»Diese Genossen sind von einer Aura umgeben«
Von Susann Witt-StahlEran Torbiner hielt am 59. Jahrestag der Befreiung von der Hitlerdiktatur 2004 einen historischen Moment mit seiner Kamera fest. Jüdische Spanienkämpfer und deren Familien waren in einem Ehrenhain bei Beth Schemesch im Bezirk Jerusalem zusammengekommen, auch um der vielen gefallenen Kameraden zu gedenken. »Es war nicht unsere Schuld, dass wir nicht gewonnen haben«, erinnerte David Ostrovsky, einer der ehemaligen Interbrigadisten, an den durch die Anerkennung des Franco-Regimes begangenen Verrat liberaler Demokratien in Europa – der sich für sie als verheerend erwiesen hatte.
Torbiner begibt sich in seinen Dokumentarfilmen auf die Spur der jüdischen Linken, die als »bolschewistische Weltverschwörer« verfolgt und ermordet, später in Israel stigmatisiert und unterdrückt wurden und nach 1989 größtenteils im Abgrund des Vergessens verschwunden sind – nicht obwohl, sondern weil sie ihre universalistische Weltanschauung hochhielten und die Emanzipation aller Menschen verwirklichen wollten: Kommunisten, Sozialisten, die sich weigerten, die arabische Bevölkerung zu töten, zu vertreiben oder zu berauben. »Für uns war ein Arbeiter ein Arbeiter, egal, ob er Jude oder Araber war« – solche Besinnung auf das Wesentliche, nämlich die Klassenfrage, wie sie von Yaakov Chen, Mitglied der Kommunistischen Partei, in Torbiners Doku »Madrid before Hanita« (2006) zu vernehmen ist, darf heute fast schon als sensationelle (Wieder-)Entdeckung gefeiert werden. Auch die Erkenntnis der durch Hitler bewiesenen und im Filmtitel apostrophierten Dringlichkeit nicht des Aufbaus eines zionistischen Staates (für den die Siedlung Hanita zum Symbol wurde), sondern einer sozialistischen Gesellschaft – die einzige Möglichkeit, mit der brutalsten Form bürgerlicher Herrschaft auch den Antisemitismus zu beseitigen. »In Spanien konnten wir zum ersten Mal mit dem Gewehr in der Hand gegen den internationalen und deutschen Faschismus kämpfen«, erklärt Kurt Goldstein die besondere Motivation der deutschen Kommunisten unter den jüdischen Interbrigadisten (aus Palästina kamen 300, insgesamt waren es 7.000). Ebenso wie die Hunderttausenden von Juden in der Roten Armee widerlegten sie die heute hartnäckig wie nie verbreitete Behauptung, dass nur der Judenstaat den vom frühen Zionisten Max Nordau propagierten wehrhaften »Muskeljuden« hervorbringen könne.
Dass Torbiners Gesamtwerk vor allem als Hommage an von Zionisten verächtlich gemachte »Nervenjuden«, Anti- und Nichtzionisten, die Uzis und Merkavas nicht als Argument anerkennen wollen, zu begreifen ist, zeigt sein Film über die Sozialistische Organisation in Israel. Die unter dem Namen ihres Organs Matzpen bekanntgewordene Gruppe junger Marxisten aus dem studentischen Milieu, der auch Palästinenser angehörten, demontierten in den 1960er- und 1970er-Jahren mit ihrer Anklage des Zionismus als koloniales Projekt den Gründungsmythos Israels (»Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land«): »Wer Matzpen nicht hasste, war kein Patriot«, blickte Akiva Orr, damals ein führender Kopf der Organisation, in Torbiners Film von 2003 auf bewegte Zeiten zurück.
»Es ist barbarisch, unmenschlich. Sie wollen keinen Frieden bringen, nur Krieg, Krieg, Krieg«, erklärte Michael Veinappel – ein 2007 in Jerusalem verstorbener namhafter Bundist in Israel –, in Torbiners Film »Bunda’im« (2012), warum er »das Verhalten aller israelischen Regierungen, von rechts bis links« als existenzgefährdend für das »gesamte jüdische Volk« betrachtete. Der Bund als internationale sozialistische Bewegung war aus dem 1897 in Vilnius gegründeten Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund von Polen und Russland hervorgegangen, seine Milizen waren 1943 am Aufstand im Warschauer Ghetto gegen die Nazis beteiligt.
»Ich habe immer Angst, dass die alten Aktivisten sterben könnten, bevor sie ihre Geschichte mit mir geteilt haben«, sagt Eran Torbiner im Gespräch mit jW. »Diese Genossen sind von einer Aura umgeben – ihnen gilt meine Neugier, mein Respekt und meine Empathie.« Das alles atmen Torbiners Filme, die mit einer enormen menschlichen Wärme und Einfühlung in die Atmosphären ihrer jüdischen Welten von gestern erzählen. Ganz ohne Kitsch und Nostalgie, vielmehr durchwirkt von dem Imperativ, dass morgen alles ganz anders sein muss – der nicht zuletzt seit dem Siegeszug des Kahanismus in Israel, der zionistischen Erscheinungsform des Faschismus, und dem Gaza-Massaker unwiderruflich ein kategorischer ist. Die Rettung des unterdrückten Erbes der jüdischen Sozialisten und Kommunisten bedeutet nicht weniger als die Rettung der Welt. Daher muss es bis zum letzten verteidigt werden – heute auch und besonders gegen die hegemoniale normalisierte Deutschlinke, die es als »roten Antisemitismus« verfemt, weil sie die antifaschistische Bewältigung der Vergangenheit für ihren Kniefall vor der »Staatsräson« des NATO-gestützten Imperialismus der Berliner Republik aufgegeben hat.
Eran Torbiner wird am 11. Januar 2025 auf der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zu Gast sein und im Gespräch über »Die israelische Linke und der Gazastreifen 1967 und 2024« berichten.
Zudem wird er am kommenden Sonntag (12.1.) sein Filmschaffen unter dem Titel »Kämpfer der Internationalen Brigaden, antizionistische Aktivisten und Kriegsdienstverweigerer – ein Treffen am Schneidetisch in Tel Aviv« um 14 Uhr in der jW-Maigalerie vorstellen und mit dem Publikum diskutieren. Nähere Informationen: jungewelt.de/maigalerie/471652.veranstaltungen.html
Abonnieren Sie den Konferenz-Newsletter