Bewegungen verbinden
Von Mark EllmannTraditionell bildet die Podiumsdiskussion den Abschluss der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie steht dieses Mal unter dem Motto »Kriegstüchtig? Nie wieder! Wie stoppen wir die Aufrüstung in Deutschland?« Wie in den Jahren zuvor haben wir die Diskutantinnen und Diskutanten auch in diesem Jahr gebeten, ihren Standpunkt vorab vorzustellen. (jW)
Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind gegen die Lieferung des Marschflugkörpers »Taurus« an die Ukraine. Laut ARD-»Deutschlandtrend« vom November findet sich in dieser Mehrheit fast jeder zweite Union-Wähler wieder. Deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz formuliert mittlerweile »Bedingungen« für die »Taurus«-Lieferung, damit Deutschland keine Kriegspartei werde. Sollte Merz Kanzler werden, so ist also auch er, wie sein Vorgänger im Amt, mit der mangelnden Kriegstüchtigkeit der Wählerinnen und Wähler konfrontiert.
Bellizisten, also verbale Kriegstreiber in Leitmedien und Parteien, wurden nicht müde, den scheidenden Kanzler als »Zweifler« darzustellen, der zu »zögerlich« an der Eskalationsspirale drehe. Dabei endet mit der Regierung Scholz eine SPD-geführte Koalition, die geschafft hat, woran die Außenpolitik des deutschen Imperialismus seit der Euro-Krise verstärkt arbeitet: die Schaffung einer Heimatfront für eine deutsche Führungsrolle in Europa und damit in der Welt.
Besondere Dienste haben dabei – wie schon beim Aufstieg der AfD – die großen Medien geleistet. Trotzdem ändern sich die Zustimmungsraten zu mehr Waffenlieferungen und Kriegseskalation kaum. Statt dessen fühlt die Mehrheit, als könnte sie ihre Meinung zu politischen Themen nur hinter vorgehaltener Hand äußern. Kein Wunder, wird doch jegliches Befürworten von Diplomatie und Abrüstung als Auftragsarbeit für den Kreml oder andere »Feinde« abgetan.
Kein Geld für Sozialklimbim
Die 30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz findet fast drei Jahre nach der Verkündung der »Zeitenwende« statt. Diese ist ihrem Wesen nach ein militaristisch-reaktionärer Umbau der gesamten Gesellschaft mitsamt Sozialkahlschlag zum Zwecke der Schaffung der Kriegsfähigkeit gegen Russland. Seitdem die Kriegskredite mit dem Titel »Sondervermögen« durch den Bundestag geprügelt wurden, wird die Bundeswehr aus- und aufgerüstet. Der zurecht unbeliebte damalige Finanzminister Christian Lindner läutete dafür das Ende der »reinen Verteilungspolitik« ein. Das ist die Kehrseite der »Zeitenwende«, denn wenn alle Gelder in militärische Aufrüstung gesteckt werden, bleibt nichts mehr für Soziales, Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur.
Und so steht das »Bürgergeld« auf der Kürzungsliste der nächsten Regierung. Dazu kommen Überlegungen zur Reform von Kündigungs- und Arbeitsschutzgesetzen und konkrete Stellenabbaupläne in der Industrie. Ebenfalls gekürzt werden soll die Unterstützung für Menschen, die vor Krieg fliehen. Gegen Kinderarmut oder marode Krankenhäuser ist kein Geld da, statt dessen gibt es Kassenbeitragserhöhungen auf dem Rücken der arbeitenden Bevölkerung bei zeitgleicher Ankündigung von weiteren Krankenhausschließungen.
Währenddessen wird ein »Operationsplan Deutschland« bekannt und von tausend Kriegsverletzten täglich gesprochen, die künftig in den Kliniken behandelt werden sollen – während alle wissen und viele täglich als Beschäftigte oder Patienten erfahren müssen, dass das Gesundheitssystem schon jetzt am Anschlag ist. Im vergangenen Jahr zeigten Brückeneinstürze das ganze Dilemma kaputtgesparter Infrastruktur.
Der Kriegskurs verschärft, was wir schon in Friedenszeiten ertragen müssen: Bildung, Gesundheit, Heizung, Brot und Frieden – nichts davon hat dieses System für uns übrig.
Tagtägliche Propaganda für die Verlängerung von Kriegen führt zum Diskursbruch durch Fake News. Die ständige Wiederholung der Narrative, nach denen Russland gegenüber der NATO eine Bedrohung darstelle zum Beispiel, trifft auf eine anderslautende Realität: Selbst die europäischen NATO-Staaten ohne die USA liegen bei ihren militärischen Budgets, Truppenstärken und Waffensystemen vor Russland, wie eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie nachweist. Oberst a. D. Richter stellt für die Friedrich-Ebert-Stiftung fest, dass die Eskalationsgefahr hingegen von der realen Bedrohung durch die NATO gegenüber Russland abhängt, also konkret davon, ob »der Westen« oder die NATO ihr Ziel nach »Siegfrieden« und »Regime-Change« in Russland erreichen und umsetzen können. Diese Argumente nicht zu würdigen, schränkt, wie das Gerede von »Staatsräson« und »schweigender Mehrheit« (Robert Habeck), die gelebte Verfassungsrealität des Grundrechts der Meinungsfreiheit ein.
Es ist die auf Spaltung der Arbeiterklasse ausgelegte Aufrüstungs- und Kriegspolitik des Monopolkapitals, die den Nährboden für den gesellschaftlichen Rechtsruck mitsamt dem Aufstieg der AfD mit ihrem faschistischen Flügel bietet. Die Abschaffung des Asylrechts durch die Grenzschließungen der SPD-Grünen-FDP-Regierung – getrieben von CDU und CSU, die schon neue »Obergrenzen« fordern – sorgt für Hetze statt für Lösungen. In diesem Klima kann sich die AfD als scheinbare »Alternative« präsentieren, indem sie »brennendste Nöte und Bedürfnisse« wie Energiepreise und Eskalationspolitik anspricht. Dabei steht die AfD für die NATO und kann sich doch als schärfster Kritiker des NATO-Kriegskurses gegen Russland inszenieren. Sie inszeniert sich als Alternative für Deutschland bzw. der arbeitenden Leute und bekommt dafür lobende Worte vom reichsten Mann der Welt, dem US-Regierungsberater Elon Musk.
Ablenkungsmanöver
Dabei zeigt die Migrationspolitik der AfD-Konkurrenten von CDU bis SPD deutlich, dass das Monopolkapital die durch Ausbeutung und Kriege verursachte Migration nutzt, um die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen zu verschärfen und um von den konkreten Maßnahmen der Kriegspolitik abzulenken: Für die langen Wartezeiten beim Arzt seien nicht die mangelnden Sozialausgaben aufgrund der Kriegskredite verantwortlich, sondern die Ausländer, will uns der nächste Kanzler glauben machen. Für die vielen Verspätungen bei der Bahn sind diesen Politikern zufolge auch die streikenden Bahnangestellten schuld und nicht das Management. Da ist es nur konsequent, dass dieselben Kräfte die Einschränkung des Streikrechts fordern und dabei wie selbstverständlich einen Übergang zur Kriegswirtschaft organisieren.
Die deutsche Außenpolitik, genauer die Außenpolitik des deutschen Imperialismus, der mit der Euro-Krise ab 2008 die dominante Rolle in EU-Europa einnahm, sieht sich heute mit neuen Problemen und steigender Abhängigkeit von den USA konfrontiert. Der EU-Austritt Großbritanniens, die gescheiterten Versuche einer eigenständigen EU-Militärpolitik unter deutscher Führung und die Wiederbelebung der US-dominierten NATO haben die Position Berlins in Europa und die EU als imperialistisches Bündnis vorerst geschwächt. Hinzu kommt der abgeschnittene Zugriff auf ehemals sowjetische Bodenschätze als auch der mittlerweile messbare wirtschaftliche Aufstieg der VR China, welcher auf geplanter Entwicklung der Produktivkräfte basiert. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat bereits 2019 die Weichen für den künftigen Umgang mit dem systemischen Rivalen China gestellt und dabei – in anderen Worten ausgedrückt – festgestellt, dass die imperialistischen Zentren zunehmend unter Druck geraten werden, ihren weltweiten Hegemonieanspruch durchzusetzen. Die Folge ist nicht von Putin oder Xi, sondern von der Realität geprägt, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist: Der deutsche Imperialismus zeigt uns seine reaktionäre Seite mit dem größten Aufrüstungsprogramm der Geschichte und finanziert dieses auf unserem Rücken.
Unabhängig davon, wie sich die wirtschaftliche Konkurrenz zu den USA entwickelt und wie sehr dabei digitale Abhängigkeit und Russland-Sanktionen den Handlungsspielraum des deutschen Imperialismus einschränken: Beim Wirtschafts- und Stellvertreterkrieg gegen die VR China und deren Verbündete vertreten sie gemeinsame Interessen. Die massive Hochrüstung in Deutschland dient dabei nicht nur kurzfristigen Zielen wie der Kriegsfähigkeit gegen Russland, sondern auch der Schaffung einer ökonomischen Grundlage für die Großmachtphantasien von SPD bis AfD.
Deutsche Führungsrolle
Diese deutsche »Führungsrolle« zeigt sich schon heute bei der Stationierung deutscher Soldaten an der russischen Grenze in Litauen, bei der Waffenschieberrolle der von Deutschland dominierten EU oder bei der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Denn die geplante Stationierung der Raketen macht Deutschland nicht nur zur Führungsmacht an der Seite der USA, sondern auch zum potentiellen Kriegsschauplatz.
Ob es so weit kommt, hängt davon ab, wie lange wir die Einbindung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in diesen Kriegskurs und damit einhergehend den Angriff auf erkämpfte soziale Standards noch zulassen werden. Die gemeinsame Demonstration unter dem Motto »Soziales rauf! Rüstung runter« von Verdi, GEW und Münchner Friedensbündnis am 12. Oktober 2024 war ein gutes Beispiel dafür, wie wir der Kriegstüchtigkeit die soziale Frage entgegenstellen können.
Es muss uns gelingen, Arbeiter- und Friedensbewegung in Ost- und Westdeutschland zu einen, indem wir den Kampf für den Frieden in die Betriebe und auf die Plätze tragen. Der am 3. Oktober veröffentlichte »Berliner Appell« richtet sich gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und kann das verbindende Element zwischen den verschiedenen Kämpfen der Arbeiter- und Friedensbewegung gegen die Kriegstüchtigkeit Deutschlands werden.
Mark Ellmann ist aktiv in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und Mitglied der Leitung der DKP-Friedenskommission. Er engagiert sich zudem als Gewerkschafter in der GEW München.
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