Whistleblower gesucht
Von Claudia Wangerin
Von allen Referenten der Rosa-Luxemburg-Konferenz bekam Anders Kaergaard am Samstag den längsten Applaus. Weniger als eineinhalb Jahre zuvor hatte der frühere Hauptmann des dänischen Militärnachrichtendienstes mit seinem alten Leben gebrochen und Menschenrechtsverletzungen während einer Operation im Irak öffentlich gemacht und war dafür sechs Monate inhaftiert worden (siehe jW vom 7. Januar 2014). Große Teile seiner soldatisch geprägten Verwandtschaft hätten sich wegen der Enthüllung im Herbst 2012 von ihm abgewendet, sagte der Whistleblower am Samstag im Berliner Urania-Haus. Er habe zwar einen hohen persönlichen Preis für sein Handeln bezahlt. Aber: »Gewonnen habe ich dafür Selbstachtung und ein neues Verständnis von Wahrheit.«Außerdem, sagte Kaergaard, »habe ich dadurch eine viel bessere Familie gewonnen: Euch.« Insgesamt nahmen mehr als 2000 Menschen an der XIX. Rosa-Luxemburg-Konferenz teil, die von junge Welt organisiert und von zahlreichen Gruppen unterstützt wurde.
Vor der Militäroperation im November 2004 bei Basra hatte Kaergaard mit Nachdruck gewarnt: Höchstwahrscheinlich werde sie sich gegen Zivilisten richten – unglaubwürdig sei die Quelle für die Information, in den Zielobjekten hielten sich Anführer von Al-Qaida auf. Die Warnung wurde ignoriert; dänische und britische Soldaten umzingelten die Häuser, irakische Besatzungshelfer verschleppten die Bewohner in ein Foltergefängnis, wo sie bis zu 70 Tage festgehalten wurden. Ein Video von der Operation, das Anders Kaergaard publik machte, zeigt, wie dänische Soldaten tatenlos zusehen, wie irakische Kollaborateure die vor ihnen knienden und gefesselten Zivilisten schlagen und treten. Parallel dazu druckte die dänische Tageszeitung Arbejderen seinen Geheimdienstbericht über die Operation.
»Wir haben uns selbst gefragt, warum er gerade zu uns kam«, sagte die Nachrichtenchefin von Arbejderen, Freja Wedenborg, am Samstag bei der Podiumsdiskussion »Vierte Macht und Heimatfront: Wie Medien Kriege möglich machen«. Die Frage, warum eine solche Enthüllungsgeschichte bei einer kleinen, linken Redaktion gelandet sei, hatte der stellvertretende jW-Chefredakteur Rüdiger Göbel aufgeworfen. Sie denke, sagte Wedenborg, »Kaergaard kam zu uns, weil er spürte, daß wir die ganze Geschichte erzählen würden«. Göbel äußerte anschließend die Hoffnung, daß sich demnächst auch Whistleblower aus der Bundeswehr an die Medien wenden würden. Die junge Welt sei dafür die richtige Adresse – Bild oder Spiegel würden dagegen auf der ersten Seite die Kriegspropaganda fortsetzen. jW-Autor Rainer Rupp, der während des kalten Krieges als DDR-Aufklärer im Brüsseler NATO-Hauptquartier tätig war und nach seiner Enttarnung sieben Jahre ins Gefängnis mußte, bestätigte dies: Vor seiner Zeit bei der NATO habe er sich den Spiegel gekauft. Als Insider habe er jedoch schnell gemerkt, daß das Magazin alle von der NATO verbreiteten Informationen kritiklos übernommen und als eigene Recherchen ausgegeben habe.
Karin Leukefeld, die für jW aus dem Irak und Syrien berichtet, kritisierte die Arroganz von Berichterstattern, die nur für zwei oder drei Tage in ein Land kämen und dennoch glaubten, es zu kennen.
Begonnen hatte die Konferenz im Jahr 100 nach Beginn des ersten Weltkriegs mit einem Rückblick: Im Kern habe die deutsche Reichsregierung bereits 1914 eine Strategie verfolgt, die wie eine Vorahnung auf die Europäische Union wirke, sagte der Soziologe und Journalist Jörg Kronauer. Zum Beleg zitierte er aus den Kriegszieldenkschriften des damaligen deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, dem ein mitteleuropäischer Wirtschaftsverbund bei äußerlicher Gleichberechtigung, tatsächlich aber unter deutscher Führung vorschwebte. Keine Friedenspolitik, sondern eher eine altbekannte Rivalität sah Kronauer darin, daß die Bundesregierung NATO-Kriegseinsätze in afrikanischen Ländern ablehnt, für die sich Frankreich besonders engagiert.
Auf den neokolonialen Charakter dieser Ordnungskriege ging anschließend der südafrikanische Kommunist und Weggefährte Nelson Mandelas, Denis Goldberg, ein. Gegen die »Teile und herrsche«-Politik auf dem afrikanischen Kontinent sprach sich auch Napuli Langa aus, die mit zwei weiteren Vertretern des Flüchtlingsprotestcamps vom Berliner Oranienplatz auf der Bühne begrüßt wurde: »Ich bin aus dem Sudan – ich möchte nicht Nord- oder Südsudan sagen, ich bin Sudanesin.« In Deutschland kämpft die junge Frau als Betroffene um Perspektiven für Asylsuchende, die durch die Sondergesetze wie Residenzpflicht und Arbeitsverbot ausgegrenzt werden.
