Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Das »andere Amerika«

Angela Davis – ein Porträt: »Die Revolution ist eine ernste Sache. Wenn man sich zum Kampf verpflichtet, muß es fürs ganze Leben sein.«
Von Ellen Diederich

Die Köpfe auf den Plakaten der 68er Revolte waren die Köpfe von Männern. »Che Guevara – für die subjektive Bereitschaft und den Willen zur Revolution, Ho Chi Minh – für die Aussicht der Armen auf den Sieg, Mao Tse Tung – für die Gleichheit«, wie Rossana Rossanda es charakterisiert hat.

Wir, die Frauen der 68er Bewegung, hatten: die Schwester Che Guevaras, später die Witwen von Allende, Mao Tse Tung und eine Frau auf den Plakaten, eine schwarze Frau mit großer Afro-Mähne, eine, die »Black ist beautiful!« weltweit bekannt machte – Angela Davis.


UN-Konferenz, Nairobi, 1985


Weltfrauenkonferenz der UNO 1985 in Nairobi. 14000 Frauen beteiligen sich, darunter etwa 9000 mit dunkler Hautfarbe. Unter ihnen ein Kopf, nicht mehr mit Afro-Frisur, inzwischen mit dread locks und dennoch unverkennbar: Angela Davis. Wie viele Veranstaltungen für ihre Freilassung haben wir gemacht! Freuen uns, sie zu sehen, laden sie ein, im Friedenszelt zu sprechen. Das Friedenszelt war ein Ort, den wir dort geschaffen haben, damit Frauen aus sogenannten Feindesländern in den Dialog kommen konnten.

Sie ist eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Nairobi-Konferenz. Ihre Pressekonferenz wird von Hunderten Journalistinnen, vor allem aus der dritten Welt, besucht. Dort, im Trikont, ist sie bekannt als Revolutionärin, als Vertreterin des Rechtes der Schwarzen auf ein erfülltes, menschenwürdiges Leben. Eine Frau aus dem »anderen Amerika«.

In den folgenden Jahren treffen wir uns immer wieder. 1987 bei dem weltweiten Frauentreffen in Moskau. Die Internationale Demokratische Frauenföderation (IDFF) und Gorbatschow haben etwa 4000 Frauen aus der ganzen Welt zu Friedensgesprächen in den Kreml eingeladen.

1989 komme ich von einer Untersuchung über Menschenrechtsverletzungen aus dem kriegszerstörten El Salvador nach Oakland/Kalifornien, wo sie heute lebt. In Salvador haben wir grauenvolle Informationen zusammengetragen. Ich bin froh, Angela zu treffen, mit ihr kann ich über die entsetzlichen Erlebnisse in Salvador reden.

1998 treffen wir uns in Paris zum 50. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte. Etwa 2000 Menschen aus der ganzen Welt kommen zusammen, unter ihnen Angela Davis. Kofi Annan sagt in einer Rede: Die Menschen, von denen viele, die zu diesem Treffen gekommen sind, im Gefängnis waren, mit ihrem Leben für den Erhalt der Menschenrechte eingestanden haben, diese Menschen sind für ihn die wahren Vereinten Nationen.


Mit der Todesstrafe bedroht


Wie wurde Angela Davis zur weltweit bekannten Revolutionärin? Warum wurde sie mit der Todesstrafe bedroht?

Im Oktober 1970 erhebt der Gouverneur von Kalifornien, der Schauspieler und spätere Präsident der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, im Namen des Staatsvolkes von Kalifornien Anklage gegen sie wegen Mord – Entführung – Verschwörung. Ein »Schuldig« zu diesen Anklagepunkten hätte die Todesstrafe durch den elektrischen Stuhl oder lebenslanges Gefängnis bedeutet.

Eine weltweite Protestbewegung erhebt sich für die Freilassung von Angela Davis.

Dr. Angela Davis, Professorin, schwarz, Frau, Kommunistin, seit 1968 in der Kommunistischen Partei der USA. Anfang der neunziger Jahre verläßt sie die Partei. Ihre Kritik an den bürokratisch erstarrten Formen hat dazu geführt, daß sie mit Gewalt daran gehindert wird, den Parteikongreß zu besuchen und die Kritik dort zu artikulieren.


