Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Ruf nach Frieden

Ohne das Schweigen der Waffen keine Entwicklung. Der Krieg ist der größte Feind des Fortschritts
Von Yücel Demirer
Opfer der türkischen Kriegsmaschine. Gedenkdemonstration für die von einer Drohne in Nordostsyrien getöteten Journalisten Nazim Daştan und Cîhan Bilgin (Nisêbîn, 21.12.2024)

Wir dokumentieren im folgenden drei der Kolumnen, die der Politikwissenschaftler Yücel Demirer wöchentlich in der linken türkischen Tageszeitung Evrensel (Universal) veröffentlicht. Yücel Demirer wird als Redner an der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar 2025 in Berlin teilnehmen. (jW)

Im Juni dieses Jahres veröffentlichte das Institut für Wirtschaft und Frieden einen Bericht, der den Zustand der Menschheit in Bezug auf Frieden und Sicherheit für das Jahr 2024 skizziert. Der Bericht warnt davor, dass sich die Welt an einem Scheideweg befindet und dass ohne gemeinsame Anstrengungen die Zahl der großen bewaffneten Konflikte weiter zunehmen wird. Dem Bericht zufolge nehmen Kriege im 21. Jahrhundert nicht nur zu, sondern wandeln sich auch aufgrund der Fortschritte in der Militärtechnologie und der wachsenden geopolitischen Rivalitäten. Anhaltende Konflikte, die kaum Aussicht auf Befriedung haben, sind im Gegensatz zu traditionellen Kriegen eine direkte Folge dieses Wandels.

Der Bericht präsentiert düstere Zahlen: 2024 ist das fünfte Jahr in Folge, in dem sich die Friedenslage weltweit verschlechtert hat. Derzeit gibt es international 56 aktive bewaffnete Konflikte, die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Konflikte haben sich zunehmend internationalisiert: 92 Länder sind in Streitigkeiten jenseits ihrer Grenzen verwickelt. Außerdem erhöht die Zunahme kleinerer Konflikte die Wahrscheinlichkeit größerer Kriege in der Zukunft. Die bewaffneten Auseinandersetzungen in Äthiopien, der Ukraine und im Gazastreifen, die 2019 als kleinere Konflikte eingestuft wurden, werden jetzt als Beispiele dafür angeführt, wie solche Situationen dramatisch eskalieren können.

Unter den 163 Ländern, die im Global Peace Index erfasst sind, belegt die Türkei in diesem Jahr Platz 139. Der Index misst den Frieden und die Sicherheit innerhalb eines Landes anhand von Faktoren wie der Anzahl der Polizei- und Militärangehörigen, der Mordrate, der Gefängnispopulation, der zivilen Bewaffnung, der politischen Instabilität, der anhaltenden internen und externen Konflikte, der Beziehungen zu den Nachbarländern, des Waffenhandels und des Militarisierungsgrads.

Die ständige Plazierung der Türkei am unteren Ende der Rangliste spiegelt anhaltende Konflikte und Sicherheitsprobleme, Spannungen mit Nachbarländern, steigende Inhaftierungsraten, zunehmende zivile Bewaffnung und einen wachsenden Waffenhandel wider.

Die Daten zeigen, dass die Auswirkungen von Krieg und Frieden auf das Leben der normalen Bürger viel direkter sind, als gemeinhin angenommen wird. Krieg und die damit einhergehende Unsicherheit gehen über die Fernsehbilder von fernen Konflikten hinaus und durchdringen unser tägliches Leben.

Die steigende Zahl von Morden an Frauen, die zunehmende Bewaffnung der Zivilbevölkerung, der Bau immer größerer Gefängnisse und die Gewalt gegen Tiere sind allesamt Auswüchse der »Kriegsmentalität«. Die Gewalt, der wir täglich begegnen, ist eng mit den Kriegen verbunden, von denen wir annehmen, dass sie weit von uns entfernt seien. Trotz der Behauptungen derjenigen, die wirtschaftlich oder politisch vom Krieg profitieren, breiten sich die vielfältigen Auswirkungen von Konflikten schnell auf weitere Gebiete aus und betreffen auch diejenigen, die fern der Frontlinien leben. Gewalt und Unsicherheit wirken sich auch auf das Leben von Arbeitern, Frauen, Kindern und Tieren aus. Regierungen, die den Krieg zur Konsolidierung ihrer Macht nutzen, greifen auf Unterdrückung und Gewalt zurück, um gesellschaftliche Probleme zu lösen, die in einem solchen Umfeld entstehen.

