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»Wir haben kein demokratisches System«

Keine wirkliche Wahl: In den USA wechseln sich zwei konzernfreundliche Parteien an der Regierungsspitze ab. Ein Gespräch mit David Rovics
Interview: Emre Sahin
Rivalen, aber auf der gleichen Seite: Der designierte US-Präsident Joseph Biden und Amtsinhaber Donald Trump in Nashville (22.10.2020)

Die US-Präsidentschaftswahl vom 3. November ist mit Blick auf Amtsinhaber Donald Trump und seinen Herausforderer Joseph Biden von allen Seiten als »Schicksalswahl« bezeichnet worden. Haben Sie bei dieser »Schicksalswahl« abgestimmt?

Ja, das hab’ ich. Ich lebe in Portland im US-Bundesstaat Oregon. Alle Westküstenstaaten wählen jedes Mal mit großer Mehrheit die Demokraten, aber ich habe für die Grüne Partei gestimmt. Es gab viele lokale Wahlen und Referenden, die mich besonders interessiert haben. In Portland haben wir zum Beispiel harte Drogen legalisiert und eine Kontrollbehörde für die Polizei geschaffen.

Mit den Grünen rechnet man ja nicht unbedingt.

Auf nationaler Ebene war es eine Wahl zwischen Kapitalismus und Faschismus. Wenn ich in einem Bundesstaat leben würde, in dem es unklar wäre, welche der beiden großen Parteien gewinnen wird, hätte ich höchstwahrscheinlich für Joseph Biden, also die Demokraten gestimmt. Da wir uns immer zwischen den zwei Konzernparteien entscheiden müssen und eigentlich kein demokratisches System haben, wollte ich für etwas stimmen, was meinen Ansichten entspricht. Statt einer Mehrparteiendemokratie gibt es ein Winner-takes-it-all-Prinzip (Der Gewinner kriegt alles, jW). Demokraten und Republikaner unterstützen kein Mehrparteiensystem, weil beide von dem geltenden Verfahren profitieren. Sie wollen keine Demokratie. Es ist eine Art Zwei-Parteien-Gangsterclub.

Zwischen dem 2. und dem 4. November wurde der Ausnahmezustand über Portland verhängt, um die Stadt »sicher« zu machen. Haben Sie sich dadurch sicherer gefühlt?

Nein. Der Gouverneur hat den Ausnahmezustand verhängt, damit die Polizei Oregons sowie Agenten der Bundespolizei in Portland mobilisiert werden können – für den Fall von Ausschreitungen nach den Wahlen. Es gab zwar viele extrem Rechte, die während und vor den Wahlen nach Portland kamen – das passiert seit Jahren. Jedoch glaube ich nicht, dass die Behörden besorgt wegen der extremen Rechten sind und deshalb einen Ausnahmezustand verhängt haben. Ich glaube, sie sind besorgt wegen uns Linken.

Vor den Wahlen sind die Waffenverkäufe im Land gestiegen. Es gab Bilder von mit Sperrholz verbarrikadierten Läden. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Seit dem Mord an George Floyd am 25. Mai in Minneapolis durch einen Polizisten gibt es landesweit großflächige Proteste. In Portland kommen dazu die historischen Gründe. Es gibt eine Geschichte der »White Supremacy« in Oregon. Portland ist die größte weiße Stadt des Landes. Das ist der Grund, warum es so ein Schlachtfeld ist: Portland hat eine lange Geschichte von extrem Rechten, aber gleichzeitig auch eine lange Geschichte von Anarchisten und Sozialisten. Es stimmt, das Stadtzentrum Portlands ist größtenteils verbarrikadiert, aber das schon seit Ende Mai. Jeden Abend kommt es zu Protesten im Stadtzentrum, es gibt dort unfassbare Polizeigewalt. Es erstaunt mich, dass es immer noch Menschen gibt, die jeden Abend weiter protestieren. Die Zahl der Menschen mit Knochenbrüchen ist erstaunlich. Die Polizei ist komplett außer Kontrolle, und das war sie bereits seit längerer Zeit. Natürlich gehen Fenster kaputt, die Menschen werden sauer. Aber es gibt auch Provokateure der extremen Rechten. Niemand kann genau sagen, wer all diese Fenster bricht.

Sie sind Musiker, schreiben und singen politische Lieder. Wissen Sie bereits, worum es in Ihrem nächsten Song gehen wird?

Der nächste Song wird sicherlich mit den US-Wahlen zu tun haben. Ich habe bereits zwei Songs geschrieben über Präsident Trumps Bemühungen um einen Staatsstreich. Einer heißt »They‘re Planning to Steal the Election« und der andere »Coup«. Aber ich werde noch mehr zu sagen haben. Ich meine, ich habe schon Songs über die Entdeckung von Wasser auf dem Mond geschrieben. Deshalb bin ich mir sicher, dass ich noch einiges zu den Wahlen zu sagen habe.

David Rovics ist US-amerikanischer Musiker und politischer Aktivist. Er wird auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar 2021 auftreten

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