Lebenslauf


Geboren am 26.1.1944 in Birmingham, Alabama. Aufgewachsen auf der Ostseite der Center Street. Von Anfang an bedroht, wenn sie auf die andere Seite der Straße, die weiße Seite, wechseln würde.

»Schon im Alter von vier Jahren merkte ich, daß die Leute auf der anderen Straßenseite anders waren – ohne ihr fremdes Wesen mit ihrer Hautfarbe in Verbindung bringen zu können. ... Ein älteres Ehepaar, die Montees, saßen die ganze Zeit auf ihrer Veranda, und ihre Augen waren schwer vor Feindschaft.«

Dynamitanschläge begleiten sie in ihrer Kindheit. Der Hügel, auf dem sie leben, wird in Dynamithügel umbenannt.

Angelas Mutter ist Lehrerin, der Vater Tankwart. Sie gehören zu den »Nicht-so-Armen« ihres Volkes. Die Mutter ist in Alabama politisch aktiv. Sie versucht, Angela beizubringen, die Weißen nicht so zu sehen, wie sie sind, sondern wie sie sein könnten.

Angelas Urgroßeltern waren noch Sklaven auf den Baumwollfeldern. Die Großeltern und viele Verwandte leben weiter dort, auf dem Land, bauen als »freie Menschen« für geringen Lohn weiter die Baumwolle an. Die Großmutter, die kurz nach der Proklamation für die Befreiung der Sklaven geboren wurde, erzählt ihrer Enkelin über die Sklaverei. Sie ist für Angela das Symbol von Kraft, des Alters, der Weisheit und des Leidens.

Als Kind macht sie die Erfahrungen der Rassentrennung. Bekommen sie in einem weißen Stadtviertel Hunger oder müssen zur Toilette, heißt es: warten, bis sie die Grenze zum schwarzen Viertel überschritten haben.

Mit fünfzehn Jahren verläßt Angela Birmingham, geht nach New York, besucht die Irwin Schule in Greenwich Village und hat das Ziel, Kinderärztin zu werden.


Begeistert vom »Manifest«


Im Geschichtsunterricht erfährt sie etwas über den Sozialismus, sie liest das Manifest von Marx und Engels: »Das Kommunistische Manifest traf mich wie ein Donnerkeil. Ich las es gierig und fand darin Antworten auf viele der scheinbar unlösbaren Widersprüche, die mich gequält hatten. Ich las es wieder und wieder, ohne sogleich jeden Absatz und jeden Gedanken zu verstehen, aber trotzdem gebannt von der Vorstellung, daß eine kommunistische Revolution hier möglich war. Ich begann, die Probleme der Afroamerikaner im Zusammenhang mit einer großen Arbeiterbewegung zu sehen. Die Befreiung der Schwarzen hatte in meinem Kopf noch keine klare Form angenommen, und ich konnte nicht die richtigen Begriffe finden, um sie zu artikulieren, aber dennoch begann mir vorzuschweben, wie der Kapitalismus abgeschafft werden konnte.«

Im September 1961 erhält sie ein Stipendium für die Universität Brandeis in Massachusetts. Sie ist eine von drei schwarzen Studentinnen, fühlt sich allein, zornig, freundet sich mit Studentinnen aus dem Trikont, aus Indien, Vietnam, von den Philippinen, den »Ausgeschlossenen« von Brandeis an. James Baldwin und Herbert Marcuse halten Gastvorlesungen.

Angela Davis geht 1965 nach Deutschland, nachdem sie Herbert Marcuse in Brandeis kennen- und seine Kritische Theorie schätzengelernt hat. Er empfiehlt ihr, nach Frankfurt am Main zu gehen, wenn sie Philosophie studieren will, zu Adorno, Habermas, Negt und anderen. Die Zimmervermittlung in Frankfurt sagt ihr, daß sie für »Farbige« keine Zimmer haben. Sie findet Unterkunft in einer alten Fabrik, wohnt dort mit Studentinnen des SDS zusammen, sie lesen Marx, Hegel, sind fasziniert von Kants »Kritik der reinen Vernunft«.