Militärische Lösungen gehen an den eigentlichen Ursachen von Konflikten vorbei. Probleme wie Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Ausgrenzung, die vielen Konflikten zugrunde liegen, verschärfen sich in Kriegszeiten. Die Eskalation der Gewalt verschärft die bestehenden Probleme und vergrößert das Leid der Armen. Die »Sprache der Gewalt« löst weder die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die diesen Konflikten zugrunde liegen, noch ermöglicht sie eine Lösung, sondern verursacht statt dessen unermessliches Leid und zerstört Leben.

In Kriegszeiten wird das Leben der Arbeiter immer unerträglicher. Unter der Herrschaft von Regierungen, die vor dem Hintergrund von Sicherheitspolitiken handeln, werden die Grundrechte und -freiheiten verletzt. Der Ausnahmezustand wird heraufbeschworen, um die ungleiche Verteilung von Ressourcen zu rechtfertigen. Der freie Informationsfluss wird beschnitten, und Korruption und Bestechung breiten sich aus.

Armutsbeschleuniger

Für die Arbeiter, deren Leben im Schatten des Krieges unerträglich geworden ist, hat der Frieden eine immense Bedeutung. Heute leben etwa zwei Milliarden Menschen in einer von Gewalt geprägten Umgebung. Konflikte und Kriege verschärfen die Armut, die Ungleichheit und den Mangel an Solidarität.

Nur in einem dauerhaften Frieden können die Grundlagen für eine hoffnungsvolle Zukunft geschaffen werden – gesicherte Existenzgrundlagen, robuste Institutionen und gesunde soziale Beziehungen, die Wohlbefinden und Glück fördern. Frieden schafft ein stabiles und sicheres Umfeld, das den Gesellschaften ermöglicht, sich auf wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Fortschritt und Wohlstand zu konzentrieren. Frieden verhindert den Verlust von Menschenleben, die Vertreibung von Menschen und die Zerstörung von Infrastruktur und Ressourcen und schützt den materiellen Wohlstand, der von den Arbeiterinnen und Arbeitern produziert wird. In Friedenszeiten können die Regierungen Ressourcen zur Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitswesens und anderer sozialer Dienste bereitstellen. Darüber hinaus erleichtert der Frieden die internationale Zusammenarbeit, den Austausch von Ideen und gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung globaler Probleme wie Klimawandel und Armut.

Politiker, denen das Wohlergehen der Arbeiterinnen und Arbeiter am Herzen liegt, wissen, dass Gesellschaften nur in einem friedlichen Umfeld widerstandsfähiger gegen Schocks, Katastrophen und Störungen werden können. Probleme und Meinungsverschiedenheiten können wirksam bewältigt werden, und es kann das notwendige Maß an Vertrauen, Zusammenarbeit und Integration erreicht werden, um sich an die unvermeidlichen Veränderungen anzupassen, die die Dynamik des Lebens mit sich bringt. Aus diesem Grund betonen die Sozialisten den Kampf für den Frieden. Selbst in den dunkelsten Momenten der chauvinistischen und rassistischen Unterdrückung weigern sie sich, den Ruf nach Frieden aufzugeben.

(1. September 2024)

Wer ist der wahre Terrorist?

Auf den Bombenanschlag am Taksim-Platz¹ folgte rasch eine weitverbreitete Kriegspropaganda, die in Luftangriffen auf den Nordirak und Syrien gipfelte. Von höchster Stelle wurden Überlegungen zu einer Bodenoperation geäußert.

In den Medien des Erdoğan-Regimes wurden die politischen Rechtfertigungen für einen Krieg debattiert. Mittels einer Bodenoperation sollte versucht werden, den Zusammenbruch des »offiziellen Narrativs« über den Taksim-Anschlag zu kaschieren. Die Diskussionen drehten sich um die Frage, ob die USA und Russland, die den syrischen Luftraum kontrollieren, ihre Zustimmung gegeben hatten, sowie um den möglichen Inhalt und die Ergebnisse von Verhandlungen mit diesen Ländern.

Die Regierung nutzt regelmäßig die regionale Instabilität für innenpolitische Manöver. Selbst wenn ihr die Zustimmung globaler Mächte fehlt, versucht sie, die Innenpolitik durch die Schaffung einer künstlichen Kriegsagenda zu beeinflussen. Die »nationalistische Rhetorik« hat einen großen Einfluss auf die politische Atmosphäre in der Türkei. Vor dem Hintergrund der Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt durch die Sicherheitskräfte und der enormen juristischen Repression fällt es der Antikriegsopposition schwer, über eine politische Analyse hinauszugehen. Diese Unfähigkeit, die kriegsorientierte Regierung herauszufordern, führt zu einer Situation, in der sich sogar der Oppositionsblock »Altılı Masa«² mit der Regierung verbündet.

Jedes politische Manöver ist in die Wahrnehmung historischer Abläufe eingebettet. Neue Kriege werden mit alten Kriegen gerechtfertigt. Die narrative Handlungskette vom Taksim-Anschlag bis zu den Luftangriffen und von den Luftangriffen bis zur Aussicht auf eine Bodenoperation beruht auf einer »historischen Erzählung«. Bekanntlich ist Geschichtsschreibung nicht nur die Weitergabe von Informationen aus der Vergangenheit, sondern spiegelt auch die Dynamik der Gegenwart wider. In der Türkei wird das »offizielle Narrativ« zu kontroversen und konfliktträchtigen Themen wie der Kurdenfrage, insbesondere unter einem repressiven Regime, von den aktuellen Erfordernissen der staatlichen Strategie geprägt, wobei die historische Kohärenz gewahrt bleibt. Dieser Ansatz verknüpft den »alten anderen« mit dem heutigen »Feind« und verankert die Vorstellung einer raschen und gewaltsamen Beseitigung des »anderen« als »Notwendigkeit« im öffentlichen Bewusstsein.

Wissenschaft am Gängelband

Die ständige Erneuerung des offiziellen Narrativs, das als die »einzige Wahrheit« präsentiert wird, ist für die Aufrechterhaltung seiner Wirksamkeit von entscheidender Bedeutung. In diesem Erneuerungsprozess spielt die kooptierte akademische Welt eine zentrale Rolle. Durch die Sperrung von Archivbeständen und die Verhinderung alternativer Perspektiven in der akademischen Forschung werden Beiträge zu »alternativen Erzählungen« von Historikern und Sozialwissenschaftlern blockiert. Forscher, die Mut zeigen, werden durch rigide akademische Beförderungskriterien ins Abseits gestellt, als »Verräter« gebrandmarkt und, wenn sie nicht nachgeben, von den Universitäten verwiesen.

Eine umfassende Antwort auf die historische Erzählung, die durch offizielle Interventionen geprägt ist und durch die Massenmedien verbreitet wird, erfordert Geduld und Kreativität. Diese Antwort muss ideologische und politische Analysen einbeziehen sowie die sozialen Dimensionen des Krieges. Sie muss auch die Bilder des menschlichen Leidens, das der Krieg verursacht, in die Öffentlichkeit bringen. Ein solcher Ansatz ist nicht nur notwendig, sondern im Rahmen der verfügbaren Mittel auch zwingend erforderlich. Gegenüber Erzählungen, die sich auf Befehlshaber, Helden und nationale Interessen konzentrieren, muss der Schwerpunkt auf die Tragödien des Krieges, die Verarmung der Arbeiter, die Verschwendung von Mitteln und die Zerstörung der Umwelt gelegt werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Öffentlichkeit mit konkreten Bildern von den Verwüstungen des Krieges und detaillierten Informationen über dessen Folgen zu versorgen. Die Betonung der Brüderlichkeit der Völker angesichts der »Gefühllosigkeit«, die die Kriegsrhetorik transportiert, ist besonders wichtig.

Es gibt viele Menschen, die den Krieg ablehnen, der die Lebensgrundlagen der Menschen vernichtet, die Demokratie zerstört und das tägliche Leben unerträglich macht. In diesem Kampf können Fotos, die die negativen Auswirkungen der Kriegspolitik auf den einzelnen beleuchten, auch die Dynamik des Widerstands gegen die Kriegspolitik sichtbar machen. Um dem Narrativ von der »Unvermeidbarkeit des Krieges« und der zerstörerischen Dynamik der »Kriegskultur« etwas entgegenzusetzen, muss eine Sprache gefunden werden, die die »vergessenen Opfer« der Kriegspolitik ans Licht bringt. Dazu gehört auch die Infragestellung von »Einzelwahrheiten« wie dem Narrativ der »Operation Klauenschwert«³.

Die Frage, die bei jeder Gelegenheit mutig gestellt werden muss, bleibt: Was ist Terror, und wer ist der wahre Terrorist?

(26. Oktober 2022)

Die Karte der Unterdrückung

Die Media and Law Studies Association⁴ hat kürzlich ihren Jahresbericht 2024 veröffentlicht, der sich auf die Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und den Zugang zu Informationen konzentriert. Der Bericht enthält Daten aus 614 Anhörungen in 281 Verfahren mit 1.856 Angeklagten zwischen dem 1. September 2023 und dem 20. Juli 2024. Dem Bericht zufolge waren 46,31 Prozent der Angeklagten Aktivisten, 20,25 Prozent Studenten und 19,71 Prozent Journalisten.

Unter den 187 Personen, die wegen »Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung« angeklagt wurden, waren 64,2 Prozent Journalisten. Ebenso waren 34,6 Prozent der 162 Angeklagten, die der »Verbreitung terroristischer Propaganda« beschuldigt wurden, Journalisten. Von den 101 Personen, die wegen »Beleidigung eines Amtsträgers« angeklagt waren, waren 37,6 Prozent Pressevertreter. Von den 63 Personen, die wegen »Beleidigung des Präsidenten« angeklagt waren, waren 24 Prozent ebenfalls Journalisten.

In 107 von der Vereinigung beobachteten Verfahren mit 230 Angeklagten traten Präsident Erdoğan und seine Familie, hochrangige Bürokraten, Mitglieder der Justiz, lokale Verwaltungsbeamte und Polizeibeamte als Kläger auf. Von den Angeklagten in diesen Fällen waren 116 Journalisten.

Die Unterdrückung geht heute jedoch weit über Journalisten hinaus. Auch Arbeiter, Frauen, arbeitslose Lehrer und zahllose andere sind davon betroffen. Das stetig größer werdende Ausmaß und die Intensität machen eine umfassende Betrachtung der Auswirkungen der Unterdrückung erforderlich.

Ein genauerer Blick auf die Unterdrückung unter dem Erdoğan-Regime offenbart ein kalkuliertes Bemühen, Legitimität zu schaffen, noch bevor repressive Maßnahmen beginnen. Strategische Spaltungen der Gesellschaft in Kategorien wie »reines/tugendhaftes Volk« vs. »korrupte Eliten«, »Patrioten« vs. »Terroristen« und »einheimisch/national« vs. »vom Ausland unterstützt« werden gezielt vorgenommen und je nach Akteur in Anschlag gebracht. Es werden Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass repressive Agenden zumindest teilweise von der Öffentlichkeit unterstützt werden, und es werden entsprechende Narrative entwickelt. Unter Ausnutzung ungelöster soziopolitischer und kultureller Probleme aus der Geschichte der Türkei werden Unterdrückungspraktiken durch pauschale Verallgemeinerungen und schamlose Stigmatisierungen erleichtert.

Bei der Umsetzung einer repressiven Maßnahme wird zunächst eine angeblich dringende gesellschaftliche Bedrohung festgestellt. Dann wird eine »verantwortliche« und »gefährliche« Gruppe definiert, und ihre Handlungen werden als Rechtfertigung für die Unterdrückung angeführt.

