»Ihre Hoffnung war die junge Generation«
Interview: Kristian StemmlerBei der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar in Berlin werden Sie über die am 10. Juli in Hamburg im Alter von 96 Jahren verstorbene Holocaustüberlebende, Antifaschistin und Musikerin Esther Bejarano sprechen. Wo haben Sie sich kennengelernt?
Das war bei Günther Schwarberg, der die Gedenkstätte für die Kinder vom Bullenhuser Damm in Hamburg geschaffen hat. Ich glaube, es war 1988. Schwarberg wohnte damals in Ramelsloh in der Lüneburger Heide. Dort habe ich die ersten Gespräche mit Esther geführt. Dann war es ein regelmäßiger Kontakt. Es gab zahllose gemeinsame Auftritte, am liebsten vor Jugendlichen. Die letzte gemeinsame Veranstaltung war wenige Wochen vor ihrem Tod im Mai am Tag der Bücherverbrennung in Hamburg, wo sie lange und hervorragend gesprochen hat – auf eine Weise, dass man dachte, sie lebt noch zehn Jahre.
Auf der Trauerfeier auf dem Friedhof Ohlsdorf haben Sie erzählt, dass Esther Bejarano Sie ihren »kleinen Bruder« genannt hat.
Dazu hat sie mich ja richtig offiziell erklärt. Als ich 80 Jahre alt wurde, war sie bei der Feier im Schauspielhaus dabei. Da hat sie zum ersten Mal öffentlich ausgesprochen, was sie zu mir vorher schon ab und zu nebenbei gesagt hatte: Sie hätte sich immer einen kleinen Bruder gewünscht, als den wollte sie mich jetzt auch offiziell begrüßen.
Auf der Trauerfeier in der Kapelle in Ohlsdorf hat auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, SPD, gesprochen. Doch die Ehrenbürgerschaft wurde Esther Bejarano zeitlebens verwehrt. Wie hatte sie das empfunden?
Das Verweigern der Ehrenbürgerschaft hat sie genauso gelassen zur Kenntnis genommen wie die Ehrung durch Papst Franziskus, als sie 2015 im Vatikan empfangen wurde. Einerseits hat sie sich darüber gefreut, andererseits auch immer einschränkend gesagt: Achtung, das sind schöne Gesten, die die Widersprüche zukleistern können.
Im Unterschied zu Hamburgs Bürgermeister Tschentscher haben Sie in Ihrer Ansprache auf der Trauerfeier auf Esther Bejaranos kommunistische Einstellung und ihren unermüdlichen Einsatz für marginalisierte Menschen hingewiesen.
Esther hat es immer als Auftrag empfunden, vor allem den Schwächsten zu helfen. So hat sie die sogenannten Bettlermärsche in Hamburg unterstützt, mit denen seit 2002 für mehrere Jahre lang auf die Lage der Obdachlosen und anderer benachteiligter Menschen aufmerksam gemacht wurde. In Hamburg hat sie auch immer Position für Geflüchtete bezogen, etwa für die Lampedusa-Gruppe oder Roma, als die nach Serbien und in den Kosovo abgeschoben werden sollten. Auch für die Gruppen, sich gegen die Rüstungsexporte aus Hamburg einsetzen, hat Esther Partei ergriffen. All diese Aktivitäten haben Tschentscher sicher nicht erfreut, genausowenig dessen Amtsvorgänger, den jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz. So ist wohl das Zögern zu erklären, ihr die Ehrenbürgerschaft anzutragen.
Bei jungen Leuten kam Esther Bejarano dagegen sehr gut an.
Ja, das war eben der Widerspruch. Bei Schülern und Schülerinnen fand sie bundesweit ein ungeheures Echo. Weil sie gesagt hat: Verweigert euch diesen Klischees, die euch durch die großen Medien vorgekaut werden, und sucht euren eigenen Weg, hinterfragt alles!
Mittlerweile gibt es an mehreren Orten Initiativen, Schulen, Straßen oder Plätze nach der verstorbenen Antifaschistin zu benennen. Würden Sie das begrüßen?
Ja. Wobei ich es für besser halte, dass eine Schule nach ihr benannt wird und nicht ein Platz oder eine Straße. Ihre Hoffnung waren ja nicht die Alten, die es zugelassen haben, dass die Bundesrepublik diesen Weg geht, den wir nicht in der Lage waren zu verhindern. Esther hoffte auf eine junge Generation, die dem widerspricht und Widerstand leistet, um die Fortsetzung dieses reaktionären Systems und drohende Kriege zu verhindern. Darum sollten Schulen ihren Namen tragen.
Rolf Becker ist Schauspieler und Aktivist
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