Während ihrer Zeit in Frankfurt entwickelt sich die schwarze Freiheitsbewegung in den Vereinigten Staaten. Angela Davis fühlt sich, im Tausende Kilometer entfernten Frankfurt, abgeschnitten von diesem Kampf und immer einsamer. »Von Tag zu Tag wurde mir klarer, daß meine Fähigkeit, etwas zu leisten, unmittelbar von der Fähigkeit abhing, etwas Konkretes zum Kampf beizutragen. (...) Ich wollte meine akademische Arbeit fortsetzen, wußte aber, daß ich das nur konnte, wenn ich politisch engagiert war. Der Kampf war ein Lebensnerv; die einzige Hoffnung für unser Fortbestehen. Ich hatte mich entschieden. Die Reise stand bevor.«

Sie macht Zwischenstation in London, trifft auf Stokeley Carmichael, ist enttäuscht, daß er, wie viele der schwarzen Führer, den Sozialismus als »das Ding des weißen Mannes« ablehnt. 1967 in die USA zurückgekehrt, beteiligt sie sich an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und wird zum ersten Mal festgenommen.


Studium und Black Panther


Sie studiert in San Diego, findet ihren politischen Zusammenhang aber in Los Angeles in der Black Panther Political Party. Im Laufe der Zeit erfährt sie die patriarchalen Strukturen, die auch in den Organisationen der Freiheitsbewegung der Schwarzen bestimmend sind: »Ich könnte mir vorstellen, daß mein Engagement in der Frauenbewegung ihre Wurzel in meinen Erfahrungen in der Befreiungsbewegung der Schwarzen hat – in den späten sechziger Jahren, als ich sehr intensiv in der schwarzen Bewegung engagiert war. Das war die gleiche Zeit, in der die Frauenbewegung geboren wurde und in ihr Embryostadium kam. Ich war betroffen, daß es zu jener Zeit keinen Platz für schwarze Frauen in der Frauenbewegung zu geben schien. Zwischendurch hatte ich das Gefühl, wenn ich Teil der Frauenbewegung war, konnte ich nicht schwarz sein. Wenn ich aktiv in der Bewegung der Schwarzen war, mußte ich mein Frausein wegtun. Zur selben Zeit gab es sexistisches Verhalten und männliche Dominanz in der Bewegung der Schwarzen. Ich war Mitglied einer Organisation, die vielleicht die wichtigste Basisorganisation in Los Angeles war. Es war das gewaltfreie Studentenkomitee, das quasi von Frauen gemacht wurde. Wir hielten das Büro in Schwung, wir organisierten die Projekte, wir entwickelten die Strategien, wie das so üblich ist bei Frauen. Aber wenn eine Kundgebung gemacht wurde, wenn eine Pressekonferenz abgehalten wurde, tauchte plötzlich einer der Männer auf und nahm alles für sich in Anspruch. So kamen wir in eine große innere Auseinandersetzung, an der unglücklicherweise die Organisation kaputtging.«

Sie reist über schwierige Umwege als US-Bürgerin nach Kuba. Diese Reise, bei der sie das Land kennenlernt, wird für sie zu einem Höhepunkt in ihrem Leben. Sie sieht in dem kubanischen Versuch eine mögliche Perspektive für die Armen dieser Erde.

Nach ihrer ersten Rückkehr aus Kuba erhält sie eine Stelle als Dozentin an der Universität in Los Angeles. Sie tritt offen als Kommunistin auf und wird täglich mit Mord bedroht. Die Verwaltung versucht, sie wieder loszuwerden. Sie erhält Bombendrohungen, wird Tag und Nacht von Freunden bewacht.

1968, nach dem Mord an Martin Luther King jr., den die Black Panthers als »zu gewaltfrei« kritisiert hatten, werden im ganzen Land schwarze Menschen verhaftet.


George Jackson


Im Februar 1970 sieht Angela Davis in der Los Angeles Times das Bild von drei mit Ketten gefesselten Männern. Sie heißen George Jackson, John Cluchette und Fleeta Drumgo, sind angeklagt, einen Wärter ihres Gefängnisses in Soledad (Kalifornien) ermordet zu haben. Trotz vieler anderer Verpflichtungen übernimmt Angela Davis einen Teil der Aufgaben, die sich aus dem Kampf um die Freilassung der drei ergeben. Sie weiß, daß die Anklage konstruiert ist, wie so viele zu dieser Zeit. Sie lernt die Familie von George Jackson kennen, besonders seinen 16jährigen Bruder Jonathan, der, früh erwachsen geworden, sich ganz für die Freilassung seines Bruders einsetzt. Sie trifft George im Gerichtssaal, beide fühlen sich, als kennen sie sich seit ewigen Zeiten.

Über Briefwechsel wachsen diese Gefühle. George Jackson ist zu diesem Zeitpunkt seit zehn Jahren in Haft. Mit Entsetzen erfährt Angela den Grund der Haft – beileibe kein Einzelfall: George saß im Auto eines Bekannten, der an einer Tankstelle anhielt, ausstieg und ohne Georges Wissen 70 Dollar stahl. George Jackson wurde dennoch wegen Raubes angeklagt und erhielt eine Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und lebenslänglich. Sein Bruder Jonathan hat diese Ungerechtigkeit verinnerlicht, eigentlich hatte er nie die Chance, Kind zu sein.

In der Aktivität für die Freilassung der Gefangenen sieht die Universitätsverwaltung endlich einen Grund, Angela zu entlassen. Ihr Verhalten ist »einer Universitätsprofessorin unwürdig«, heißt es. Ihr Fall erhält große Publizität.

Nach über 1000 Morddrohungen hat sich Angela Davis eine Automatikwaffe zugelegt. Sie ist auf ihren Namen registriert. Im August 1970 findet bei einem Prozeß gegen einen Häftling aus St. Quentin der Versuch statt, durch Gefangennahme des Richters, des Staatsanwaltes und der Geschworenen die Soledad-Brüder freizubekommen. Einer derjenigen, die das versuchen, ist Jonathan, der Bruder von George Jackson. Sie erreichen einen im Hof des Gerichtsgebäudes geparkten Lieferwagen. Als alle, Entführer und Geiseln, im Wagen sind, eröffnen die Wachen von St. Quentin das Feuer. Außer dem Staatsanwalt und einer Geschworenen sind alle tot, auch Jonathan.

Angela Davis wird unterstellt, von diesem Versuch der Gefangenenbefreiung gewußt und die Waffe zur Verfügung gestellt zu haben. Sie wird zu einer der zehn am meisten gesuchten Personen des FBI. Nach einer abenteuerlichen Flucht wird sie von der Polizei gestellt und für 22 Monate ins Gefängnis gebracht. Während ihrer Zeit im Gefängnis wird ihr Geliebter, George Jackson, in seinem Gefängnis ermordet.

Eindringlich schildert Angela Davis in ihrer Autobiographie die Zeit im Gefängnis. Die Angst, die Bedrohung mit der Todesstrafe, die Einsamkeit, die Anstrengung, nicht verrückt zu werden. Zeitweise war sie in der psychiatrischen Abteilung des Gefängnisses eingesperrt, dort, wo die Mithäftlinge mit starken Psychopharmaka jedes eigenen Willens beraubt werden.


Dreimal freigesprochen


»Als ich im Gefängnis war, erfuhr ich, wie gewaltig die Bewegung war und wie viele Menschen weitergearbeitet haben, ohne daran zu denken, wie ausgebrannt sie waren. Wenn sie nicht so gearbeitet hätten, würde ich heute tot oder im Gefängnis sein. Oft, wenn ich anfange, mich total ausgebrannt zu fühlen, und denke, ich kann nicht weitermachen, dann denke ich an diese Tage und daran, daß ich ohne das heute hier nicht sein würde.«

Kurz vor dem Prozeß erhält sie Haftverschonung. Ein Farmer, der sie nur aus Zeitungen kennt, ist so bewegt von ihrem Fall, daß er sein Haus verpfändet, um die Kaution bezahlen zu können.

Am 4. Juni 1972, einem Sonntagmorgen, endet nach 22 Monaten Haft der Fall Nr. 52.613 – Staatsvolk von Kalifornien gegen Angela Davis mit dem Freispruch in allen drei Anklagepunkten:

»Die erste Anklage war Mord. Darauf folgte ein lautes, klares ›Nicht schuldig‹. Lautes Schluchzen fiel in den Augenblick der Stille, die darauf folgte. Es war Franklin. Mir war, als ob alle tief und schwer mit dem Rhythmus eines Lebewesens atmeten.

Die zweite Anklage war Entführung. ›Nicht schuldig‹, erklang es wieder. Franklin weinte lauter. Ich glaubte nicht, daß ich viel länger am mich halten könnte. Aber ich mußte den letzten Spruch hören, die Anklage wegen Verschwörung. Meine Hand umklammerte Kendras, die andere Margrets. Als der Sekretär zum dritten Mal ›Nicht schuldig‹ vorlas, schrieen, lachten, weinten und umarmten wir uns. (...) In ihrer Freude sah meine Mutter so schön aus, daß sie mich an Bilder aus ihrer frühen Jugend erinnerte. Ich fühlte mich für sie glücklicher als für alle anderen, mich eingeschlossen.«

Unmittelbar nach ihrer Freilassung macht sie weiter, lehrt, schreibt Bücher, engagiert sich.

Angela Davis arbeitet heute als Professorin an der Universität in Santa Cruz, unterrichtet politische Wissenschaften. Sie ist gefragte Rednerin bei Demonstrationen, Kundgebungen, hält Gastvorlesungen an vielen Universitäten und Colleges. Sie ist Pfeifenraucherin, Vegetarierin (das wurde sie in ihrer Gefängniszeit), sehr sportlich. Es ist schön, mit ihr zu sprechen. Der leicht singende Tonfall mit den typischen Pausen der Überlegung, das seltene, dann um so stärkere Lachen gehen mir so leicht nicht mehr aus dem Ohr. Zum ersten Mal fühle ich mich in den USA zu Hause. Bei den Diskussionen über die revolutionären Bewegungen, den kritischen Auseinandersetzungen zu den sozialistischen Ländern bis hin zu Marcuse, der 68er Bewegung und den Fragen der Frauenbewegung ist ihr alles vertraut. Wie untypisch für die USA.

»Für mich war die Revolution nie etwas, was man mal tun mußte, bevor man sich zur Ruhe setzte; sie war kein modischer Klub mit einem neu geprägten Jargon oder eine neue Art gesellschaftlichen Lebens, das durch Risiko und Zusammenstöße an Spannung und durch die Kostümierung an Glanz gewann. Die Revolution ist eine ernsthafte Sache, die ernsthafteste im Leben eines Revolutionärs. Wenn man sich zum Kampf verpflichtet, muß es fürs ganze Leben sein.«

Nach dem Tod meiner Freundin Fasia, afrodeutsche Sängerin aus der Friedensbewegung im Dezember 1997, lädt Angela mich in die USA ein. Zunächst treffen wir uns bei einer Aktion gegen Atomtests in Nevada, von da aus geht es weiter nach Oakland. Sie zeigt mir Berkeley, dann das Gefängnis, in dem sie eingesperrt war und das, in dem ihr Liebster, George Jackson, eingesperrt und ermordet wurde.

Angela ist für Veranstaltungen zwei Jahre im voraus ausgebucht. Sie ist in der Bewegung gegen den industriellen Gefängniskomplex in den USA engagiert. Diese Entwicklung ist nahezu unvorstellbar, doch sie wird in der globalisierten Welt zum Modell. In zehn Jahren ist die Zahl der Gefangenen von 200000 auf zwei Millionen gewachsen. Weitere drei Millionen Menschen warten auf ihren Prozeß oder stehen unter Bewährungsauflagen. In den USA leben acht Prozent der Weltbevölkerung, dort sind aber 28 Prozent der Gefangenen weltweit. Der größte Teil der Gefangenen sind Afroamerikaner oder Menschen lateinamerikanischer Herkunft. Inzwischen kommen bei der afroamerikanischen Bevölkerung mehr Frauen als Männer ins Gefängnis. Das hat mit dem Wegfall der Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu tun. Es gibt kaum Möglichkeiten für die Unterbringung von Kindern. Besonders alleinerziehende Mütter werden in die Kleinkriminalität gezwungen. Sie begehen kleine Delikte, wie Diebstahl von Lebensmitteln, Prostitution und Drogenkriminalität. Man bekommt den Eindruck, daß die USA zunehmend ihre sozialen Probleme hinter Gitter stecken. Zur Zeit werden etwa drei neue Gefängnisse pro Monat eröffnet. Die Gefängnisse sind privatisiert, haben private Betreiber. Die Kommunen reißen sich um neue Gefängnisse. Einmal gibt es hierdurch feste Jobs für Aufseherinnen und Aufseher; dann übernehmen die Gefangenen Arbeiten, die die Kommunen sonst nicht bezahlen könnten: Straßenbau, Gartenarbeiten usw. Weltmarktfabriken lassen im Gefängnis produzieren. Die Löhne liegen um zwei Dollar pro Tag, ein ungeheurer Ausbeutungsgrad, die Profite sind enorm. Arbeit in den Gefängnissen als neue Form der Sklaverei. Es gibt eine Jeansmarke: Prison blue. Der Werbeslogan: »Drinnen produziert, um draußen zu tragen.«

