Hamburg empfing am 7. und 8. Juli 2017 Staatschefs und Vertreter der EU zum G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Sie erwartete eine große und kreative Protestbewegung.
Diskussion in Hamburg klärte auf zum Themenkreis Afrika, G 20 und neokoloniale BRD-Wirtschaftsprogramme
Felix Jota
Die Bundesregierung inszeniert sich als Retter des ärmsten Kontinents, hat Afrika zu einem Schwerpunkt der deutschen G-20-Präsidentschaft gemacht. Tatsächlich geht es ihr offenbar wieder nur um das eine: bei der (Neo-)Kolonialisierung Afrikas nicht zu spät zu kommen. Es geht um den sprichwörtlichen »Platz an der Sonne«, den schon vor 120 Jahren eine deutsche Regierung beim Wettlauf um Kolonien einforderte. Eine Woche vor dem Schaulaufen der G-20-Herrscher lieferte am Freitag eine Veranstaltung der Fraktion von Die Linke in der Bürgerschaft Informationen für die Plausibilität dieser These.
Der Kaisersaal des Rathauses war voll, rund 150 Menschen wollten den linken Bürgerschaftsabgeordneten Martin Dolzer, Organisator der Diskussion, und seine afrikanischen Gäste hören. Offensichtlich besteht Aufklärungsbedarf beim Thema Afrika und G 20, das in der Berichterstattung zum Gipfel bisher eher zu kurz kam.
Angesichts der vielen Abbildungen im Saal, die von der Beteiligung Hamburgs an kolonialen Verbrechen künden, fiel es nicht schwer, Dolzers Ausflug in die Geschichte mitzumachen. Er zog eine Parallele von der Afrika-Konferenz, zu der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor drei Wochen nach Berlin eingeladen hatte, zur sogenannten Kongokonferenz in Berlin 1884/85. Damals sei Afrika zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt, seien Grenzen ohne jede Rücksicht auf gewachsene Strukturen gezogen worden.
Schäubles Meeting war ein Baustein des Prestigeprojekts des Finanzministeriums »Compact with africa« (Abkommen mit Afrika), das Investitionen akquirieren soll. Das werde die Arbeitslosigkeit senken und die Infrastruktur der beteiligen Länder verbessern. Tatsächlich gehe es um eine Zurichtung Afrikas für die Interessen von Investoren, so Dolzer. Deutschland wolle »sein Stück vom Kuchen«.
Schäuble habe zum Treffen nur sechs afrikanische Staatschefs eingeladen, die, die bereit seien, ihre Märkte noch weiter für westliche Konzerne zu öffnen. Dafür seien ihnen insgesamt 300 Millionen Euro zugesagt worden. »Also eine halbe Elbphilharmonie, noch mal durch sechs geteilt – das ist purer Zynismus!« so Dolzer.
Es geht heute wie damals um die Ausplünderung Afrikas. Das machte auch Clotilde Ohouochi deutlich, frühere Sozialministerin der Elfenbeinküste. Es sei ein Paradox, dass ein an sich reicher Kontinent mit riesigen Rohstoffvorkommen, etwa Gold, Coltan, Uran, Öl, und guten Böden ökonomisch so arm sei. Ursache dafür sei, dass westliche Konzerne diese Ressourcen ausbeuteten und ihre Profite abschöpften, statt sie zu investieren – und Afrikas Regierungen das zuließen.
Am Beispiel Niger ließen sich die Folgen erkennen. »Der Niger gehört zu den Staaten mit der den größten Uranfördermengen und ist zugleich eines der ärmsten Länder«, sagte Ohouochi. Das Uran beute der französische Konzern Areva aus, dessen Umsatz das Budget des nigrischen Staates übersteigt.
Von ähnlichen Geschäften konnte Izotou Abi Alfa aus Togo berichten, Chefredakteur der Zeitung »Le Rendez Vous«. Togo gehört ebenfalls zu den ärmsten Ländern der Welt, obwohl es Vorkommen an Kalk, Grundstoff für Zement, und Phosphaten besitzt. Die seit etwa 50 Jahren regierende Herrscherfamilie habe, so Abi Alfa, die Phosphatlagerstätten pauschal an Israel verkauft – und im Gegenzug Waffen erhalten.
Ohouochi betonte, Afrika brauche keinen »Marshallplan«, wie er auf dem G-20-Gipfel beraten werden soll. »Sie müssen endlich die Souveränität der afrikanischen Staaten respektieren, statt über unsere Köpfe hinweg über unsere Zukunft zu entscheiden«, rief die Politikerin unter dem Beifall der Zuhörer aus.
Tausende demonstrieren in der Hamburger Innenstadt gegen G 20. Beamte behindern Aufbau von Zelten der Gipfelgegner
André Scheer und Georg Hoppe, Hamburg
Während in der Hamburger City am Sonntag Tausende Menschen gegen die Politik der »G 20« demonstriert haben, hat sich die Polizei der Hansestadt im Viertel Rothenburgsort erneut über Urteile der Gerichte hinweggesetzt. Obwohl das Verwaltungsgericht Hamburg am Sonnabend den Aufbau des »Antikapitalistischen Camps« im Elbpark genehmigt und auch das Errichten von Schlafzelten befürwortet hatte, hinderten die Beamten die Aktivisten am Betreten des Platzes. Die Uniformierten erklärten, dass noch kein Auflagenbescheid vorliege, weshalb der Aufbau nicht beginnen könne. Allerdings lag auch kein schriftliches Verbot vor, so dass den Organisatoren auch eine juristische Intervention verwehrt blieb.
In ersten Reaktionen empörten sich Sprecher der Demonstranten über den »krassen Verfassungsbruch« der Sicherheitskräfte. Deren Verhalten komme einem »Putsch der Polizei gegen die Justiz« nahe, hieß es. Im Gespräch mit junge Welt berichtete ein Mitglied der Vorbereitungsgruppe, dass bereits am S-Bahnhof Rothenburgsort Polizisten versucht hätten, die ankommenden Demonstranten zum Umkehren zu überreden.
Nachdem der Zugang nicht gewährt worden und es zu Rangeleien mit der Polizei gekommen war, wurde eine Dauerkundgebung angemeldet. Die Demonstranten begannen mit dem Aufbau von Einzel- und Gruppenzelten sowie weiterer Campinfrastruktur am Straßenrand und auf der Fahrbahn. Eine Infowand wurde von einer Polizeieinheit weggetragen und später zurückgegeben. Rund 200 Teilnehmer kündigten an, bis zur Durchsetzung des Camps vor Ort bleiben zu wollen. Aus dem linken Zentrum »Rote Flora« hieß es laut einer Sprecherin, die dort für den Abend geplante Vollversammlung zur Repression gegen die Camps werde aus Solidarität zum geplanten Zeltlager nach Entenwerder verlegt. Kurz vor jW-Redaktionsschluss wurde ein Angebot der Versammlungsbehörde bekanntgegeben: Die Größe des Camps sei auf ein Viertel zu verringern. Es solle keine Duschen geben, außerdem dürfe nicht gekocht und geschlafen werden. Die Camp-Organisatoren lehnten dies ab.
Solidaritätsbekundungen erhielt das Vorbereitungsteam des Zeltlagers auch aus der Innenstadt. Redner der Kundgebung »G-20-Protestwelle« auf dem Rathausmarkt forderten die Behörden auf, die Gerichtsurteile zu respektieren. Einige Aktivisten bauten mitten in der Abschlusskundgebung ihre Zelte auf. Soll uns die Polizei doch hier, direkt vor dem Rathaus und unter den Augen der Öffentlichkeit, räumen, erklärten sie. »Hamburg muss sich jetzt entscheiden: Rechtsstaat oder Polizeistaat«, sagte Nico Berg von der Interventionistischen Linken.
An der Großdemonstration, zu der Gewerkschaften, Umwelt- und Bürgerrechtsgruppen aufgerufen hatten, beteiligten sich gestern Tausende. Während die Polizei zunächst nur 4.000 Teilnehmer gezählt haben wollte und sich später auf 10.000 korrigierte, sprachen die Veranstalter von 25.000 Menschen, die sich zu Fuß rund um die Binnenalster sowie mit 130 Booten auf dem Gewässer bewegt hätten, um ihren Protest gegen die Politik der G 20 deutlich zu machen. »Gemeinsam haben wir ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, die Rettung des Klimas und gegen neoliberale Politik gesetzt«, zeigten sich die Veranstalter anschließend per Pressemitteilung zufrieden, obwohl sie einräumten, mit einer größeren Teilnehmerzahl gerechnet zu haben. »Trotzdem haben wir deutlich gezeigt, dass unsere Initiative für einen Politikwechsel der G-20-Staaten von der Mitte der Gesellschaft getragen wird.«
Teilnehmer der »G20 Protestwelle« zeigten heute auf mit einer Bootsdemo auch auf der Binnenalster Flagge. Diese hier zeigten neben unseren jW-Plakaten auch eine phantasievolle Losung. Allein das Wetter dürfte bei ihrer Forderung eher nicht mitspielen. Und außerdem es soll ja Beamte geben, die es eher heiß mögen. Für die Proteste gilt zu Wasser und zu Lande: Ob wolkig, ob heiter – der Kampf geht weiter!
Viele tausend Menschen beteiligen sich zur Stunde in der Hamburger Innenstadt an der "G20 Protestwelle", zu der Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen und Initiativen aufgerufen haben. Der Zug zieht vom Rathausmarkt durch die Straßen des Zentrums und zurück zum Platz vor der Regierungszentrale.
Auf der Alster haben sich derweil zahlreiche Boote versammelt, die mit Transparenten die Forderungen nach gerechtem Welthandel und sozialer Gerechtigkeit.
Die Hamburger Polizei versucht derzeit trotz eines gültigen Gerichtsurteile, den Beginn des Aufbaus des »Antikapitalistischen Camps« im Stadtteil Rothenburgsort zu verhindern. Beamte haben den angemeldeten Versammlungsort unter Verweis auf einen »fehlenden Auflagenbescheid« blockiert.
Sprecher des Camps kritisierten das Vorgehen der Beamten als »krassen Verfassungsbruch« und als »Putsch durch die Polizei«. (jW)
Das zweite Protestcamp der G-20-Gegner nimmt Formen an. Nachdem am Sonnabend bereits der Aufbau des Zeltlagers im Volkspark Altona begonnen hatte – wobei die Polizei das Übernachten im Camp verhindern will –, soll heute das Antikapitalistische Camp hinzukommen. Es entsteht allerdings nicht, wie ursprünglich gefordert, im Hamburger Stadtpark, sondern im Elbpark Entenwerder im Stadtteil Rothenburgsort.
Wie die Organisatoren des Camps auf ihrer Homepage informieren, konnten sie am Sonnabend vor dem Verwaltungsgericht Hamburg einen Erfolg erringen. Das Gericht habe entschieden, »dass wir ab Sonntag mittag um 12 Uhr im Elbpark Entenwerder (S-Bahn Rothenburgsort) ein Camp – inklusive Schlafzelte – errichten dürfen«.
Vorausgegangen war ein wochenlanger Rechtsstreit, der seinen Höhepunkt vor dem Bundesverfassungsgericht gefunden hatte. Dessen Urteil, das Camp als ganzes sei als Versammlung zu werten, wurde im Kooperationsgespräch von der Versammlungsbehörde schlicht ignoriert. Stattdessen wurde in der Verbotsverfügung eine Fläche mitten im Bergedorfer Industriepark bestimmt, fernab von jeder Öffentlichkeit, und dafür sogar noch eine Miete verlangt, während Schlafzelte und Küchen verboten wurden. »Die Polizei kümmert sich offensichtlich einen Dreck darum, was Versammlungsrecht und Gerichte sagen. Das ist also das versprochene Fest der Demokratie!«, kommentierte Francesca vom Vorbereitungsteam des Camps.
Nun hat sich jedoch ausgezahlt, dass die Organisatoren des Camps »hilfsweise« einen anderen Ort für ihre Versammlung, nämlich den Elbpark Entenwerder, angemeldet hatten. Auch dieser war von den Behörden verboten worden. Das Verwaltungsgericht urteilte am Sonnabend jedoch, dass das Verbot des Ortes nur mit einer ausreichenden Gefahrenprognose zu begründen sei. Diese sei jedoch nicht durchgeführt worden. Zudem erklärten die Richter, dass das Verbot von Schlaf- und Küchenzelten gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verstoße.
»Wir sind richtig sauer, dass die Hinhalte- und Verbotstaktik der Polizei uns so lange behindert hat«, sagt Jochen dazu. »Eigentlich hätte das Camp schon seit zwei Tagen voll aufgebaut sein sollen. Auch das vorbereitete Programm hätte längst schon begonnen haben sollen. Aber wir sind hoch motiviert, jetzt gemeinsam mit richtig vielen Menschen aufzubauen.«
Trotzdem ist man skeptisch, dass der Aufbau des Zeltlagers problemlos ablaufen wird. »In der letzten Woche hat die Polizei mehrfach gezeigt, wie wenig sie von gerichtlichen Urteilen und Versammlungsrecht hält«, so die Organisatoren. »Wir brauchen also richtig, richtig viele Menschen! Helft uns, dieses Camp möglich zu machen, auch wenn sich (Innensenator Andy) Grote und seine Polizei nicht an die eigenen Regeln halten wollen. Zusammen bauen wir das Camp auf!« (jW)
In Hamburg findet am heutigen Sonntag die erste große Demonstration im Rahmen der Proteste gegen den G-20-Gipfel statt. Ein Bündnis aus Umwelt-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzorganisationen, Gewerkschaften, Bürgerrechts- und kirchlichen Organisationen erwartet Zehntausende Teilnehmer, die unter dem Motto »G20 Protestwelle« nicht nur in der Innenstadt marschieren werden, sondern auch mit einer Bootsdemonstration auf der Binnenalster für einen gerechteren Welthandel werben wollen.
Die Aktion soll nach Ansicht der Organisatoren auch ein deutliches Zeichen gegen das von der EU und Japan geplante Handelsabkommen JEFTA sowie gegen eine Wiederbelebung des zwischen Brüssel und Washington ausgehandelte TTIP setzen. Die bislang unter Verschluss gehaltenen Inhalte von JEFTA waren vor wenigen Tagen veröffentlicht worden. Medienberichten zufolge wollen Brüssel und Tokio die unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführten Verhandlungen noch vor dem G-20-Gipfel zum Abschluss bringen. »Mit der G-20-Protestwelle ergreifen wir jetzt die Gelegenheit, die Verhandlungspartner mit unserem Nein zu JEFTA zu konfrontieren«, sagt Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschlands als Anmelder der Demonstration.
Beginn der Veranstaltung ist am heutigen Sonntag um 11.30 Uhr auf dem Hamburger Rathausmarkt. Als Rednerinnen und Redner angekündigt sind der Bundesvorsitzende der Naturfreunde, Michael Müller, Sarah Händel vom Bundesvorstand von Mehr Demokratie, Sweelin Heuss von der Greenpeace-Geschäftsführung, DGB-Bundesvorstandsmitglied Stefan Körzell, Nelini Stamp von #ResistTrump aus den USA sowie Campact-Geschäftsführungsmitglied Christoph Bautz.
Anschließend zieht der Demonstrationszug durch die Innenstadt (Rathausmarkt - Ballindamm - Lombardsbrücke - Gorch-Fock-Wall - Johannes-Brahms-Platz - Kaiser-Wilhelm-Str. - Rödingsmarkt - Bei den Mühren - Zippelhaus - Brandstwiete - Bergstraße - Rathausmarkt).
Zurück auf dem Platz vor der Hamburger Regierungszentrale sprechen ab 15.00 Uhr Jörn Kalinski von Oxfam, der stellvertretende Vorsitzende des BUND, Ernst-Christoph Stolper, die Klimaaktivistin Selina Leem von den Marshall Islands, der ghanaische Gewerkschafter Kwabena Nyarko Otoo, der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Hayko Bağdat, Maria Luisa Werne von der Vereinigung Solidarische Landwirtschaft sowie Alexander Porschke vom NABU. (jW)
Eine Fähre mit dem roten Schriftzug »Viva Fidel« am Bug läuft in den Hamburger Hafen ein. In einer bunten Menge stehen Gewerkschafter, Friedensfreunde, Karl Marx und Che Guevara gemeinsam zusammen und fordern: »Kein G(ier) 20 Nirgendwo – Wir haben etwas besseres vor.« Auf ihren Plakaten stehen Slogans wie »Stop NATO« und »Kitas statt Panzer«.
Dieses Bild zeigen die Plakate, die für das 22. Methfesselfest werben, das an diesem Wochenende auf dem Else-Rauch-Platz im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel stattfindet. Die reale Stimmung auf diesem Fest entspricht durchaus dem Plakat – nur mit viel mehr Regen.
Vertreten ist ein breites politisches Spektrum, darunter DKP, Linkspartei, SPD, Piratenpartei und die Grünen, das Archiv sozialer Bewegungen, die VVN-BdA, Gewerkschaften, attac und Stadtteilgruppen, die sich mit Migration und Behindertenpolitik beschäftigen. Insgesamt sind es mehr als 40 Gruppen und Initiativen.
Inhaltlich ist das Fest, dessen Tradition bis in die 80er Jahre zurückreicht, auf den bevorstehenden G-20-Gipfel ausgerichtet. So war es wenig überraschend, dass sich auch eine Podiumsdiskussion der Frage widmete »Der G-20-Gipfel und wir: Was im Kleinen tun, um das Große zu ändern?«.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Debatte fanden klare Worte. Zur Frage nach den »Chancen« für Afrika sagte zum Beispiel Christin Bernhold, Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Wirtschaftsgeographie der Universität Zürich, dass die Chancen vor allem das deutsche Kapital habe. »Freihandel«, so die junge Wissenschaftlerin, sei »Freihandelsimperialismus«.
Nach konkreten Handlungsmöglichkeiten gefragt, beließ es Ellen Prowe von »Nordkirche weltweit« bei Appellen, während Friederike Habermann, Politikwissenschaftlerin und Autorin zu solidarischer Ökonomie, betonte, dass es nichts nutze, »das Ganze sozialdemokratisch abzufedern«. Andere Formen des Wirtschaftens müssten gefunden und durchgesetzt werden. Sie wies auf die Impulse aus »dem Süden« hin, beispielsweise auf die Bewegung der Zapatistas in Mexiko.
Der Moderator der Runde, Burkhard Plemper, drängte immer wieder auf konkrete Vorschläge für Handlungsmöglichkeiten. Markus Gunkel vom Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, dem Bündnis der Friedensbewegung in der Hansestadt, erinnerte an einen Streik von Schauerleuten in den 50er Jahren. Die Arbeiter hätten sich damals geweigert, Munition zu verladen. Später hätten sie vor Gericht recht bekommen, denn dies sei »keine zumutbare Arbeit« gewesen, so die Richter damals.
Angesprochen auf den Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung machte Tina Sanders von der DKP die Grenzen individueller Verhaltensänderungen deutlich: »Wir werden nichts daran ändern, nur weil wir hier Fahrrad fahren.« Politische Lösungen müssten her. Dennoch, fügte sie augenzwinkernd hinzu, könne es nicht schaden, auf Kreuzfahrten – die schlimmste Umweltsünde! – zu verzichten. Für Deutschland werde sich der Klimawandel vermutlich eher moderat auswirken – zum Beispiel in Form von Dauerregen wie auf dem Methfesselfest.
Am Ende waren sich die Diskussionsteilnehmer (fast) einig, dass eine neue Produktionsweise erkämpft werden müsse, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen richte. Das könne nur gegen die G20 geschehen. Dafür müsse man gut organisiert sein, und auf jeden Fall besser als die Gegenseite, die bereits äußerst gut organisiert sei. Zudem gelte es, alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen: Initiativen, Bündnisse, Gewerkschaften und natürlich Demonstrationen. Von denen gebe es in der kommenden Woche eine große Auswahl.
Immer wieder war von der Utopie die Rede. An diesem Abend lag sie in der Luft. Der Regen ließ nach und die Klänge der Musiker verstärkten, was zuvor verstandesmäßig erschlossen worden war: »Weit entfernt ist der Ort, an dem ich mit dir leben will.« So weit entfernt ist er vielleicht gar nicht.
Zur Sicherung rechtsstaatlicher Verfahren in der Zeit der zu erwartenden Proteste rund um den G-20-Gipfel in Hamburg haben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zusammen mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) einen Anwaltlichen Notdienst eingerichtet. Der Notdienst ist in enger Kooperation mit dem Hamburger Ermittlungsausschuss (EA), der Roten Hilfe e.V. und weiteren Antirepressionsgruppen organisiert worden.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Notdienstes werden bei Demonstrationen oder anderen Protestaktionen unmittelbar vor Ort sein, um Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer bei der Verwirklichung und Durchsetzung ihrer Grundrechte zu unterstützen und im Fall der Fälle gegenüber den Polizeibehörden zu vertreten.
Eine zentrale Aufgabe des Anwaltlichen Notdienstes ist die Vertretung Betroffener von freiheitsentziehenden Maßnahmen, die im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Gipfel in Hamburg durch die Polizei vollzogen werden. Hierfür wird der Notdienst bei Versammlungen, Protestaktionen und auch in den Gefangenensammelstellen präsent sein und beraten sowie bei richterlichen Anhörungen Betroffene anwaltlich vertreten.
