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Kontroverse Kriegsgegner

Beim Konzert der Rosa-Luxemburg-Konferenz ließen es der englische Singer/Songwriter Michael Weston King und die kolumbianische Rapperin Lucía Vargas ordentlich krachen
Von Johannes Schulten
Das bluesige Gefühl: Michael Weston King beim Konzert am Samstag
In der Differenz, so heißt ein bei Gewerkschaftern beliebtes Motto, liegt die Einheit. Will sagen, ob im Call Center, als Facharbeiter bei Daimler oder als IT-Tüftler, so unterschiedlich sind die Erfahrungen gar nicht, und spätestens, wenn der Laden vor die Hunde geht, sitzen alle im selben Boot.

Besonders in musikalischer Hinsicht haben sich die Organisatoren der Rosa-Luxemburg-Konferenz in diesem Jahr diese Erkenntnis zu Herzen genommen. Zwischen Politständen von Spartakisten und Kuba-Soli stieß der gewillte Rundgänger sowohl auf unerwartet feinen Jazz mit Saxophon und Gitarre wie auf den zu erwartenden Cumbia aus Venezuela und die am Ende der Konferenz traditionell kollektiv geschmetterte Internationale. Wem das nicht reichte und wer bereit und physisch in der Lage war, sich im verwinkelten Treppenhaus hoch zum Loft zu wuchten, den erwartete beim traditionellen Abschlußkonzert eine nur wenig traditionelle Melange aus Folk von Michael Weston King aus Großbritannien und schwerem Latino-HipHop von Lucía Vargas aus Kolumbien. Unterschiedlicher geht’s kaum, paßte aber trotzdem, oder eben genau deshalb.

King (nein, das ist kein Künstername) wird allgemein als Folksänger verkauft, was er aber dem Publikum präsentierte, war eigentlich Blues. Oder genauer, das bluesige Gefühl des alternativen Country, wie ihn Willie Nelson in den Frühsiebzigern pflegte. Und auch stilistisch geht der 1961 in Mittel­england geborene König von eigenen Gnaden nur auf den ersten Blick als Arbeitersänger durch. Cordmütze, abgetragenes Jackett, Jeans und die unvermeidlichen Cowboystiefel stehen ihm so gut, daß sogar der vielgeschundene Bobby-Darin-Klassiker »Sing a Simple Song of Freedom« so frisch wie ein Saxophonsolo von Springsteens E-Street Band klingt.

Textlich ist er ohnehin ganz von der alten Schule des Antikriegsliedermachers, heute muß man wohl Singer/Songwriter sagen. Es geht grundsätzlich ums Wesentliche. Und nach zehn Jahren Tony Blair ist das in England eben der Krieg. Der eignete sich zwar nicht zum Tanzen, lud aber zum Fußwippen ein oder dazu, mit Gleichgesinnten bei einem Mojito oder einem »Roter Oktober«-Bier vom letzten Hannes-Wader-Konzert zu träumen.

Mit gefühligen Träumereien war es allerdings schlagartig vorbei, als Lucía Vargas die Bühne betrat. Die schraubte den Sound erst einmal um gefühlte 50 Dezibel nach oben und zeigte lautstark, was sie von sentimentalen Revolu­tionsromantikern hält. Wenn die 25jährige Rapperin ihre »Revolution des Bewußtseins« aus den Jugendzentren in die Urania bringt, hat man die Bar zu verlassen und sich gefälligst direkt vor der Bühne aufzuhalten, am besten mit kreisenden Lenden. Was auch gar nicht schwerfiel, da ihre Grooves direkt in die Beine zuckten. Man hätte sich anbinden müssen, um sich dazu nicht zu bewegen. »Der kolumbianische HipHop entstand im Kontext des Krieges, an dem die Jugend nicht teilnehmen will. Das ist die Alternativkultur, in der wir zusammenfinden«, sagt Vargas. Und da schließt sich der Kreis zu King. Denn auch ihr geht es grundsätzlich ums Wesentliche: Beide wollen keinen Krieg. Weder mit britischen Soldaten in Afghanistan noch mit marodierenden Paramilitärs in Kolumbien. Vargas Album heißt die »Essenz des Lebens«. Daß sie es nicht wie King »I Didn’t Raise My Boy to Be a Soldier« genannt hat, lag wohl schlicht daran, daß sie bislang keine Kinder hat. Tatsächlich aber kämpfen beide denselben Kampf. Und zwar musikalisch sehr überzeugend.

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