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»Kämpfen wir gegen dieses Monster«

40 Jahre Aktivismus hinter Gittern. Ein Gespräch mit dem US-Gefangenen Mumia Abu-Jamal
Von Kalonji Jama Changa
»Wir können Bewegungen aufbauen, wir können wachsen, wenn wir das als denkende Männer und Frauen tun«: Demonstration für Abu-Jamal am 4. Juli 2020 in Philadelphia

Kalonji Jama Changa, Moderator des Programms »Riot Starter« beim unabhängigen Medienprojekt Black Power Media, führte das Gespräch am 7. November 2021. Es wurde für die heutige Veröffentlichung leicht bearbeitet. (jW)

Wir sind telefonisch verbunden mit unserem lieben Bruder Mumia Abu-Jamal, der schon wichtige Kämpfe ausgefochten hat, bevor viele von uns geboren wurden. Wie fühlst du dich heute, Genosse?

Mir geht es gut. Das sage ich immer, wenn ein neuer Tag beginnt. Also, lasst uns auch diesen Tag gut beginnen!

Right on! Du führst einen ständigen Kampf um deine Gesundheit. Wie geht es dir heute, nachdem du dich im Frühjahr einer ­Herzoperation unterziehen musstest?

Physisch geht es mir heute im Gegensatz zur Zeit vor der Operation ausgezeichnet. Ich bin jeden Tag in Bewegung, drehe meine Runden während der Stunde Hofgang. Und wenn das Wetter schlecht ist, laufe ich durch den Trakt. Ich folge dem guten Rat meiner Ärzte und bin ständig in Bewegung.

An diesem 9. Dezember ist es 40 Jahre her, dass du unschuldig eingeknastet wurdest. 30 Jahre hast du in der Todeszelle gesessen, davon die letzten zehn Jahre, obwohl ein Bundesrichter das Todesurteil gegen dich aufgehoben hatte. Du hast in all den Jahren eine überragende Stärke bewiesen. Vor kurzem hast du unter dem Titel »Movement Pains« einen aktuellen Kommentar veröffentlicht (»Mitgefühl und Liebe« am 25.10.2021 in jW), in dem du über die Unterdrückten und den Machtmissbrauch innerhalb politischer Bewegungen sprichst. Was war dir daran wichtig?

Wenn ich schreibe, versuche ich eigenständig zu denken und nicht nur das zu übernehmen, was andere sagen. Sonst wäre das nichts Authentisches von mir, ich würde nur nachplappern, der Widerhall anderer sein. Widerhall kann aber pfeifende Rückkopplungen erzeugen, was sehr uncool ist, wie wir aus der Arbeit im Radio wissen. Wenn ich eine Sache zur Sprache bringen will, muss ich sie genau durchdenken und bringe sie nur dann, wenn die Zeit dafür reif ist. Politische Bewegungen sind Veränderungen unterworfen wie das Leben allgemein. Wir leben jedoch in einer wunderbaren Zeit. Die Menschen sind wachgerüttelt, weil sie vom System in einer Weise angefressen sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Was bedeutet das konkret?

Viele von uns haben die 60er Jahre nicht persönlich erlebt. Für mich waren das einige der freiesten Momente meines Lebens, weil ich einer Gruppe von Revolutionären angehörte, die sich in der Black Panther Party organisiert hatten. In der Menschheitsgeschichte wiederholen sich solche Perioden in Zyklen. Und heute verfügen wir über Technologien, die es möglich machten, dass viele Menschen mit dem Mord an George ­Floyd und vergleichbaren Situationen im ganzen Land konfrontiert wurden. Sie wurden sich bewusst, wozu diese Bestien fähig sind, weil sie buchstäblich live und in Echtzeit Zeugen einer modernen Form des Staatsterrorismus wurden. Sie waren geschockt und starrten ungläubig auf die Bilder, weil ihnen klar wurde: Das war keine Fernsehsendung, sondern nackte Wirklichkeit. Die Wahrheit dahinter ist, dass genau das jeden Tag passiert, aber erst wahrgenommen und mitgefühlt werden kann, seit Handykameras dabei sind. Es rüttelt auf, einen Mann in seinen 40ern zu sehen, der nach seiner Mama weint, weil er »nicht mehr atmen« kann, wie er mit letzter Kraft sagt und dabei ahnt, dass er nur noch wenige Augenblicke zu leben hat. Diesen Moment der Erschütterung über die Gewalt müssen wir wenden und eine Bewegung aufbauen. Dabei den Leuten die Geschichte der Vereinigten Staaten vermitteln, die Geschichte der weißen Vorherrschaft, des Kolonialismus und Imperialismus – und weiter aufbauen, aufbauen, aufbauen!

Hat das eine Bedeutung, die über die USA hinausgeht?

In dieser Zeit entstanden überall auf der Welt Bewegungen. Der Mord an George Floyd war keine auf eine Nation beschränkte Sache, sondern er setzte weltweit etwas in Bewegung. In Korea, Japan, Indonesien, England, Frankreich und Deutschland fanden Demos statt. Buchstäblich überall auf der Welt, denn alle hatten es gesehen, waren quasi dabei, wie ein Mensch vom Staat eiskalt ermordet wurde. So nehmen Bewegungen ihren Anfang, und daraus entstehen die Kämpfe, die uns durch die nächsten schweren Zeiten tragen.

Das Wunderbare an dir ist, dass du immer den Finger am Puls der Straße hattest. Weißt du noch, wie wir uns an dich gewandt haben, als Troy Davis hingerichtet werden sollte? Selbst gerade aus dem Todestrakt in den Normalvollzug verlegt, warst du sofort bereit, dich für ihn einzusetzen. Wie bereits erwähnt, deine Stärke ist überragend. Zu den Opfern, die du gebracht hast wegen deiner Berichte über den Polizeiterror in Philadelphia, noch eine kurze Frage, weil die Zeit drängt: Was sollte heutzutage die Rolle von Journalisten sein?

Aus einer revolutionären Perspektive gesprochen, gibt es einen Gegensatz zwischen revolutionären Journalistinnen und Journalisten und denen, die für die Konzernmedien arbeiten. Die Rolle eines Journalisten besteht meiner Meinung nach darin, ein Anwalt des Volkes zu sein, also den Pulsschlag der Menschen zu spüren, zu fühlen, was sie fühlen (Automatische Durchsage der Telefonüberwachung: Sie haben noch eine Minute Zeit!) und über das zu berichten, was sie nicht wahrnehmen. Dazu beizutragen, Bewegungen des Volkes aufzubauen, die neue Dimensionen erreichen und eine höhere Resonanz erzeugen, um Menschen zusammenzubringen. Sie zu inspirieren, das zu tun, von dem wir wissen, dass es zu schaffen ist, weil es auch in der Vergangenheit schon erreicht wurde. Alles, was in der Vergangenheit der Menschheitsgeschichte geschehen ist, wird auch in der Zukunft möglich sein. Das betrifft sowohl alles Negative als auch alles Positive. Wir können Bewegungen aufbauen, wir können wachsen, wenn wir das als denkende Männer und Frauen tun. Also lasst uns zusammenkommen, wie George Jackson es uns geraten hat. Hören wir auf, uns zu streiten, schließen wir uns zusammen und kämpfen wir gegen dieses Monster, bevor es uns alle holt. Ich liebe euch alle!

Ich liebe dich auch, Bruder.

Übersetzung: Jürgen Heiser

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