Der Notdienst des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. ist in dringenden Fällen über den Hamburger Ermittlungsausschuss zu erreichen: Tel. +49 (0)40 432 78 778. Homepage: www.anwaltlicher-notdienst-rav.org (jW)
Die Teilnehmer des G-20-Gipfels sollen nur ein gefiltertes Bild der Hansestadt zu sehen kriegen. Doch an der Elbe gibt es auch eine Geschichte des Widerstands
André Scheer
Manche Berliner halten Hamburg einfach für ein rührendes Dorf, das sich einbildet, eine Weltstadt zu sein. Echte Hamburger zucken über »so’n dumm Tüch« dann einfach mit der Schulter. Man braucht keinen Neunmalklugen aus der Hauptstadt, der einem sagt, ob man nun wirklich das »Tor zur Welt« ist oder nicht. Weniger selbstbewusst sind allerdings die Nadelstreifenträger im Hamburger Rathaus. Seit jeher versucht man dort, wo sich Regierung und Börse ein und dasselbe Gebäude teilen, der Stadt an der Spree den Rang abzulaufen. So freuten sich die feinen Hanseaten dumm und dämlich, als im Januar die Elbphilharmonie eröffnet wurde. Was sind schon 19 Jahre Bauzeit und 789 Millionen versenkte Euros gegen die unendliche Geschichte des Flughafens BER?
Ansonsten steht Hamburg den Berlinern in Sachen Peinlichkeiten kaum nach – zumal man manches auch noch gemeinsam verbrochen hat. Wer erinnert sich noch an die jahrelangen Planungen für einen Transrapid zwischen Hamburg und Berlin? Als das Projekt im Jahr 2000 beerdigt wurde, hatte es bereits umgerechnet 200 Millionen Euro verschlungen.
Was Berlin 1936 hatte, bleibt Hamburg auch weiterhin verwehrt: Olympische Sommerspiele. 2024 sollte es nach dem Willen des Deutschen Olympischen Sportbundes und aller Hamburger Bürgerschaftsfraktionen – mit Ausnahme der Linken – soweit sein. Hamburg bewarb sich offiziell um die Ausrichtung. Um gegenüber den Entscheidern vom IOC punkten zu können, beraumte die Bürgerschaft ein Referendum an, um sich das Prestigeprojekt absegnen zu lassen. Doch die Hamburgerinnen und Hamburger behielten einen kühlen Kopf. Mit 51,6 Prozent Neinstimmen erteilten sie der Bewerbung eine Absage.
Die Rache des Olaf Scholz
Eine persönliche Niederlage für Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Der rächt sich nun mit dem G-20-Gipfel an der Bevölkerung. Wer das Mega-Kommerz-Event nicht haben wollte, bekommt nun Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan und Michel Temer nebst deren schießwütigen Bodyguards und einem über weite Teile des Stadtgebiets verhängten Ausnahmezustand. Für den US-Präsidenten stellt der Senat sein nobles Gästehaus zur Verfügung und genehmigt dessen Sicherheitsdienst den Einsatz von Spionagedrohnen über Hamburg. Demonstranten dagegen sollen nach dem Willen der Behörden nicht einmal in Zelten übernachten dürfen.
Das Gipfeltreffen findet in den Hamburger Messehallen statt, wo ansonsten Nobelyachten und Sportpferde für die Pfeffersäcke angeboten werden. Damit dort das Ambiente stimmt, wurden in den vergangenen Jahrzehnten die angrenzenden Stadtteile, vor allem das Karolinen- und das Schanzenviertel, durch den Reißwolf der Gentrifizierung gezogen. Aus »unseren Vierteln« wurden in weiten Teilen touristische Sehenswürdigkeiten, die in den Reiseführern wegen ihrer tollen Modegeschäfte beworben werden. Doch ganz auf Linie gebracht sind »Karo« und »Schanze« bis heute nicht. Davon zeugen die unzähligen Protesttransparente und Plakate, die an den Häusern und in den Schaufenstern der Geschäfte zu sehen sind.
Das Potential unbotmäßiger Einwohner reicht auch heute noch aus, um der Polizei einen Grund zu liefern, die gesamte Umgebung zum »Gefahrengebiet« zu erklären. So wurden 2014 50.000 Menschen in St. Pauli, Eimsbüttel und Altona unter Generalverdacht gestellt. Als das Hamburger Oberverwaltungsgericht diese Maßnahme im Mai 2015 für verfassungswidrig erklärte, reagierte der von SPD und Grünen gestellte Senat darauf, indem er das »Gefahrengebiet« in »gefährliche Orte« umbenannte – und die Befugnisse der Polizei ausweitete. Mitten in diese »gefährlichen Orte« werden nun die Staatsgäste kutschiert.
Zu sehen bekommen die Staatsgäste ein gefiltertes Hamburg, werden vom Flughafen zur Elbphilharmonie und vom Tagungssaal in ihre Nobelhotels kutschiert. Für sie unsichtbar bleiben sollen das »andere Hamburg« und seine Geschichte.
Erinnern wir an Klaus Störtebeker, der Ende des 14. Jahrhunderts als Seeräuber mit seinen Likedeelern die Küste unsicher machte, die reich beladenen Schiffe der Hanse überfiel und die Beute unter der armen Bevölkerung verteilte. Am 21. Oktober 1401 soll er mit 72 Gefährten auf dem Grasbrook enthauptet worden sein. Dort steht heute ein 1982 errichtetes Denkmal für den Seeräuber – die offiziöse Internetseite hamburg.de kokettiert damit, dass es wohl einmalig sei, dass »eine Stadt ihrem eingeschworenen Feind und einem hingerichteten Verbrecher ein Denkmal errichten ließ«. Bereits 1897 wurde dagegen Simon von Utrecht, der die Jagd auf Störtebeker geleitet hatte, mit einem Standbild an der Kersten-Miles-Brücke geehrt. 1985 wurde seine Statue »enthauptet«, hinterlassene Parolen lauteten »Störtebeker lebt« und »Wir kriegen alle Pfeffersäcke«.
Denkmäler waren und sind auch in Hamburg immer wieder Gegenstand heftiger öffentlicher Debatten geblieben. Vierzig Jahre etwa dauerte es, bis Hamburg nach der Befreiung vom Faschismus 1945 wieder ein Denkmal für den Dichter Heinrich Heine bekam. Dieser hatte ab 1816 einige Jahre in Hamburg gelebt hatte und war der Hafenstadt bis zu seinem Tod in einer widersprüchlichen Hassliebe verbunden geblieben. Ein Denkmal des Dichters, das im Hamburger Stadtpark stand, wurde von den Faschisten eingeschmolzen, Heines Bücher wurden 1933 zusammen mit denen vieler anderer Autoren verbrannt. Doch auch nach der Befreiung blieb Heine in Hamburg unerwünscht. Erst am 11. Mai 1982 wurde ein neues Denkmal enthüllt. Als späte Wiedergutmachung steht die Figur eines nachdenklichen Heinrich Heine heute auf einem Granitsockel mit vier Bronzereliefs auf dem Rathausmarkt. Erläuternde Texte erinnern an die Bücherverbrennung und an die Zerstörung des alten Heine-Denkmals durch die Hitlerfaschisten.
Schon 1929 schrieb Kurt Tucholsky: »Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.« Das hat sich bis heute nicht geändert. Würde der Dichter am Rathausmarkt den Blick heben, sähe er auf der anderen Seite des Platzes, direkt an der Alster, ein Kriegerdenkmal. »Vierzigtausend Söhne der Stadt ließen ihr Leben für euch – 1914–1918« heißt es dort auf der dem Rathausmarkt zugewandten Seite einer 21 Meter hohen Stele. Auf der Rückseite, fast nur vom Wasser aus zu sehen, zeigt sie das Relief einer trauernden Mutter. Das offizielle Hamburg verweist gerne auf dieses von Ernst Barlach geschaffene Bildnis, das von den Nazis durch einen Adler ersetzt, nach dem Krieg jedoch wieder restauriert wurde. Doch die Halterung, um an diesem »Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege« – so der offizielle Name – Kränze niederzulegen, befindet sich auf der Seite mit der martialischen Inschrift.
Ein weiteres Relikt steht am Stephansplatz, wenige Schritte vom Hamburger Kongresszentrum CCH entfernt. Der »Kriegsklotz«, wie er im Volksmund heißt, ist ein sieben Meter hoher Block aus Muschelkalk, der 1936 von den Nazis zu Ehren des Infanterieregiments 76 errichtet wurde. Als Relief marschieren um den Klotz 88 lebensgroße Soldaten unter der Inschrift »Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen«. Die Hamburger Punkband »Slime« beantwortete das einst mit ihrem Lied »Deutschland muss sterben, damit wir leben können«.
Zu einem Abriss des hässlichen Klotzes hat sich das offizielle Hamburg nie durchringen können. Als Kompromiss beauftragte man 1983 den Wiener Bildhauer Alfred Hrdlicka (1928–2009) mit der Gestaltung eines Gegendenkmals, das den »76er«-Klotz kommentieren sollte. Hrdlicka schuf zwei von ursprünglich vier Teilen seines Denkmals, bevor ihm das Geld ausging. Der Senat jedoch lehnte es ab, dem Künstler weitere Mittel zur Verfügung zu stellen – ein Denkmal ist ja keine Elbphilharmonie. Bis heute ist das Gegendenkmal deshalb unvollendet und geht neben dem Klotz unter. Seit Ende 2015 ergänzt jedoch auch ein Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Deserteure und die Opfer der Militärjustiz den Platz.
Kulturfabrik Kampnagel
Eine ganz andere Form von Denkmal ist die Kulturfabrik Kampnagel, in der am 5. und 6. Juli die Teilnehmer des »Gipfels für globale Solidarität« zusammenkommen. Das freie Theater bietet mit sechs Bühnen und einem Kino ausreichend Platz für Debatten über Globalisierung und Solidarität. Bis 1968 war Kampnagel unter dem Namen »Nagel & Kaemp« eine Fabrik für Ladekräne. Der Hamburger Schriftsteller Willi Bredel machte das Werk und seine Arbeiter zu Protagonisten seines Romans »Maschinenfabrik N&K«.
Wer in einer Konferenzpause von Kampnagel aus einen vielleicht 20minütigen Spaziergang unternimmt, kommt dorthin, wo am 23. Oktober 1923 der Hamburger Aufstand tobte.
G 20: Protestcamper in Altona errichten ihre Zelte. Wachsende Spannungen zwischen teilnehmenden Staatsoberhäuptern im Vorfeld des Gipfels
Kristian Stemmler
Während die ersten Protestcamper in Hamburg ihre Zelte aufbauen, stehen eine Woche vor Beginn des dortigen G-20-Gipfels die Zeichen auf Sturm – nicht nur auf den Straßen der Stadt, sondern auch auf dem Gipfelparkett. Der Spiegel meldete am Freitag, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihren Chefunterhändler Lars-Hendrik Röller nach Washington geschickt. Er soll ausloten, ob die USA noch zu Kompromissen beim Treffen bereit seien. »Falls die USA aus weiteren internationalen Vereinbarungen aussteigen, steht auch der G-20-Gipfel in Hamburg vor dem Scheitern«, schreibt das Nachrichtenmagazin.
Die US-Regierung blockiere, so der Spiegel, nicht nur die Zusammenarbeit in der Klimapolitik und in Handelsfragen. Berlin habe auch Hinweise darauf, dass die Administration von Präsident Donald Trump die Kooperation im Kampf gegen Steueroasen und Steuerdumping aufkündigen könnte. Dass zumindest in Sachen Klimaschutz nicht mit ihm zu reden ist, bewies Trump am Donnerstag bei einer Rede in Washington. Man habe sich aus dem Klimaschutzabkommen zurückgezogen, »um amerikanische Jobs, Unternehmen und Arbeiter zu schützen«, sagte er laut AFP: »Ich möchte Ihnen sagen, dass wir stolz darauf sind.«
Die Stimmung dürfte also nicht die beste sein, wenn am kommenden Freitag und Sonnabend die Staats- und Regierungschefs der 19 »wichtigsten Industrie- und Schwellenländer« sowie EU-Vertreter an der Elbe zusammenkommen. Nicht nur Merkel will mit dem US-Präsidenten ein Hühnchen rupfen. Auch Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin werden keine Nettigkeiten austauschen, wenn sie sich laut Reuters beim Gipfel erstmals treffen. Vor allem das Thema Syrien verspricht Ärger. In der vergangenen Woche hatte die US-Administration von einem bevorstehenden Giftgasangriff der syrischen Regierung phantasiert und mit Luftangriffen gedroht.
Dass es auch auf Hamburgs Straßen ungemütlich zugehen wird, dafür sorgt die Polizei mit neuen Provokationen. Sondereinheiten stürmten am Donnerstag die Wohnungen zweier Aktivisten der Gruppe Roter Aufbau Hamburg (jW berichtete). Der G-20-Ermittlungsausschuss bezeichnete die Aktion als »Einschüchterungsversuch gegen die Anti-G-20-Protestbewegung«. Dafür spreche »das martialische Auftreten der Polizei: Vermummte, dunkel uniformierte Einheiten zerstörten im Morgengrauen Eingangstüren und stürmten mit gezogenen Maschinenpistolen die Wohnungen von Linken.«
Einen unerwarteten Erfolg konnten die Organisatoren des Protestcamps im Altonaer Volkspark erringen. Mit den Behörden sei es zu einer »Teileinigung« gekommen, erklärten sie am Freitag nachmittag. Man werde sofort mit dem Teilaufbau des Camps beginnen. Die Auftaktveranstaltung finde am Sonnabend um 12 Uhr im Jugendsportpark statt, ab 20 Uhr sei ein Konzert unter dem Titel »Rap gegen G 20« geplant. Keine Einigung sei über die Nutzung der Wiese im Volkspark erzielt worden.
Von neuen Schikanen hatte der Ermittlungsausschuss noch am Donnerstag berichtet. Die Stadt verbiete nicht nur Protestcamps, sie übe auch »starken Druck« aus, um eine andere Unterbringung zu erschweren. Vereinen und Genossenschaften habe die Stadt verboten, Gipfelgegner aufzunehmen. Eine weitere Schikane: Den Organisatoren der »Welcome to Hell«-Demo am Donnerstag seien die Dixi-Klos gekündigt worden. Genug Toiletten dürften am Sonntag bei der Demo des Bündnisses »G-20-Protestwelle« um das Kampagnennetzwerk Campact bereitstehen. Diese Form bunten Protestes mit Bannermeer und Bootsdemo ist für Hamburgs Obere eine saubere Sache.
Im Streit um das im Hamburger Stadtpark geplante Antikapitalistische Camp von G-20-Gegnern hat das Bundesverfassungsgericht am Freitag den Erlass einer weiteren einstweiligen Anordnung gegen die Veranstaltungsverbote der Behörden abgelehnt – und damit akzeptiert, dass die staatlichen Stellen der Hansestadt den Richterspruch vom Mittwoch ignorieren.
