Krise als Basis des Rechtsrucks
Von Luca StüvenTraditionell bildet die Podiumsdiskussion den Abschluss der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie steht dieses Mal unter dem Motto »Wer stoppt die Rechten?«. Wie in den Jahren zuvor, haben wir die Diskutantinnen und Diskutanten auch in diesem Jahr gebeten, ihren Standpunkt vorab vorzustellen. (jW)
Der Rechtsruck steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Krise des Kapitalismus. Er ist damit keine rein ideologische Entwicklung hin zum Reaktionären, sondern hat seine materielle Basis in der Krise selbst. Wir gehen im folgenden also davon aus, dass antifaschistische Aufklärung ohne den Versuch, die Krise und das System, das sie hervorbringt, zu bekämpfen, letztlich zum Scheitern verurteilt ist.
Dabei kommt dem Rechtsruck ein Doppelcharakter zu. Er ist einerseits eine reaktionäre Bewältigung der Krisenverwerfungen. Getragen wird er von Teilen des Kleinbürgertums, deren ökonomische Situation sich tendenziell verdüstert und die nicht von den zentralen Projekten des deutschen Großkapitals profitieren (Wirtschaftskrieg gegen Russland, US-, EU- und NATO-Orientierung, Klimapolitik als Wettbewerbsvorteil). Das vermischt sich mit einem Sammelsurium reaktionärer Ideologien, die Sündenböcke suchen und identitätsstiftend wirken. Rassismus, Nationalismus und antisemitische Weltverschwörungstheorien sind nichts Neues in Deutschland. Angesichts der kapitalistischen Krise, die auch eine Legitimationskrise bürgerlicher Politik ist, werden sie für Teile der Bevölkerung nun aber zu sicheren Orientierungspunkten, schlagen sich in diffus-rechten Massenmobilisierungen nieder und wachsen tendenziell zu geschlossenen Weltanschauungen zusammen. Die zahlreichen Ansätze auf diesem Feld eint dabei, dass sie die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse nicht antasten. Besonders die AfD beweist mit ihrem extrem neoliberalen Programm, auf welche Klasseninteressen dieser Kurs zugeschnitten ist.
Rassismus und Repression
Der Rechtsruck ist andererseits die Krisenpolitik der Herrschenden selbst. Sicherlich ist die Übernahme von rechten Positionen ein Mittel der Regierenden, um Wählerinnen und Wähler nicht an die Konkurrenz von rechts zu verlieren. Es gibt aber auch ein Eigeninteresse an Verschiebungen nach rechts: Migration als »größtes aller Probleme« zu inszenieren, ist ein günstiger Weg, um sie nicht mehr nach humanitären Kriterien bewerten zu müssen, sondern sie anhand der Verwertbarkeit von Migrantinnen und Migranten für den Arbeitsmarkt zu gestalten. Und es bleibt ein wirksames Mittel, um Konkurrenz und Spaltung in der Arbeiterklasse zu befeuern und von den eigentlichen Profiteuren der Krise abzulenken.
Ein Ausdruck dieses Rechtsrucks der Herrschenden ist auch das härtere Vorgehen gegen linke Bewegungen. Unabhängig von deren realer Stärke sollte die Repression auch als Vorbereitung verstanden werden, kommende Kämpfe möglichst klein zu halten. Vor diesem Hintergrund müssen auch Testballons der Aufstandsbekämpfung zum Beispiel gegen Fußballfans betrachtet werden.
Falls das aktuelle Krisenmanagement von Ampelregierung und CDU in größerem Umfang scheitern sollte, könnten die beiden Stränge des Rechtsrucks zusammenfinden und aus der jetzigen rechten Opposition, zum Beispiel in Form einer CDU/AfD-Koalition, eine autoritär-faschistoide Regierung erwachsen.
Für die Gegenbewegung ergibt sich daraus, dass Antifaschismus Teil des Kampfes gegen bürgerliche Krisenverwaltung sein muss. Das sollte nicht verwechselt werden mit dem bürgerlichen Kulturkampf zwischen einer (links-)liberalen und einer rechtskonservativen Richtung. Das liberale Regierungslager als »kleineres Übel« anzusehen, ignoriert nicht nur die autoritäre Formierung, die von ihm gerade vorangetrieben wird, sondern auch dessen Rolle im Klassenkampf von oben, der überhaupt erst den sozialen Nährboden für die Rechten schafft. In den politisch-kulturellen Auseinandersetzungen zum Beispiel um Diversität und Klimaschutz ist es natürlich wichtig, den Rechten zu widersprechen. Weil sie jeder Befreiungsperspektive entgegenstehen und besonders weil sie verbreitete reaktionäre Ressentiments mit realen sozialen Problemen vermischen und sich damit zum Widerstand gegen die »links-grüne Elite« inszenieren. Die »progressive Linie« des Regierungslagers und die Verengung linker Politik auf Diversität und »Wokeness« sind allerdings der andere Teil des Problems. Denn diese Ansätze knüpfen eben nicht an der sozialen Realität großer Teile der Arbeiterklasse an, sondern an den Idealen privilegierter kleinbürgerlicher Milieus. Darüber hinaus werden dergestalt aktuell Aufrüstung und Krieg legitimiert – an der Seite der »progressiven NATO gegen das reaktionäre Russland«, an der Seite Israels »gegen den Antisemitismus der Palästinenser«.
Es gibt allerdings eine dritte Position: Die Kämpfe für Rechte und Selbstbestimmung von Frauen, Queers und Migrantinnen und Migranten sowie gegen Umweltzerstörung als politische Teile des Klassenkampfes zu verstehen, als Potentiale des Widerstands gegen die soziale Misere und die Kriegspolitik.
Es scheint naheliegend, den Rechten mit Versprechen von sicheren und guten Arbeitsplätzen, industriellem Wiederaufschwung, Friedenssicherung etc. das Wasser abzugraben. Für die Umsetzung wäre allerdings eine neue Art von Sozialpartnerschaft mit erheblichen Zugeständnissen an die Arbeiterklasse und die Abnahme imperialistischer Konkurrenz notwendig. Die Vertiefung der kapitalistischen Krise weist aber in die entgegengesetzte Richtung. Der Druck zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals und zur Fähigkeit, eigene Interessen auch militärisch durchzusetzen, verengen die Verteilungsspielräume. Deshalb fließt staatliches Geld in den Rüstungssektor, während die Daseinsfürsorge verkümmert. Deshalb sinken die Reallöhne kontinuierlich. Deshalb die harten Bandagen der Gegenseite in Arbeitskämpfen.
Zurückweichen heißt Verlieren
Ein häufiger Auswuchs reformistischer Ansätze besteht darin, die offene Konfrontation mit den Rechten zu vermeiden – in der Hoffnung, Sympathisanten für linke Alternativen gewinnen zu können. Das unterschätzt allerdings die Gegenseite. Aller Erfahrung nach versuchen rechte Strukturen, jeden Raum, in dem sie ohne aktive Gegenwehr agieren können, zum eigenen Aufbau zu nutzen: auf der Straße, im Diskurs, in der Kultur usw. – und das zumindest in den vergangenen Jahren weitaus erfolgreicher als die Linke. Wer auf Konfrontation mit den Rechten verzichtet, steht ihnen nicht nur machtlos gegenüber, sondern wird auch nur ein lediglich abstraktes antifaschistisches Bewusstsein hervorbringen können, dessen Festigkeit und Wert solange nicht bewiesen ist, wie es den Kampf ausspart.
Die Geschichte hat bewiesen, dass der Kampf gegen den Faschismus proletarisches Klasseninteresse ist: die Abwehr bürgerlicher Krisenbewältigung durch Terrorherrschaft, die die Ausbeutung und Unterdrückung auf eine neue Ebene hebt und den Klassenkampf von unten im Keim ersticken soll. Daraus folgt:
1. Antifaschistische Bündnisse zwischen revolutionären, reformistischen und bürgerlich-humanistischen Kräften sind berechtigt und notwendig. Unser langfristiger Ausgangspunkt der Zusammenarbeit muss aber das proletarische Klasseninteresse sein. Sonst besteht die Gefahr in der vermeintlichen Suche nach Gemeinsamkeiten, bürgerliche Klassenpositionen zu übernehmen.
2. Antifaschismus muss auf der Straße stattfinden und muss die unmittelbare Konfrontation mit dem Gegner beinhalten. Terror und Gewalt sind immer Bestandteile des Faschismus, sowohl als Bewegung als auch an der Macht. Antifaschismus kann daher nie nur Aufklärung sein, sondern muss sich in die Lage versetzen, die faschistische Gewalt zu brechen. Dabei ist ein Sieg auf der Straße nicht immer auch ein politischer Sieg. Wenn Antifaschistinnen und Antifaschisten aber auf der Straße zurückweichen müssen, ist das immer auch eine Niederlage für unsere Seite.
3. Es braucht eigenständige antifaschistische Kampforganisationen: Antifaschismus ist der gezielte Kampf gegen einen politischen Gegner – der aktuell mit immenser Wirkmächtigkeit agiert. Es gibt keine »gute, klassenkämpferische Politik«, die die Rechten quasi im Vorbeigehen besiegen würde. Dazu braucht es gezielte Arbeit und eine Organisation, die den verschiedenen Besonderheiten dieses Kampffeldes gerecht werden kann. Ein Ansatz, der in diese Richtung weist, ist die Antifaschistische Aktion Süd, die vor zwei Jahren gegründet wurde und acht Ortsgruppen in Süddeutschland hat.
Langfristig kann nur der Bruch mit dem Kapitalismus und der Aufbau des Sozialismus die faschistische Gefahr bannen. Nun befindet sich die Linke, die diese Perspektive verfolgen könnte, in einer historischen Defensive, während die eng miteinander verzahnten kapitalistischen Krisensymptome sich in hoher Geschwindigkeit entwickeln. Bisher, ohne größere Kämpfe »unten gegen oben« hervorzubringen. Wie mit diesem Widerspruch umgehen?
Es liegt nicht auf der Hand, wo sich revolutionäres Klassenbewusstsein in kommender Zeit entwickeln könnte. Sinnvoll erscheint uns daher, sich in verschiedenen politischen und sozialen Fragen voranzutasten und dabei insbesondere die Fähigkeit zu entwickeln, Gegenmacht aufzubauen – also Strukturen und Praxen zu entwickeln, die einerseits die eigene Legitimität antikapitalistischer und revolutionärer Politik in den Vordergrund stellen, andererseits – zunächst im Kleinen – real die bürgerliche Macht schmälern und die unserer Seite stärken.
Den antifaschistischen Kampf verstehen wir in diesem Sinne als einen von mehreren Teilkämpfen, der mit eigener Organisierung und besonders dem Aufbau von Straßenmacht im Widerspruch zum staatlichen Gewaltmonopol, ein Standbein proletarischer Gegenmacht bildet. Weil die Rechten inzwischen in allen Fragen des Klassenkampfes präsent sind, wird die Herausforderung der kommenden Zeit sein, antifaschistische Standpunkte und eine antifaschistische Praxis in verschiedene Kämpfe (Krieg, Klima, Sparpolitik usw.) einzubringen, ohne sie darauf zu verengen.
Luca Stüven ist Mitglied der Gruppe Perspektive Kommunismus
Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter