Zorn und Wut
Von Gerd SchumannDas elf Alben umfassende Werk von Floh de Cologne taugt heutzutage dazu, Kulturschocks auszulösen. Entstanden zwischen 1968 (»Vietnam« mit Dieter Süverkrüp) und 1983 (»Faaterland«), danach langjährig verschüttet, vermittelt es drastisch eine Ahnung davon, wie sich die Zeiten ändern und verweist für die Zukunft darauf, dass die Betrachtung der Wirklichkeit nicht ewig so oberflächlich bleiben muss, wie sie sich derzeit präsentiert – also nahezu entblößt von der gesellschaftspolitischen Analysefähigkeit, die die »Flöhe« noch vor einem halben Jahrhundert brillant auf die Bühne zu bringen vermochten.
Deutlich wie selten wurde das am 11. September 2023 im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Am fünfzigsten Jahrestag des Chile-Putsches lief dort die Uraufführung der mit Bildern, Lichteffekten, Videocollagen durch das ok-Projekt (Claudia Opitz, Sebastian Köpcke) auf die Leinwand gebrachten Fassung von »Mumien – Kantate für Rockband« von 1974.
Die Politrockband aus Köln gehörte zur sich weltweit schnell formierenden Chile-Solidaritätsbewegung – »natürlich«, sagt Dieter Klemm, Sprecher und auch Texter der »Flöhe«, und erwähnt damit eher beiläufig ihr Selbstverständnis. »Aus Zorn und Wut – vergleichbar mit den Reaktionen auf den Vietnamkrieg der USA« hätte die Band sehr schnell den Entschluss gefasst, »mit unseren Mitteln zur Aufklärung über diesen verbrecherischen Putsch und seine Hintergründe beizutragen«. Klemm war 1967 beim damaligen Kabarett »Floh de Cologne« eingestiegen und bildete zusammen mit Texter Gerd Wollschon (bis 1976, verstorben 2012), Keyboarder Markus Schmid (bis 1974, lebt heute in der Schweiz), Schlagzeuger Hansi Frank (seit 1966), Gitarrist Dick Städtler (seit 1969, heute München), Theo König (Blasinstrumente, seit 1972, verstorben 2017) und Vridolin Enxing (Tasteninstrumente, seit 1973, München) den Kern der Gruppe.
»Zorn und Wut« als Antrieb für Kunst also. Der Autor Jens Hagen beschrieb »Mumien« in der Deutschen Volkszeitung (6.6.1974) als ein »in musikalisch untermalten Sprechtexten, Zitaten und knappen Kommentaren, mit Originaltonaufnahmen und dokumentarischem Material« konzipiertes Stück. Es entstand wenige Monate nach dem berühmten, für die Bourgeoisie so makaber klingenden Abgesang der Flöhe auf den Milliardär, Rüstungsfabrikanten und Nazikriegsverbrecher Friedrich Flick – »Geyer-Symphonie« (1974).
»Mumien« und »Geyer« seien allerdings nur ansatzweise miteinander vergleichbar, so Klemm: »Der Einsatz von O-Tönen, Bildern oder Filmen, Zitaten und Kommentierungen gehörte neben der Musik schon von Anfang an zu unseren Mitteln. Die ›Geyer-Symphonie‹ und ›Mumien‹ stellten also keine Besonderheit dar. Und sie sind meiner Meinung nach inhaltlich nicht verwandt, außer dass sie beide unser Generalthema, den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung variieren.«
Die Aufführung von »Mumien« beim Chile-Solidaritätskonzert 1974 in der ausverkauften Essener Grugahalle wurde dann zu einem Höhepunkt der Solidarität in der BRD. Auch in der DDR, wo bereits der große Erfolg »Profitgeier« (1971) aufgeführt und 1972 auch auf Amiga erschienen war, präsentierte Floh de Cologne das Stück auf einer Tournee 1975. Klemm: »Ich erinnere mich an einen sehr bewegenden Auftritt in Potsdam in einer großen Sporthalle vor 4.000 Zuschauern. Die Chile-Solidarität stand da ja als zentrales Anliegen.«
Einen Eindruck der kulturellen wie auch politischen Atmosphäre damals vermittelt das beim Verlag »Pläne« verlegte Doppelalbum vom Essener Konzert 1974, auf dem die Band neben vielen anderen mit »Marsch der Mumien III/Des Volkes Fesseln« vertreten ist. Auch die LP »Mumien« erschien bei »Pläne«, ein Mitschnitt der Uraufführung bei IG-Metall- und DGB-Jugend am Vorabend des 1. Mai 1974. Bis dahin waren die Werke von Floh de Cologne bei Metronome/Ohr herausgekommen.
