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»Wir müssen die Opposition der Basis bündeln«

Interview: Harald Neuber

* Iván Morales ist Nationalabgeordneter der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) in Bolivien. Er vertritt den von Hugo Chávez zu einem Besuch in Venezuela eingeladenen MAS-Führer Evo Morales auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz am Sonnabend in Berlin

F: Anfang Dezember vergangenen Jahres fanden in Bolivien Regionalwahlen statt, die »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) konnte zwei Drittel der Sitze für sich gewinnen. In den Umfragewerten liegt Evo Morales vor allen anderen Spitzenpolitikern in klarer Führung. Welche Perspektive sehen Sie für die Präsidentschaftswahlen 2007?

Dieser Sieg bei den Regionalwahlen hat für uns wichtige Voraussetzungen für den bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf geschaffen. Die neoliberalen Parteien sind auf lokaler und regionaler Ebene fast vollständig von der Bildfläche verschwunden. Das gibt uns den notwendigen Freiraum, neue politische Organisationsformen an der Basis zu etablieren. Auf dieser Grundlage werden wir dann später die ideologische Arbeit ausweiten können, um sozialistische, multinationale und multikulturelle Werte in der bolivianischen Gesellschaft zu fördern.

F: Das klingt sehr nach der »bolivarianischen Revolution«, wie sie derzeit von der venezolanischen Regierung von Präsident Hugo Chávez vorangetrieben wird. Aber wäre die Situation mit einer MAS-Regierung nicht ungleich schwieriger? Immerhin verfügen Sie noch nicht über eine so breite organisierte Basis, und auch das Militär würde einem sozialistischen Prozeß in Bolivien weitaus kritischer gegenüberstehen als in Venezuela.

Sicher weisen die Länder Lateinamerikas große Unterschiede auf. In Venezuela unterstützt die Armee die bolivarianische Revolution von Hugo Chávez, außerdem verfügt das Land über einen immensen Ölreichtum. Werfen wir den Blick nach Brasilien, so kommt der dortigen Regierung unter Inácio Lula da Silva das geopolitische Gewicht seines Landes zugute. Brasilien kann nicht einfach ignoriert werden. Zudem verfügt der Präsident nach wie vor über einen starken Rückhalt in der Bevölkerung. In Bolivien ist die Lage schwieriger. Hier ist das alte Parteiengefüge auseinandergebrochen. Eine Folge war, daß sich nun zahlreiche Klein- und Kleinstgruppen zu den Wahlen stellen können. Ihre Kandidaturen haben bei den Regionalwahlen eine große Rolle gespielt. Allerdings handelt es sich bei diesen Gruppen oft um indigene Verbände, die vor allem auf dem Land vertreten sind, nicht aber in den Städten. Diese Aufgabe wird unserer »Bewegung zum Sozialismus« zukommen. Unsere Aufgabe ist es, die Basisopposition als integrierende Kraft zu bündeln, um 2007 die Regierung zu übernehmen.

F: Andere Linksregierungen wie Kuba oder Venezuela setzen große Hoffnungen auf einen regionalen Integrationsprozeß, um dem Widerstand aus Washington zu begegnen. Welche Position vertritt die MAS?

Ein neues Bündnis der lateinamerikanischen Staaten ist von immenser Bedeutung, nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, sondern vor allem auch auf politischer Ebene. Nur so kann etwa der US-dominierte Freihandel zurückgedrängt werden. Und erst, wenn wir die Kontrolle über unsere Rohstoffe und Produktionsmittel wiedererlangt haben, ist die nachhaltige Entwicklung der Region möglich. Ich sehe darin die Hauptaufgabe der kommenden Jahre.

F: Diese Idee hat durchaus Anhänger in Lateinamerika. So wurde im Dezember mit der »Südamerikanischen Staatengemeinschaft« (CSN) erstmals ein Regionalbündnis gegründet, das anders als die »Organisation Amerikanischer Staaten« nicht von Washington bestimmt wird. Ein Anfang?

Das Problem der CSN ist ihre Gründungsgeschichte. Sie wurde von oben verordnet. Unserer Meinung nach ist es bislang nur eine leere Hülle, ein Verein ohne politische Befugnisse. Es wird sich also erst zeigen, ob die einzelnen Staaten wirklich willens sind, dem Bündnis politische Befugnisse zu überantworten. Die südamerikanischen Staaten trennen zur Zeit noch enorme politische und wirtschaftliche Unterschiede. Um diese Kluft zu überwinden, ist es nicht nur notwendig, Zollschranken zu beseitigen oder Importquoten zu regeln. Wenn die »Südamerikanische Staatengemeinschaft« ähnlich anderen Regionalbündnissen Durchsetzungskraft erreichen soll, muß sie sich auch zu einem Raum der politischen Debatte entwickeln. Ein solcher Austausch über die mittel- und langfristigen Perspektiven Lateinamerikas nämlich fehlt bislang.

F: Geht es um die wirtschaftliche Perspektive, legen selbst fortschrittliche Kräfte in Lateinamerika ihre Hoffnungen oft auf Handelsabkommen mit der Europäischen Union, um die US-Dominanz zurückzudrängen. Zu Recht?

Ein Handelsabkommen zwischen lateinamerikanischen Staaten und der EU würde nichts ändern, solange nicht das soziale und industrielle Ungleichgewicht beachtet wird. Aber in den letzten Jahren hat sich in der ganzen lateinamerikanischen Region eine Debatte um eben diesen Punkt entwickelt. Die Dominanz der USA, der Weltbank und des IWF wird kritischer gesehen. Und immer mehr Menschen fragen sich, wie sich das wirtschaftliche Modell ändern muß, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.

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