgten Entwicklungsmodell westlicher Modernisierung zu lösen. Die nationale Entwicklungsstrategie verlagert sich allmählich auf eine umfassende nachhaltige Entwicklung, die ressourceneffizient und umweltfreundlich ist. Die offizielle Politik der ökologischen Zivilisation, der Wiederbelebung des ländlichen Raums und der Beseitigung der Armut sind wesentliche Strategien der Transformation.

Sit Tsui ist außerordentliche Professorin am Institut für Ländlichen Wiederaufbau an der Südwest-Universität in Chongqing. Erebus Wong ist leitender Forscher am Zentrum für Kulturforschung und -entwicklung der Lingnan-Universität in Hongkong. Lau Kin Chi ist Programmkoordinator des Zentrums für Kulturforschung und -entwicklung und außerordentlicher Professor für Kulturwissenschaften an der Lingnan-Universität in Hongkong. Wen Tiejun ist geschäftsführender Dekan des Instituts für den ländlichen Wiederaufbau der Meerenge an der Land- und Forstwirtschaftsuniversität Fujian in Fuzhou. Sie alle sind Gründungsmitglieder der Global University for Sustainability.

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