»Deren Leben von Land abhängt«
Von Mawuena MartensWas genau ist MVIWATA?
MVIWATA ist ein Akronym auf Suaheli und steht für »Netzwerk kleinbäuerlicher Gruppen in Tansania«. Das ist die größte Organisation dieser Art in Tansania und vielleicht sogar in Afrika. In Tansania sind 65 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Agrarsektor beschäftigt, Landarbeiter machen also einen Großteil unserer Gesellschaft aus und beeinflussen unsere Kultur und unseren Lebensstil. Der größte Teil der Menschen lebt auf den Dörfern abseits der Städte als Bauern, vor allem Kleinbauern. Dabei verwenden wir nicht die Definition eines Bauern, die sich auf die Größe des bewirtschafteten Landes bezieht, sondern wir nehmen die gemeinsamen Charakteristika, die Kleinbauern aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit verbindet. Und zwar als Teil der Arbeiterklasse. In seiner Verfassung definiert MVIWATA Bauern daher als Personen, deren Leben von Land abhängt. Wenn man diesen Personen ihren Boden wegnimmt, beraubt man sie auch ihrer Lebensgrundlage. Das ist beinahe die gleiche Definition, die auch die UN-Deklaration »Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten« verwendet. Die Mitglieder von MVIWATA können daher sowohl Ackerbauern als auch Viehzüchter, Fischer und Mitglieder indigener Gemeinschaften sein.
Mit welchen Problemen haben Kleinbauern in Tansania zu kämpfen, und was hat das mit MVIWATA zu tun?
Da sind zum einen die Herausforderungen, die mit Land und Boden verknüpft sind. Zum anderen haben Kleinbauern keine Macht, einen bestimmten Preis für ihre Agrarprodukte auf den Märkten durchzusetzen. In der Zeit, in der Tansania seine Unabhängigkeit erlangt hat, hat das Land versucht, die Modernisierung des Landes mit Hilfe von Krediten, von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, voranzutreiben. Doch diese Kredite sind an sogenannte Strukturreformen geknüpft und haben es der Regierung auch verboten, in den Markt einzugreifen.
Der Markt hat also die Preise bestimmt, zu denen Bauern ihre Produkte verkaufen konnten, und die Bauern waren völlig auf sich allein gestellt. Aus dieser Not heraus – in den 80ern und 90ern waren sogar 90 bis 95 Prozent der Tansanier in der Landwirtschaft beschäftigt – wurde MVIWATA geboren. Die Organisation wurde 1993 gegründet, um Kräfte zu bündeln. Gemäß einem Sprichwort lautet unser Credo: Der Verteidiger des Bauern ist der Bauer selbst. Denn wir können uns nicht auf andere, wie die Regierung, verlassen. Wir müssen uns selbst organisieren, MVIWATA gibt den Menschen daher eine Plattform und die Möglichkeit, für die Umwelt und soziale sowie politische Rechte zu kämpfen.
Wie funktioniert die Selbstorganisation, und was ist Ihre Aufgabe?
MVIWATA existiert in verschiedenen Netzwerken auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Das besondere ist, dass es Bauern sind, die in allen Entscheidungsgremien sitzen. So gibt es eine jährliche Generalversammlung, die höchste Entscheidungsinstanz, und das Board of Directors. Die Organisation ist über die Jahre gewachsen, und der Zulauf funktioniert quasi über Mund-zu-Mund-Propaganda. Meine Hauptaufgabe im Sekretariat besteht in der Koordination der verschiedenen Programme und Projekte, beispielsweise zu Agrarökologie oder Finanzierungshilfen. Wir haben auch ein neues Projekt, nämlich unseren eigenen Radiosender MVIWATA FM. Dieser dient den Bedürfnissen der Bauern und bietet eine Alternative zu den Mainstreammedien. Wir haben auch kulturelle Programme, in denen sogar in weiteren Stammessprachen gesprochen wird.
Wie finanziert sich die Organisation? Erhalten Sie Geld von der Regierung?
Von der Regierung erhalten wir kein Geld, aber wir haben Mitgliedsbeiträge, und wir verkaufen unsere eigenen Produkte, zum Beispiel T-Shirts. Extern erhalten wir Gelder von anderen Organisationen wie »La Via Campesina«, einem internationalen Bündnis. Darin sind wir Mitglied und beherbergen in unserem Hauptsitz in Morogoro auch das regionale Sekretariat von »La Via Campesina« für Ost- und Südafrika. Wir erhalten auch Gelder von anderen Regierungen, beispielsweise von der baskischen Regionalregierung aus Spanien. Wir haben auch Beziehungen zu Kuba und Venezuela, erhalten von dort aber keine direkten Finanzmittel.
Wie sind die Beziehungen zur tansanischen Regierung?
Sehr wechselhaft. Manchmal gibt es Überschneidungen, so dass wir uns gegenseitig unterstützen und ergänzen. Wenn die Regierung in den Dörfern Kurse über Agrarökologie hält, unterstützen wir dies. Wir haben beispielsweise elf Märkte in Tansania errichtet, und das kommt auch der Regierung zugute. In Zusammenarbeit mit der kubanischen Regierung unterstützt Tansania die Entwicklung von Bioziden, das finden wir sehr interessant und unterstützen das.
An anderen Stellen haben wir aber auch unterschiedliche Sichtweisen. Etwa als die Regierung versucht hat, Gentechnik durchzusetzen, waren wir dagegen. Wir haben unserer Stimme Gehör verschafft und sind am Ende mit der Regierung zu der Übereinkunft gekommen, dass Gentechnik in der Landwirtschaft nicht der richtige Weg für Tansania ist und nicht von den Bauern benötigt wird.
Welchen Einfluss haben weltweite geopolitische Entwicklungen? Sind diese in Tansania zu bemerken?
Ja, wir merken das sehr stark. Ein Beispiel ist die Finanzkrise seit 2008. Diese hat dazu geführt, dass die sogenannten Investoren aus dem globalen Norden in den globalen Süden gekommen sind, um nach Land Ausschau zu halten. Sie haben dann viel Land aufgekauft, um dieses für den Anbau von Biokraftstoffen zu verwenden. Gleichzeitig sind auf legislativer und struktureller Ebene die nötigen Strukturen dazu geschaffen worden. Auch den neuerlichen Ukraine-Krieg merken wir stark. Die Großmächte schauen nun, dass sie den Weizen aus Afrika herbekommen. Deshalb haben in Afrika viele Projekte für den Weizenanbau begonnen – allerdings geschieht der Anbau nur für den Export in den globalen Norden. Für den Weizenanbau muss man allerdings Düngemittel kaufen, beziehungsweise muss die Regierung Subventionen ausgeben. Das Geld dafür holt sie sich in Form von Krediten von Weltbank, IMF, African Development Bank.
Und wer wird für diesen Kredit aufkommen? Letztendlich sind wir das. Auch die Auswirkungen des Konflikts zwischen den USA und China sind in Afrika spürbar. Wir können den globalen Machtverschiebungen nicht entfliehen. Und gleichzeitig können wir uns diesen auch schwer widersetzen.
Welche internationalen Beziehungen pflegt MVIWATA, und sehen Sie irgendwelche Fortschritte?
MVIWATA war Vorreiter bei der Bildung regionaler Organisationen in Afrika. Zum Beispiel ist der Sitz des Eastern and Southern Africa Small Scale Farmers Forum (ESAFF) auch in Morogoro, unser Hauptsitz. Wir pflegen bilaterale Beziehungen nicht nur zu anderen Bauernvereinigungen, sondern zu progressiven Bewegungen allgemein. Es ist wichtig, dass wir Gemeinsamkeiten finden und dann in diesen Bereichen zusammenarbeiten, um unsere Kräfte zu bündeln, nur dadurch können wir mehr erreichen. Und wir haben auch schon etwas erreicht. Ein großer Meilenstein war die besagte UN-Deklaration. Gleichzeitig geht der Kampf weiter, denn wir haben noch nicht alles erreicht, und das feuert uns an.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Bauern und Landwirtschaft in Tansania?
Er wirkt auf zwei Arten. Da ist zum einen die technische Seite, also die Zunahme von Schädlingen, wodurch wir mehr Pestizide und weitere Chemikalien einsetzen müssen. Es gibt verlängerte Trockenperioden, und wenn es regnet, dann sind die Regenfälle häufig stärker als in der Vergangenheit. Auf der anderen Seite gibt es die politische Seite, die die eigentlich größere Herausforderung darstellt. So wird beispielsweise gesagt, wegen des Klimawandels müsse man auf gentechnisch veränderte Samen zurückgreifen. Diese seien widerstandsfähiger und besser an die neuen Witterungsbedingungen angepasst. Das ist aber ein Problem, weil wir damit nicht die eigentlichen Ursachen des Klimawandels angehen. Wir bei MVIWATA sind davon überzeugt, dass der Klimawandel kein neues Phänomen ist. Was aber passiert, ist, dass dieser durch Menschenhand verstärkt wird.
Hier zeigt sich auch, dass die Klassenfrage eine Rolle spielt. Denn es sind nicht alle Menschen, sondern nur sehr wenige, die davon profitieren. So hat zum Beispiel das Militär einen großen Einfluss, insbesondere die US-geführten Militäraktionen tragen sehr stark zu den weltweiten klimaschädlichen Emissionen bei. Auch der Agrobusinesssektor ist nicht unbeteiligt, er gehört zu den drei größten Umweltverschmutzern. So sind es wenige multinationale Unternehmen, die überall auf der Welt mit größeren Entfernungen produzieren.
Landnahme ist ein weiteres Problem, das mit der kulturellen Aneignung verknüpft ist. So zum Beispiel das »Carbon farming«, das bedeutet, dass Kapitaleigner nach Afrika kommen und dort riesige Flächen von Wäldern oder Flächen zur Bepflanzung mit Bäumen aufkaufen, um so den persönlichen ökologischen Fußabdruck auszugleichen. Gleichzeitig werden aber den Menschen vor Ort jegliche Rechte zur Nutzung der Wälder und Flächen verboten, wie zum Beispiel das Holzsuchen oder Pilzesammeln. In Westafrika wurde bereits eine Fläche so groß wie das gesamte Vereinigte Königreich aufgekauft.
Der Kampf für soziale Rechte und der Kampf gegen den Klimawandel werden oft als unvereinbar angesehen. Stimmt das Ihrer Meinung nach?
Ich denke nicht, denn man kann die sozialen Aspekte nicht von Klimagerechtigkeit trennen. Das wird aus meinem vorherigen Beispiel ersichtlich, wenn man also Klimaschutz betreiben will, Menschen dabei aber das Recht abspricht, die Wälder zu benutzen oder selbst zu entscheiden, was sie wollen. Mittlerweile werden im Zusammenhang mit dem Klimawandel häufig Begriffe wie Klimafonds oder Klimageld verwendet, die den monetären Effekt zeigen. Aber der Kampf für mehr Klimagerechtigkeit ist auch ein Kampf für soziale Rechte.
Theodora Pius ist Programmleiterin im Sekretariat von MVIWATA, dem Netzwerk kleinbäuerlicher Gruppen in Tansania. Außerdem ist sie Aktivistin des World March of Women. Mit MVIWATA setzt sie sich für die kleinbäuerliche Selbstorganisation in Tansania ein. Die Bewegung ist auch in der Jugendarbeit aktiv und schafft so Bewusstsein für ökologisches Wirtschaften, Selbständigkeit und politische Ökonomie. Auf der XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin wird sie zum Thema »Umweltzerstörung, Militarisierung und Sozialabbau: Ressourcenausbeutung zum Zweck der neoliberalen Machterhaltung« referieren
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