»Man wird zum Schweigen gedrängt, mundtot gemacht«
Interview: Hagen BonnSie treten auf als »Spoken-Word-Künstlerin«. Was ist das, und was hat das mit »Poetry Slam« zu tun?
Poetry Slam steht für Dichterwettstreit/Dichterschlacht und ist die bekannteste Form des »Spoken Words«. Dabei wird der vorab selbst verfasste Text im Rahmen eines Wettbewerbs mit bestimmten Regeln wie einem Zeitlimit vorgetragen. Das Publikum kürt in der Regel die Gewinner. Spoken Word ist, wie der Name schon sagt, eine mündliche Kunstform, bei der lyrische Texte für die Bühne als Live-Performance geschrieben werden: Betonung, Gestik und Mimik stehen im Vordergrund.
Sie sind deutsch-palästinensische Künstlerin. In Palästina wütet das Grauen. Können Sie das literarisch fassen? Politisch? Wie ertragen Sie die Situation in Gaza?
Ich lebe seit über drei Monaten wie in einer Parallelwelt. Es ist sehr schwer in Worte zu fassen. Und gleichzeitig will man so viel sagen, laut sein und Israels Verbrechen beim Namen nennen, aber man wird zum Schweigen gedrängt, mundtot gemacht. Mein Dauergefühlszustand ist geprägt von Ohnmacht. Dazu gesellt sich die Trauer über das Ausmaß des Leidens der Palästinenser, die Wut über die Politik Deutschlands und der anderen imperialistischen Hauptmächte. Ich habe immer versucht, meine verlorene Stimme in meinen Texten wiederzufinden und die Kunstfreiheit zu nutzen:
Ich bin Künstlerin / Ich spreche in Reimen / über Dinge auf der Welt, / die alles andere als zusammengereimt sind.
Eines Ihrer Gedichte beginnt mit: »Ich mache Ali Baba nach und rufe: Blockade, öffne dich! Blockade, öffne dich! Blockade, öffne dich! Aber nichts geschieht.« Dann am Ende: »Frieden – du bist so fern wie 1001 Nacht.«
Wir erleben gerade die zweite Vertreibung der Palästinenser seit 1948. Aber diesmal wird dieses Verbrechen in Echtzeit mitverfolgt, weltweit, und nicht wie damals hinter verschlossenen Türen. Deshalb protestieren die Menschen aus aller Welt auf den Straßen für Frieden und Freiheit in Palästina. Aber der »Wertewesten« schaut weg, mit Vorsatz. Selbst die arabischen Nachbarstaaten versagen kläglich. Aber ehrlich, es ist gerade schwer, eine Chance auf Frieden zu sehen.
Wie schätzen Sie die derzeitige Stimmung in der Poetry-Szene ein? Ist Palästina ein Thema?
Schön wär’s. Die deutsche Poetry-Slam-Szene hat ja schon immer den Ruf, dass sie nur lustige WG-Geschichten und Herzschmerz hervorbringt. Aber in den letzten Jahren ist durchaus eine gesellschaftskritische Stimmung zu erkennen gewesen. Rassismus, Klima und soziale Ungleichheit werden thematisiert. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Palästina und Israel oder Themen wie Imperialismus, Kolonialismus findet man leider nicht. In Deutschland bin ich wahrscheinlich eine Ausnahme.
Müssen Sie jetzt eine Schere im Kopf herumtragen?
Es ist traurig, aber ja. Man wird ausgegrenzt und diffamiert, wenn man öffentlich Israel kritisiert. Das war in der BRD schon immer ein Tabuthema, im Gegensatz zur DDR, die der Hauptunterstützer der PLO weltweit war. Die aktuellen innenpolitischen Entwicklungen gegenüber palästinensischen Positionen werden immer grotesker. Aber es geht letztendlich um imperialistische Interessen. Das muss man verstehen.
Der legendäre palästinensische Dichter Mahmud Darwisch, er lebte von 1941 bis 2008, hat Sie sehr geprägt?
»Mut ist, Waffen mit Worten zu begegnen« – dieses Zitat von Mahmud Darwisch begleitet mein gesamtes Künstlerdasein. Einerseits habe ich durch Darwisch meine Leidenschaft für Lyrik entdeckt – und das Potential, Menschen durch diese Kunst zu bewegen. Gleichzeitig habe ich durch seine Gedichte – neben den Erzählungen meines Großvaters – bereits in sehr jungen Jahren eine solche Sehnsucht nach meiner Heimat aufgebaut, obwohl ich bis zu meinem 20. Lebensjahr nie dort gewesen bin.
Faten El-Dabbas ist deutsch-palästinensische Spoken-Word-Künstlerin, Autorin und Politologin. Sie tritt auf der XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin auf
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