Mit Pflasterstein
Von Christof Meueler
Die Bereitschaft zu singen, war auch vor dem Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz sehr ausgeprägt. Schon auf der Herrentoilette sangen zwei junge Anzugträger »Die Gedanken sind frei« beseelt ins Pissoir – im Kanon! Und vor dem Einlaß zum Loft in der Berliner Urania bildete sich ein Kreis von vielleicht 20 Leuten, die 20 Minuten lang baskische Lieder schmetterten. Das hallte unter der hohen Decke ganz schön und klang ein bißchen wie Weihnachtschoräle. Auch auf den Parallel- und Zusatzveranstaltungen der Konferenz, bei DKP und SDAJ, wurde gesungen, allerdings nicht selbstorganisiert, sondern als fester Programmpunkt eingetaktet. Genauso wie auf der Konferenz selbst, als zwischendurch der Berliner Hans-Beimler-Chor und der Belfaster Singer/Songwriter Pól Mac Adaim auftraten. Nur beim Agit-Brass-Orchester IG Blech wurde nicht gesungen, die spielten »Comandante Che Guevara« als imposantes Pfeif-Zwitscher-Tirilier-Opus für verschiedene Blasinstrumente.
Um abends zum eigentlichen Konzert zu gelangen, mußte man in der verwinkelten Urania gefühlte zehn Stockwerke hochsteigen, auf einer engen Treppe zum Gipfel der jungen Welt empor und warten, wenn einem mehr als zwei entgegenkamen – so wie auf dem berühmten Juliusturm auf der Spandauer Zitadelle. Dort oben war die Aussicht dann kristallinklar im besonders hellen Jugendzentrumslicht. Anfangs standen da ältere Gestalten in kleineren Gruppen, abwartend Mojito schlürfend, grauhaarig das rote Che- Guevara-Shirt hinter den Gürtel gestopft. Und während ich sie reflexartig belustigt betrachtete, verstand ich, daß ich mittlerweile nicht viel anders aussehe. Nur ein junges Brillenträger-Pärchen knutschte entrückt an einer Säule, während sich Menschen um die vierzig und drüber die wenigen Sitzgelegenheiten sicherten: Fensterbänke und Heizungen. Später kamen dann die Halbsoalten und füllten den Saal, in dem sie sich zwanglos auf den Boden setzten, um den Auftritt von Pól Mac Adaim zu verfolgen.
Diese Jüngeren trugen immer noch überwiegend schwarze T-Shirts, deren Beschriftung auf geheimnisvolle Weise miteinander zu kommunizieren schien. So wurde bespielsweise der Aufdruck »NPD? Oh nö« (IG Metall) mit »Drink, Fight, Fuck« beantwortet. Pól Mac Adaim trug wie einige im Publikum ein Shirt der »Brigade Hilarius Gilges«, gewidmet dem schwarzen Kommunisten und Schauspieler, der 1933 in Düsseldorf von der SS ermordet wurde. Auf der Rückseite war zu lesen: »Wir bluten rot. Wir siegen rot. Für uns. Für euch. Für alle«.
Diese Parole des Rotfrontkämpferbundes faßt auch ganz gut das Programm von Mac Adaim zusammen, der solcherlei Entschiedenheit entschieden künstlerisch bearbeitet, so daß das Pathos, der Ernst und die Militanz zu swingen beginnen. Dazu spielt er ausgezeichnet Gitarre. Im Loft ließ er die Saiten knallen und hämmerte die Töne, als wenn er den Woody-Guthrie-Slogan umsetzen wollte, daß dieses Instrument eine Maschine sei, mit der man Faschisten töten könne. Hauptsächlich sang er von den irischen Kämpfen gegen die Briten und hängte sich dazu auch mal eine Harp um. Am bemerkenswertesten war das Lied über seine Großmutter, die, wenn die Briten kamen, nicht nur wie die anderen mit dem Mülltonnendeckel klapperte, sondern damit auch einem britischen Soldaten direkt »in his fucking face« schlug. Dazu klöppelte Mac Adaim mit einem Holzstück auf einer Trommel, die tatsächlich auch ein Mülltonnendeckel hätte sein können, und erzeugte feinste Bo-Diddley-Beats, die man so nicht erwartet hätte. Und draußen in der Raucherecke stand ein Punk, der erzählte, er würde immer einen Pflasterstein mit sich führen.