Die Firma Wackenhut, der auch Kentucky Fried Chicken gehört, hat einen besonders perfiden Gefängniskomplex entwickelt. Diese Gefängnisse werden jetzt auch exportiert. Zunächst wurde eines in Australien gebaut, das nächste in England.


Frauen und Drogen


Der zweite Schwerpunkt der politischen Aktionen von Angela Davis ist die Gesundheitsversorgung afroamerikanischer Frauen. Die afroamerikanische Bevölkerung wird durch Drogen kaputtgemacht, insbesondere durch die synthetische Droge Crack.

»Wenn eine Frau abhängig wird, brechen alle Strukturen zusammen. Und das passiert jetzt in den Städten. Crack-Kokain ist die zerstörerischste Droge, die jemals gesehen wurde. Es ist eine Droge, die sehr billig ist. Es ist eine chemische Nachahmung von Kokain. Kinder können es sich leisten, Kinder, elf, zwölf Jahre alt, kaufen es sich und rauchen es. Es ist die Droge, die am schnellsten zur Abhängigkeit führt. ... Menschen, die es nehmen, verlieren jeden Sinn dafür, was mit ihnen oder ihrer Umgebung los ist. Das einzige Interesse, was sie noch haben, ist das, wie sie noch mehr Crack bekommen können. ... Mütter geben ihre Kinder vollkommen preis, versorgen sie nicht mehr mit Nahrung, geben ihnen Drogen.«

Kinder sind Drogenhändler, benutzen Maschinengewehre, werden bei Schießereien umgebracht. Als Ronald Reagan, nicht zuletzt wegen des Versprechens, zusammen mit George Bush (Vater) an der Spitze des Antidrogenkampfes die Drogen zu besiegen, 1980 zum ersten Mal gewählt wurde, kamen pro Jahr zirka 25 Tonnen Kokain ins Land. 1990 waren es jährlich 200 Tonnen. Die kleinen Dealer werden festgenommen, die Anzahl der in den Gefängnissen einsitzenden Menschen hat sich in den zehn Jahren verdoppelt. Die Großdealer bleiben unberührt.

Neben ihrer Lehrtätigkeit und ihren politischen Aktivitäten ist Angela Publizistin. Einige ihrer Veröffentlichungen sind: »Mein Herz wollte Freiheit«, ihre Autobiographie, »Frauen, Kultur, Politik« »Blues Vermächtnis und schwarzer Feminismus« über drei Blues-Sängerinnen: Ma Rainey, Bessie Smith und Billie Holiday, »Sind Gefängnisse überflüssig?« Ein kenntnis- und faktenreiches Buch (leider noch nicht ins Deutsche übersetzt) über die Geschichte und den heutigen industriellen Gefängniskomplex der USA.

(Zitate aus der Autobiographie »Mein Herz wollte Freiheit« und aus Gesprächen mit der Autorin)

* Ellen Diederich ist Friedensarbeiterin, Diplompädagogin, Publizistin, Lothringer Str. 64, 46045 Oberhausen Tel: 49-0-208-853607; Fax: 853716 – email: Friedensa@AOL.com

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