Dieser Prozess ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Dann wird eine Gruppe erfunden und konstruiert, die diese repressive Politik unterstützt. So wird beispielsweise ein Bürger, der sich für den Schutz des Wassers oder des Waldes in seinem Dorf einsetzt, gegen seinen Nachbarn ausgespielt, dem ein Job als Wachmann in einem bald zu bauenden Wärmekraftwerk versprochen wird. Frauen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und ein Ende der Gewalt einsetzen, werden mit Müttern konfrontiert, die ihre Kinder zu Hause aufziehen. Diejenigen, die gegen die Vergabe öffentlicher Aufträge an Vertraute protestieren, werden von Subunternehmern der begünstigten Firmen bekämpft. Eine Mutter, die ihr Kind in einer städtischen Kindertagesstätte lässt, um einen Mindestlohn zu verdienen, wird mit der Behauptung erschreckt, dass den Kindern dort LGBTQ+-Werte aufgezwungen werden. Jemand, der sich bewusst ernährt, wird gegen einen Wachmann aus einem anderen Viertel mit anderen Ernährungs- oder Sozialgewohnheiten ausgespielt.

Wie wird die Unterstützung der Unterdrückung durch einen Teil der Gesellschaft hergestellt?

»Dog Whistle Politics«

Der Begriff »Dog Whistle Politics«, benannt nach Pfeifen, die nur Hunde hören können, wird von Politikwissenschaftlern seit Jahren verwendet. Er beschreibt, wie scheinbar normale oder harmlose Äußerungen von Politikern insgeheim Botschaften vermitteln, die bei bestimmten Teilen der Gesellschaft Angst oder ein Gefühl der diskriminierenden Überlegenheit hervorrufen, um deren Stimmen zu sichern.

Es gibt zahlreiche Beispiele für politische Manöver, die Ängste und Befürchtungen der Öffentlichkeit ausnutzen, um die Arbeiterklasse zu spalten und Wahlen zu gewinnen. Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan sprach während seines Wahlkampfs 1980 von »Wohlfahrtsköniginnen, die Cadillacs fahren«, und »Steakfressern, die Lebensmittelmarken nutzen«, um zu implizieren, dass schwarze Amerikaner das Sozialsystem ausnutzen, und appellierte damit an rassistische Gefühle. Donald Trumps Slogan »Make America Great Again« warb in ähnlicher Weise um Wählerstimmen, indem er die Sehnsucht nach einer weißeren, angelsächsischeren Vergangenheit weckte.

Eine genauere Betrachtung der aktuellen Karte der Unterdrückung in der Türkei offenbart eine Strategie, bei der Angst und die Ausnutzung von Gefühlen eingesetzt werden, um Unterstützung für jede Unterdrückungsagenda zu sichern. Diese Unterstützung wird dann eingesetzt, um die Unterdrückung zu legitimieren. In einem übermäßig polarisierten gesellschaftlichen Umfeld werden diese Prozesse durch Brüche innerhalb der Gesellschaft und kontrollierte Informationsflüsse über staatlich ausgerichtete Medien umgesetzt.

Daher ist eine detaillierte Kartierung aller Fälle von Unterdrückung unter Erdoğans Regime notwendig, um die gesellschaftliche Dynamik zu beleuchten, die die Unterdrückung ermöglicht, und um zu verstehen, wie ihre Legitimationsmechanismen funktionieren. Nur mit einer solchen Methode können wir begreifen, wie die Regierung emotionale, kulturelle und soziale Narrative für pragmatische Zwecke ausnutzt. Indem wir die jeweiligen Mechanismen der »Dog Whistle Politics« aufdecken, bei denen die Befürworter einbezogen und die Gegner ausgeschlossen werden, können wir dazu beitragen, den Widerstand gegen die Unterdrückung zu stärken.

(1. Dezember 2024)

Anmerkungen:

1 Bombenanschlag in Istanbul vom 13. November 2022, bei dem sechs Menschen starben und in dessen Folge die Regierung eine absolute Nachrichtensperre verhängte und den Zugang zu den sozialen Medien, allen voran Twitter, blockierte. Die Regierung beschuldigte die PKK und die YPG, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Die PKK wies die Vorwürfe zurück.

2 Eine Allianz aus sechs kemalistischen, liberalen bis konservativen Parteien, die sich ursprünglich zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2018 zusammengeschlossen haben.

3 Name der Militäroffensive der türkischen Armee gegen kurdische Kräfte in Syrien und im Irak im Anschluss an den Bombenanschlag vom 13. November 2022.

4 2017 gegründete Menschenrechtsorganisation, die sich für die Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit einsetzt. www.mlsaturkey.com/en

Übersetzung: Ronald Weber

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