Juan Ramón Quintana: »Der Unterdrückung waren keine Grenzen gesetzt«
Von Frederic SchnattererLateinamerika, von den USA noch immer als der eigene Hinterhof betrachtet, blickt auf eine lange und schmerzhafte Geschichte von Staatsstreichen zurück. Um nur die jüngsten Beispiele zu nennen: 2002 gegen Hugo Chávez in Venezuela, 2009 gegen Manuel Zelaya in Honduras, 2012 gegen Fernando Lugo in Paraguay, 2016 gegen Dilma Rousseff in Brasilien. 2019 kam mit dem Putsch gegen Evo Morales ein weiteres Kapitel hinzu. Am Sonnabend beleuchtete Juan Ramón Quintana, Minister der Präsidentschaft in den drei Regierungen unter Morales, auf der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin dieses Beispiel des »Abbaus von Rechten im bürgerlichen Staat«.
In seinem Vortrag wies der studierte Soziologe und Politikwissenschaftler zunächst darauf hin, dass der Putsch gegen Morales und die Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) von langer Hand geplant gewesen sei und als »Teil der Hegemoniekrise des globalen Kapitalismus« verstanden werden könne. Morales, der in Folge großer sozialer Mobilisierungen 2006 ins Präsidentenamt gewählt worden war, verweigerte sich einer Unterordnung unter das neoliberale Dogma – eine »180-Grad-Wendung« in der bolivianischen Politik, so Quintana. Mit Hilfe einer neuen Verfassung schaffte es Bolivien, eine »Agenda der nationalen Souveränität« durchzusetzen, die sich durch die Nationalisierung der Rohstoffe, eine Industrialisierung, ein Ende der rassistischen Diskriminierung der indigenen Bevölkerungsteile sowie ein Projekt der radikalen Demokratisierung der Politik auszeichnete.
Vom ersten Tag der Regierungsperiode der MAS an habe die bolivianische Oligarchie Hand in Hand mit Washington eine »große imperiale Offensive« in Gang gesetzt. Der Staatsstreich 2019 unter dem Vorwand einer angeblichen Fälschung der Präsidentenwahl stellte nur das letzte Mittel des US-Interventionismus dar. Morales wurde aus dem Amt und dem Land gejagt, eine Putschregierung installiert. Wie Quintana darlegt, war diese durch drei Merkmale charakterisiert: Erstens handelte sie im Interesse Anderer, beispielsweise Washingtons und der Oligarchie; zweitens plünderte sie den bolivianischen Staat schamlos aus; und drittens basierte ihre Macht auf der Ausübung schierer Gewalt durch Polizei und Militär. »Der Unterdrückung war keine Grenze gesetzt«, so Quintana.
Hervorzuheben sei zudem die Rolle der Medien, so der bolivianische Exminister. Diese hätten sich – sowohl national als auch international – dadurch ausgezeichnet, dass sie die brutale Realität aktiv verschleierten und Falschmeldungen in die Welt setzten. Hinzu komme: Die Medien seien aktiv daran beteiligt gewesen, Hass in der Bevölkerung zu generieren, ganz im Sinne des rassistischen Charakters des Putsches. Die großen internationalen Medien wiederum – sowohl in den USA als auch in Europa – machten sich zu Komplizen des Staatsstreichs, indem sie diesen durch Falschmeldungen legitimierten.
Zum Livestream: https://www.jungewelt.de/
Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter