Gegen Krieg und Kapital
Von Sarah G.Im Jahr 2018 rollten »Leopard 2«-Panzer aus deutscher Produktion durch das seither von der Türkei besetzte Afrin im Nordwesten Syriens. Dass die kurdische Selbstverwaltung von der türkischen Armee so offensichtlich mit Hilfe deutschen Kriegsgeräts angegriffen werden konnte, gab den Anstoß für eine antimilitaristische Mobilisierung, an deren Ursprung ein internationalistischer Gedanke stand. Statt ungehört an Staatsoberhäupter zu appellieren, beschlossen wir, die deutsche Rüstungsindustrie direkt anzugreifen und damit praktische Solidarität mit Unterdrückten und Ermordeten weltweit zu üben.
Die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung erwächst dabei nicht nur aus der Notwendigkeit, die Komplizenschaft der deutschen Rüstungsindustrie mit mordenden Militärs und autoritären Herrschern wie Recep Tayyip Erdoğan anzuprangern. Wir halten die Konzepte von Demokratie und Freiheit, die in der kurdischen Selbstverwaltung jenseits des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Ökonomie entwickelt und praktiziert werden, für wegweisend. Um die herrschenden Verhältnisse zu überwinden, ist die demokratische Konföderation der Völker und Gemeinschaften unser Horizont. Den Versuch eines multiethnischen Zusammenlebens, basisdemokratisch und an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, wollen wir durch internationale Solidarität unterstützen. Und ebenso wie die Befreiung der Frauen zentraler Bestandteil der Revolution in Rojava ist, betonen wir die enge Verzahnung von Krieg, Kapitalismus und patriarchaler Unterdrückung durch eine autonom-feministische Organisierung innerhalb des Bündnisses und bei Aktionen.
Kein Frieden im Kapitalismus
»Rheinmetall entwaffnen« ging es von Anfang an nicht nur um strengere Rüstungsexportkontrollgesetze oder die Einstellung militärischer Produktion. Vielmehr geht es auch darum, auf die militärische Absicherung des kapitalistischen Systems zu verweisen, bei der Staaten wie die Bundesrepublik ganz vorne mitspielen. Die Bundesregierung propagiert heute ganz offen Aufrüstung zur Durchsetzung ihrer eigenen und westlicher Interessen in der Welt. Dass es dabei eben nicht um die Einhaltung von Menschenrechten geht, zeigt nicht zuletzt das Paktieren mit nützlichen Autokraten wie Erdoğan, die offene Unterstützung der menschenverachtenden Regierung Benjamin Netanjahus und Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Dass einige Nationalstaaten in der internationalen Hackordnung weiter unten stehen, bedeutet nicht, dass sie nicht ihrerseits versuchen, ihren heimischen Unternehmen Zugriff auf Ressourcen anderswo zu sichern. Daher verwehren wir uns einem Lagerdenken, das meint, in jeglichen gegen die globale Vorherrschaft der USA gerichteten Initiativen das »kleinere Übel« erkennen zu wollen, das es zu unterstützen gilt. Gleichzeitig ist auch uns die Heuchelei unerträglich, mit der der Westen die eigenen imperialistischen Ambitionen verschleiert.
Dass es heute vergleichsweise nur noch wenige wirkmächtige linke Gegenprojekte zur herrschenden kapitalistischen Weltordnung gibt, hat dazu beigetragen, dass linke Antikriegspositionen deutlich an Schärfe und Mobilisierungskraft verloren haben. Nicht umsonst blieb es in bezug auf den seit 2011 in Syrien tobenden Krieg recht still in der deutschen Linken. Dass sich Teile der Friedensbewegung positiv auf Russland oder Baschar Al-Assad als Bollwerke gegen den US-Imperialismus bezogen, war für viele von uns befremdlich. Gleichzeitig konnten wir – zum Teil politisiert zu Zeiten der westlichen Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen – ein militärisches Eingreifen des Westens nicht befürworten. Dieses anscheinende Dilemma verfolgt uns bis heute und spiegelt sich auch in aktuellen Auseinandersetzungen um die Aufrüstung der Ukraine gegen Russland wider.
»Rheinmetall entwaffnen« ist ein Vorschlag an die linke Bewegung, wieder entschlossener gegen Militarismus und Imperialismus aktiv zu werden: indem wir die deutsche Rüstungsindustrie angreifen und uns auf den Hauptfeind im eigenen Land fokussieren, anstatt darüber zu sinnieren, welche Herrscher uns auf menschenfreundlichere Art und Weise unterdrücken, während uns sowieso niemand nach unserer Meinung fragt. In den vergangenen Jahren haben wir zu antimilitaristischen Aktionswochen im Rahmen spektrenübergreifender Camps mobilisiert und Blockadeaktionen gegen Rheinmetall in Unterlüß, Heckler & Koch in Oberndorf, Krauss-Maffei Wegmann in Kassel und kürzlich gegen die Rüstungsindustrie in Kiel durchgeführt. 2019 gelang es uns zudem, die Rheinmetall-Aktionärsversammlung zu stören; in Unterlüß gedachten wir mit einem Weg der Erinnerung der bis zu 5.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und setzten einen Schwerpunkt auf Rheinmetalls Machenschaften im Faschismus.
Austausch fördern
Die sich überschlagenden Ereignisse der vergangenen Jahre haben die Notwendigkeit einer Antikriegsbewegung mit einer linken Perspektive noch verstärkt. Seit Verkündung der »Zeitenwende« scheint die militärische Eskalation das offizielle Mittel der Wahl zu sein. Wegen der russischen Invasion in der Ukraine und des nun seit über einem Jahr andauernden Massakers der israelischen Armee an den Palästinenserinnen und Palästinensern gingen so viele Menschen gegen Krieg auf die Straße wie seit dem US-Einmarsch im Irak nicht mehr. Allerdings standen die verschiedenen protestierenden Gruppen teils gleichgültig nebeneinander oder sich gar unversöhnlich gegenüber.
In Berlin diskutierten und demonstrierten wir unter dem Motto »No War but Class War« gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Aktienkurse von Rheinmetall in ungeahnte Höhen treiben und das Gemetzel von Tausenden von ukrainischen und russischen Soldaten und Zivilisten weiter befeuern. Wir demonstrieren mit »Stop Arming Israel« gegen die Unterstützung von Bundesregierung und deutscher Rüstungsindustrie, ohne die die Ermordung Zehntausender und die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Gazastreifen nicht möglich wäre. Und wir protestieren auch jetzt gegen den neuen Rüstungsdeal mit der Türkei, der die Existenz der kurdischen Selbstverwaltung und damit auch die Hoffnung und Perspektive, die diese gibt, bedroht.
Angesichts der neuen Allgegenwärtigkeit militärischer Konflikte sind weitere Gruppen zum Bündnis gestoßen, wir wurden für viele Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen angefragt, und zum letzten Camp in Kiel kamen mehr Menschen als je zuvor. Dem »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnis ist es zudem gelungen, eine klare Position zu Waffenlieferungen und zum Gazakrieg zu beziehen, ohne sich zu spalten. Trotzdem bleibt die Entwicklung des Bündnisses weit hinter der verstörenden Geschwindigkeit zurück, mit der uns Nachrichten von immer mehr Kriegstoten, Rüstungsdeals und der militärischen Mobilmachung von Wirtschaft und Gesellschaft erreichen. Unsere Suche nach Antworten auf dieses Missverhältnis dauert an. Das darf uns aber nicht aufhalten, schon jetzt zu handeln.
Falscher Moralismus
Ohne dass wir uns über den Umgang damit einig wären, sehen wir uns mit folgenden Herausforderungen konfrontiert: Ein oberflächlicher Moralismus hat in Teilen der Linken eine klassenpolitische Analyse verdrängt. Wer nur noch vagen »Verhaltensrichtlinien« folgt, wird empfänglich für Manipulationen, die von politischen Inhalten und ökonomischen Interessen abstrahieren. So begegnet uns regelmäßig der Vorwurf, wir würden das Selbstbestimmungsrecht »der Ukrainer« nicht anerkennen, während völlig ausgeblendet wird, dass die ukrainische Nation Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen und Interessen umfasst und wir andersherum niemals auf die Idee kämen, uns automatisch der Mehrheitsmeinung in Deutschland anzuschließen, Interessen deutscher Unternehmer zu verteidigen oder uns mit der deutschen Regierung gleichzusetzen.
Die Strategie der Regierung, oppositionelle Stimmen pauschal als rechts, antisemitisch oder putinfreundlich zu verunglimpfen, ist mehr als erfolgreich. Die extreme staatliche Repression und mediale Hetze gegen palästinasolidarische Proteste haben viele schockiert, aber nicht dazu geführt, die seit über einem Jahr stattfindenden Demonstrationen aufzuhalten. Auffällig ist jedoch die geringe Beteiligung weißer Linker, die sich aus Angst vor Antisemitismusvorwürfen in Abgrenzungsdebatten und dem Ausloten von akzeptablen Meinungskorridoren verloren haben, während die Straßen längst brannten. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung, die uns regelmäßig Querfrontdebatten beschert. Diese Debatten waren lähmend, ein Stück weit sind uns in der Praxis aber auch Klärungen gelungen.
Wir lehnen die Zusammenarbeit mit rechten und antisemitischen Kräften ab, denken aber, dass linke Interventionen in zum Teil diffus aufgestellten Antikriegsprotesten sinnvoll und notwendig sind. Wir dürfen uns nicht für die Machtkämpfe von Staaten, ihren Unternehmern und Großaktionären vor den Karren spannen lassen. »Rheinmetall entwaffnen« ist der Versuch, spektrenübergreifend zusammenzukommen, durch Diskussionen aber eben auch durch direkte Aktionen die Möglichkeiten eines zeitgemäßen antikapitalistischen Antimilitarismus aufzuzeigen und für eine bessere Welt für alle zu kämpfen.
Sarah G. ist aktiv bei »Rheinmetall entwaffnen« in Berlin
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