Cool. Schön. Integer
Von Mathias KirschkeDie ganz Harten gehen auch wochenends in die Uni. In Berlin beispielsweise am Samstag ins Audimax der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, draußen in Karlshorst. Der Titel der Vorlesung lautete: »There we were, now here we are«. Als Gastdozenten agierten Chumbawamba. Auf dem Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz.
Vorher spielte das Jazz-Orchster Prokopätz ganz einfach ganz komplizierte Musik. Blechbläser-Jazz brutal, groovy aufgelöst in aller Sanftheit. Dogmatisch, aber mit leichter Hand arrangiert vom genialen Hannes Zerbe vorne am Piano. In dieser Zeitung war das mit den Worten angekündigt worden: »Spiel mir ein kleines Arbeiterlied, die Revolution ist eine ernste Sache, der freie Marsch heißt stolpern, die alten Genossen dürfen jetzt wackeln und hüpfen.« Und das hätten sie auch gemacht – wenn nicht alle auf langen Bänken gesessen hätten, wie es sich an einer Uni gehört. Zum Schluß spielten sie »Hotel California« von den
Eagles im Stil einer Hotelbarband, während Moderator Dr. Seltsam einen Text vortrug, in dem er davon kündete, daß die USA ihre geheimen Folterkeller in den von ihnen »befreiten« Ländern nach diesem Schmuselied benannten. Das war eine große depressive Geste von Seltsam, die zeigte, daß Musik tatsächlich Politik machen kann.
Und dann Chumbawamba zu fünft mit einer Auftrittsehrlichkeit, die jeden zweiten an der eigenen Courage zweifeln läßt. Der akustische Verweis auf die Vorveranstaltung »Polyphonie für Fortgeschrittene« wird wohlwollend aufgenommen. »English Rebel Songs« heißt das Programm. Gibt es einen passenderen Abschluß für eine Rosa-Luxemburg-Konferenz als Klassenkampflyrik in Perfektion? Wohl kaum. Ein Repertoire, das über mehrere Jahrhunderte hinaus reicht, stimmt die Restmenge der Veranstaltungsbesucher melancholisch bis ausgelassen. »Es gibt nie zu viele Anti-War-Songs«, verkündet Mrs. Abbot, eine der herausragenden Persönlichkeiten Chumbawambas. Drei Generationen linker Gemüter klatschen und verdrängen die nahenden Tränen angesichts der verstandbetäubenden Wahrheit. Die Gewißheit der moralischen Überlegenheit hilft wenig über das Verhängnis des Minderheitendaseins hinweg. Pop foltert, aber Pop bietet auch Zerstreuung. Ein Glück, daß auch dies didaktisch clever nicht unberücksichtigt bleibt. Manche Tanzen zwischen den Sitzreihen, sie können nicht anders. Chumbawamba machen politischen Pop und können sozusagen auch politisch dazu tanzen. Nämlich zu Liedern der Rebellion, die beispielsweise 700 Jahre alt sind. So lange geht das schon, obwohl doch das Konzert »Enough is enough!« heißt.
Aber die applaussichere Einigkeit bezüglich jedwedem Antifaschismus ist doch schon mal was. Musikalische Profis, die allen aus der Seele sprechen, was kann man sich mehr wünschen? Roll over Aktivismus. Es bedarf mehr als zwei Zugaben, mehr als Erinnerungen an linksmächtigere Zeiten. Mehr heißt aber niemals weniger. Chumbawamba sind cool, schön und integer. Dabei sehen sie ein bißchen so aus, als wären sie dem »Trainspotting«-Film entsprungen, wenngleich als etwas ältere Studenten. Immerhin gibt es die Ex-Folkpunk-Band ja schon über 20 Jahre. Deshalb können sie auch sehr gut singen. Nicht zuletzt sie sind es, die etwas wirklich Gutem, Tradionellem den gültigen goldenen Anstrich geben. Wenn dem letzten Einhorn im Musikbusineß ein Äquivalent zuzuordnen wäre, Chumbawamba hätten gute Chancen.
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