Warum der Wechsel? Klemm: »Der Kölner Musikjournalist Rolf-Ulrich Kaiser, der das Ohr-Label gegründet hatte und es inhaltlich betreute, hatte dafür gesorgt, dass wir dort bei Metronome einen Plattenvertrag bekamen. Aber im Laufe der Jahre hatte Kaiser sich inhaltlich von uns entfernt, und wir hatten uns inhaltlich weiter Richtung links entwickelt. Da war, als der Ohr-Vertrag auslief und zur Verlängerung anstand, der Schritt zum linken Pläne-Verlag für uns konsequent.«
Konsequente Haltungen waren bereits in jener Phase nicht so gern gesehen, und das häufig zitierte »Rocklexikon« glaubte bereits 1975 in seinem Eintrag über Floh de Cologne (»Betriebsklampfgruppe«) beobachtet zu haben, die Band sei im kapitalistischen Musikbetrieb »zunehmend isoliert« wegen einer »rührend konsequenten Außenseiterhaltung«. Das kann ja auch als Kompliment aufgefasst werden, und Dieter Klemm stellt auf unsere Nachfrage hin klar: »Nein. Isoliert waren wir nicht. Wir schwammen zwar, wie alle linken Künstler, nicht im Hauptstrom der öffentlichen Kultur mit, aber zusammen mit anderen Gruppen und den linken Liedermachern waren wir doch Teil einer nicht zu übersehenden linken Kultur in der Bundesrepublik. Und mehrmals hatten wir es mit Songs von uns in die Liederbestenliste des SWR geschafft. Der Autor, der im ›Rocklexikon‹ über uns geschrieben hat, besitzt offensichtlich ein sehr einseitiges Kulturverständnis.«
Dieses »Verständnis« scheint nun doch im Lauf der Zeit trotz aller widrigen Entwicklungen unhaltbar geworden zu sein, bei Leuten mit Ahnung und bei denjenigen, die Floh de Cologne als ein in musikalischer wie politischer Hinsicht revolutionäres Projekt schätzen gelernt haben sowieso, aber auch offiziell – und das nach langjährigen Restriktionen aller Art.
1980 erhielt die Band zusammen mit Gerhart Polt den Deutschen Kleinkunstpreis für die Rockoper »Koslowsky« und im November 2023 für ihr Lebenswerk den Holger-Czukay-Preis der Stadt Köln für Popmusik, Dietmar Dath hielt die Laudatio, die Oberbürgermeisterin Henriette Reker vollzog die Ehrung. In der Begründung der Jury, nachzulesen im Internet, heißt es: »Von 1966 bis 1983 schufen ›Floh de Cologne‹ ein beeindruckendes Œuvre, das heute als wichtiges Vermächtnis einer politisch engagierten Musikgruppe dasteht.«
Sogar das tendenziöse »Rocklexikon« gesteht zu, Floh de Cologne sei es »immerhin« gelungen, als erste deutsche Band der »nach ihren ethnischen und sozialen Wurzeln motivierbaren Aggressivität, Spontaneität und Emotionalität des Rock ’n’ Roll mit annähernd gleichwertigen Texten gerecht zu werden«. Und musikalisch Zeichen zu setzen, die bis heute wirken, möchte man ergänzen. Dieter Klemm meint zum häufig zitierten Gegensatz von Musik und Politik, dass »wir nicht von der Seite der Musik zu unseren Werken gekommen waren, sondern von der Seite der Texte.« Alle außer Enxing hätten Theaterwissenschaft studiert und Kabarettprogramme auf die Bühne gebracht. »Wir waren keine Musiker, die schöne und interessante Klänge zu Gehör bringen wollten, sondern wir wollten in der Verbindung von Text und Musik den Texten die größtmögliche Aufmerksamkeit verschaffen.«
Das ist über anderthalb Jahrzehnte lang gelungen. Jetzt, mehrere Wenden zum Schlechteren später, wird »Mumien« nicht nur am 13. Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Tempodrom aufgeführt und einen anregenden, nachdenklich und – hoffentlich – nachhaltigen Kulturschock auslösen. Dieter Klemm wird dazu etwas sagen, und zur weiteren Pflege des Floh-Erbes: »Die Firma ZYX-Music, die schon seit längerer Zeit unsere bei Ohr erschienenen Platten herausgibt, wird auch unsere bei Pläne erschienenen Platten neu auflegen. Als erstes werden die ›Mumien‹ erscheinen, auf Vinyl und als CD mit beigepackter DVD des Films.«
Floh de Cologne auf der XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz: Aufführung von »Mumien. Kantate für Rockband« von Floh de Cologne in filmischer Bearbeitung, anschließend ein Gespräch mit Dieter Klemm (Flöhe) sowie Claudia Opitz und Sebastian Köpcke (Filmemacher). Siehe jungewelt.de/rlk
Gerd Schumann lebt und arbeitet als Autor in Berlin und Mecklenburg. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts von junge Welt. Jüngste Buchveröffentlichungen: »Kaiserstraße. Der deutsche Kolonialismus und seine Geschichte«, »Joschka Fischer. Wollt ihr mich oder eure Träume?« (beide 2021).
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