»Wir sind hier und mischen uns ein«
Von Alexander Reich, Michael SaagerSie stammen aus einer Familie von Trommlern, Pfarrern und Schmieden in Burkina Faso. Wie kamen Sie darauf, in der Hauptstadt Ouagadougou Germanistik zu studieren?
Die deutsche Sprache ist spielerisch, witzig und herausfordernd. Ich kenne keine andere Sprache, die Komposita wie »Dreifingerfaultierentspannungsmassagepraxis« zu bilden erlaubt. Vor meinem ersten Deutschunterricht in der Schule hatte ich meinen besten Kumpel Deutsch sprechen hören. Damals klangen die Wörter für mich fremd, ungewöhnlich und komisch. Dann sprang der Funke über. Ich lernte die deutsche Sprache aus reiner Faszination und Leidenschaft. Aus demselben Grund studierte ich später Germanistik. Mitschüler riefen mir manchmal spöttisch zu, dass das Leben zu kurz sei, um Deutsch zu lernen. Ich antwortete: Deswegen haben die Deutschen eine hohe Lebenserwartung. Gott gab ihnen genug Zeit, damit sie erst mal ihre Muttersprache sprechen und denken lernen, bevor sie zum Leben kommen.
2016 setzten Sie das Germanistikstudium an der TU Dresden fort, wie kam es dazu?
Neben meinem Bachelorstudium in Burkina Faso war ich Musiker, Dolmetscher und Deutschlehrer in Privatschulen in Ouagadougou. 2013 machte ich den Bachelor und hatte dank eines gewonnenen Musikwettbewerbs die Möglichkeit, für Konzerte nach Frankreich zu reisen. Ich ergriff die Gelegenheit, mein Traumland zu besuchen und spielte in Dresden bei der Bunten Republik Neustadt am Stand von Afropa e. V., das war ein besonderer Moment für mich. In der Zeit starb mein Vater in Burkina. Ich flog zurück und habe hart gearbeitet, um mich und meine Familie über Wasser halten zu können.
Da ich in Burkina damals keinen Master absolvieren konnte, bewarb ich mich um ein Masterstudium in Dresden. Meine heutige Gastfamilie in Dresden unterstützte mich sehr, aber der Kampf mit der deutschen Bürokratie dauerte drei Jahre, bis 2016. Für ein Studium müssen Menschen aus Nicht-EU-Ländern, zum Beispiel ein Konto mit 8.000 Euro Guthaben vorweisen können. Das ist natürlich eine sehr große Hürde für viele junge Menschen.
Welche Erfahrungen mit Rassismus haben Sie in Deutschland über die Jahre gemacht?
Rassismus hat mit Trauma und Schmerzen zu tun. Das scheint für viele unverständlich zu sein. Rassismus ist nie orts- und zeitgebunden. Er ist überall, jeden Tag, in Gesprächen, in Begegnungen, in unerwarteten Momenten. Meine Rassismuserfahrungen verarbeite ich in meinem Schreiben, meiner Musik und vor allem im Austausch mit Menschen, die bereit sind, mir zuzuhören und mich zu verstehen. Von Rassismuserfahrungen in der Öffentlichkeit zu sprechen, ist in Worten von Noah Sow ein »Elendsporno« für andere Menschen. Nicht jede oder jeder Betroffene ist in der Lage, diese Erfahrungen zu teilen. Letztendlich gibt es kollektive Rassismuserfahrungen, die nicht von einzelnen Stimmen immer wieder aufs neue bestätigt werden müssen. Das Ziel sollte sein, eine tiefe Veränderung in der Gesellschaft anzustoßen. So müsste meiner Ansicht nach beispielsweise ein Gesetz her, das regelmäßige Untersuchungen zu Racial Profiling und rechten Strukturen bei der Polizei verpflichtend macht. Auch die Überprüfung von Lern- und Lehrmaterialien in deutschen Schulen halte ich für zwingend notwendig.
Ich frage mich manchmal, was der Begriff »deutsche Leitkultur« eigentlich bedeutet. Deutschland ist eine »postmigrantische Gesellschaft«, ein Begriff von Naika Foroutan. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Wir sind jetzt hier, mischen uns ein, prägen die Gesellschaft und bleiben auch hier.
Im Frühjahr 2019 stand Ihr Name auf einmal in allen Zeitungen. Grund war die Nachricht der Deutschen Presseagentur, das Video zu Ihrem Konstantin-Wecker-Coversong »Sage nein!« erhalte »viel Beachtung in den sozialen Netzwerken«. Wie hat sich das auf Ihre Laufbahn, Ihre Einstellung zur Musik ausgewirkt?
