Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. Dezember 2024, Nr. 296
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025

Kugeln treffen keine Lieder

Katalysator des Widerstands: Die Rosa-Luxemburg-Konferenz erinnert an den chilenischen Sänger und Revolutionär Víctor Jara
Von Volker Hermsdorf
Schon sein Name galt als gefährlich: Víctor Jara singt bei Protesten gegen den Vietnamkrieg, Helsinki 1969

Als General Augusto Pinochet mit faschistischen Militärs und Unterstützung der USA im September 1973 in Chile gegen die linke Regierung putschte, verfolgten die neuen Machthaber neben anderen Oppositionellen vor allem Künstler und Intellektuelle. Sie verbrannten Bücher und Bilder, Plakate und Fotos und versuchten alles zu beseitigen, was an Politik und Ziele des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende erinnern konnte. Wer im Verdacht stand, ein Linker zu sein, wurde verhaftet, gefoltert, ermordet. Auch viele Künstler verloren so ihr Leben.

Die Putschisten agierten in der Art aller Diktaturen, die künstlerischen Widerstand gegen Gewalt, Unterdrückung und Krieg verhindern und den Bestand einer humanistischen und antimilitaristischen Kultur vernichten wollen. »Dichtung ist stets ein Akt des Friedens. Der Dichter wird aus dem Frieden geboren wie das Brot aus dem Mehl. Brandstifter, Krieger, Wölfe suchen den Dichter, um ihn zu verbrennen, zu morden, zu zerreißen. Ein Messerheld ließ Puschkin tödlich verletzt zwischen den Bäumen eines düsteren Parks zurück. Die Pulverpferde galoppierten über Petöfis leblosen Leib. Im Kampf gegen den Krieg starb Byron in Griechenland. Die spanischen Faschisten begannen den Krieg in Spanien mit dem Mord an ihrem besten Dichter«, schrieb Chiles berühmtester Poet Pablo Neruda in seinen Memoiren »Ich bekenne, ich habe gelebt«. Zwölf Tage nach dem Putsch starb auch Neruda – er erlag vermutlich den Folgen eines Giftanschlags.

Mit Bücherverbrennungen und dem Verbot selbst klassischer Literatur und Musik versuchten nicht nur die deutschen Faschisten, ihre Herrschaft zu sichern. Auch das extrem rechte, nationalistische Militärregime in Griechenland verbot nach dem Putsch vom April 1967 die Werke von Sophokles, Aristophanes, Euripides, Tolstoi, Dostojewski und die Musik von Mikis Theodorakis. Sogar der Gebrauch des Buchstaben »Z« war während der Diktatur von 1967 bis 1974 bei Strafe untersagt, denn in Griechisch bedeutet »Ζεί« (gesprochen Zi) »er lebt«. Der aus Angst resultierende Hass und das Verbot von Werken aus dem Kulturschatz vermeintlicher Gegner ist eine Reaktion aggressiver, friedensfeindlicher Systeme. Denn obwohl Millionen Bürger der Sowjetunion nach dem Überfall der deutschen Faschisten von Angehörigen der Wehrmacht, Gestapo- und SS-Schergen ermordet wurden, kam den sowjetischen Regierungen nie in den Sinn, Werke von Beethoven, Schubert, Goethe oder Schiller zu ächten.

Die Unterdrückung identitätsstiftender Kultur, die zu einem Katalysator für den Widerstand werden könnte, geht in antikommunistischen Regimen oft mit der Ermordung von Künstlern einher. Zu den bekanntesten Opfern der Diktatur in Chile gehört der Volkssänger Víctor Jara. Nach dem Putsch vom 11. September 1973 war der damals beliebteste Musiker des Landes als einer der ersten verhaftet, gefoltert und – zwölf Tage vor seinem 41. Geburtstag – im Stadion von Santiago mit 44 Kugeln getötet worden. Sein Verbrechen war die Wirkung seiner Musik und die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei. Der Sohn einfacher Landarbeiter gilt als einer der Begründer des »Nueva Canción«, des neuen, politischen Liedes in Lateinamerika. Jara sang vom Leben der armen Menschen, der Arbeiter, Fischer und Bauern. Seine Texte handelten von Emanzipation, Gleichheit, Auflehnung und Befreiung. Als Leiter der Künstlerabteilung der Kommunistischen Partei unterstützte er die Volksfrontregierung des Wahlbündnisses Unidad Popular des Präsidenten Salvador Allende.

