Frankreichs Abstieg
Von Jörg Kronauer
»Die deutsche Frage« – so überschrieb die französische Wirtschaftszeitung Les Echos am Dienstag einen Diskussionsbeitrag zur Euro-Krise. Es könne nicht angehen, erklärte der französische Banker Jean-Luc Baslé, daß Deutschland auf Dauer nur auf Export setze und die Industrie in anderen Euro-Ländern, etwa in Frankreich, niederkonkurriere, anstatt auch einmal die Nachfrage im eigenen Land zu stärken. Führe die Bundesrepublik diese Praktiken fort, dann werde sie die EU »in den Zusammenbruch« treiben. Auch Frankreich, daran ließ der Autor keinen Zweifel, sei von der deutschen Exportoffensive übel zugerichtet worden. Die Deutschen seien zur Zeit schlicht dominant.
»Die deutsche Frage« – so hatte Les Echos schon einmal einen Diskussionsbeitrag überschrieben. Das war im April 2010; damals tobte der Grundsatzstreit zwischen Berlin und Paris, wie die Euro-Krise zu lösen sei. Die Bundesregierung bestehe auf ihren Spardiktaten, weil sie meine, nur mit Niedriglöhnen den Weltmarkt erobern zu können, wobei man ja etwa gegen China konkurrieren müsse, urteilte der Autor des damaligen Artikels, ein Wirtschaftsjournalist. Die Folgen für andere europäische Staaten seien Deutschland egal: »›Europa verarmt? Na und?‹ hört man jenseits des Rheins.« Tatsächlich setzte Berlin sich damals gegen Paris durch – und unterwarf die EU seiner Austeritätspolitik. Damit war auch der ökonomische Absturz Frankreichs besiegelt.
Wie der Niedergang sich seitdem vollzieht, das zeigt ganz trocken die Statistik. 1999 verzeichnete Frankreich noch ein Außenhandelsplus von 39 Milliarden Euro, gehörte sozusagen zu den Nettoverdienern. Ganz rund lief’s in den Jahren danach schon intern nicht; vor allem aber ergaben sich Probleme, weil sich im Nachbarland SPD und Grüne an die Agenda 2010 und den Abriß sozialer Standards machten. Während in Frankreich die Reallöhne weiter stiegen – von 2000 bis 2008 um 9,6 Prozent –, wurden sie in Deutschland, damals dem einzigen EU-Land mit einer Reallohnkürzung, um 0,8 Prozent gesenkt. Dies und ähnliche Maßnahmen trugen dazu bei, daß die Bundesrepublik ihre Verkäufe in Frankreich deutlich steigern konnte, während die französische Industrie zu schwächeln begann. 2010 war Frankreich im Außenhandel längst ins Minus geraten und mußte ein Defizit von 51,4 Milliarden Euro verkraften; mehr als die Hälfte davon, 30 Milliarden, flossen an Lieferanten in der Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr verdiente Deutschland sogar 40 Milliarden netto an seinen Frankreich-Exporten. Ohne die Krisenspardiktate hätte Paris das vielleicht noch irgendwie auffangen können. Die von Berlin erzwungene Austeritätspolitik läßt jedoch keinen Raum.
Was tun? Hartz IV kopieren, fordert Berlin, mit Austeritätsmaßnahmen ebenfalls den Export ankurbeln, und wenn dann Drittstaaten außerhalb der EU wegen einer europäischen Exportoffensive dauerhaft ins Minus und in die Krise geraten, dann ist das ihr Problem. Im Dezember 2011 lenkte Nicolas Sarkozy nach erbitterten, aber vergeblichen Verteidigungskämpfen ein und bat demonstrativ den Genossen der Bosse, Gerhard Schröder, in den Élysée-Palast. Das Gesprächsthema? Die Agenda 2010, die Sarkozy kurz zuvor bei einem TV-Auftritt als »das deutsche System« umschrieben hatte. Nur: In Frankreich lassen sich Löhne nicht so umstandslos kürzen wie in Deutschland. Der »politische (…) Widerstand« gegen neoliberale Zumutungen sei dort breit verankert, räumte kürzlich die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein, die Kampfbereitschaft französischer Gewerkschafter diplomatisch verklausulierend. Daß Präsident François Hollande nach kurzem, vergeblichem Aufbäumen jetzt eigentlich den Schröder machen müßte, was seine Basis aber – anders als die deutsche – kaum zuläßt, das ist ein zentraler Grund für seine desolate Lage.