Mit ihrem Eilantrag hatten die Organisatoren des Camps versucht, die Karlsruher Richter zu einer Konkretisierung ihrer Entscheidung von Mittwoch zu bewegen. Karlsruhe hatte der Stadt Hamburg aufgegeben, das Camp nach dem Versammlungsrecht und nicht nach der Grünflächenverordnung zu behandeln. Zudem sollten die Behörden einen »Ausgleich« mit den Veranstaltern suchen, der das Camp »möglichst weitgehend« ermöglichen sollte. Erste Gespräche waren allerdings ohne Einigung verlaufen, die Polizei will keine Übernachtungen in dem Park erlauben.
Das Verfassungsgericht verwies die Camper nun zunächst an die Verwaltungsgerichte. Erst nach deren letztinstanzlichem Urteil kann wieder Verfassungsbeschwerde eingereicht werden.
Unterdessen hat ein Konzert der Band Irie Révoltés in der »Roten Flora« die Woche der G-20-Proteste eingeleitet. Das Konzert sollte eigentlich unter freiem Himmel stattfinden, wurde aber wegen des schlechten Wetters in das Innere des Veranstaltungszentrums verlegt. Vor dem Gebäude im Schanzenviertel verfolgten trotz Regens Hunderte den Auftritt der Band auf einer Leinwand. In Redebeiträgen kritisierten Aktivisten die Demonstrationsverbote in der Hansestadt. (dpa/jW)
Unsere Zeitung begleitet den G-20-Gipfel in Hamburg mit einer Sonderredaktion und Reportern vor Ort
Das Großereignis vom kommenden Wochenende wirft bereits seine Schatten voraus. Teile Hamburgs sind zum undemokratischen Sektor gemacht worden. Das führende Management der G-20-Staaten soll von Protesten möglichst verschont bleiben. Die linke Szene lernt schon mal den Polizeistaat kennen. Mit allen Mitteln versuchen die Behörden, die Versammlungsfreiheit auf Bonsai-Größe zurückzuschneiden, wie die Auseinandersetzung um das Stadtpark-Camp demonstriert. Den Oberen passt die ganze Richtung nicht. Das ist auch nachvollziehbar, denn die Bewegung gegen den Gipfel in ihrer ganzen Breite zeugt von der wachsenden Ablehnung einer ungerechten Ordnung, dem lauter werdenden Nein zu einer Welt, die vom Geld regiert wird.
Unsere Leitmedien werden ganz gewiss in aller Breite berichten – ausgewogen und überparteilich, versteht sich. Ein »Kessel Buntes« aus Hofberichterstattung, Polizeisprech, guten Demonstranten und bösen Chaoten erwartet Sie dort. Als Nebenwirkungen können Sehstörungen auftreten. Doch Hilfe ist unterwegs. Mit Reportern an den Brennpunkten des Geschehens und einem Team, das in der Redaktion die Dinge ordnet, sorgen wir ab dem kommenden Donnerstag für klare Sicht auf den Gipfel und vor allem auf Gipfelstürmer. Online wollen wir in unserem Blog, den sie unter www.jungewelt.de/g20 aufrufen können, mit laufenden Aktualisierungen – Meldungen, Fotos und Videos – für Durchblick sorgen. Bereits jetzt ist dort das Wichtigste aus unserer Vorberichterstattung dokumentiert. Aktive Hamburg-Besucher bekommen unter der Nummer 030/53 63 55-77 Anschluss an unser Team. Auch Hinweise per Mail (g20@jungewelt.de) sind willkommen. (jW)
Das Bündnis »Block G20« will trotz Demonstrationsverbots und Allgemeinverfügung die Zufahrtswege zum G-20-Gipfel in Hamburg blockieren. »Wir werden die Strecken, auf denen die Konvois fahren, verstopfen«, kündigte Bündnissprecher Nico Berg am Freitag in Hamburg an.
Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen am Freitag in einer Woche als Akt des zivilen Ungehorsams von vielen Seiten aus in die für Demonstrationen gesperrte 38 Quadratkilometer große »blaue Zone« eindringen. »Wir werden uns dort auf die Protokollstrecken setzen, wir werden dort mit unseren Körpern dem G20 im Weg sitzen und ganz praktisch massenhaften zivilen Ungehorsam leisten«, sagte Berg und betonte: »Massenhafter ziviler Ungehorsam ist nicht Krawall. Wir haben einen ganz klaren Aktionskonsens - und der sagt: Von uns geht keine Eskalation aus.«
Mit Blick auf die weiter verbotenen Protestcamps im Hamburger Stadtpark und im Volkspark Altona sagte Berg: »Die Polizei versucht hier ganz klar Panik zu machen, Planungsunsicherheit zu schaffen. Wir sagen, wir lassen uns davon nicht verunsichern.« Man werde »zu Tausenden irgendwo« schlafen. Er warf der Polizei vor, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts weiterhin nicht kooperationsbereit zu sein. Er sei sich aber dennoch sehr sicher, »dass wir am Ende ein Camp haben werden«.
Tatsächlich teilten die Organisatoren des G-20-Protestcamps im Volkspark mit, dass man im heutigen Kooperationsgespräch mit den Behörden eine Teileinigung erzielt habe und der Teilaufbau umgehend beginnen werde. »Es konnte aber keine Einigkeit über die Nutzung der Spielwiese im Volkspark getroffen werden. Die Organisatoren haben daher eine neue Versammlung auf dem Gelände des Jugendsportparks im Volkspark Altona angemeldet«, heißt es auf der Homepage g20-camp.de.
Die Auftaktveranstaltung werde am morgigen Sonnabend, 1. Juli, um 12 Uhr im Jugendsportpark beginnen. Ab 20 Uhr sei ein Konzert unter dem Titel »Rap gegen G20« geplant. Der schriftliche Bescheid der Versammlungsbehörde zum Aufbau der Veranstaltungszelte werde noch im Laufe des heutigen Tages erwartet.
Kritik an der Taktik der Behörden kommt von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die Themenkoordinationsgruppe »Polizei und Menschenrechte« schreibt heute auf ihrer Homepage: »Zwar ist richtig, dass das Gericht der Versammlungsbehörde einen weiten Entscheidungsspielraum bei der Frage einräumt, ob und unter welchen Auflagen eine Versammlung in dieser Form stattfinden kann. Dessen ungeachtet gilt seit dem sogenannten Brokdorf-Beschluss, dass die Versammlungsbehörde, bzw. die Polizei das Versammlungsrecht demonstrationsfreundlich auslegen muss, und das Kooperationsgebot zu beachten hat.
Wenn der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im Interview mit dem NDR nunmehr davon spricht, dass ein Camp verboten werden kann, da die Übernachtung in dem Camp nicht mehr von der Versammlungsfreiheit und dem Beschluss des Gerichts mitgedeckt sei, so stellt dies eine gewollte Fehlinterpretation und eine bewusste Missachtung dieses Beschlusses dar.« (dpa/jW)
Schwerbewaffnete Sondereinheiten der Hamburger Polizei haben am Donnerstag morgen mehrere Wohnungen und die Räume eines linken Vereins gestürmt und durchsucht. Wie das Internetportal Indymedia berichtete, wurden in zwei Privatwohnungen die Türen eingetreten, die Bewohner wurden mit vorgehaltenen Maschinenpistolen aus den Betten gerissen. Eine Razzia gab es demnach auch in den Räumlichkeiten des Vereins Klassenkultur e.V. Dort seien mit schwerem Gerät fünf Stahltüren aufgebrochen worden.