Ihr persönlicher Werdegang könnte nicht unterschiedlicher sein, doch eine große Gemeinsamkeit verbindet Menschen wie Anders Kaergaard und Napuli Langa: Sie nehmen sich das Recht, Geschichte zu schreiben, wie es nicht im Drehbuch der Herrschenden steht.
Weitere Berichte von der Konferenz im Online-Spezial unter www.jungewelt.de/rlk. Am 29. Januar erscheint eine Beilage mit den Referaten und im März eine Gesamtdokumentation als Broschüre.
Vor der Militäroperation im November 2004 bei Basra hatte Kaergaard mit Nachdruck gewarnt: Höchstwahrscheinlich werde sie sich gegen Zivilisten richten – unglaubwürdig sei die Quelle für die Information, in den Zielobjekten hielten sich Anführer von Al-Qaida auf. Die Warnung wurde ignoriert; dänische und britische Soldaten umzingelten die Häuser, irakische Besatzungshelfer verschleppten die Bewohner in ein Foltergefängnis, wo sie bis zu 70 Tage festgehalten wurden. Ein Video von der Operation, das Anders Kaergaard publik machte, zeigt, wie dänische Soldaten tatenlos zusehen, wie irakische Kollaborateure die vor ihnen knienden und gefesselten Zivilisten schlagen und treten. Parallel dazu druckte die dänische Tageszeitung Arbejderen seinen Geheimdienstbericht über die Operation.
»Wir haben uns selbst gefragt, warum er gerade zu uns kam«, sagte die Nachrichtenchefin von Arbejderen, Freja Wedenborg, am Samstag bei der Podiumsdiskussion »Vierte Macht und Heimatfront: Wie Medien Kriege möglich machen«. Die Frage, warum eine solche Enthüllungsgeschichte bei einer kleinen, linken Redaktion gelandet sei, hatte der stellvertretende jW-Chefredakteur Rüdiger Göbel aufgeworfen. Sie denke, sagte Wedenborg, »Kaergaard kam zu uns, weil er spürte, daß wir die ganze Geschichte erzählen würden«. Göbel äußerte anschließend die Hoffnung, daß sich demnächst auch Whistleblower aus der Bundeswehr an die Medien wenden würden. Die junge Welt sei dafür die richtige Adresse – Bild oder Spiegel würden dagegen auf der ersten Seite die Kriegspropaganda fortsetzen. jW-Autor Rainer Rupp, der während des kalten Krieges als DDR-Aufklärer im Brüsseler NATO-Hauptquartier tätig war und nach seiner Enttarnung sieben Jahre ins Gefängnis mußte, bestätigte dies: Vor seiner Zeit bei der NATO habe er sich den Spiegel gekauft. Als Insider habe er jedoch schnell gemerkt, daß das Magazin alle von der NATO verbreiteten Informationen kritiklos übernommen und als eigene Recherchen ausgegeben habe.
Karin Leukefeld, die für jW aus dem Irak und Syrien berichtet, kritisierte die Arroganz von Berichterstattern, die nur für zwei oder drei Tage in ein Land kämen und dennoch glaubten, es zu kennen.
Begonnen hatte die Konferenz im Jahr 100 nach Beginn des ersten Weltkriegs mit einem Rückblick: Im Kern habe die deutsche Reichsregierung bereits 1914 eine Strategie verfolgt, die wie eine Vorahnung auf die Europäische Union wirke, sagte der Soziologe und Journalist Jörg Kronauer. Zum Beleg zitierte er aus den Kriegszieldenkschriften des damaligen deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, dem ein mitteleuropäischer Wirtschaftsverbund bei äußerlicher Gleichberechtigung, tatsächlich aber unter deutscher Führung vorschwebte. Keine Friedenspolitik, sondern eher eine altbekannte Rivalität sah Kronauer darin, daß die Bundesregierung NATO-Kriegseinsätze in afrikanischen Ländern ablehnt, für die sich Frankreich besonders engagiert.
Auf den neokolonialen Charakter dieser Ordnungskriege ging anschließend der südafrikanische Kommunist und Weggefährte Nelson Mandelas, Denis Goldberg, ein. Gegen die »Teile und herrsche«-Politik auf dem afrikanischen Kontinent sprach sich auch Napuli Langa aus, die mit zwei weiteren Vertretern des Flüchtlingsprotestcamps vom Berliner Oranienplatz auf der Bühne begrüßt wurde: »Ich bin aus dem Sudan – ich möchte nicht Nord- oder Südsudan sagen, ich bin Sudanesin.« In Deutschland kämpft die junge Frau als Betroffene um Perspektiven für Asylsuchende, die durch die Sondergesetze wie Residenzpflicht und Arbeitsverbot ausgegrenzt werden.
Ihr persönlicher Werdegang könnte nicht unterschiedlicher sein, doch eine große Gemeinsamkeit verbindet Menschen wie Anders Kaergaard und Napuli Langa: Sie nehmen sich das Recht, Geschichte zu schreiben, wie es nicht im Drehbuch der Herrschenden steht.
Weitere Berichte von der Konferenz im Online-Spezial unter www.jungewelt.de/rlk. Am 29. Januar erscheint eine Beilage mit den Referaten und im März eine Gesamtdokumentation als Broschüre.
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