Nun könnte man sagen: Die Bundesrepublik war schon immer eine Wirtschaftsmacht, während Frankreich ökonomische Schwächen durch eine teils aggressive Außenpolitik meist annähernd ausgleichen konnte. Genau dies versucht Paris seit Jahren, um sich gegen den wirtschaftlichen Durchmarsch Deutschlands zu behaupten. Präsident Sarkozy ging sofort nach seinem Amtsantritt in die Offensive. Sein erstes Projekt, die EU-Mittelmeer-Union, sollte Frankreichs Einfluß in einem Teil seines traditionellen Expansionsgebiets stärken. Das Projekt scheiterte an der Sabotage Berlins, das die Mittel der EU in seinem eigenen ost- und südosteuropäischen »Hinterhof« nutzen will und sich damit bislang stets durchgesetzt hat. Keine Mittelmeerunion also, dafür aber zuvor die EU-Osterweiterung und jetzt die sogenannte Östliche Partnerschaft.
Nicht anders sieht es mit militärischen Operationen aus. »Das Eurokorps ist kein Afrikakorps«, dekretierte der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe 1994, als zu spüren war, daß Frankreich »europäische« Kriege nicht ausschließlich zur Strukturierung des deutschen »Hinterhofs« etwa in Jugoslawien führen wollte. Die zwei EU-Interventionen im Kongo konnte Berlin nicht verhindern, setzte jedoch den pünktlichen Abzug nach wenigen Monaten durch; das war bislang an keinem anderen Einsatzort der Bundeswehr der Fall. Widerstände gegen Kriege, die französischen Interessen mehr dienen als deutschen, werden von der Bundesregierung seither publikumswirksam als Friedenspolitik verkauft. Und weil Frankreich, ökonomisch arg geschwächt, in den letzten Jahren immer wieder zu bewaffneter Gewalt greift, um seinen Einfluß zu sichern, gelingt Berlin das erstaunlich gut.
Dabei steht Paris auch militärisch eher vor einem Trümmerhaufen. Libyen? Dort regiert das Chaos. Syrien? Obama hat den Überfall abgeblasen und damit nebenbei Hollande schwer düpiert. Mali? Da sind die Deutschen vorsichtig mit von der Partie, weil sie in Westafrika einen Fuß in die Tür bekommen wollen, also eigene Interessen haben. Allerdings ist auch hier – ganz wie etwa 2002 in Afghanistan – keineswegs ausgemacht, ob die »Stabilisierung« der nordmalischen Wüstengebiete unter französischem Kommando gelingt. Ein Scheitern würde Frankreichs Abstieg noch weiter beschleunigen.
Jörg Kronauer ist Referent der von junge Welt veranstalteten XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar 2014 in Berlin
»Die deutsche Frage« – so hatte Les Echos schon einmal einen Diskussionsbeitrag überschrieben. Das war im April 2010; damals tobte der Grundsatzstreit zwischen Berlin und Paris, wie die Euro-Krise zu lösen sei. Die Bundesregierung bestehe auf ihren Spardiktaten, weil sie meine, nur mit Niedriglöhnen den Weltmarkt erobern zu können, wobei man ja etwa gegen China konkurrieren müsse, urteilte der Autor des damaligen Artikels, ein Wirtschaftsjournalist. Die Folgen für andere europäische Staaten seien Deutschland egal: »›Europa verarmt? Na und?‹ hört man jenseits des Rheins.« Tatsächlich setzte Berlin sich damals gegen Paris durch – und unterwarf die EU seiner Austeritätspolitik. Damit war auch der ökonomische Absturz Frankreichs besiegelt.
Wie der Niedergang sich seitdem vollzieht, das zeigt ganz trocken die Statistik. 1999 verzeichnete Frankreich noch ein Außenhandelsplus von 39 Milliarden Euro, gehörte sozusagen zu den Nettoverdienern. Ganz rund lief’s in den Jahren danach schon intern nicht; vor allem aber ergaben sich Probleme, weil sich im Nachbarland SPD und Grüne an die Agenda 2010 und den Abriß sozialer Standards machten. Während in Frankreich die Reallöhne weiter stiegen – von 2000 bis 2008 um 9,6 Prozent –, wurden sie in Deutschland, damals dem einzigen EU-Land mit einer Reallohnkürzung, um 0,8 Prozent gesenkt. Dies und ähnliche Maßnahmen trugen dazu bei, daß die Bundesrepublik ihre Verkäufe in Frankreich deutlich steigern konnte, während die französische Industrie zu schwächeln begann. 2010 war Frankreich im Außenhandel längst ins Minus geraten und mußte ein Defizit von 51,4 Milliarden Euro verkraften; mehr als die Hälfte davon, 30 Milliarden, flossen an Lieferanten in der Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr verdiente Deutschland sogar 40 Milliarden netto an seinen Frankreich-Exporten. Ohne die Krisenspardiktate hätte Paris das vielleicht noch irgendwie auffangen können. Die von Berlin erzwungene Austeritätspolitik läßt jedoch keinen Raum.
Was tun? Hartz IV kopieren, fordert Berlin, mit Austeritätsmaßnahmen ebenfalls den Export ankurbeln, und wenn dann Drittstaaten außerhalb der EU wegen einer europäischen Exportoffensive dauerhaft ins Minus und in die Krise geraten, dann ist das ihr Problem. Im Dezember 2011 lenkte Nicolas Sarkozy nach erbitterten, aber vergeblichen Verteidigungskämpfen ein und bat demonstrativ den Genossen der Bosse, Gerhard Schröder, in den Élysée-Palast. Das Gesprächsthema? Die Agenda 2010, die Sarkozy kurz zuvor bei einem TV-Auftritt als »das deutsche System« umschrieben hatte. Nur: In Frankreich lassen sich Löhne nicht so umstandslos kürzen wie in Deutschland. Der »politische (…) Widerstand« gegen neoliberale Zumutungen sei dort breit verankert, räumte kürzlich die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ein, die Kampfbereitschaft französischer Gewerkschafter diplomatisch verklausulierend. Daß Präsident François Hollande nach kurzem, vergeblichem Aufbäumen jetzt eigentlich den Schröder machen müßte, was seine Basis aber – anders als die deutsche – kaum zuläßt, das ist ein zentraler Grund für seine desolate Lage.
Nun könnte man sagen: Die Bundesrepublik war schon immer eine Wirtschaftsmacht, während Frankreich ökonomische Schwächen durch eine teils aggressive Außenpolitik meist annähernd ausgleichen konnte. Genau dies versucht Paris seit Jahren, um sich gegen den wirtschaftlichen Durchmarsch Deutschlands zu behaupten. Präsident Sarkozy ging sofort nach seinem Amtsantritt in die Offensive. Sein erstes Projekt, die EU-Mittelmeer-Union, sollte Frankreichs Einfluß in einem Teil seines traditionellen Expansionsgebiets stärken. Das Projekt scheiterte an der Sabotage Berlins, das die Mittel der EU in seinem eigenen ost- und südosteuropäischen »Hinterhof« nutzen will und sich damit bislang stets durchgesetzt hat. Keine Mittelmeerunion also, dafür aber zuvor die EU-Osterweiterung und jetzt die sogenannte Östliche Partnerschaft.
Nicht anders sieht es mit militärischen Operationen aus. »Das Eurokorps ist kein Afrikakorps«, dekretierte der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe 1994, als zu spüren war, daß Frankreich »europäische« Kriege nicht ausschließlich zur Strukturierung des deutschen »Hinterhofs« etwa in Jugoslawien führen wollte. Die zwei EU-Interventionen im Kongo konnte Berlin nicht verhindern, setzte jedoch den pünktlichen Abzug nach wenigen Monaten durch; das war bislang an keinem anderen Einsatzort der Bundeswehr der Fall. Widerstände gegen Kriege, die französischen Interessen mehr dienen als deutschen, werden von der Bundesregierung seither publikumswirksam als Friedenspolitik verkauft. Und weil Frankreich, ökonomisch arg geschwächt, in den letzten Jahren immer wieder zu bewaffneter Gewalt greift, um seinen Einfluß zu sichern, gelingt Berlin das erstaunlich gut.
Dabei steht Paris auch militärisch eher vor einem Trümmerhaufen. Libyen? Dort regiert das Chaos. Syrien? Obama hat den Überfall abgeblasen und damit nebenbei Hollande schwer düpiert. Mali? Da sind die Deutschen vorsichtig mit von der Partie, weil sie in Westafrika einen Fuß in die Tür bekommen wollen, also eigene Interessen haben. Allerdings ist auch hier – ganz wie etwa 2002 in Afghanistan – keineswegs ausgemacht, ob die »Stabilisierung« der nordmalischen Wüstengebiete unter französischem Kommando gelingt. Ein Scheitern würde Frankreichs Abstieg noch weiter beschleunigen.
Jörg Kronauer ist Referent der von junge Welt veranstalteten XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar 2014 in Berlin
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