Hintergrund der Polizeiaktionen ist offenbar ein Interview, das im vergangenen Dezember in der tageszeitung erschienen ist. Dort hatten zwei Aktivisten Verständnis für eine militante Aktion gegen die Hamburger Messehallen geäußert, bei der kurz zuvor geringfügige Schäden an dem Veranstaltungsort des G-20-Gipfels verursacht worden waren. Auch die freie Mitarbeiterin der taz, die das Interview geführt hatte, ist nach eigenen Angaben inzwischen als Zeugin vorgeladen worden.
Für Unmut sorgt der »differenzierte« Umgang der Hamburger Behörden mit der Presse. Während einerseits eine Journalistin auf diese Weise angegangen wird, erfuhr die Bild offenkundig im Vorfeld von den Razzien. Wie auf der Homepage des Boulevardblatts zu sehen ist, waren dessen Reporter direkt bei der Erstürmung der Wohnungen dabei. Bild sorgt mit der Schlagzeile »Polizei-Razzia bei militanten G20-Gegnern« auch gleich für die richtige Stimmungsmache. (jW)
In einer Serie von Artikeln behandelt junge Welt die Lage der progressiven Kräfte und die Rahmenbedingungen der politischen und sozialen Kämpfe in den führenden Industriestaaten und den Schwellenländern, deren Repräsentanten in Hamburg zum G-20-Gipfel zusammenkommen. Alle bisher erschienenen Beiträge finden Sie hier.
Schlappe für den Polizeistaat: Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das Komplettverbot des G-20-Protestcamps gekippt. Die Richter hoben nach einer Klage der Veranstalter das generelle Verbot des im Hamburger Stadtpark geplanten »Antikapitalistischen Camps« im Eilverfahren auf. Allerdings wurde der Hansestadt die Möglichkeit eingeräumt, den Umfang des Camps zu beschränken, Auflagen zu verhängen und die Veranstaltung sogar an einen anderen Ort in der Stadt verlegen.
Nach den ursprünglichen Plänen soll das »Antikapitalistische Camp« vom 30. Juni bis 9. Juli stattfinden. Vorgesehen sind bis zu 3.000 Zelte und 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt. Das zuständige Bezirksamt hatte das Camp untersagt und das mit dem Schutz der Grünanlage begründet. Dagegen zogen die Veranstalter vor Gericht. Vor dem Verwaltungsgericht Hamburg hatten sie zunächst Erfolg, allerdings hob das Oberverwaltungsgericht das Urteil der Vorinstanz Ende vergangener Woche wieder auf.
Gestritten wird auch noch um das Protestcamp im Volkspark Altona, das zwischen dem 1. und 9. Juli etwa 3.000 Menschen aufnehmen soll. Das Verwaltungsgericht Hamburg lehnte heute zunächst ab, die Behörden zu verpflichten, den Aufbau und die Durchführung des Protestcamps zu dulden. Zur Begründung erklärten die Richter, dass die Veranstaltung bei einer Gesamtbetrachtung keine grundrechtlich geschützte Versammlung sei. Daher sei die Erteilung einer Genehmigung nach der Verordnung zum Schutz öffentlicher Grün- und Erholungsanlagen erforderlich, die nicht vorliege. Auch in diesem Fall rechnen die Aktivisten damit, dass die Entscheidung am Ende in Karlsruhe fällt. (dpa/jW)
BUND und Misereor fordern von Kanzlerin Zeichen für Klimaschutz in Hamburg
Vor dem G-20-Gipfel in Hamburg haben Vertreter von Umweltschutz- und Hilfsorganisationen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein starkes Zeichen für Klimaschutz und Kohleausstieg gefordert. Als Vorsitzende der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) müsse Merkel die Regierungen zu einem Signal für den klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung bewegen und im eigenen Land mit dem Kohleausstieg vorangehen, erklärten der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) und das bischöfliche Hilfswerk der römisch-katholischen Kirche in Deutschland für Entwicklungszusammenarbeit, Misereor, am Mittwoch in der Hansestadt.
»Der BUND und Misereor erwarten von den Staatschefs, dass sie bei diesem G-20-Gipfel – auch vor dem Hintergrund der Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump, aus dem Pariser Weltklimavertrag von 2015 auszusteigen – ein starkes Signal für mehr Klimaschutz senden«, hieß es. Deutschland müsse als wichtige Wirtschaftsnation vorangehen, einen konkreten Kohleausstiegsplan zusagen und gesetzlich verankern. »Und die Kanzlerin muss sich dafür einsetzen, dass ab sofort in allen G-20-Staaten keine neuen Kohlekraftwerke mehr genehmigt werden und der Ausbau der erneuerbaren Energien Priorität bekommt.« Letztere Forderung dürfte allerdings die Möglichkeiten Merkels übersteigen.
Aus einer von erheblichen Eingriffen für den Kohleabbau betroffenen Region in Kolumbien appellierte Jakeline Romero Epiayu, Sprecherin einer dortigen Frauenorganisation: »Das Schicksal unserer Völker hängt vom Kohlehunger der großen Wirtschaftsnationen ab. Da, wo wir leben, geschehen aufgrund des Kohlebergbaus täglich Verletzungen der Menschenrechte und der Territorialrechte sowie eine unglaubliche Missachtung der Mutter Erde. Dies muss ein Ende haben.«
Das Spitzentreffen der Staats- und Regierungschefs wichtiger Industrie- und Schwellenländer (G 20) findet am 7. und 8. Juli statt. Ein jW-Team wird im Vorfeld und an beiden Tagen vor allem die Protestaktionen begleiten. (dpa/jW)
Stadt Hamburg will während des Ereignisses das Campen unterbinden. Das wird gerade Obdachlose treffen. Ein Gespräch mit Stefan Karrenbauer
Kristian Stemmler
Wenn vom G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg die Rede ist, werden meist der Protest dagegen, die Repression oder die Einschränkungen für den Normalbürger thematisiert. Aber eine Gruppe der Bevölkerung dürfte ganz besonders unter dem Gipfel leiden: die Obdachlosen der Stadt.
Ja. Die meisten Hamburger erleben vielleicht ein paar Behinderungen auf der Fahrt zur Arbeit oder zurück, aber die sind dann irgendwann zu Hause. Wohnungslose jedoch sind der belastenden Situation durch den Gipfel permanent ausgesetzt. Viele müssen ihre Plätze vermutlich von jetzt auf gleich räumen. Und hinzu kommt: Keiner weiß, wo Demonstrationen und Aktionen genau stattfinden. Die Wohnungslosen könnten also plötzlich mittendrin sein.
Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat am Freitag das Verbot des Camps für Gipfelgegner im Stadtpark bestätigt. Das dürfte auch Obdachlose treffen und ihre Lage weiter verschlechtern.
Kann man wohl sagen. Generell hat die Stadt quasi ein Campingverbot für ganz Hamburg verhängt. Das betrifft natürlich auch die Obdachlosen. Wer soll denn bitte schön die Unterscheidung vornehmen: Das hier ist ein Wohnungsloser, und das da ist ein Gipfelgegner, der angereist ist und auf der Straße jetzt wild zeltet? Also ich traue mir das nicht zu, so etwas zu entscheiden. Unter den Beamten sind ja auch viele aus anderen Bundesländern, die mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut sind.