Den Erfolg meines Covers »Sage nein« habe ich meinem Seelenbruder Christian Suhr zu verdanken, der mich filmisch unterstützt. Die vielfältige Beteiligung vieler Menschen an dem Video und die Beteiligung von Konstantin Wecker selbst haben dem Lied einen krassen Schwung gegeben. »Sage nein« hat mir gezeigt, dass Kunst beziehungsweise Musik nicht unpolitisch sein muss. Musik bewegt, stärkt, zeigt die rote Linie, verbindet. Die Musik und das Texten sind meine aktuelle Therapie, auch in der Auseinandersetzung mit meinen eigenen Erfahrungen in Deutschland.
In der Rezension zu Ihrem aktuellen Album »Inzwischen dazwischen« in der Süddeutschen Zeitung (11.8.2019) hieß es, dass Deutsch nicht Ihre Muttersprache sei, würde Ihre Kreativität beim Texten ankurbeln und zu interessanten Lösungen führen. Ist da was dran?
Ich finde die Fusion verschiedener Elemente aufregend und bereichernd. Gewisse deutsche Lieder sind super geeignet für bestimmte Rhythmen und Klänge aus Burkina. Es wird spannend, wenn mensch die deutsche Sprache, die an sich schon komplex genug ist, mit gewissen Rhythmen vermischt. Mir macht das Spaß. Das Produkt meiner Kreativität ist einfach stark von meiner Herkunft, meinen aktuellen Erfahrungen geprägt. Heimat und Identitäten sind und bleiben ein Prozess.
Seinen Namen hat Burkina Faso, das »Land der Gerechten«, von dem sozialistischen Präsidenten Thomas Sankara, einem Befreiungshelden, der 1987 bei einem Putsch ermordet wurde. Er hat auch die Nationalhymne des Landes geschrieben. Haben Sie Lieder von Sankara im Repertoire?
Nicht direkt, aber sein Geist ist vielleicht auf meinen Platten spürbar. Ich denke, der Kampf von Thomas Sankara prägt bis heute stark die burkinische Gesellschaft, und sein Geist lebt in dem Wirken von vielen Jugendlichen.
Unter Sankara wurde auch das Bildungswesen stark ausgebaut, wovon das Land lange sehr profitiert hat. Sie haben vor etwa fünf Jahren ein Schulprojekt in Burkina Faso initiiert. Was machen Sie da genau? Welche Hoffnungen verbinden Sie damit?
Das Projekt ist im Dorf Gueswendé, etwa 30 Kilometer von Ouagadougou entfernt. Ich arbeite sehr gerne mit Kindern. Bildung, ökologische Landwirtschaft, Klimabewusstsein, Empowerment durch Kunst sowie die Ausbildung von jungen Frauen sind unsere Schwerpunkte. Ich denke, diese Themen sind weltweit Schlüssel für die Entfaltung der Menschen und eine nachhaltige Entwicklung.
Eines meiner Workshop-Konzepte in Deutschland heißt »Afrika ist kein Land«. Ich bin da in Schulen, Kitas und Werkstätten für Menschen mit Behinderung unterwegs mit Musik, Bodypercussion, Gesang und direktem Austausch. Mit dieser Bildungsarbeit habe ich in Burkina begonnen, und 2014 wurde daraus der Traum von diesem Schulprojekt.
Im November wurden in Gueswendé die ersten Schulgebäude in ökologischer Bauweise errichtet. Ich bin sehr stolz auf die Unterstützer in Deutschland und auf das lokale Kollektiv von Musikern und unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern in Burkina, die das Ganze sehr engagiert vor Ort umsetzen. Die Schule soll im kommenden Oktober eröffnet werden. Ich lade alle Interessierten ein, unserem deutschen Verein Tam e. V. – www. tam-verein.de – beizutreten, um die Initiativen in Burkina zu unterstützen. Natürlich freuen wir uns auch über Spenden.
Ezé Wendtoin, geboren 1991 in Ouagadougou (Burkina Faso), lebt als Musiker und Liedermacher in Potsdam, Berlin und Dresden, wo er an der TU einen Masterabschluss in Germanistik erworben hat. Viel Beachtung fand 2019 sein Video zum Konstantin-Wecker-Song »Sage nein«, in dem auch Prominente wie Kida Ramadan und Frederick Lau auftraten. Im August 2019 erschien bei Trikont sein Album »Inzwischen dazwischen«. Am 9. Januar wird er bei der XXVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz dieser Zeitung (Livestream-Veranstaltung unter jungewelt.de/rlk) auftreten.
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