Nach Mac Adaim kamen The Pokes aus Berlin, sozusagen als Porträt der Pogues als junge Männer und Frauen. Die Lieblingsphrase vieler Linker, man müßte »Druck machen«, wurde von den Pokes in Glück und Ruckizucki erlöst. Folkpunk als Uptempo-Attacke von Musikern mit aufgekrempelten Hosenbeinen, die auch vor Schlagzeugsolo und Rolling-Stones-haftem Konzertfinale nicht zurückschrecken. Stampfstampf in gut. Viele T-Shirt-Träger tanzten dazu schnellstmöglichen Foxtrott, wie auf einer Sponti-Party in den goldenen Siebzigern.
Um abends zum eigentlichen Konzert zu gelangen, mußte man in der verwinkelten Urania gefühlte zehn Stockwerke hochsteigen, auf einer engen Treppe zum Gipfel der jungen Welt empor und warten, wenn einem mehr als zwei entgegenkamen – so wie auf dem berühmten Juliusturm auf der Spandauer Zitadelle. Dort oben war die Aussicht dann kristallinklar im besonders hellen Jugendzentrumslicht. Anfangs standen da ältere Gestalten in kleineren Gruppen, abwartend Mojito schlürfend, grauhaarig das rote Che- Guevara-Shirt hinter den Gürtel gestopft. Und während ich sie reflexartig belustigt betrachtete, verstand ich, daß ich mittlerweile nicht viel anders aussehe. Nur ein junges Brillenträger-Pärchen knutschte entrückt an einer Säule, während sich Menschen um die vierzig und drüber die wenigen Sitzgelegenheiten sicherten: Fensterbänke und Heizungen. Später kamen dann die Halbsoalten und füllten den Saal, in dem sie sich zwanglos auf den Boden setzten, um den Auftritt von Pól Mac Adaim zu verfolgen.
Diese Jüngeren trugen immer noch überwiegend schwarze T-Shirts, deren Beschriftung auf geheimnisvolle Weise miteinander zu kommunizieren schien. So wurde bespielsweise der Aufdruck »NPD? Oh nö« (IG Metall) mit »Drink, Fight, Fuck« beantwortet. Pól Mac Adaim trug wie einige im Publikum ein Shirt der »Brigade Hilarius Gilges«, gewidmet dem schwarzen Kommunisten und Schauspieler, der 1933 in Düsseldorf von der SS ermordet wurde. Auf der Rückseite war zu lesen: »Wir bluten rot. Wir siegen rot. Für uns. Für euch. Für alle«.
Diese Parole des Rotfrontkämpferbundes faßt auch ganz gut das Programm von Mac Adaim zusammen, der solcherlei Entschiedenheit entschieden künstlerisch bearbeitet, so daß das Pathos, der Ernst und die Militanz zu swingen beginnen. Dazu spielt er ausgezeichnet Gitarre. Im Loft ließ er die Saiten knallen und hämmerte die Töne, als wenn er den Woody-Guthrie-Slogan umsetzen wollte, daß dieses Instrument eine Maschine sei, mit der man Faschisten töten könne. Hauptsächlich sang er von den irischen Kämpfen gegen die Briten und hängte sich dazu auch mal eine Harp um. Am bemerkenswertesten war das Lied über seine Großmutter, die, wenn die Briten kamen, nicht nur wie die anderen mit dem Mülltonnendeckel klapperte, sondern damit auch einem britischen Soldaten direkt »in his fucking face« schlug. Dazu klöppelte Mac Adaim mit einem Holzstück auf einer Trommel, die tatsächlich auch ein Mülltonnendeckel hätte sein können, und erzeugte feinste Bo-Diddley-Beats, die man so nicht erwartet hätte. Und draußen in der Raucherecke stand ein Punk, der erzählte, er würde immer einen Pflasterstein mit sich führen.
Nach Mac Adaim kamen The Pokes aus Berlin, sozusagen als Porträt der Pogues als junge Männer und Frauen. Die Lieblingsphrase vieler Linker, man müßte »Druck machen«, wurde von den Pokes in Glück und Ruckizucki erlöst. Folkpunk als Uptempo-Attacke von Musikern mit aufgekrempelten Hosenbeinen, die auch vor Schlagzeugsolo und Rolling-Stones-haftem Konzertfinale nicht zurückschrecken. Stampfstampf in gut. Viele T-Shirt-Träger tanzten dazu schnellstmöglichen Foxtrott, wie auf einer Sponti-Party in den goldenen Siebzigern.
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