Gab es schon erste Vertreibungen?
Vor einigen Wochen ist eine Platte, also ein Übernachtungsplatz, unter einer Brücke in der Nähe des Luxushotels Steigenberger geräumt worden. Die Behörden können mir erzählen, was sie wollen. Ich gehe davon aus, dass das mit dem Ereignis zusammenhängt, dass die Leute wegen des Gipfels vertrieben werden. Man wird sicher auch an anderen Orten, die als Rückzugsort genutzt werden, so vorgehen.
Wie viele Obdachlose sind betroffen?
Erst gingen wir davon aus, dass zwischen 200 und 300 sein werden, die in der Innenstadt übernachten. Mittlerweile sehe ich das Problem als viel größer an. Denn wenn es generelle Verbote gibt, sind alle betroffen. Es wird sicher einige geben, die bei Bekannten Unterkunft finden können. Aber man kann inzwischen davon ausgehen, dass der Bedarf an zusätzlichen von der Stadt organisierten Übernachtungsplätzen zum Gipfel eine Dimension wie beim Winternotprogramm hat. Etwa 1.000 Personen mehr werden eine Unterkunft suchen.
Sorgt der bevorstehende Gipfel für Unruhe bei den Menschen ohne Bleibe?
Eben nicht. Wohnungslose leben von heute auf morgen und haben genug andere Probleme. Und ich glaube, die können gar nicht einschätzen, was auf sie zukommt. Was es bedeutet, von jetzt auf gleich seinen Übernachtungsplatz mit allem Gepäck räumen zu müssen. Oder ohne ihre Sachen, und wenn sie zurückkommen, sind sie nicht mehr da.
Hinz & Kunzt hat in den vergangenen Wochen Gespräche mit der Polizei und der Sozialbehörde geführt und vorgeschlagen, Ausweichplätze für die Obdachlosen zu suchen. Das ist abgelehnt worden. Woher kommt diese Ignoranz?
Darauf habe ich keine Antwort, ich kann es nicht verstehen. Uns wurde lediglich gesagt: Die Leute können alle in der Stadt bleiben, auch unter den Brücken. Zwei Tage später hieß es dann auf einmal: Wir haben uns vertan, die Brücken müssen doch geräumt werden. Warum hat man nicht gesagt, ja, wir brauchen Plätze für diese Gruppe, und zwar frühzeitig, dass es sich auf der Straße herumspricht und möglichst viele Obdachlose die Ausweichplätze in Anspruch nehmen? Wir haben ja auch viele psychisch Kranke in der Szene, an die auch Sozialarbeiter kaum noch herankommen. Die sehe ich als besonders gefährdet an, weil es sich kaum einschätzen lässt, wie das ständige Sirenengeheul, das Geknatter der Hubschrauber auf sie wirkt.
Ihr Magazin hat aufgedeckt, dass die Stadt mindestens 895 Wohncontainer eingelagert hat. Würden die genutzt, könnte man auf einen Schlag Hunderte Obdachlose unterbringen.
Das macht einen sprachlos und wütend. Wir haben mit sehr vielen Hamburgern in den letzten Tagen geredet. Niemand kann nachvollziehen, warum diese Container eingelagert werden und nicht dauerhaft für Wohnungslose genutzt werden.
Hamburg: Verfassungsbeschwerde gegen Verbot des G-20-Protestzeltlagers im Stadtpark angekündigt. Demo gegen provisorischen Knast
Kristian Stemmler
Die Organisatoren des im Hamburger Stadtpark geplanten »antikapitalistischen Camps« für rund 3.000 Gegner des am 7. und 8. Juli stattfindenden G-20-Gipfels setzen jetzt auf das Bundesverfassungsgericht. Am Sonnabend kündigten sie an, noch am Wochenende in Karlsruhe Beschwerde gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Hamburg vom Freitag einlegen zu wollen. Das OVG hatte ein Verbot des Camps bestätigt und damit den gegenteiligen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 21. Juni aufgehoben.
Mit diesem Beschluss, so die Camp-Organisatoren, spiele das OVG den Politikern und Behörden in die Hände, »die seit Monaten auf jede erdenkliche Weise« versuchten, »den Protest gegen den Gipfel zu verhindern«. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, »dass das Camp als ganzes Teil des Protestes gegen den G 20 ist und Versorgungsinfrastruktur sowie Übernachtungszelte zwingend notwendig für eine solche Dauerkundgebung sind«.
Rückenwind für die Organisatoren der zwei geplanten Camps – ein weiteres soll im Altonaer Volkspark eingerichtet werden –, kam von den Hamburger Grünen, die die Hansestadt mitregieren. Die Landesmitgliederversammlung sprach sich am Sonnabend dafür aus, dass die Stadt eine geeignete Fläche für ein Protestcamp der G-20-Gegner bereitstellt. Auf diesen Beschluss werden Hamburgs SPD-Granden und die Polizeiführung vermutlich ebensowenig geben wie auf eine Äußerung von Justizsenators Till Steffen (Grüne) Mitte April. Er hatte damals nach ersten Meldungen über ein Demoverbot vollmundig erklärt: »Wir sind uns im Senat einig. Es wird keine Demonstrationsverbotszone geben.« Neun Wochen später zog Innensenator Andy Grote (SPD) eine Allgemeinverfügung der Polizei aus der Tasche, die am 7. und 8. Juli Kundgebungen in einer 38 Quadratkilometer großen Zone von der Innenstadt bis zum Flughafen verbietet.
Noch aber darf fast überall demonstriert werden. So protestierten am Samstag abend etwa 450 Menschen im Stadtteil Harburg friedlich unter dem Motto »Gesa to hell« gegen die »Gefangenensammelstelle« (Gesa) mit 400 Haftplätzen für festgenommene Aktivisten, die bereits nahe dem Harburger Bahnhof eingerichtet wurde. Die Kosten für den Umbau des zuletzt als Erstaufnahmestelle für Geflüchtete genutzten ehemaligen Lebensmittelmarktes zum provisorischen Gefängnis belaufen sich auf rund drei Millionen Euro. Mehrere hundert Beamte begleiteten den Aufzug, der erst mit einer Stunde Verspätung starten konnte. Demonstranten nannten den Großeinsatz »völlig unverhältnismäßig«. Zuvor hatten in der Innenstadt nach Polizeiangaben rund 650 Menschen für eine Änderung der Flüchtlingspolitik demonstriert. Unter dem Motto »Wir sind hier« wollten sie zugleich ein Zeichen gegen den G- 20-Gipfel setzen. Zu der Demo hatten unter anderem der Hamburger Flüchtlingsrat und die Gruppe »Lampedusa in Hamburg« aufgerufen.
Der Verfassungsschutz rechnet unterdessen damit, dass während des Gipfels Kurden und Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aneinandergeraten könnten. »Kurden könnten nationalistische Türken angreifen und umgekehrt«, sagte ein Verfassungsschützer der Welt am Sonntag (WamS).
Laut WamS werden beim Gipfel 15.000 Beamte der Länderpolizeien eingesetzt, dazu knapp 4.000 Bundespolizisten und 1.000 Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA). Das Blatt zitiert einen Polizeiinsider mit den Worten, trotz vieler Szenarien, die man durchgespielt habe, wisse man nicht, »was genau an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt« auf die eingesetzten Kollegen zukommen werde.