»Labour wurde zum Kampfhund des Kapitalismus«
Von Susann Witt-StahlSie sagen, Sie hätten noch nie so viel Rassismus in einer Institution erlebt wie in der Labour-Partei. Was genau heißt das?
Es gab rassistische Beschimpfungen von Mitarbeitern gegen Mitglieder und Abgeordnete, die die Partei nötigten, Untersuchungen einzuleiten: Die Ergebnisse des Forde-Reports von 2020, der erst eineinhalb Jahre später veröffentlicht und kaum beachtet wurde, offenbarten eine Rassenhierarchie, in der Schwarze und Muslime ganz unten stehen. In einer Dokumentation von Al-Dschasira wurden zahlreiche Fälle von strukturellem Rassismus im Labour-Parteiapparat aufgedeckt. Viele hervorragende schwarze Kandidaten wurden mit lächerlichen Begründungen an der Kandidatur gehindert. Weiße hingegen, die Keir Starmer unterstützen, durften selbst dann kandidieren, wenn sie sich rassistisch geäußert hatten. Antizionistische Juden wurden zur »Umerziehung« geschickt oder aus der Partei ausgeschlossen – so auch Naomi Wimborne-Idrissi, das einzige jüdische Mitglied im Labour-Vorstand. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas jüdischen Linken passiert, ist derzeit sechsmal höher als bei anderen Mitgliedern – das ist beispiellos nicht nur für Parteien, sondern für alle modernen Organisationen.
Die sozialchauvinistische Sozialdemokratie hat bereits vor hundert Jahren bei der Niederschlagung der Novemberrevolution in Deutschland ein enormes Aggressionspotential bewiesen.
Ihre historische Rolle besteht darin, die Herrschaft des Kapitals zu schützen und sich dabei auf die Arbeiterbewegung zu stützen. Das Ausmaß ihrer Aggression hängt wie immer von den objektiven Bedingungen ab. In Zeiten relativer Stabilität kann die Sozialdemokratie im begrenzten Maß Reformen erreichen, aber bei akuten Klassenkonflikten wird sie – wie 1918 und heute unter Keir Starmer – zum Kampfhund des Kapitalismus.
Was war der größte Fehler, den Corbyn und seine Berater angesichts der Skrupellosigkeit seiner Feinde im Innern begangen haben?
Corbyn war nie ein Revolutionär, sondern ein Friedensstifter und Menschenfreund. Dies war einer der Gründe für seine Popularität, führte aber in Krisenzeiten dazu, dass er den perfidesten seiner Feinde zu viele Zugeständnisse machte. Um erfolgreich zu sein, müssen führende Politiker zu ihren Anhängern stehen. Aber statt dessen wurde Corbyn von seinem Umfeld glauben gemacht, dass Kompromisse ein Zweckbündnis mit dem rechten Parteiflügel ermöglichen. Damit musste er natürlich scheitern.
Die Labour-Rechte bekam Schützenhilfe von den konservativen Medien, aber auch von einer Zeitung, die angeblich die britische Linke repräsentiert.
Ja, die BBC und andere Rundfunkanstalten schlossen linke Meinungen aktiv aus. Besonders wirkungsvoll war aber der Guardian als einzige echte Alternative zur Tory-Presse. Die Zeitung, die nicht links ist, es auch nie war und sich zunehmend dem Zionismus verschrieben hat, riet ihren Lesern in der Corbyn-Ära, die Liberaldemokraten zu wählen.
Was wäre passiert, wenn Corbyn nicht durch eine Rufmordkampagne gestoppt worden wäre?
Wenn er Premierminister geworden wäre, dann hätte er die ganze Macht des Establishments zu spüren bekommen. Er wäre sehr wahrscheinlich mit Attentatsversuchen und einem Militärputsch konfrontiert gewesen, den hochrangige Vertreter der Streitkräfte bereits angedroht hatten. An diesem Punkt wären auch die Grenzen des Corbyn-Projekts freigelegt worden. Es bedurfte ja einer großen Unterstützerbasis. Die Versuche, diese aufzubauen, wurden innerhalb des Projekts sabotiert, zum Teil unter Mitwirkung von Corbyn.
Jackie Walker war bis 2016 Vizevorsitzende von Momentum und wird Talkgast auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz und bei der Weltpremiere von »Oh, Jeremy Corbyn. Die große Lüge« sein
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