In Lateinamerika erhielt der bei den Rechten verhasste Troubadour den Beinamen »Che Guevara der Gitarre«. Angesichts der Folter im Stadion schrieb er sein letztes Gedicht »Somos cinco mil« (Wir sind fünftausend). »Sie führen ihre Pläne mit feiger Präzision aus, ihnen ist alles egal. Für sie ist Blut wie ein Orden, das Blutbad ist für sie ein heroischer Akt«, beschreibt er seine Peiniger, die zumeist von US-Folterspezialisten ausgebildet worden waren. Den Torturen und dem Schmerz trotzend, notierte er darin aber auch: »Unsere Faust wird wieder kämpfen!« Damit er nicht mehr Gitarre spielen konnte, brachen sie ihm die Finger. Kameraden, die das Stadion überlebt hatten, berichteten später, dass Víctor Jara trotzdem seine Stimme erhob und das Lied der Unidad Popular anstimmte – »Venceremos« (Wir werden siegen). Kurz darauf wurde er zusammengeschlagen und erschossen.

Nach 1973 war es in Chile jahrelang lebensgefährlich, den Namen Jaras öffentlich auch bloß zu erwähnen. Doch der kulturelle Widerstand gegen das Pinochet-Regime ließ sich nicht unterdrücken. Begonnen hatte er bereits wenige Tage nach dem Putsch, als Nerudas Tod bekannt wurde. »Trotz eines Versammlungsverbots zogen Tausende durch die Straßen Santiagos und sangen, was niemand mehr hören sollte: ›Die Internationale‹. Und auch der Ruf der Unidad Popular: ›Das vereinte Volk wird nie besiegt!‹ ertönte«, heißt es in dem für einen Oscar nominierten Spielfilm »No!« des chilenischen Regisseurs Pablo Larraín von 2012.

Zum 50. Jahrestag des Putsches gegen die Allende-Regierung in Chile werden dessen Hintergründe, Hintermänner und Nutznießer auf der XXVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz thematisiert werden. Dabei geht es auch um die Rolle von Kultur und Kunst im Engagement für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Zu Ehren von Víctor Jara, der für diesen Kampf steht, soll im Herbst in Berlin ein Gedenkkonzert stattfinden. Zwei der Beteiligten, die Liedermacher Pablo Miró und Nicolás Miquea, werden das Projekt auf der ­Rosa-Luxemburg-Konferenz vorstellen – natürlich auch mit Liedern von und über Víctor Jara.

Hintergrund: Putsch in Chile

Mit dem Wahlsieg des linken Wahlbündnisses »Unidad Popular« war in Chile im Herbst 1970 eine sozialistische Regierung angetreten, die für einen grundlegenden Wandel stand und sofort Bildungs- und Sozialreformen umsetzte. Zum ersten Mal war mit Salvador Allende ein Sozialist demokratisch zum Präsidenten eines Landes gewählt worden, das die USA als Teil ihres Hinterhofs betrachten.

»Sofort nach der Wahl initiierten die rechten oppositionellen Kräfte Chiles, unterstützt vom US-amerikanischen Geheimdienst, einen unerbittlichen Krieg gegen das Experiment und die sozialistischen Träume von Millionen Männern und Frauen in Lateinamerika«, erinnerte sich Allendes Tochter Isabel. Die Verletzung der Interessen des militärisch-industriellen Komplexes in den USA und anderen westlichen Staaten, etwa der BRD, blieb nicht ohne Folgen. Am 11. September 1973 wandte sich Salvador Allende im Donnern und im Rauch des Bombardements, in den Ruinen des Regierungspalastes Moneda aushaltend, mit Helm und Gewehr zum letzten Mal an sein Volk. Der gewählte Präsident musste nicht weichen, weil er gescheitert war, sondern weil das, wofür er stand, drohte – neben Kuba – zu einem weiteren erfolgreichen alternativen Gesellschaftsmodell für Lateinamerika und die Welt zu werden.

Der von den USA unterstützte faschistische Militärputsch beendete tausend Tage »chilenischen Weg zum Sozialismus«. In den folgenden Jahren unterdrückte die Militärjunta systematisch und mit äußerster Brutalität jede Opposition. Willkürliche Verhaftungen, Folterungen und Morde waren an der Tagesordnung. Amnesty International schätzte 1974 die Zahl der Todesopfer allein im ersten Jahr der Diktatur auf bis zu 30.000, und selbst die US-Botschaft in Santiago de Chile räumte ein, dass 5.000 Personen ermordet wurden. Unter direkter Anleitung der USA und der BRD wurde Chile schließlich zum Versuchslabor einer neoliberalen Wirtschaftspolitik mit verheerenden Auswirkungen für die Bevölkerung. (vh)

Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter