Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025

Aktuell

  • 22.12.2023 19:30 Uhr

    Zorn und Wut

    Floh de Colognes »Mumien – Kantate für Rockband« wird auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz aufgeführt. Fragen an Dieter Klemm
    Gerd Schumann
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    Das elf Alben umfassende Werk von Floh de ­Cologne taugt heutzutage dazu, Kulturschocks auszulösen. Entstanden zwischen 1968 (»Vietnam« mit Dieter Süverkrüp) und 1983 (»Faaterland«), danach langjährig verschüttet, vermittelt es drastisch eine Ahnung davon, wie sich die Zeiten ändern und verweist für die Zukunft darauf, dass die Betrachtung der Wirklichkeit nicht ewig so oberflächlich bleiben muss, wie sie sich derzeit präsentiert – also nahezu entblößt von der gesellschaftspolitischen Analysefähigkeit, die die »Flöhe« noch vor einem halben Jahrhundert brillant auf die Bühne zu bringen vermochten.

    Deutlich wie selten wurde das am 11. September 2023 im Berliner Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Am fünfzigsten Jahrestag des Chile-Putsches lief dort die Uraufführung der mit Bildern, Lichteffekten, Videocollagen durch das ok-Projekt (Claudia Opitz, ­Sebastian ­Köpcke) auf die Leinwand gebrachten Fassung von »Mumien – Kantate für Rockband« von 1974.

    Die Politrockband aus Köln gehörte zur sich weltweit schnell formierenden ­Chile-Solidaritätsbewegung – »natürlich«, sagt Dieter Klemm, Sprecher und auch Texter der »Flöhe«, und erwähnt damit eher beiläufig ihr Selbstverständnis. »Aus Zorn und Wut – vergleichbar mit den Reaktionen auf den Vietnamkrieg der USA« hätte die Band sehr schnell den Entschluss gefasst, »mit unseren Mitteln zur Aufklärung über diesen verbrecherischen Putsch und seine Hintergründe beizutragen«. Klemm war 1967 beim damaligen Kabarett »Floh de Cologne« eingestiegen und bildete zusammen mit Texter Gerd Wollschon (bis 1976, verstorben 2012), Keyboarder Markus Schmid (bis 1974, lebt heute in der Schweiz), Schlagzeuger Hansi Frank (seit 1966), Gitarrist Dick Städtler (seit 1969, heute München), Theo König (Blasinstrumente, seit 1972, verstorben 2017) und Vridolin Enxing (Tasteninstrumente, seit 1973, München) den Kern der Gruppe.

    »Zorn und Wut« als Antrieb für Kunst also. Der Autor Jens Hagen beschrieb »Mumien« in der Deutschen Volkszeitung (6.6.1974) als ein »in musikalisch untermalten Sprechtexten, Zitaten und knappen Kommentaren, mit Originaltonaufnahmen und dokumentarischem Material« konzipiertes Stück. Es entstand wenige Monate nach dem berühmten, für die Bourgeoisie so makaber klingenden Abgesang der Flöhe auf den Milliardär, Rüstungsfabrikanten und Nazikriegsverbrecher Friedrich Flick – »Geyer-Symphonie« (1974).

    »Mumien« und »Geyer« seien allerdings nur ansatzweise miteinander vergleichbar, so Klemm: »Der Einsatz von O-Tönen, Bildern oder Filmen, Zitaten und Kommentierungen gehörte neben der Musik schon von Anfang an zu unseren Mitteln. Die ›Geyer-Symphonie‹ und ›Mumien‹ stellten also keine Besonderheit dar. Und sie sind meiner Meinung nach inhaltlich nicht verwandt, außer dass sie beide unser Generalthema, den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung variieren.«

    Die Aufführung von »Mumien« beim Chile-Solidaritätskonzert 1974 in der ausverkauften Essener Grugahalle wurde dann zu einem Höhepunkt der Solidarität in der BRD. Auch in der DDR, wo bereits der große Erfolg »Profitgeier« (1971) aufgeführt und 1972 auch auf Amiga erschienen war, präsentierte Floh de Cologne das Stück auf einer Tournee 1975. Klemm: »Ich erinnere mich an einen sehr bewegenden Auftritt in Potsdam in einer großen Sporthalle vor 4.000 Zuschauern. Die Chile-Solidarität stand da ja als zen­trales Anliegen.«

    Einen Eindruck der kulturellen wie auch politischen Atmosphäre damals vermittelt das beim Verlag »Pläne« verlegte Doppelalbum vom Essener Konzert 1974, auf dem die Band neben vielen anderen mit »Marsch der Mumien III/Des Volkes Fesseln« vertreten ist. Auch die LP »Mumien« erschien bei »Pläne«, ein Mitschnitt der Uraufführung bei IG-Metall- und DGB-Jugend am Vorabend des 1. Mai 1974. Bis dahin waren die Werke von Floh de Cologne bei Metronome/Ohr herausgekommen.

    Warum der Wechsel? Klemm: »Der Kölner Musikjournalist Rolf-Ulrich Kaiser, der das Ohr-Label gegründet hatte und es inhaltlich betreute, hatte dafür gesorgt, dass wir dort bei Metronome einen Plattenvertrag bekamen. Aber im Laufe der Jahre hatte Kaiser sich inhaltlich von uns entfernt, und wir hatten uns inhaltlich weiter Richtung links entwickelt. Da war, als der Ohr-Vertrag auslief und zur Verlängerung anstand, der Schritt zum linken Pläne-Verlag für uns konsequent.«

    Konsequente Haltungen waren bereits in jener Phase nicht so gern gesehen, und das häufig zitierte »Rocklexikon« glaubte bereits 1975 in seinem Eintrag über Floh de Cologne (»Betriebsklampfgruppe«) beobachtet zu haben, die Band sei im kapitalistischen Musikbetrieb »zunehmend isoliert« wegen einer »rührend konsequenten Außenseiterhaltung«. Das kann ja auch als Kompliment aufgefasst werden, und Dieter Klemm stellt auf unsere Nachfrage hin klar: »Nein. Isoliert waren wir nicht. Wir schwammen zwar, wie alle linken Künstler, nicht im Hauptstrom der öffentlichen Kultur mit, aber zusammen mit anderen Gruppen und den linken Liedermachern waren wir doch Teil einer nicht zu übersehenden linken Kultur in der Bundesrepublik. Und mehrmals hatten wir es mit Songs von uns in die Liederbestenliste des SWR geschafft. Der Autor, der im ›Rocklexikon‹ über uns geschrieben hat, besitzt offensichtlich ein sehr einseitiges Kulturverständnis.«

    Dieses »Verständnis« scheint nun doch im Lauf der Zeit trotz aller widrigen Entwicklungen unhaltbar geworden zu sein, bei Leuten mit Ahnung und bei denjenigen, die Floh de Cologne als ein in musikalischer wie politischer Hinsicht revolutionäres Projekt schätzen gelernt haben sowieso, aber auch offiziell – und das nach langjährigen Restriktionen aller Art.

    1980 erhielt die Band zusammen mit Gerhart Polt den Deutschen Kleinkunstpreis für die Rockoper »Koslowsky« und im November 2023 für ihr Lebenswerk den Holger-Czukay-Preis der Stadt Köln für Popmusik, Dietmar Dath hielt die Laudatio, die Oberbürgermeisterin Henriette Reker vollzog die Ehrung. In der Begründung der Jury, nachzulesen im Internet, heißt es: »Von 1966 bis 1983 schufen ›Floh de Cologne‹ ein beeindruckendes Œuvre, das heute als wichtiges Vermächtnis einer politisch engagierten Musikgruppe dasteht.«

    Sogar das tendenziöse »Rocklexikon« gesteht zu, Floh de Cologne sei es »immerhin« gelungen, als erste deutsche Band der »nach ihren ethnischen und sozialen Wurzeln motivierbaren Aggressivität, Spontaneität und Emotionalität des Rock ’n’ Roll mit annähernd gleichwertigen Texten gerecht zu werden«. Und musikalisch Zeichen zu setzen, die bis heute wirken, möchte man ergänzen. Dieter Klemm meint zum häufig zitierten Gegensatz von Musik und Politik, dass »wir nicht von der Seite der Musik zu unseren Werken gekommen waren, sondern von der Seite der Texte.« Alle außer Enxing hätten Theaterwissenschaft studiert und Kabarettprogramme auf die Bühne gebracht. »Wir waren keine Musiker, die schöne und interessante Klänge zu Gehör bringen wollten, sondern wir wollten in der Verbindung von Text und Musik den Texten die größtmögliche Aufmerksamkeit verschaffen.«

    Das ist über anderthalb Jahrzehnte lang gelungen. Jetzt, mehrere Wenden zum Schlechteren später, wird »Mumien« nicht nur am 13. Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Tempodrom aufgeführt und einen anregenden, nachdenklich und – hoffentlich – nachhaltigen Kulturschock auslösen. Dieter Klemm wird dazu etwas sagen, und zur weiteren Pflege des Floh-Erbes: »Die Firma ZYX-Music, die schon seit längerer Zeit unsere bei Ohr erschienenen Platten herausgibt, wird auch unsere bei Pläne erschienenen Platten neu auflegen. Als erstes werden die ›Mumien‹ erscheinen, auf Vinyl und als CD mit beigepackter DVD des Films.«

  • 17.12.2023 19:30 Uhr

    Große Manifestation

    Generalversammlung der jW-Genossenschaft: Aufruf zur RLK beschlossen, Aufsichtsrat komplettiert
    Nico Popp
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    Die Einladung kam kurzfristig und außerhalb des üblichen Taktes, die Maigalerie in der Berliner Torstraße war dennoch voll: Am Sonnabend haben sich 80 Genossinnen und Genossen der LPG junge Welt zu einer außerordentlichen Generalversammlung getroffen. Verlag und Redaktion stehen vor großen Herausforderungen, und ein paar davon – kurzfristige und langfristige – waren Thema bei dieser Generalversammlung, die außerdem noch eine nötig gewordene Nachwahl für den Aufsichtsrat der Genossenschaft vornahm.

    Ein paar Wochen nur noch sind es bis zur Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar. 4.000 Menschen sollen begrüßt werden – im Berliner Tempodrom, dem bislang größten Veranstaltungsort einer Rosa-Luxemburg-Konferenz. Organisatorisch und finanziell ist das ein Kraftakt. Die Generalversammlung beschloss am Sonnabend einstimmig einen Aufruf an die Mitglieder der Genossenschaft, die Leserinnen und Leser von junge Welt und an die linke Öffentlichkeit, die Rosa-Luxemburg-Konferenz durch Mobilisierung, Ticketkauf und Spenden »zu einer großen Manifestation gegen Krieg und für internationale Solidarität« zu machen.

    Anschließend ging es um die ökonomischen Grundlagen der Arbeit von Verlag und Redaktion. Während weiterhin Einigkeit dahingehend bestand, an der gedruckten Ausgabe von junge Welt festzuhalten, musste einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass die Kosten für Produktion und Transport ungebremst steigen. In Berlin beispielsweise müssen inzwischen 20 Euro pro Abonnent und Monat dafür aufgewendet werden, dass der Zustelldienst die Zeitung zur Leserin und zum Leser bringt. Es sind, das wurde mit Nachdruck betont, letztlich allein weitere Abos – der gedruckten Zeitung und der Onlineausgabe –, die das für junge Welt ökonomisch durchhaltbar machen.

    jW-Chefredakteur Stefan Huth sprach über den aktuellen Stand des Verfahrens, das der Verlag gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Nennung von junge Welt in den jährlichen Verfassungschutzberichten angestrengt hat. Hier ist mit einer erstinstanzlichen Entscheidung im ersten Quartal 2024 zu rechnen.

    Geschäftsführer Dietmar Kosch­mieder informierte über das neue Unternehmensstatut und die Nachfolgeplanungen für die Geschäftsführung, die hausintern in den vergangenen Wochen in einer Abstimmung der Belegschaft sowie von der Mitarbeitendenversammlung – also den Mitarbeitern von Redaktion und Verlag, die auch Mitglieder der Genossenschaft sind – gebilligt worden waren. An dieser Stelle kamen aus der Versammlung einzelne – auch kritische – Nachfragen und Anmerkungen, aber keine grundsätzlichen Einwände.

    Abschließend wurden die nach dem Rücktritt eines Aufsichtsratsmitglieds und dem infolge von Tod beziehungsweise Erkrankung eingetretenen Ausfall der beiden gewählten Nachrücker erforderlichen Nachwahlen für den Aufsichtsrat der Genossenschaft durchgeführt. Der ehemalige Leiter des Verlags 8. Mai, Andreas Hüllinghorst, komplettiert fortan den dreiköpfigen Aufsichtsrat. Als Nachrückende stehen Susanne Willems und Thomas Bergmann bereit.

  • 15.12.2023 19:30 Uhr

    Kraft für kommende Kämpfe

    Gerade in Kriegszeiten sind Internationalismus, Solidarität und attraktive Gegenkultur überlebenswichtig
    Verlag, Redaktion und Genossenschaft junge Welt
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    Über Differenzen hinweg selbstbewusste und kämpferische Signale senden: Die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz

    Wie geht es eigentlich den Linken im deutschsprachigen Raum? Auf der 29. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, die am 13. Januar 2024 im Berliner Tempodrom stattfinden wird, wird man viel darüber erfahren: Kann sie noch, trotz Erscheinungen von Zerfall und Niedergang, über alle Differenzen hinweg selbstbewusste und kämpferische Signale senden? Gelingt es tatsächlich, neben den Tausenden, die das Ereignis vor den Bildschirmen verfolgen, auch an die 4.000 Konferenzbesucherinnen und -besucher nach Berlin zu bewegen? Ist das Interesse an grundsätzlichen Veränderungen, die Aufmerksamkeit für internationale Erfahrungen, das Bedürfnis nach Austausch und Stärkung tatsächlich so groß, dass die 29. Konferenz die bisher bestbesuchte wird? Darüber entscheiden auch Sie!

    Die Voraussetzungen für ein Gelingen sind gut. Zum einen kommen Gäste aus Kuba, Spanien, Tansania, der Türkei und Eritrea, aus Dänemark, Großbritannien und den USA, um uns ihre Erfahrungen und Überlegungen vorzustellen. Zum anderen wurden bereits mehr als 1.500 Eintrittskarten, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum (aber auch darüber hinaus), bestellt. Damit die Verständigung klappt, sorgt die Simultanübersetzung dafür, dass alle Beiträge gleichzeitig in englisch, deutsch, türkisch und spanisch zu hören sind. Anziehungspunkt wird auch das außergewöhnliche Kulturprogramm der Konferenz sein: Eigenständige inhaltliche Angebote, präsentiert etwa von Wenzel, einem der besten aktuellen deutschsprachigen Liedermacher, oder dem chilenischen Komponisten Daniel Osorio, der gemeinsam mit Musikandes ein audiovisuelles Livekonzert geben wird. Der Singer-Songwriter Calum Baird begleitet mit anderen die Manifestation für einen gerechten Frieden in Nahost. Ein weiterer Höhepunkt ist die Aufführung der Rockkantate »Mumien« der legendären Band Floh de Cologne in filmischer Bearbeitung, es werden Werke des palästinensischen Malers Mohammed Al-Hawajri gezeigt. Regelmäßige Besucher der Konferenz wissen, dass schon mit der Eröffnung der Veranstaltung ein Höhepunkt gesetzt wird. Auf der kommenden RLK wird diese Aufgabe die afrikanische Trommlergruppe Ingoma übernehmen.

    Aber neben dem spannenden Programm vermittelt die direkte Teilnahme vor Ort, anders als beispielsweise über den Livestream, noch eine Reihe anderer Erfahrungen und Erlebnisse: Gerade in Kriegszeiten ist es äußerst wohltuend, gemeinsam mit einigen tausend Menschen aller Altersgruppen und mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund an einem Ort zu sein, der von Solidarität und Internationalismus geprägt ist: »Die ganz praktische Erfahrung, dass du nicht alleine bist, gibt Kraft, die dich durch die Kämpfe der kommenden Monate tragen kann«, wie uns Teilnehmende immer wieder versichern. Deshalb bitten wir unsere Leserinnen und Leser, sich möglichst rasch eine Eintrittskarte zu besorgen. Da das Tempodrom wesentlich größer ist, als der bisherige Veranstaltungsort, besteht übrigens nicht die Gefahr, dass es am Veranstaltungstag keine Tickets mehr an der Tageskasse gibt. Aber für unsere (und Ihre) Planung wäre es sehr wünschenswert, so schnell wie möglich eine Übersicht darüber zu bekommen, mit wie vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wir rechnen können.

  • 08.12.2023 19:30 Uhr

    »Wir nutzen das Parlament als Tribüne«

    Als Sozialistin in der türkischen Nationalversammlung und im konservativen Gaziantep. Ein Gespräch mit Sevda Karaca
    Nick Brauns und Süheyla Kaplan
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    »Unsere Hoffnung liegt bei den Arbeitern, die sich auflehnen« (Istanbul, 1.5.2022)

    Täuscht der Eindruck, dass der erneute Sieg von Recep Tayyip Erdoğan und seiner islamistisch-faschistischen AKP-MHP-Allianz bei den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai die Opposition in eine tiefe Depression gestürzt hat?

    Nachdem in der Pandemie und nach dem Erdbeben das Unvermögen der AKP offensichtlich geworden ist, herrschte bei denjenigen, die ein nur auf Wahlen beschränktes Politikverständnis haben, der Irrglaube vor, diese Partei würde nun die Macht verlieren. Als Partei der Arbeit haben wir dagegen gewarnt, dass ein leerer Kochtopf alleine nicht zum Sturz der Regierung ausreicht. Denn die Wut großer Teile der Bevölkerung sollte nicht in einen nur auf die Stimmabgabe begrenzten Kampf kanalisiert werden. Doch in Anbetracht der ideologischen Hegemonie der bürgerlichen Politik und aller möglichen repressiven Instrumente der Regierung haben wir das Wahlergebnis als nicht so verheerend angesehen. Immerhin hat die Hälfte des Landes deutlich gemacht, dass sie Erdoğan nicht will. Zudem sind inzwischen auch Teile derjenigen, die für AKP-MHP gestimmt haben, unzufrieden. Für arme Menschen, die dieses Bündnis gewählt haben, weil sie von den Diskursen der Herrschenden beeinflusst oder ihre Existenzprobleme durch die Abhängigkeitsbeziehungen dieser bis in die lokale Ebene reichenden Macht gelindert wurden, waren die letzten Monate sehr lehrreich.

    Sie haben also weiterhin Hoffnung auf einen Wandel?

    Als sozialistische Partei können wir nicht auf Wahlurnen setzen. Unsere Hoffnung liegt bei den Arbeitern, die sich gegen diese miserable Ordnung auflehnen, den Eltern, die sich gegen die reaktionäre Erziehung wehren, den Kurden, die gegen Assimilation und Verleugnung Widerstand leisten, den Frauen, die sich ihre Rechte nicht nehmen lassen. Natürlich gibt es Hoffnung, und diese Hoffnung erhebt jeden Tag ihre Stimme im ganzen Land.

    Gab es seit den Wahlen denn größeren Arbeiterwiderstand?

    Vor allem in den letzten vier Monaten haben sich landesweit sehr wichtige Arbeitskämpfe ereignet; in diesem heißen Sommer waren wir Zeugen des Kampfes der Arbeiter und Werktätigen gegen Hungerlöhne. Die Bemühungen der gelben Gewerkschaften, diese Wut der Arbeiter zugunsten der Regierung zu kanalisieren, und die mafiösen Methoden, die sie zu diesem Zweck anwenden, sind nicht mehr so effektiv wie früher. Die Proteste von Studenten, denen das Recht auf Bildung genommen wurde und die zu Armut, Obdachlosigkeit und Hunger verurteilt sind, zeigen die Kampfbereitschaft der Jugend.

    Für Sie als Sozialistin und Feministin ist es sicherlich eine besonders schwierige Situation in einem Parlament mit einer bis in die Opposition reichenden rechten Mehrheit aus nationalistischen, religiösen und faschistischen Parteien zu arbeiten?

    Zunächst möchte ich betonen, dass ich keine Feministin bin. Ich bin einzig und allein Sozialistin. Denn ich denke, dass der Kampf für die Emanzipation der Frauen und die volle Gleichberechtigung nur mit einer ganzheitlichen Perspektive und einer sozialistischen politischen Strategie zur Veränderung der Gesellschaft möglich ist. Mit so einer Positionierung mag es schwierig erscheinen, sich in einem Parlament zu Wort zu melden, das von männlichen, konservativen und prokapitalistischen Persönlichkeiten dominiert wird. Allerdings haben wir von Anfang an nicht damit gerechnet, in diesem Parlament angesichts der zahlenmäßigen Stärke der AKP-MHP-Allianz eine verändernde Kraft zu sein. Es geht uns lediglich darum, unsere Stellung als Parlamentarier zu nutzen und als Sprachrohr für die Werktätigen und Unterdrückten aufzutreten. Das Parlament, dessen Hauptaufgabe die Gesetzgebung sein sollte, hat unter dem Ein-Mann-Regime seine Funktion weitgehend eingebüßt. Selbst die Rolle der Abgeordneten des regierenden Blocks beschränkt sich auf das Heben ihrer Hände. Wir versuchen, das Parlament als Tribüne zu nutzen, um die Forderungen großer Teile der Bevölkerung sichtbar zu machen, ihre Kämpfe zu unterstützen, die volksfeindliche Politik des herrschenden Blocks zu entlarven und ihr entgegenzutreten.

    Obwohl sich die Türkei in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, werden die sozialen Konflikte weiterhin von kulturellen und ethnischen Auseinandersetzungen überschattet. Wie kann dies durchbrochen werden, um etwa auch religiös-konservative Werktätige für eine klassenkämpferische Politik zu erreichen?

    Auch in Europa sind die Rechten trotz Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit mit der Thematik der Migrationspolitik auf dem Vormarsch. Es handelt sich hier also um ein weltweites Problem im Kapitalismus. In der Türkei wurden Fragen der Religion und der Nationalität in allen Regierungsperioden zur Verschleierung der Verhältnisse benutzt. Es ist notwendig, diese Hüllen zu zerreißen, um den Mitgliedern der Klasse, die Sie als nationalistisch oder konservativ bezeichnen, zu zeigen, was darunter verborgen ist. Die Sozialisten machen dies nicht, indem sie eine dieser Identitäten gegenüber der anderen bevorzugen; sie handeln, ohne eine von ihnen abzuwerten, indem sie die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede betonen.

    Wie sind diesbezüglich Ihre Erfahrungen in Ihrem Wahlkreis Gaziantep?

    Die AKP versucht, hier eine »Traumstadt« für sich und die Bosse zu schaffen. Dabei werden die Arbeiter unter unglaublichen Bedingungen ausgebeutet. Exportrekorden stehen »Rekorde« an Armut, Verschuldung, Arbeitslosigkeit und mangelnder Bildung gegenüber. Arbeiterfamilien machen drei Viertel der zwei Millionen Einwohner der Stadt aus. Jede dritte Person ist hier nicht versichert und arbeitet in prekären Verhältnissen. Kinderarbeit ist weit verbreitet.

    Als ein Ort, an dem dschihadistische Banden offen ihr Unwesen treiben, gilt die Stadt auch als eine Hochburg des Konservatismus. Aber wenn man der Frage der Klassenausbeutung den Vorrang gibt und davon ausgehend die Hand ausstreckt, bleibt die Hand nicht leer: Als Partei der Arbeit sind wir so seit der Wahl zu einem Anlaufpunkt für die Armen, die Arbeiter, die Frauen und die Jugend mit ihren Problemen geworden.

    Wehren sich die Arbeiter in Gaziantep gegen die geschilderten Ausbeutungsverhältnisse?

    Hier fanden in nur vier Monaten ein Dutzend verschiedener Arbeiterproteste statt. Der sechs Tage andauernde Widerstand von 2.500 Arbeitern in der Fabrik von Şireci wurde vor allem dank der Einheit der Arbeiter und unserer Unterstützung ihres Kampfs gewonnen. Dies machte auch den Arbeitern in den Nachbarprovinzen Hoffnung. In Urfa kämpfen jetzt 500 Textilarbeiter für ihr Recht, einer Gewerkschaft beizutreten. Und sie sagen, dass der Widerstand von Şireci ihnen den Weg bereitet hat. In Antep trafen sich Arbeiter, denen Maschinen in den zu regelrechten Schlachthöfen umfunktionierten Fabriken der Başpınar Organized Industrial Zone Hände oder Arme abgerissen haben, mit unserer Partei. Nun kämpfen wir gemeinsam mit Gewerkschaften und Demokratiekräften gegen dieses System der Arbeitsmorde.

    Der kürzliche Machtkampf zwischen dem Verfassungsgericht, das sich für die Freilassung des inhaftierten sozialistischen Abgeordneten Can Atalay aussprach, und dem von Erdoğan unterstützten Obersten Berufungsgerichtshof, der sich dem Urteil widersetzte, offenbart Machtkämpfe innerhalb des Staates. Was steckt dahinter?

    Die Atalay-Frage ist zu einer Frage der Demokratie geworden, denn hier zeigt sich die despotische Willkür des Ein-Mann-Regimes. Einige meinen, es gehe um einen Machtkampf zwischen AKP und MHP, aber es ist derzeit nicht möglich, den genauen Konflikt zu erkennen. Deutlich ist jedoch, dass es Bestrebungen gibt, diese Situation für die Diskussion über eine neue Verfassung zu nutzen.

    Welchen Nutzen hätte das für die Herrschenden, nachdem das Präsidialsystem schon in der geltenden Verfassung verankert ist?

    Erdoğan ist beunruhigt, weil er die Wahl trotz aller Allianzen und politischen Ränkespiele nicht in der ersten Runde gewinnen konnte und die AKP gezwungen war, sich auf die MHP zu stützen. Darüber hinaus ist selbst die derzeitige, von uns als antidemokratisch bezeichnete Verfassung aus dem Putsch vom 12. September 1980 der Regierung zu eng geworden. Sie will Regelungen ändern, die ihr als Hindernisse für die Ausplünderung der natürlichen Ressourcen des Landes, von Bergbaugebieten, Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Wasservorräten durch Kapitalverbände erscheinen und zu Bezugspunkten für Widerstand werden können.

    Erdoğan stellt sich angesichts des israelischen Krieges gegen Gaza als wortgewaltiger Unterstützter der Palästinenser dar. Wie ehrlich ist das?

    Wir haben Erdoğans Tränen von Anfang an als Krokodilstränen bezeichnet, denn er weint zwar öffentlich, aber hinter verschlossenen Türken unterstützt er weiterhin Israel. Es geht ihm darum, die religiös empfindsamen Bürger zu beruhigen. Doch es ist unehrlich, von Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu sprechen, während sich die türkischen Handelsbeziehungen mit Israel mehr als verzehnfacht haben und alle Arten von bilateralen Abkommen weiter ausgebaut wurden. Die AKP frisst mit den Wölfen und heult mit den Hirten.

  • 08.12.2023 19:30 Uhr

    »Wir müssen alles größer planen«

    Der Verlag 8. Mai bereitet mit allen Kräften die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz vor. Ein Gespräch mit André Kutschki
    Marc Bebenroth
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    Liegen bereit, um verteilt zu werden: Plakate und Flyer zur XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz

    Im Verlag 8. Mai, der auch diese Zeitung herausgibt, sind die Vorbereitungen für die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in vollem Gange. Welches Ziel hat sich die Abteilung »Aktion und Kommunikation« für den 13. Januar 2024 gesetzt?

    Möglichst viele Leute sollen jetzt von der Konferenz erfahren. Und im Vergleich zur diesjährigen Rosa-­Luxemburg-Konferenz wollen wir 2024 1.000 Karten mehr verkauft haben.

    Wie viele waren es bei der diesjährigen RLK?

    Wir sind im Januar 2023 insgesamt auf etwas mehr als 3.000 gekommen.

    4.000 sollen es also dieses Mal werden. Ist das ein ambitioniertes Ziel?

    Das ist sogar ein sehr ambitioniertes Ziel, denn wir haben noch keine Veranstaltung in dieser Größenordnung auf die Beine gestellt. Hinzu kommt noch, dass das Berliner Tempodrom eine neue Spielstätte für uns ist.

    Heißt das auch, dass ganz andere Werbeaktionen geplant werden müssen oder geht es vor allem darum, größer zu planen als bisher?

    Alles müssen wir größer planen. Ein paar Erkenntnisse können wir aus den letzten Jahren übernehmen. Einiges müssen wir ganz neu denken. Was die Werbung betrifft, haben wir einige Erfahrungen. Wobei wir auch da Anpassungen machen mussten, weil wir zum Beispiel einige Werbeformen nicht mehr nutzen dürfen.

    Welche Werbeformate sind davon betroffen?

    Was nicht mehr geht, ist Radiowerbung. Bei kleineren Privatradios ist es noch möglich, dort erreichen wir aber nur einen kleinen Teil unserer Zielgruppe. Auch wurden uns so manche Werbeflächen gestrichen. Die Deutsche Bahn hatte uns schon vor Jahren nicht mehr als Werbekunden haben wollen. In Hamburg können wir mittlerweile auch nicht mehr auf Flächen der S-Bahn plakatieren. Einige Unis haben uns mit unserer Werbung abgelehnt.

    Wird das in jedem Fall begründet?

    Die meisten sagen einfach Nein. Hin und wieder haben wir Fälle, wo auf die Nennung der Verlag 8. Mai GmbH und von junge Welt im Verfassungsschutzbericht verwiesen wird.

    Welcher materielle Aufwand steckt in der RLK-Bewerbung?

    Wir haben uns mit der Straßenwerbung auf Berlin und die Orte beschränkt, die wir zum Einzugsbereich der Konferenz zählen. Das sind im Osten hauptsächlich Cottbus, Frankfurt (Oder), Dresden und Rostock. Hinzu kommen Städte, in denen wir ohnehin mit Werbung für junge Welt präsent sind – wie Leipzig, Hamburg, Frankfurt am Main. Uns steht ein Etat auf dem Niveau der vergangenen Jahre zur Verfügung, mit dem wir jetzt aber noch mehr Wirkung erzielen müssen.

    Wie viele Plakate und Banner sind bereits verteilt worden?

    Das kann ich gar nicht so genau sagen. Bei den Flyern, also Beilegern, die wir auch in anderen Zeitungen verteilen, sind wir momentan bei circa 100.000 Stück.

    Bis zum 13. Januar sind es nur noch ein paar Wochen. Was heißt das für den Verlag?

    Derzeit finden noch weitere Vorbereitungen statt, die relativ weit gediehen sind. Das wird sich dann in den ersten beiden Januarwochen gänzlich umdrehen. Dann wird es im Grunde nichts anderes mehr für uns geben als die Konferenz. Wir, also zwischen fünf und 15 Leute, machen das alles zusätzlich zu unseren regulären Aufgaben: Zeitung und Veranstaltungen machen und bewerben. Die RLK am 13. Januar wird vermutlich die größte, die wir je gemacht haben. Wir hoffen, das Tempodrom im angestrebten Umfang mit Besucherinnen und Besuchern sowie Gästen füllen zu können. Aber dafür braucht es jetzt noch viel Arbeit. Und auch mehr Unterstützung, zum Beispiel durch unsere Leserinnen und Leser.

    Was können diese tun?

    Wer jetzt schon fest plant, an der Konferenz teilzunehmen, sollte unbedingt anderen davon erzählen. Solche persönlichen Empfehlungen wirken immer am besten. Wer darüber hinaus helfen möchte, kann in unserem Aktionsbüro Werbematerial bestellen: Flyer mit dem Auszug aus dem Programm, Plakate oder Aufkleber. Und natürlich: Ein ­Ticket kaufen und dabei sein!

  • 08.12.2023 19:30 Uhr

    Wider die Fratzen

    Wenzel spielt am 13. Januar auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Diese Woche hat er mit Band schon mal vorgelegt
    Michael Merz
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    Was Wenzel auch tut, er ist es selbst

    In der heutigen Zeit sind Menschen wie Wenzel nötiger denn je. Solche, die eben nicht das Gepolter von Kriegstüchtigkeit und Zeitenwende widerspruchslos in sich reinfressen, sondern konsequent nein sagen, wenn wieder mal einer derer da oben die Schlinge um unser aller Hals fester ziehen will. Wenzel kann das, in Laut und Leise. Ihn in der Schublade »Liedermacher« abzulegen wäre zu kurz gegriffen. Doch es sind nicht zuletzt seine Songs, die eindringlich in Köpfe, Bäuche und Beine seines Publikums gehen. Eine Gelegenheit, das mitzuerleben, gibt es auf der XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin. Wenzel wird sich Gitarre und Akkordeon schnappen, um im Tempodrom aufzuspielen.

    Gleich zwei furiose Konzerte lieferte Wenzel mit Band in dieser Woche in der Berliner Kulturbrauerei ab. Eines davon – im 1.000 Zuschauer fassenden Kesselhaus – war gleich ausverkauft. Es musste ein weiteres her. Wenzel wird eben gebraucht in dieser Zeit. Junge und nicht mehr ganz so junge, alte und neue Fans – von letzteren hat Wenzel seit dem eindrücklichen Dokumentarfilm »Glaubt nie, was ich singe« den einen oder anderen hinzugewonnen – sind gekommen, erwartungsvoll in den historischen Klinkerbau in Prenzlauer Berg mit gentrifiziertem Weihnachtsmarkt drumherum. Sie sollten nicht enttäuscht werden.

    Wenzel muss beim ersten dieser Gastspiele am vergangenen Sonntag nach kurzer Warmspielphase gleich mal eine »Triggerwarnung« loswerden. Eine Leipziger Zeitung hatte ihn kürzlich entlarvt. Durchschaut, um was es sich bei ihm wirklich handelt: »poetisch verbrämten Populismus«. Unerhört! »Es muss eben Ordnung geschaffen werden im Kulturland – für die großen Kriege«, ruft Wenzel und steigt ein in »Viva la poesia«. Die Nadelstiche derer, die sich stets überhöhen, das ist sein Nektar. Daraus schöpft er Kraft, daraus saugt er seinen Witz. Etwa als er eine »russische Speed-Polka« ankündigt: »Wir hätten sie auch ukrainische Speed-Polka nennen können, aber es ist nun mal eine russische.« Also, 3:20 Minuten dauere der Song, da könne ja jeder mal kurz rausgehen, der sich bedroht fühle. Macht natürlich keiner. Statt dessen steppt der Tanzbär im Rund.

    Er kann aber auch ganz unironisch: »Nach dem Krieg wird man gescheiter / Falls man noch am Leben ist / Und dann sieht man vieles klarer / Sieht den ganzen Mist«, singt Wenzel in einem von knackigen Breaks durchzogenen Song. Da ist die Hoffnung, aber auch die Zustandsbeschreibung. »Ich lebe gern«, heißt die Tour zu seinem aktuellen Solo-Livealbum »Noch verschont von großen Kriegen«. Die Geschichten, die er mit sich trägt, sind kein Ballast, eher Schub für den nächsten Takt. Was Wenzel auch tut, er ist es selbst. Locker-flockig und mit viel Gehalt drückt die Band, eine Reise von Reggae bis Bluesrock. Neben Bass, Gitarre und Schlagzeug sind Bläser am Start. Sie lassen den Wenzel schweben. Zum Gassenhauer »Ahoi« kann jeder mitsingen, mit »Das ist die Zeit der Irren und Idioten« geht es tanzenderweise ins Finale.

    Ein guter Monat noch, dann öffnet die Rosa-Luxemburg-Konferenz ihre Pforten. Sie steht diesmal unter der Fragestellung »Wem gehört die Welt?«. Wie Wenzel diese Frage beantworten würde? Gar nicht so leicht sei das, sagt er im Gespräch mit junge Welt. Aber er wagt es: »Wem gehört die Welt? – Die Welt gehört keinem! Sie gehört sich selbst. Aber wir, die wir auf ihr leben, haben darauf zu achten, dass sie nicht durch die Habgier der Herrschenden, durch Kriegslust und Vernichtung ihrer Ressourcen dazu gezwungen wird, uns ihre Nähe zu kündigen. Wir sind angehalten, eine gerechte Welt zu träumen und uns an diesen Träumen zu orientieren. Behutsamkeit in jeder Hinsicht.« Und er zitiert dazu aus einem seiner Lieder, einem, das auch in der Kulturbrauerei auf dem Programm stand: »Die Welt ist ein Meer voller Wunder / und die Sehnsucht ihr schönstes Gedicht. / Und man stellt sie voll mit Dreck und Plunder, / Zerkratzt mit Kriegen ihr Gesicht. / Die einen stehen stur an Gewehren, / Und die andern zähln lässig das Geld. / Und die Mächtigen reden und schwören, / Als wär es nur ihre Welt. / Dann seh’ ich sie grienen voll Hochmut, so fern. / WENN NUR DIESE FRATZEN NICHT WÄRN.« Manches lässt sich nur in Versalien ausdrücken.

  • 01.12.2023 19:30 Uhr

    Paranoide Weltsichten

    Wer steckt dahinter? Verschwörungserzählungen, die sozialen Medien und der Krieg
    Ignacio Ramonet
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    Irgendeiner ist immer schuld. Eine Zeitlang war es Mode, die Unbilden dieser Welt den Freimaurern in die Schuhe zu schieben (Werbeplakat von 1896)

    Auf der kommenden XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt am 13. Januar im Berliner Tempodrom wird der spanische Journalist und Medienwissenschaftler Ignacio Ramonet zum Thema »Niedergang der Vernunft, Irrationalismus und Faschisierung: Rechte Machtergreifungsstrategien« sprechen. Wir veröffentlichen an dieser Stelle in deutscher Übersetzung ein Kapitel aus seinem aktuellen Buch »La era des conspiracionismo«. (jW)

    In einer Welt voller Ungewissheit, wie sie heute die weiße amerikanische Mittelschicht umgibt, ist es nicht ungewöhnlich, dass »Verschwörungstheorien« ins Kraut schießen. Man könnte ein Komplott oder eine Verschwörung als ein geheimes Projekt definieren, das von mehreren Personen ausgearbeitet wird, die sich heimlich treffen und organisieren, um gemeinsam gegen eine Persönlichkeit oder eine Institution vorzugehen. Man bedenke etwa, dass »konspirieren« etymologisch gesehen »gemeinsam atmen« bedeutet.

    Die Geschichte und die Historiker bezeugen die reale Existenz von Hunderten echter Komplotte. Es hat sie immer gegeben. Von der berühmten Catilinarischen Verschwörung, die Cicero 63 v. u. Z. anprangerte, über die Ermordung von Julius Cäsar 44 v. u. Z. bis hin zum Watergate-Skandal 1972, der Iran-Contra-Affäre 1986 oder dem medienpolitischen Komplott in Venezuela zum Sturz des Präsidenten Hugo Chávez am 11. April 2002.

    Ein weiteres Beispiel für eine echte Verschwörung ist der finstere »Plan Condor« in Lateinamerika, der 1976 von der CIA und den Geheimdiensten der Militärdiktaturen Argentiniens, Boliviens, Brasiliens, Chiles, Perus, Paraguays und Uruguays koordiniert wurde. Oder, in jüngerer Zeit, die von dem Whistleblower Edward Snowden aufgedeckte riesige Spionageverschwörung der US-Regierung durch ihr geheimes PRISM-Programm, das von der NSA zur Überwachung aller Bürger entwickelt wurde.

    Verborgene Mächte

    Es besteht kein Zweifel, dass es Verschwörungen gibt. Aber »Verschwörungstheorien« sind etwas anderes. Deren Anhänger vertreten eine paranoide Weltsicht, die in den Mittelpunkt der geschichtlichen Entwicklung Erzählungen stellt, die einer mehr oder weniger wahnhaften Vorstellung entspringen und deren Realität in keiner Weise bewiesen ist. Sie versuchen, jedes historische Phänomen mit großen sozialen Auswirkungen (Krise, Attentat, Staatsstreich, Krieg, Armut, Seuche, Pandemie, Arbeitslosigkeit, Katastrophe usw.) mit Hilfe eines intellektuellen Konstrukts zu erklären, das alle möglichen Verdachtsfragen beantwortet. Sie sind der Ansicht, dass jede Katastrophe oder jedes traumatische soziale Ereignis die Folge einer »Verschwörung« höherer und geheimer Mächte sei. Das ist eine sehr alte Sichtweise; schon das Wort »Desaster«, das böser Stern bedeutet, entstammt dem tiefen Glauben, dass unser Schicksal von den Sternen bestimmt wird …

    Eines der bekanntesten hysterischen Beispiele für eine Verschwörung ist die »Hexenjagd« und der Vorwurf des »Hexereiverbrechens«. Der Historiker Pau Castell von der Universität Barcelona hat dazu erklärt: »Das Verbrechen der Hexerei taucht am Ende des Mittelalters, um 1424 auf und es beruht von Anfang an allein auf der Vorstellung, dass es Männer und Frauen gibt, die einer ketzerischen und dämonischen Sekte angehören, die sich nachts verwandeln, ihrem Glauben abschwören und mit bösen Mitteln Krankheit und Tod verursachen. Diese Vorstellung wird zuerst von Vertretern der intellektuellen Elite, der Theologen und Juristen geäußert, aber es ist ein Glaube, der sich schließlich in der Bevölkerung ausbreitet, die sich von den Folgen böser Zaubersprüche betroffen sieht. Sie fürchten, dass es Menschen gibt, die unter ihnen leben und die sich an diesem Kult beteiligen und den Tod ihrer Kinder und ihres Viehs verursachen.«¹

    Verschwörungstheorien befriedigen die Bedürfnisse eines breiten Spektrums politischer und sozialer Akteure. Der »Verschwörungstheoretiker« identifiziert bestimmte Gruppen (Eliten, Reiche, Kapitalisten, Geschäftsleute, Ausländer, ethnische Minderheiten, Kommunisten, Anarchisten, Juden, Dschihadisten, Roma, Hexen, Albinos, Opus Dei, die CIA, den Imperialismus, die Freimaurer, die Jesuiten, die multinationalen Konzerne usw.) und macht sie für alle politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder gesundheitlichen Katastrophen verantwortlich, die eine Gesellschaft heimsuchen. Verschwörungstheoretiker weigern sich, die Rolle des Zufalls oder der individuellen Initiative bei wichtigen Ereignissen zu akzeptieren. Sie glauben nicht, dass Dinge geschehen können, ohne dass jemand sie ausdrücklich beabsichtigt. Der Verschwörungstheoretiker geht davon aus, dass alles besser wird, sobald das Volk die verborgenen Kräfte aus ihren Machtpositionen entfernen kann.

    Manchmal kann die Aufdeckung eines (nicht vorhandenen) Komplotts durch Panik oder einen Präventivschlag ein echtes Massaker auslösen. In Ruanda prangerte im April 1994 nach einem Anschlag, bei dem das Präsidentenflugzeug zerstört und der Hutu-Führer Juvénal Habyarimana getötet wurde, der Radiosender Libre des Mille Collines in Kigali unermüdlich die Existenz eines angeblichen Komplotts an, das von der Tutsi-Minderheit zur Vernichtung der Hutus vorbereitet worden sei. Das war falsch. Aber es war der Auslöser dafür, dass Zehntausende von Hutus mit Macheten bewaffnet auf die Straße gingen und Tutsi massakrierten. Ein wahrer Völkermord, der zur Ausrottung von etwa 800.000 Menschen führte.

    »Alles Lüge«

    Die US-amerikanische Seismologin Lucy Jones erklärt: »Bei Verschwörungstheorien geht es nicht nur darum, an etwas zu glauben, das nicht wahr ist, sondern auch darum, dass eine Gruppe von bösen Menschen für eine Katastrophe verantwortlich ist. Diese Theorien sind nach einer Tragödie viel häufiger anzutreffen. Auf eine seltsame Art und Weise fühlt man sich durch diese Theorien sicherer, weil man glaubt, besondere Informationen zu haben, über die andere Menschen nicht verfügen. Es ist wie bei Horrorfilmen: Wir denken gerne über gefährliche Dinge nach, wenn wir in Sicherheit sind.«² In schweren Krisensituationen, wie sie die weiße amerikanische Mittelschicht heute erlebt, wo eine klare, rationale Erklärung für das, was den Menschen widerfährt, nicht offensichtlich ist, bieten Verschwörungstheorien Antworten. Sie geben ein Gefühl der Kontrolle. Sie erzeugen eine Art psychologisches Gegengewicht zum Schwindel des Unverständnisses, indem sie eine kongruente Erzählung vorschlagen, um einer Welt, die plötzlich ohne Logik zu sein scheint, einen Sinn zu geben.

    Mark Lorch, Professor für Public Engagement and Sc ience Communication an der Universität Hull (UK), schreibt: »Einer der Gründe, warum Verschwörungstheorien regelmäßig auftauchen, ist unser Wunsch, der Welt eine Struktur zu geben, und unsere unglaubliche Bereitschaft, Muster, Normen und Modelle zu erkennen.«³ Der Glaube, dass wir privilegierten Zugang zu »verbotenen Informationen« haben, gibt uns das Gefühl, dass wir inmitten eines Universums, das um uns herum zusammenbricht, die Oberhand haben, dass wir die Nase vorn behalten können.

    Andererseits ist es in Zeiten wie diesen, in denen offizielle Informationsquellen an Glaubwürdigkeit verloren haben und einem »Meme« das gleiche Vertrauen entgegengebracht wird wie einer Nachrichtensendung im Fernsehen oder einer Nachrichtenagentur, nicht abwegig, dass Verschwörungstheorien ein größeres Publikum finden. Die Technologie hilft dabei. Denn viele Menschen nutzen die Anonymität, die das Internet bietet, um – geschützt durch die Sicherheit eines Pseudonyms – alternative, aggressive, respektlose oder extremistische Positionen zu vertreten. Der Verschwörungstheoretiker in seiner stets paranoiden Mentalität neigt dazu, die Geschichte durch das Prisma des Misstrauens und der Denunziation zu sehen.

    Der österreichische Philosoph Karl Popper, der wahrscheinlich als erster den Begriff »Verschwörungstheorie« verwendet hat, vertritt die Auffassung, dass diese Ansicht, wonach alles, was in der Gesellschaft geschieht, das Ergebnis direkter Pläne bestimmter Individuen oder Gruppen ist, ein Ausdruck des zeitgenössischen Obskurantismus sei, der aus der Säkularisierung des alten religiösen Aberglaubens hervorgegangen ist: »Die Verschwörungstheorie in unseren Gesellschaften«, schreibt Popper, »ist älter als die meisten Formen des Theismus und ähnelt Homers Theorie der Gesellschaft. Für Homer war die Macht der Götter so groß, dass alles, was in der Ebene vor Troja geschah, nur ein Spiegelbild der verschiedenen Verschwörungen im Olymp war. Die Verschwörungstheorie der Gesellschaft ist einfach eine Variante dieses Theismus: ein Glaube an Götter, deren Launen und Wünsche alles beherrschen. Die Verschwörungstheorie beruht auf der Tatsache, dass man sich von Gott lossagt und sofort fragt: ›Wer ist an seiner Stelle?‹ An seine Stelle sind verschiedene Männer, Machtgruppen und ›finstere‹ Lobbys getreten, die für die Weltwirtschaftskrise und alle Übel, unter denen wir leiden, verantwortlich gemacht werden.«⁴

    Solche »Verschwörungen« lassen sich mehr oder weniger immer in folgender Struktur zusammenfassen: Eine kleine Gruppe sehr einflussreicher Personen kontrolliert – im geheimen – die Fäden der politischen Macht, der Wirtschaft, des Bankwesens, der Medien, der Massenkultur und der akademischen Einrichtungen gegen die Interessen der einfachen Menschen. Jede Verschwörungstheorie basiert auf der Überzeugung, dass »mächtige und bösartige Kräfte« im geheimen die Fäden ziehen, um bestimmte Ereignisse, Menschen oder Situationen zu manipulieren.

    Der von Geheimgesellschaften faszinierte französische Schriftsteller Honoré de Balzac stellte bereits 1837 fest: »Es gibt zwei Geschichten: die offizielle, gelogene Geschichte, die in den Schulen gelehrt wird. Und die geheime Geschichte, die die wahren Ursachen der Ereignisse enthüllt, die eine verborgene, zum Schweigen gebrachte Geschichte ist«.⁵ Seit fast zwei Jahrhunderten stützen sich die Verschwörungstheoretiker genau auf diese Überzeugung, dass die »vorherrschende Geschichte«, die »offizielle Geschichte«, in Wirklichkeit eine große Lüge sei, die die Massenmedien nur deshalb verbreiten, um die wahre »geheime Geschichte« zu verbergen und die Privilegien einer mächtigen Elite zu bewahren.

    Verschwörungstheorien hat es schon immer gegeben. Einige Experten weisen zum Beispiel darauf hin, dass 1963 80 Prozent der US-Amerikaner an eine Verschwörung im Zusammenhang mit der Ermordung von Präsident John F. Kennedy glaubten.⁶ Neu ist, dass sich die Verschwörungserzählungen heute in einer Zeit verbreiten, in der die Bürger ständig mit sozialen Netzwerken verbunden sind und ständigen digitalen Zugang zu Informationen haben. Eine Ära, in der die Massenmedien (Fernsehen, Printmedien, Nachrichtenagenturen und ­Radio) nicht mehr das Monopol auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung haben.

    Das Internet und die sozialen Netzwerke bieten heute Millionen von alternativen Erzählungen, die mit denen der traditionellen Medien konkurrieren. Menschen, die sich nicht getraut haben, etwas zu äußern, weil es illegal, unmoralisch, verpönt oder politisch unkorrekt war, stellen nun fest, dass »viele Menschen so denken wie ich«. Und sie werden immer ungehemmter. Auf diese Weise begünstigt Social Media die Bildung von Gemeinschaften mit hasserfülltem, rassistischem, sexistischem, chauvinistischem, rassistischem und antisemitischem Gedankengut, auch weil es immer weniger feste Bezugspunkte für Informationen gibt. Denn der Journalismus ist in den vergangenen dreißig Jahren durch den Missbrauch von Informationen, durch Manipulation, Verschweigen und Lügen entscheidend in seiner Glaubwürdigkeit geschwächt worden und weitgehend zusammengebrochen.

    Kognitive Kriegführung

    Das Verhalten der Mainstreammedien in bezug auf den jüngsten Krieg in der Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann, hat bestätigt, dass man ihnen nicht trauen kann. Wenn ein bewaffneter Konflikt beginnt, setzt bekanntlich eine Medienerzählung voller Fehlinformationen ein, deren Hauptziel es ist, Seelen zu verführen und Gefühle einzufangen, um Herzen zu gewinnen und Köpfe zu fesseln.

    Es geht nicht darum, zu informieren. Es geht nicht darum, objektiv zu sein. Es geht nicht einmal darum, neutral zu sein. Jede Seite versucht, mit Propaganda und allen möglichen erzählerischen Tricks ihre eigene Darstellung der Ereignisse durchzusetzen, während sie gleichzeitig bemüht ist, die Version des Gegners zu diskreditieren. Die Lügen, die beide Seiten über den Ukraine-Konflikt verbreiteten, unterschieden sich im Grunde nicht von denen, die wir aus anderen Kriegen kennen.

    Die Umwandlung von Informationen in Propaganda ist ein bekanntes Phänomen, das für die Konflikte und Kriege der vergangenen fünfzig Jahre vielfach untersucht worden ist. Vielleicht war bereits in den 1960er und 1970er Jahren mit dem Vietnamkrieg der Höhepunkt der Raffinesse bei audiovisuellen Lügen und Medienmanipulationen erreicht. Mit dem Krieg in der Ukraine wurden die Massenmedien, insbesondere die großen Fernsehsender erneut als Kombattanten eingesetzt – oder sie setzten sich selbst ein. Hinzuzufügen ist, dass die strategischen Labors der Großmächte im Rahmen der Überlegungen zu den neuen »hybriden Kriegen« auch versuchen, unsere Köpfe militärisch zu erobern. In einer von der NATO finanzierten Studie des französischen Konteradmirals François du Cluzel aus dem Jahr 2020 über eine neue Form der »wissensbasierten Kriegführung« mit dem Titel »Cognitive Warfare« heißt es: »Während Aktionen in den fünf militärischen Bereichen (Land, See, Luft, Weltraum und Cyber) durchgeführt werden, um auf den Menschen einzuwirken, zielt die ›kognitive Kriegführung‹ darauf ab, jeden Menschen als Waffe einzusetzen.«⁷ Der Mensch ist nun der umkämpfte Bereich. Ziel ist es, das Individuum zu hacken, indem die Schwachstellen des menschlichen Gehirns ausgenutzt werden, wobei die ausgefeiltesten Mittel des Social Engineering in einer Mischung aus psychologischer Kriegführung und Informationskrieg zum Einsatz kommen.

    »Kognitive Kriegführung ist nicht nur ein Angriff auf das, was wir denken«, sagt François du Cluzel, »sondern auch ein Angriff auf die Art und Weise, wie wir denken, wie wir Informationen verarbeiten und wie wir sie in Wissen umsetzen.« Mit anderen Worten: Kognitive Kriegführung bedeutet die Militarisierung der Gehirnwissenschaften. Denn es ist ein Angriff auf unseren individuellen Prozessor, unsere Intelligenz, mit dem Ziel, in den Verstand des Gegners einzudringen und ihn uns gefügig zu machen. »Das Gehirn«, so betont der Bericht, »wird das Schlachtfeld des 21. Jahrhunderts.«

    Während des Konflikts in der Ukraine kämpfen die Mainstreammedien in den Vereinigten Staaten und in der EU im wesentlichen für das, was man als die westliche Position bezeichnen könnte. Innerhalb dieser propagandistischen Normalität konnten wir jedoch ein neues Phänomen beobachten. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kriegsberichterstattung traten an der vordersten Front, der Medienfront, die sozialen Netzwerke auf den Plan. Bis dahin hatten sie in Kriegszeiten nicht diese Bedeutung gehabt.

    Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, oder sagen wir: seit dem Koreakrieg in den frühen 1950er Jahren, hat die Welt keinen militärischen Konflikt dieses Ausmaßes mehr erlebt wie den in der ­Ukraine. Dabei wurden die Bürger nicht nur mit der üblichen kollektiven und permanenten Kriegshysterie der traditionellen Mainstreammedien konfrontiert, mit ihrem einheitlichen Diskurs, sondern zum ersten Mal kam all diese Propaganda auch direkt auf ihre Handys und ihre Tablets. Es waren nicht mehr nur Journalisten, sondern auch Freunde und Verwandte, die durch ihre Nachrichten in den Netzwerken dazu beitrugen, die unaufhörliche Erzählung eines einzigen Diskurses zu verstärken. Mit dem Krieg in der Ukraine entstand eine neue emotionale Dimension, eine neue Front des kommunikativen und symbolischen Kampfes, die es bei den Kriegen davor nicht gegeben hatte.

    Aber in einer militärischen Konfrontation von der Dimension des Krieges in der Ukraine haben die sozialen Medien bisher keine führende Rolle gespielt. Das geschah nunmehr zum ersten Mal in der Geschichte der Information. Ebenfalls neu war, dass sich Google entschloss, »russische gegnerische« Medien wie RT (Russia Today) und Sputnik von der Plattform zu entfernen, während Facebook und Instagram erklärten, sie würden »Hassbotschaften« gegen Russen tolerieren,⁸ und Twitter beschloss, vor mit russischen Medien verbundenen Nachrichten zu »warnen« und deren Verbreitung einzuschränken. Das hat es noch nie gegeben, und es verdeutlicht die Scheinheiligkeit der sogenannten Meinungsfreiheit oder Netzneutralität.

    All dies bestätigte, dass der Konflikt in der ­Ukraine zwar ein lokaler Krieg in dem Sinne ist, dass der Kriegsschauplatz tatsächlich in einem bestimmten geographischen Gebiet liegt, dass er aber auch ein globaler Krieg, ja ein Weltkrieg ist, insbesondere im Hinblick auf seine digitalen, kommunikativen und medialen Folgen. An diesen Fronten hat Washington, wie in der Ära des McCarthyismus und der »Hexenjagd«, die neuen Akteure der internationalen Geopolitik, d. h. die Megakonzerne des digitalen Universums, die Big Five (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft), ins Spiel gebracht. Diese Hyperkonzerne, deren Börsenwerte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vieler Staaten der Welt übersteigen, zogen sich aus Russland zurück und traten freiwillig in den Krieg gegen Moskau ein.

    Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges waren wir mit der parteiischen und kämpferischen Haltung der Mainstreammedien vertraut, die sich im Kriegsfall auf die Seite einer der kriegführenden Parteien schlugen und jegliches kritische Denken aufgaben, um einseitig die Argumente nur einer der gegnerischen Mächte zu verteidigen. Oder sie ignorierten einen Konflikt und brachten ihn völlig zum Schweigen (Palästina, Jemen, Donbass, Tigray). Neu ist, dass die sozialen Netzwerke nun zum ersten Mal das Gleiche getan haben, was bestätigt, dass die wirklich dominierenden Medien heute die sozialen Netzwerke sind. Sie sind es, die das herrschende Narrativ effektiv durchsetzen.

    Digitale Aktivisten

    Die Ursache für all das ist zweifellos die unglaubliche Fähigkeit des Menschen, sich unglaubwürdige Geschichten auszudenken, selbst wenn wir im Grunde wissen, dass sie falsch sind. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, bestätigt, dass Fake News in den sozialen Medien mit einer um mehr als 70 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit geteilt werden als echte Nachrichten: »Unwahrheiten verbreiten sich in allen Informationskategorien deutlich schneller, tiefer und weiter als die Wahrheit. Und die Auswirkungen sind bei gefälschten politischen Nachrichten ausgeprägter als bei gefälschten Nachrichten über Terrorismus, Naturkatastrophen, Wissenschaft, Urban Legends oder Finanzinformationen«, stellen die Autoren der Studie fest.⁹

    Per definitionem sind soziale Netzwerke nicht dazu da, um zu informieren, sondern um zu erregen. Um Meinungen zu verbreiten, nicht um zu nuancieren. In den sozialen Medien kursieren viele qualitativ hochwertige Texte und Dokumente, Zeugenaussagen, Analysen, Berichte, und sie nehmen viele hervorragende Dokumentarfilme, Videos und Artikel aus der Presse und anderen Medien auf. Aber die Art und Weise, wie man Inhalte in den Netzen konsumiert (obwohl jedes Netz seine eigene Besonderheit hat), besteht nicht darin, Zeit damit zu verbringen, die Dokumente, die man erhält, in ihrer Gesamtheit zu lesen oder anzusehen. Die Nutzer suchen nicht nach Antworten, sondern nach Fragen. Sie wollen nicht lesen. Sie sind keine passiven Rezipienten wie beim Radio oder Fernsehen. Die Netze sind vor allem zum Handeln da. Der Bürger, der die sozialen Medien nutzt, will »sharen« oder sich durch »liken« anschließen. Das Netz funktioniert in Wirklichkeit wie eine digitale Kette. Jeder Nutzer ist ein Link, mit der Verpflichtung, sich zu äußern, seine Meinung zu sagen, sich zu verbinden, zu kommentieren, weiterzuleiten, zu senden, weiterzugeben.

    Was in bestimmten Netzwerken (Facebook, Twitter, Instagram, Tik Tok) am meisten zirkuliert und den größten Einfluss hat, sind Memes, d. h. eine Art Tröpfchen, Haikus, sehr reduzierte, sehr synthetische, sehr karikaturhafte Zusammenfassungen eines Themas. Das ist es, was am meisten geteilt wird. Memes funktionieren so, als ob in einer Zeitung die Informationen auf die Überschriften der Artikel reduziert würden und man sie nicht mehr lesen müsste. Jeder von uns kann das gleiche tun: Stellen Sie den besten Text, das vollständigste, intelligenteste und ehrlichste Video, z. B. über den Krieg in der Ukraine, in Ihr Lieblingsnetzwerk, und Sie werden sehen, dass Sie höchstens ein paar Dutzend »Likes« bekommen. Wenn Sie aber ein gutes, effektives und innovatives Meme posten, das aufgrund seiner Kreativität und Originalität Eindruck macht und gleichzeitig Lachen und Erstaunen hervorruft, wird seine Übertragungsgeschwindigkeit beeindruckend sein. Wenn wir von viraler Verbreitung sprechen, dann ist das kein Zufall.

    Als beispielsweise am Sonntag, dem 27. März 2022, während der Oscar-Verleihung in Hollywood der Schauspieler Will Smith vor Millionen von Fernsehzuschauern dem Komiker Chris Rock live eine Ohrfeige verpasste, verbreitete sich das Bild dieser Szene, die sofort zu einem Meme wurde, in Windeseile um die ganze Welt, sättigte alle Netze und überdeckte für mehrere Tage praktisch alle anderen Nachrichten, darunter auch die über den Krieg in der Ukraine.

    Der zwanghafte Wunsch, etwas zu teilen und zu verbreiten, sorgt dafür, dass die Netze es schaffen, ein allgemeines Gefühl, eine vorherrschende Interpretation, eine Meinung zu einem beliebigen Thema erheblich zu verbreiten. Es ist dieses Gefühl, das sich nach und nach in einem ganzen Bereich der Gesellschaft durchsetzen kann. Dies ist einer der großen Unterschiede zwischen den Netzen und den traditionellen Medien.

    Die Nutzer der Netze verhalten sich wie digitale Aktivisten mit einer Mission, einer Aufgabe: Nachrichten zu veröffentlichen und zu verbreiten, die ihre Meinung und die ihrer Freunde bestätigen oder zu bestätigen scheinen. Es geht nicht darum, die Wahrheit zu verbreiten, sondern das weiterzugeben, was befreundete Menschen angeblich lesen wollen. In diesem Sinne sind Unwahrheiten neuer als die Wahrheit.

    Anmerkungen

    1 www.eldiario.es/catalunya/pau-castell-historiador-caza-brujas-catalunya-epicentro_1_8694574.html

    2 Lucy Jones: Desastres. Cómo las grandes catastrofes moldean nuestra historia, Madrid 2021

    3 saludconlupa.com/noticias/como-funciona-la-mente-de-un-negacionista-de-la-ciencia/

    4 Karl Popper: En busca de una teoria racional de la tradición. In: Conjeturas y refutaciones, trad. Néstor Miguez, Barcelona 1983

    5 Honoré de Balzac: Las ilusiones perdidas, trad. José Ramón Monreal, Barcelona 2006

    6 Julia Carrie Wong: Claves de QAnon, El Diario, 20.8.2020

    7 www.nato.int/docu/review/articles/2021/05/20/countering-cognitive-warfare-awareness-and-resilience/index.html

    8 La Vanguardia, 11.3.2022

    9 www.science.org/doi/10.1126/science.aap9559

  • 01.12.2023 19:30 Uhr

    »Die treibende Kraft wird der globale Süden sein«

    Über den neoliberalen Kapitalismus, die neue Weltordnung und sozialistische Perspektiven auf Transformation. Ein Gespräch mit Torkil Lauesen
    Karim Natour
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    Das Proletariat des Südens: Hoffnungsträger des Sozialismus? – Arbeiter in einer Fabrik eines chinesischen Unternehmens in Kapstadt

    In den 1970er und 80er Jahren haben Sie Geldtransporter in Dänemark ausgeraubt und die Beute an nationale Befreiungsbewegungen mit sozialistischer Orientierung im globalen Süden weitergegeben. Warum haben Sie sich nicht auf Dänemark konzentriert?

    Das haben wir. Wir waren eine kommunistische Gruppe mit Sitz in Kopenhagen, gegründet Mitte der 60er Jahre, und wir wollten eine Revolution in Westeuropa. Die dortige Arbeiterklasse war an höheren Löhnen interessiert, aber nicht am Sozialismus. Man war mit dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat durchaus zufrieden. Unsere Erfahrungen und Analysen des Kapitalismus führten uns damals zu dem Schluss, dass es ohne einen Sieg der »Dritten Welt« über den Imperialismus keine Revolution bei uns im imperialistischen Zentrum geben würde. Wir gingen vielmehr davon aus, dass dafür die sozialistischen Revolutionen im globalen Süden die »Pipelines« kappen mussten, die den Wert von der Peripherie ins Zentrum »übertragen«, von dem die Arbeiterklasse im Norden profitiert. Wir nahmen also eine globale Perspektive in bezug auf die sozialistische Revolution ein.

    Deshalb begingen Sie Raubüberfälle?

    Wir wollten die revolutionären Bewegungen im globalen Süden materiell unterstützen und uns durch diesen Prozess auch praktisch auf den kommenden Kampf in unserem Teil der Welt vorbereiten. Durch unsere legale und illegale Unterstützungsarbeit wollten wir die Fähigkeiten erlernen und die Organisation aufbauen, die für den zukünftigen Kampf notwendig ist. Wir entschieden uns, nicht in den »Untergrund« zu gehen. Als revolutionäre Untergrundorganisation wären wir innerhalb kürzester Zeit von der Polizei aufgespürt worden. So waren wir von 1971 bis 1989 »undercover« aktiv, nur unglückliche Umstände führten zu unserer Verhaftung. Außerdem glaubten wir nicht an eine pädagogisch-symbolische Wirkung unserer Aktionen als Beispiel, um die »Massen« in Dänemark zu inspirieren. Westeuropa war keine trockene Prärie, die durch einen revolutionären Funken hätte entzündet werden können. Es war ein nasses Tuch.

    Die nationalen Befreiungsbewegungen waren damals deutlich stärker als heute, haben den Kapitalismus aber trotzdem nicht abgeschafft. Waren Sie zu optimistisch?

    Ja, wir waren zu optimistisch, naiv, oder unsere Analyse, wie sich der globale Kapitalismus entwickeln würde, war zu kurzsichtig. Damals war der revolutionäre Elan groß. Aber trotz der Mobilisierung von Millionen engagierten Revolutionären und dem Sieg der nationalen Befreiungsbewegungen in vielen Ländern überlebte der Kapitalismus und war dynamisch. Die nationale Befreiung erwies sich als leichter zu erreichen als die wirtschaftliche Befreiung von imperialistischer Dominanz. Die Macht des Weltmarkts, zunehmend von den USA dominiert, brachte Länder des Südens »zurück auf Linie«. Die neoliberale Offensive ab den 70er Jahren zerschlug den antiimperialistischen Geist der 60er Jahre innerhalb eines Jahrzehnts.

    2016 haben Sie das Buch »Die globale Perspektive« über »Imperialismus und Widerstand« veröffentlicht. Wie hat sich der Kapitalismus seit den 1970ern Jahren verändert?

    Die Transformation ist in jeder Hinsicht gewaltig. Durch die Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen, also Deregulierung und Privatisierung der Produktion auf globaler Ebene und die zunehmende Interdependenz in der Produktion in Warenketten, wurden auf der Suche nach höheren Profiten Hunderte Millionen von Industriearbeitsplätzen aus dem globalen Norden in die Niedriglohnländer des Südens verlagert. Im Jahr 1980 gab es im globalen Süden ungefähr genauso viele Industriearbeiter wie im Norden. Heute sind es 85 Prozent im globalen Süden! Die Globalisierung bescherte dem Kapitalismus vierzig goldene Jahre mit hohen Profitmargen und billigen Waren für Konsumenten im Norden.

    Das Ergebnis war zum einen verstärkter Werttransfer von Süd nach Nord. Andererseits begann sich durch die immense Entwicklung der Produktivkräfte im globalen Süden das Blatt zu wenden. So ist China, ein ehemaliger Staat der Peripherie, inzwischen zum Motor des globalen Produktionssystems geworden – ein unbeabsichtigter Nebeneffekt des kapitalistischen Wunsches, das riesige chinesische Proletariat auszubeuten.

    Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung?

    Für die USA ist die Volksrepublik heute nicht mehr eine »Gans, die goldene Eier legt«, sondern ernstzunehmende Konkurrenz. Das hat die USA dazu veranlasst, ihre Strategie zur Aufrechterhaltung der eigenen Hegemonie von der neoliberalen Globalisierung zu einem geopolitisch-territorialen Konfrontationskurs zu verändern. Der ökonomische Wettbewerb hat sich in einen Wirtschaftskrieg verwandelt, der mit Blockaden und Strafzöllen geführt wird. Die eingerichteten transnationalen politischen, Finanz- und Handelsinstitutionen erodieren. Parallel beobachten wir die Stärkung alter Militärbündnisse sowie den Aufbau von neuen. Der Stellvertreterkrieg von USA und NATO gegen Russland in der Ukraine und der neue »kalte Krieg« gegen China sind der Versuch, die Vormachtstellung der USA trotz dieser umfangreichen Veränderungen zu behaupten. Dabei zerstört die US-Politik jedoch den Weltmarkt, auf dem sich ihre heutige Macht und Reichtum gründet.

    Es gibt also zwei geopolitische Blöcke, die aktuell kollidieren.

    Die USA, die EU, Japan und Australien sind sich derzeit einig in dem Bemühen, weiter an der transatlantischen Hegemonie festzuhalten. Sie bilden die eine Seite des derzeitigen historisch-konkreten Hauptwiderspruchs im Weltsystem. Dieser entsteht aus den Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise und schlägt sich in der Weltpolitik nieder. Die andere Seite wird von China angeführt, das ein multipolares Weltsystem anstrebt. In diesem Bestreben wird das Land von einem Konglomerat von Staaten aus dem Süden unterstützt, die dasselbe Ziel verfolgen: die Handels- und Finanzstrukturen zu verändern, die das Weltsystem in den letzten zwei Jahrhunderten dominiert haben.

    Ist der Aufstieg von China für Sie ein Grund zur Hoffnung?

    Ja. China hat die polarisierende Tendenz im globalen Kapitalismus zwischen reichen und armen Ländern durchbrochen, die den kapitalistischen Akkumulationsprozess in den letzten zweihundert Jahren gesichert hat. Die Krise des Neoliberalismus in den Jahren 2007/2008 hat dort zu einem Linksruck geführt, und die Wirtschaft ist nicht mehr ausschließlich auf den Export in die USA und die EU ausgerichtet, sondern stärker auf den Binnenmarkt und den Handel mit Ländern des Südens. In der Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus behält das Land bisher das Kommando über seine Wirtschaft und verfolgt das nationale Projekt des »Sozialismus chinesischer Prägung« weiter. Auch Länder in Lateinamerika und Afrika suchen nach neuen Wegen zur Entwicklung ihrer Wirtschaft, das stimmt mich hoffnungsvoll.

    Reicht das?

    Die Kooperation der BRICS-Staaten ist sicherlich nicht antikapitalistisch oder antiimperialistisch. Länder wie Russland, Iran oder Ägypten sind repressive kapitalistische Regime. Aber durch die Bereitstellung alternativer Handels- und Finanzstrukturen wird Raum für Bewegungen und Länder geschaffen, die sich in Richtung Sozialismus bewegen wollen. Eine klare sozialistische Perspektive fehlt noch, aber die Entwicklung der Produktivkräfte im globalen Süden hat die Länder dort in eine bessere Position gebracht, um die nationale Befreiung zu einer wirtschaftliche Befreiung vom Imperialismus weiterzuentwickeln, was vorher nicht möglich war. Der aktuell zu beobachtende Niedergang der US-Hegemonie ist der wichtigste Faktor für einen möglichen Übergang zum Sozialismus auf globaler Ebene, und BRICS tragen zu diesem Prozess bei.

    Sind Sie auch heute noch der Meinung, dass die Arbeiterklasse im globalen Norden kein revolutionäres Potential hat?

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    Torkil Lauesen

    Gegenwärtig denke ich, dass das noch gilt. Die Arbeiter hier sind zwar unzufrieden mit ihren Lebensumständen, aber die Mehrheit glaubt immer noch, dass die Lösungen für ihre Probleme innerhalb des westlich-kapitalistischen Systems liegen. Sie haben ein »Bauchgefühl«, dass die NATO die beste »Verteidigung ihrer Werte« und ihres Lebensstils ist. Sie sehen den globalen Süden eher als Bedrohung denn als potentiellen Verbündeten. Wir haben in den letzten Jahrzehnten gesehen, wie sich Rassismus und Rechtspopulismus in Europa und Nordamerika ausgebreitet haben. Man will den eigenen Wohlstand nicht teilen.

    Sie betrachten den Kampf für eine gerechtere Welt im globalen Norden als aussichtslos?

    Nein. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die Verbürgerlichung der hiesigen Arbeiterklasse durch den Konsum von Waren, die von Niedriglohnarbeitern in der Peripherie hergestellt werden, ein historisches Phänomen ist. Es ist durch Kolonialismus und Reformismus entstanden. Dass es historisch gewachsen ist, bedeutet auch, dass es sich verändern kann. Die Arbeiterklasse in Westeuropa und Nordamerika nimmt eine doppelte Position im kapitalistischen Weltsystem ein: Sie ist einerseits ein Objekt der Ausbeutung, da sie einer Lohnarbeit nachgeht, die Profit für die Kapitalseite schafft. Aufgrund ihres relativ hohen Lohnniveaus schöpft sie durch ihren Konsum von Waren, die im globalen Süden produziert werden, selbst Wert ab. Deshalb wurden Kolonialismus und Imperialismus von Teilen der Arbeiterklasse unterstützt. Wenn man die Bedeutung der Wertübertragung von Süd nach Nord für die hiesige Arbeiterklasse leugnet oder ignoriert, läuft man Gefahr, jeden wirtschaftlichen Kampf als revolutionären Kampf auf dem Weg zum Sozialismus zu sehen.

    Spricht die zunehmende Prekarisierung und neue Zusammensetzung der stärker migrantisch und weiblich geprägten Arbeiterklasse im globalen Norden nicht gegen die These von der »bestochenen Arbeiteraristokratie«?

    Diese Trends gibt es, aber in meinen Augen verändern sie die beschriebene Situation nicht substantiell. Die Globalisierung der Produktion bedeutete einen enormen Anstieg des Werttransfers durch den »ungleichen Austausch« von Waren und Arbeitskraft im internationalen Handel. Das Lohngefälle zwischen dem Süden und dem Norden beträgt heute eins zu zehn – und schauen Sie sich um! Die meisten Produkte, die wir konsumieren, werden durch Niedriglohnarbeit im globalen Süden hergestellt. Der Kampf stärker prekarisierter Segmente der Arbeiterklasse im Norden entspricht vor allem dem Wunsch, in die privilegierte »imperiale Lebensweise« einbezogen zu werden, und nicht dem nach einer grundsätzlich anderen Produktions- und Konsumweise. Bei den Arbeitsmigranten ist die Situation etwas anders.

    Inwieweit?

    Imperialismus bedeutet nicht nur den Transfer von Wert von Süd nach Nord durch den Handel von Waren, sondern auch von Arbeitskraft. Nicht jede Form von Lohnarbeit kann nämlich in den globalen Süden verlagert werden, um mehr Profit zu erwirtschaften. Landwirtschaftliche Produktion, Baugewerbe, Instandhaltung und alle möglichen Arten von Dienstleistungen – von der Reinigung über das Hotel- und Gaststättengewerbe, die Gesundheitsfürsorge, die Pflege älterer Menschen bis hin zur Prostitution – sind standortgebunden. Dem begegnen die Unternehmen mit »Insourcing« von Arbeitsmigranten, die zu einem niedrigeren Lohn als die einheimische Arbeiterklasse Waren produzieren und Dienstleistungen erbringen.

    Aufgrund der immer häufiger auftretenden Wirtschaftskrisen und Kriege sowie den Folgen des Klimawandels werden Menschen in Zukunft vermehrt zur Migration gezwungen sein. Arbeitsmigranten könnten ein Trojanisches Pferd sein, dass die Herrschenden im Norden selbst in die eigene Festung gelassen haben. Aufgrund ihrer Position in der Warenproduktion und im Dienstleistungssektor sind Arbeitsmigranten nicht machtlos.

    Aber die Spannungen zwischen Lohnabhängigen und Kapitalisten nehmen auch im globalen Norden zu. Sehen Sie hier keinen Ansatzpunkt für revolutionäre Kämpfe?

    Diese Spannungen sind auf die strukturellen ökonomischen Krisen zurückzuführen, die durch die Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse im Weltsystem hervorgerufen werden. Aber wie wird die Arbeiterklasse im Norden reagieren, wenn aufgrund des Kampfes der unterdrückten Nationen und Völker die eigene Lebensweise nicht mehr möglich sein wird? Sie wird in politisch rechts und links orientierte Teile polarisiert sein. Aktuell scheint es, als ob sich die Mehrheit nach rechts bewegt. Die antiimperialistische und sozialistische Fraktion ist eine Minderheit – aber eine wichtige. Eine sozialistische und antiimperialistische Perspektive im Klassenkampf ist wesentlich für jeden revolutionären Kampf – auch im Norden. Der Widerstand gegen den Militarismus und die Unterstützung der revolutionären Bewegungen im Süden wird als Verrat an der »eigenen« Nation betrachtet werden. Darauf sollten wir uns persönlich und organisatorisch vorbereiten.

    Wie kann Widerstand in den imperialistischen Ländern konkret aussehen?

    Wir dürfen im Kampf für den Frieden nicht sektiererisch sein, sondern müssen möglichst breite Allianzen bilden und die sozialistischen Bewegungen im globalen Süden so gut wir können unterstützen. Wir müssen versuchen, den gemeinsamen Arbeitskampf zwischen Nord und Süd zu fördern, über die Produktionsketten hinweg und dann den Kampf für den Sozialismus im Süden unterstützen.

    Sie vertreten die These, dass das Problem für Revolutionäre heute nicht in den »objektiven Bedingungen« bestehe, sondern »Pessimismus« sei. Wie meinen Sie das?

    Im globalen Norden herrscht seit Jahrzehnten Pessimismus in bezug auf eine umfassende Transformation zum Sozialismus. Wir werden dabei nämlich nicht an vorderster Front stehen, die treibende Kraft wird der globale Süden sein, aber ich denke, insgesamt bewegt sich die Welt in die richtige Richtung. Die objektiven Bedingungen für grundsätzliche Veränderungen sind aktuell günstig, weil sich das System in einer strukturellen Krise befindet, also instabil ist. Revolutionäre Bewegungen können leichter etwas ändern.

    Sie sprechen von einer ökonomischen, politischen und ökologischen Krise des Kapitals und behaupten sogar, dass der Kapitalismus womöglich das Jahr 2050 nicht überlebt. Was macht Sie da so sicher?

    Die kapitalistische Produktionsweise hat die Grenze der Ausbeutung des Proletariats in der Peripherie erreicht und ist auf Kollisionskurs mit dem globalen Ökosystem. Der Kapitalismus ist nicht mehr fortschrittlich in bezug auf die Entwicklung der Produktivkräfte – er ist zerstörerisch und verhindert den Fortschritt der Menschheit. Die Erosion des neoliberalen Weltmarktes und alternative politische und finanzielle Institutionen ohne den Dollar als Welthandelswährung können das Gleichgewicht verändern. Zudem beobachten wir auch eine Krise innerhalb der USA, die mit ihrem Niedergang als Hegemon korrespondiert. Die politische Elite und das amerikanische Volk sind gespalten, die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 werden zu einer verschärften politischen Krisensituation führen, unabhängig davon, wer gewählt wird.

    Welche Konsequenzen hat diese politische Krise für eine neue Weltordnung?

    Die Dinge können sich schneller entwickeln, als wir erwarten. Der globale Kapitalismus kann entweder in einem brutalen Chaos zusammenbrechen, oder wir schaffen es, eine geordnete Transformation hin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Produktionsweise zu erreichen. Das hängt ganz von uns ab. Die nächsten Jahrzehnte werden dramatisch und gefährlich sein, eine Revolution ist kein Kaffeekränzchen. Wir werden plötzliche Veränderungen in den politischen Allianzen erleben und in diesem Szenario müssen wir auf Kurs bleiben und an einer klaren sozialistischen Perspektive festhalten. Gleichzeitig läuft uns aufgrund des Klimawandels die Zeit davon. Die Mehrheit der Weltbevölkerung muss ihre Produktions- und Konsumgewohnheiten bis zum Jahr 2050 ändern. Wenn dieses Datum überschritten ist, wird nur noch der Übergang zu einer Art »Rettungsbootsozialismus« möglich sein, wo gerechte Verteilung und ein nachhaltiger Gebrauch von Ressourcen den individuellen Konsum als Motor der Wirtschaft ablösen. Weniger reicht nicht, um zu überleben, und selbst das erfordert eine neue Weltordnung.

  • 26.11.2023 19:30 Uhr

    Die Spur der Flöhe

    Die Kölner Politrockband Floh de Cologne erhielt den Holger-Czukay-Preis fürs Lebenswerk
    Sebastian Köpcke und Claudia Opitz
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    Vom richtigen Kurs nicht abzubringen: Dieter Klemm von Floh de Cologne bei der Dankesrede

    Für Floh de Cologne ist 2023 ein erstaunliches Jahr. Vier Jahrzehnte nach Auflösung der legendären Kölner Politrockband scheint sich für sie erneut der Vorhang zu heben. Ihre Chile-Kantate »Mumien« erlebte in Erinnerung an den 11. September 1973 eine filmische Wiederaufführung, eine Neuveröffentlichung ihrer frühen Werke auf CD und Vinyl ist in Vorbereitung.

    Es geht noch weiter. Mitte Juli hatte die Stadt Köln entschieden, ihren einstigen musikalischen Rebellen den Holger-Czukay-Preis für deren Lebenswerk zu verleihen. Diesen Preis, benannt nach dem Bassisten der großen Krautrockband Can, Holger Czukay (1938–2017), erhalten seit 2019 Künstlerinnen und Künstler, die »in ihren Werken Spuren in Köln hinterlassen haben oder aktuelle Entwicklungen beeinflussen und mitprägen«.

    Am 21. November nun bekamen die Gruppe Klee, die Nachwuchskünstlerin Ray Lozano und eben die »Flöhe« diesen in der Bundesrepublik höchstdotierten Preis für Popmusik im Club Bahnhof Ehrenfeld von Oberbürgermeisterin Henriette Reker überreicht. So unterschiedlich wie die Preisträger, so buntgemischt füllte das Publikum den Saal. Mehrere Generationen und Geschlechter bildeten an diesem Abend, durch die Bindekraft der Musik vereint, eine friedliche Gemeinschaft. Über alle Unterschiedlichkeit hinweg vermochten es die anwesenden alten weißen Männer von Floh de Cologne, Dieter Klemm, Hansi Frank und Vridolin Enxing, wahre Begeisterungstürme auszulösen.

    Henriette Reker, die sich dazu bekannte, als Teenager selbst die »Flöhe« im Konzert erlebt zu haben, könnten jedoch an diesem Abend die Ohren geklingelt haben, als Dietmar Dath, Autor, Journalist, FAZ-Feuilletonist und Kommunist den Saal mit »Liebe Genossinnen und Genossen!« begrüßte. Der Laudator, der ohne Schnörkel und falsche Rücksicht artikulierte, was den Wert der musikalischen, aber vor allem politischen Arbeit der Band noch heute ausmacht, brachte es so auf den Punkt: Wer die Texte einmal verstanden hat, hat für sein politisches Grundverständnis vom Kapitalismus das entsprechende Koordinatensystem.

    Insofern hatten die Veranstalter auch mit ihrem Überraschungsgast Klaus der Geiger treffsicher einen Coup gelandet. Klaus Christian von Wrochem (1983) ist eine Kölner Ikone. Der mittlerweile über die Stadtgrenzen hinaus bekannte ehemalige Straßenmusiker fand klare Worte zur virtuos vorgetragenen Musik. Und so klang dieser Teil der Preisverleihung wie das Echo aus einer vergangenen Zeit. Dieter Klemm, der im Namen aller Bandmitglieder eine Danksagung überbrachte, fügte allem eine typische Nuance hinzu: die gleiche Aufmüpfigkeit, der ungebrochene Willen zum Unfrieden mit gesellschaftlichen Missständen, mit dem Floh de Cologne die kleinbürgerliche westdeutsche Gesellschaft bereits vor einem halben Jahrhundert schockierte.

    Als Politkabarett der linken APO-Szene 1966 gegründet, avancierten sie in den 70er Jahren neben Ton Steine Scherben zur bedeutendsten links-aktivistischen Band der Bundesrepublik Deutschland. Mit der ihnen eigenen und einzigartigen dialektischen Sichtweise auf die Vorgänge ihrer Zeit, ihrer präzisen Gesellschaftsanalyse und ihrer undiplomatischen Ausdrucksweise eckten sie an und zogen nicht nur Hass, sondern auch 17 Strafanzeigen auf sich. All das konnte sie nicht von ihrem Kurs abbringen, der linken Gegenöffentlichkeit eine Stimme zu geben und mit den Mitteln der Kunst politische Aufklärungsarbeit zu leisten. Ihre kompromisslose Einzigartigkeit ist in das kollektive Gedächtnis der linken Kulturszene eingegangen und hat nunmehr ihre wohlverdiente Würdigung erfahren.

    Die Berliner Ausstellungsmacher und Gestalter Claudia Opitz und Sebastian Köpcke haben mit dem Mandat von Vridolin Exing, Hansi Frank, Dieter Klemm und Dick Städtler den Film »Mumien. Kantate für Rockband« von Floh de Cologne wieder sichtbar gemacht. Auf ihrer Webseite findet sich zudem ein Zeitzeugengespräch mit Dieter Klemm und nun auch eine Aufzeichnung der Preisverleihung an Floh de Cologne vom 21. November 2023 in Köln (www.ok-projekt.de).

  • 22.11.2023 19:30 Uhr

    Ohne lähmendes Diktat

    Eritreas unabhängiger Entwicklungsweg zeitigt Erfolge etwa bei der Korruptionsbekämpfung
    Fikrejesus Amahazion
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    Straßenszene in der eritreischen Hauptstadt Asmara (9.5.2023)

    Im September besuchte Akinwumi Adesina, Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB), Eritrea. Die mehrtägige und erste offizielle Reise eines AfDB-Präsidenten nach Eritrea (das der Institution 1994 beigetreten ist), hatte zum Ziel, die Partnerschaft zu stärken und gleichzeitig zu versuchen, das Wachstum des Landes zu unterstützen und es in den kommenden Jahren auf einen nachhaltigeren Entwicklungspfad zu bringen.

    Während seiner Reise führte Adesina produktive Gespräche mit Präsident Isaias Afewerki, traf mit einer Reihe anderer hochrangiger Beamter zusammen und besichtigte eine Reihe von Entwicklungsprojekten, die über verschiedene Teile des Landes verteilt sind. Während und nach seinem Besuch machte der AfDB-Chef eine Reihe von aufsehenerregenden Aussagen und aufschlussreichen Beobachtungen: »Ich hatte einen ausgezeichneten Besuch in Eritrea. Ich war sehr beeindruckt von dem Entwicklungswillen, der unglaublichen Widerstandsfähigkeit und der Eigenständigkeit des eritreischen Volkes.« Er fügte hinzu: »Ich staune über einige der Dinge, die ich hier sehe«, und beschrieb: »Das Beste war, als mir ein hochrangiger UN-Beamter sagte: ›In Eritrea gibt es null Prozent Korruption‹.«

    Die Kommentare von Adesina, die eine deutliche Widerlegung der langjährigen negativen Darstellung Eritreas in den Mainstreammedien darstellen, sind besonders interessant und werfen mehrere Fragen für die weitere Diskussion auf. Zunächst fällt an den Äußerungen des AfDB-Chefs zur Korruption besonders auf, dass sie nicht nur ein Bild zeichnen, das in krassem Gegensatz zu den negativen Darstellungen über Eritrea steht, sondern dass sie keineswegs einzigartig oder einfach nur Ausreißer sind. Vielmehr decken sie sich mit den Beobachtungen, die andere angesehene internationale Persönlichkeiten, die in dem Land gelebt oder gearbeitet haben, im Laufe der Jahre gemacht haben.

    So sagte Christine Umutoni, die mehrere Jahre lang als Koordinatorin für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen und als Vertreterin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Eritrea tätig war, gegenüber der BBC: »Wir haben (in Eritrea) ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und eine ordentliche Rechenschaftspflicht gesehen. Wenn man ein wenig investiert, bekommt man auch viel.« Bei einer anderen Gelegenheit, diesmal in einem Gespräch mit »Africa Today«, einem italienischen Fernsehprogramm, fügte sie hinzu: »Das Gute, das wir in diesem Land sehen, und ich kann das bezeugen, ist, dass jeder Dollar einen Wert hat. Wir haben nur minimale Korruption festgestellt. Wann immer wir ein Projekt starten, sei es ein Staudamm, sei es die Verteilung von Nahrungsmitteln an Kinder, sei es die Verteilung von Malariamedikamenten, geschieht das, wofür das Geld bezahlt wurde. Sie werden nicht sehen, dass diese Dinge auf den Märkten verkauft werden, Sie werden nicht sehen, dass es auf irgendeine Weise abgezweigt wird.«

    In ähnlicher Weise erklärte Susan Namondo Ngongi, die vor einigen Jahren auch als residierende Koordinatorin der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe und UNDP-Ländervertreterin tätig war, dass Eritrea, bezogen auf die Projekte, »eine der besten Audit-Funktionen auf dem Kontinent hat«. Darüber hinaus haben zahlreiche Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen erklärt, dass Korruption im Allgemeinen »nicht weit verbreitet« sei. Leitende Angestellte ausländischer Unternehmen, darunter viele aus westlichen Ländern, die in Eritrea tätig sind, beteuerten ebenfalls, dass ihnen keine Fälle von Korruption bekannt seien oder sie direkte Erfahrungen damit hätten. Ein solches Verhalten werde von der Regierung Eritreas als nicht tolerierbar angesehen und bedeute die sofortige Beendigung von Verträgen.

    Zur weiteren Verdeutlichung und als wichtiger Hintergrund ist es auch erwähnenswert, dass seit der Unabhängigkeit Eritreas 1991 die Verhinderung und Bekämpfung von Korruption sowie die Sicherstellung einer »vernünftigen, verantwortungsvollen und rechenschaftspflichtigen« Verwendung von Ressourcen wichtige Schwerpunktbereiche sind. Eritrea hat mehr als 120 internationale Vereinbarungen unterzeichnet oder ist ihnen beigetreten, wobei viele dieser Verträge im Zivil- und im Strafgesetzbuch des Landes, etwa durch verschiedene Bestimmungen, besonders berücksichtigt werden. Darüber hinaus wurden kontinuierlich Anstrengungen unternommen, um die Korruptionsbekämpfung zu verankern und die Öffentlichkeit und die Institutionen zu sensibilisieren. Die Nation bleibt wachsam, um Günstlingswirtschaft, Bestechung, Vernachlässigung der öffentlichen Verantwortung und mangelnder Rechenschaftspflicht keinen Raum zu geben.

    Eine landesweite Studie über Korruption auf lokaler Ebene, die sich auf Polizeiberichte, Befragungen, informelle Interviews und aufgezeichnete Korruptionsvorwürfe über einen längeren Zeitraum stützt, ergab, dass es in über 93 Prozent der Fälle Anklagen und Bestrafungen gab sowie die Verpflichtung, veruntreute staatliche Mittel und unrechtmäßig erworbene Gewinne zurückzuerstatten. Darüber hinaus ergab die Studie, dass »die wenigen Fälle von Fehlverhalten sowohl rechtlich als auch verwaltungstechnisch rigoros behandelt werden«.

    Ein weiterer wichtiger Aspekt des jüngsten Besuchs ist die Art und Weise, wie einige Gegner Eritreas versucht haben, diesen zu verzerren und gleichzeitig das Engagement des Landes für den Grundsatz der Eigenständigkeit zu verleumden und falsch darzustellen. Zur Klarstellung: Eritreas »unkonventioneller« Ansatz gegenüber Entwicklung, Hilfe, internationalen Finanzinstitutionen und internationalen Nichtregierungsorganisationen ist einer der am meisten missverstandenen und falsch dargestellten Aspekte des Landes. Insbesondere lehnt das Land Hilfe ab, wenn sie nicht seinen Bedürfnissen entspricht oder es nicht in der Lage ist, sie effektiv zu nutzen. Natürlich lehnt Eritrea externe, vorübergehende Unterstützung nicht ab – es begrüßt und fördert sie aktiv, aber nur, wenn sie die eigenen Anstrengungen des Landes ergänzt. Im Laufe der Jahre hat Eritrea Entwicklungszusammenarbeit und -hilfe gefördert, die auf spezifische, genau definierte Bedürfnisse abzielt, die intern nicht befriedigt werden können; die darauf abzielt, die fortlaufende externe Unterstützung zu minimieren – und schließlich ganz abzuschaffen –; und die die eigene institutionelle Kapazität zur Umsetzung von Projekten ergänzt und stärkt, anstatt sie zu ersetzen. Für Eritrea sind das Engagement und die Beziehungen zu internationalen Partnern eine grundlegende Frage der »Würde« und sollten auf Gleichheit, gegenseitigem Respekt und Zusammenarbeit beruhen.

    Sie müssen echte Partnerschaften sein und dürfen nicht auf der Verschreibung oder dem Diktat ungeeigneter Gegenmittel beruhen. Die Unabhängigkeit in der Entscheidungsfindung des Landes darf nicht durch Konditionalitäten beeinträchtigt werden. Eritreas einzigartige Perspektive und Herangehensweise sind in dem langen Kampf des Landes um seine Unabhängigkeit begründet, der weitgehend selbständig geführt wurde, während ein Großteil der internationalen Gemeinschaft die Unabhängigkeitsbewegung völlig ignorierte oder aktiv gegen sie arbeitete. Darüber hinaus hat das Land den starken Wunsch, eine lähmende Abhängigkeit zu vermeiden, die Eigeninitiative der Eritreer zu fördern und bei allen Bürgern ein klares Gefühl von Handlungsfähigkeit und Verantwortung für die Zukunft des Landes zu wecken.

    Obwohl die jüngste Reise und die Beobachtungen des AfDB-Chefs nützliche Einblicke und einen auffälligen Kontrast zu der langjährigen Darstellung Eritreas geboten haben, ist es ziemlich bezeichnend, dass er von einigen, die sich hinter einer Fassade der Objektivität und Unparteilichkeit verstecken, heftige, sogar bissige Kritik erhalten hat. Diese Entwicklung spiegelt die Reaktion auf eine lange Liste von anderen wider, die es gewagt haben, Ansichten oder Perspektiven zu präsentieren, die nicht vollständig mit dem allgemeinen negativen Mainstreamnarrativ über Eritrea übereinstimmen. Die irrationalen Zurückweisungen und Reaktionen unterstreichen, wie die Diskussion über Eritrea lange Zeit eingegrenzt und streng kontrolliert wurde, wobei abweichende Ansichten und Perspektiven ausgegrenzt, zum Schweigen gebracht, ignoriert, an den Rand gedrängt oder missachtet wurden.
    Anstelle einer Einschränkung sollte jedoch ein breiteres Spektrum an Ansichten und Perspektiven, wie die kürzlich vom Leiter der AfDB vorgetragenen, gefördert werden, um einen konstruktiven Dialog zu fördern, die Genauigkeit zu erhöhen, die Zuverlässigkeit zu verbessern und unser Gesamtverständnis zu verbessern und zu bereichern.

  • 17.11.2023 19:50 Uhr

    Für Frieden und Solidarität!

    Jeremy Corbyn kommt zur XXIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar 2024 nach Berlin
    Aktion und Kommunikation
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    Die ersten 500 Karten für die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) am 13. Januar 2024 im Berliner Tempodrom sind bereits verkauft. Das ist auch insofern beachtlich, als bis heute das Programm noch gar nicht feststand – junge Welt-Leser bekommen nun als erste die notwendigen Informationen dazu über den dieser Zeitungsausgabe beiliegenden Programmflyer.

    Die kommende Konferenz beschäftigt sich mit der Frage, was geschieht, wenn neoliberale imperialistische Kräfte ungehindert ihre Agenda umsetzen können, obwohl sie sich im Niedergang befinden. Eine Referentin aus Kuba schildert die Folgen dieses Niederganges, der Journalist Ignacio Ramonet aus Spanien untersucht die damit einhergehende Zunahme von Irrationalismen und Faschisierung, Theodora Pius aus Tansania zeigt die Folgen für die Umwelt gerade in der sogenannten dritten Welt auf. Aber es gibt auch Alternativen zu so einer Entwicklung. Fikrejesus Amahazion aus Eritrea wirbt für eine andere Welt, beruhend auf Solidarität und Gerechtigkeit, und damit für eine echte Dekolonialisierung. Sevda Karaca aus der Türkei geht der Frage nach, welche Rolle für so eine Entwicklung die Eigentumsverhältnisse spielen. Torkil Lauesen aus Dänemark beschreibt, wie Antiimperialismus heute konkret aussieht und welche Widerstandsformen sich herausbilden.

    Wie jedes Jahr bemühen sich jW und die über 30 Unterstützergruppen um einen Blick über den deutschen und europäischen Tellerrand. Internationale Solidarität spielt eine zentrale Rolle. So werden der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal und die legendäre US-Bürgerrechtlerin Julia Wright zu Wort kommen. Mit einer Manifestation für einen gerechten Frieden im Nahen Osten setzen die 4.000 Teilnehmenden der Konferenz ein klares Zeichen. Besonders freut es uns, den ehemaligen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn als einer der Hauptredner begrüßen zu können, den wir aufgrund seiner konsequent solidarischen Haltung eingeladen haben (nachdem er andernorts gerade deshalb ausgeladen worden war). Die abschließende Podiumsdiskussion beschäftigt sich mit der Frage: Wer stoppt die Rechten? Hier geht es nicht nur um die Rechtsentwicklung bürgerlicher und das Erstarken faschistischer Kräfte in Deutschland und Europa, sondern vor allem darum, wie wir als Linke dagegen erfolgreich vorgehen können. Unter den Diskutanten sind Vertreter der Gewerkschaft, des »Bündnisses Sahra Wagenknecht«, eine Vertreterin der DIDF und eine Basisaktivistin. Weitere Details können Sie dem beiliegenden Flyer entnehmen.

    500 Karten sind bereits verkauft. Da wir aber mit 4.000 Teilnehmenden rechnen, von denen etwa 400 als Helfer, Ordner, Pressevertreter und Gäste im Einsatz sind, müssen wir insgesamt 3.600 Karten verkaufen. Das ist auch notwendig, um die enormen Kosten wenigstens teilweise decken zu können. Wir bitten nun alle Leserinnen und Leser dieser Zeitung, uns bei der Mobilisierung zu helfen. Dazu können Sie den beiliegenden Flyer nutzen, dürfen aber gerne auch mehr tun: Bestellen Sie das Aktionspaket zur Rosa-Luxemburg-Konferenz und machen Sie damit Werbung in Ihrer Umgebung. Und weil wir parallel zur Vorbereitung der Konferenz auch möglichst viele Abonnements für die jW einwerben möchten, können Sie das Aktionspaket für unsere Abowerbekampagne gleich mitbestellen. Ab kommendem Wochenende wird in Kinos, mit Plakaten und verstärkt im Internet für jW-Abos geworben, mit Ihrem Einsatz verstärken Sie also die Wirkung unserer Kampagne: Insgesamt brauchen wir noch 1.698 Abonnements oder Umsteiger, um die vor uns liegenden Aufgaben und Anforderungen leisten zu können. Mit Ihnen zusammen werden wir das schon schaffen.

    Das laufend aktualisierte Programm findet sich auch auf jungewelt.de/rlk. Dort können Sie auch Tickets und RLK-Aktionspakete bestellen (oder im Shop: jungewelt-shop.de).

    Das Aboaktionspaket bekommen Sie unter jungewelt.de/aktionspaket, per Mail an aktionsbuero@jungewelt.de oder telefonisch 0 30/53 63 55 10

  • 13.10.2023 19:30 Uhr

    Wer, wenn nicht wir

    Jetzt bestellen: Wie Sie mit dem Aktionspaket zum Erfolg der Rosa-Luxemburg-Konferenz beitragen können
    Aktionsbüro
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    Es wird die größte Konferenz, die wir je gemacht haben: Am 13. Januar 2024 findet die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz im Berliner Tempodrom statt. Der Vorverkauf startete Ende Oktober und viele Eintrittskarten wurden bereits verkauft.

    Da wir aber für die kommende Konferenz deutlich mehr Besucherinnen und Besucher gewinnen wollen (aus politischen, räumlichen und ökonomischen Gründen), starten wir die Werbung früher als in den vergangenen Jahren. Dabei sind wir auf aktive Mitwirkung von Leserinnen und Lesern, aber auch auf die Hilfe von Unterstützern angewiesen: Egal, wo Sie wohnen – ob in Wien oder Dortmund, Bern oder Erfurt – und egal, ob in Ihrer politischen Gruppe oder dem Fußballverein – rühren Sie die Werbetrommel für die kommende Rosa-Luxemburg-Konferenz! Erzählen Sie Ihren Freundinnen und Freunden, Familienmitgliedern und Kolleginnen und Kollegen vom Jahresauftakt der politischen Linken im Januar in Berlin. Natürlich kann man schon jetzt Fahrgemeinschaften in die Hauptstadt bilden – aber es geht uns bei der Werbung für die Konferenz auch darum, dass möglichst viele Menschen generell etwas über sie erfahren.

    Am besten lässt sich die RLK 2024 mit unserem speziell zusammengestellten Aktionspaket bekanntmachen, das Sie gegen eine frei wählbare Spende bestellen können. Das RLK-Aktionspaket umfasst zwei Plakate in der Größe A1, fünf A2-Plakate, 15 Aufkleber sowie 15 Postkarten. Alle Materialien zeigen Motto und Motiv der anstehenden Rosa-Luxemburg-Konferenz. Sie eignen sich besonders gut dafür, im Stadtteilladen, der Stammkneipe oder im Jugendclub aufgehängt, geklebt bzw. verteilt zu werden. Bestellen Sie Ihr RLK-Aktionspaket unter jungewelt.de/rlkaktionspaket. Größeren Gruppen stellen wir auf Anfrage selbstverständlich auch gern mehr Material zu Verfügung. Bitte wenden Sie sich dazu an das Aktionsbüro unter aktionsbuero@jungewelt.de oder unter 0 30/53 63 55 10.

    Der Erfolg der kommenden Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz hängt nicht nur davon ab, dass das Tempodrom knackevoll wird und dass Tausende die Veranstaltung über den Livestream mitverfolgen. Wir wollen zudem, dass Zigtausende etwas über diese Konferenz erfahren, auch wenn sie nicht Leserin oder Leser der jungen Welt sind. Mit den Werbemitteln aus dem Aktionspaket helfen Sie dabei, alle drei Anliegen effektiv umzusetzen. Dafür möchten wir uns schon heute herzlich bei Ihnen bedanken!

  • 29.09.2023 19:30 Uhr

    Wessen Welt ist die Welt?

    Die nächste Rosa-Luxemburg-Konferenz erkundet, wie dystopische Entwicklungen gestoppt werden können
    Stefan Huth
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    Vor dem Hintergrund von Weltwirtschaftskrise und Aufstieg der Nazis sowie wachsender Kriegsgefahr fragte der Dichter Bertolt Brecht vor rund 90 Jahren in seinem »Solidaritätslied«: »Vorwärts, und nie vergessen, und die Frage konkret gestellt, beim Hungern und beim Essen: Wessen Morgen ist der Morgen? Wessen Welt ist die Welt?«

    Diese Fragestellung hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Wir stellen daher die kommende, nunmehr XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar 2024 unter das Motto »Wem gehört die Welt?«. Damit spiegeln wir zum einen den fundamentalen Wandel in den globalen Kräfteverhältnissen wider, den Umbruch in den internationalen Beziehungen mit dem Aufstieg des globalen Südens – allen voran der Volksrepublik China als zweitgrößter Wirtschaftsmacht. Damit verbunden ist ein Hegemonieverlust, dem die bisherigen Herren der Welt, die US-geführten NATO-Staaten, mit verstärktem Militarismus, dem Anheizen von Kriegen und dem Ziehen der faschistischen Karte zu begegnen suchen. Bei der Beantwortung der Frage »Wem gehört die Welt?« wollen wir uns auch mit der Zukunft beschäftigen. Was geschieht auf und mit unserem Planeten, wenn sich die neoliberalen Kräfte weiter ungehindert durchsetzen können, mit allen zerstörerischen Folgen für Mensch und Umwelt? Was bedeutet es, wenn Ressourcen, die dringend für den Schutz des Klimas benötigt werden, statt dessen in Rüstung und Kriege fließen?

    Mit unseren Referentinnen und Referenten aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa wollen wir erkunden, welche politischen Ansätze, welche gesellschaftlichen und ökonomischen Möglichkeiten, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es gibt, um die dystopischen Entwicklungen noch zu stoppen, besser noch: umzukehren. Denn eine andere, auf Solidarität und Gerechtigkeit beruhende Welt ist nicht nur nötig, sie ist auch möglich. Dafür gilt es, die Systemfrage zu beantworten. Wir werden über Eigentumsverhältnisse sprechen müssen und über die Notwendigkeit anderer Produktionsverhältnisse zur Nutzung der Produktivkraftentwicklung im Interesse der Mehrheit statt für den Profit von wenigen. Oder wie es Rosa Luxemburg im Ersten Weltkrieg ebenso kurz wie prägnant formulierte: Es geht um die Entscheidung »Sozialismus oder Barbarei«.

    Darum werden die Beiträge unserer internationalen Referentinnen und Referenten sowie das umfangreiche Kulturprogramm kreisen. Erste Namen können wir bereits mitteilen. So wird der bekannte spanische Journalist und Medienwissenschaftler Ignacio Ramonet, Ehrenpräsident des globalisierungskritischen Netzwerkes ATTAC und Mitorganisator des Weltsozialforums, sprechen. Sein Thema ist die Zerstörung der Vernunft, die Zunahme von Irrationalismus vor dem Hintergrund der sozialen Verheerungen des Spätkapitalismus – und die Frage, wie sich faschistische Kräfte diese Verwirrungen zunutze machen. Aus Eritrea kommt der Wissenschaftler Fikrejesus Amahazion, der sich mit antikolonialer afrikanischer Entwicklung, Menschenrechten und politischer Ökonomie befasst. Als Referent zur Frage »Wie kommt Sand ins Getriebe?«, zu den Möglichkeiten des Widerstands gegen Kapitalismus und Imperialismus konnten wir Torkil Lauesen aus Kopenhagen gewinnen. Der Autor des Buches »Die globale Perspektive« (deutsche Ausgabe: Münster 2022) ist selbst seit den 1960er Jahren in internationalistischen Bewegungen aktiv. Bekanntheit erlangte er als Mitglied der sogenannten Blekingegade-Gruppe, die in den 70er und 80er Jahren Befreiungsbewegungen im globalen Süden mit Geldern aus Banküberfällen unterstützte. Und selbstverständlich werden wir auch auf der kommenden Konferenz wieder einen Gast aus dem sozialistischen Kuba begrüßen.

    Während wir tagsüber mit unseren Gästen aus aller Welt einen Blick über den deutschen und europäischen Tellerrand hinaus werfen wollen, befasst sich das Schlusspodium der Rosa-Luxemburg-Konferenz am frühen Abend traditionell mit den Kämpfen hierzulande, mit den Problemen und Aufgaben der Linken in Deutschland. Diesmal werden wir unter dem Titel »Wer stoppt die Rechten?« den bedrohlichen Vormarsch faschistischer Kräfte um die AfD – aber auch auf die Übernahme ihrer Agenda durch die etablierten bürgerlichen Parteien – in den Blick nehmen.

    Veranstaltet wird die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz von der marxistischen Tageszeitung junge Welt. Eine Vielzahl von Organisationen, Medien und Verbänden ist wieder als Unterstützer mit an Bord. Gemeinsam wollen wir am 13. Januar 2024 ein kraftvolles Signal aussenden. »Vorwärts, und nie vergessen, worin unsre Stärke besteht!«

    Zu den Tickets: https://www.jungewelt.de/rlk/de/node/143.tickets.html
    Zum Spendenbereich: https://www.jungewelt.de/rlk/de/node/6.spenden.html

  • 29.09.2023 19:30 Uhr

    Neue Kräfte freisetzen

    Die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz macht für jeden erlebbar, was Linke erreichen können, wenn sie gemeinsam handeln
    Verlag, Redaktion und Genossenschaft junge Welt
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    Das Tempodrom im Berliner Stadtteil Kreuzberg wird Veranstaltungsort der Rosa-Luxemburg-Konferenz

    Die junge Welt wagt den nächsten großen Sprung. Um zum traditionellen linken Jahresauftakt am Liebknecht-Luxemburg-Wochenende ein besonders kraftvolles Zeichen zu setzen, findet die nächste Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz im »Tempodrom« in Berlin statt. Wir wollen damit neue Maßstäbe setzen, denn dieser Veranstaltungsort bietet deutlich mehr Besucherinnen und Besuchern Platz als die mittlerweile zu kleinen Räumlichkeiten der letzten Jahre.

    Der kühne Plan entspringt der politischen Notwendigkeit. Angesichts der Gefahr einer weiteren kriegerischen Eskalation zwischen der NATO und Russland um die Ukraine, aber auch des Säbelrasselns im Südchinesischen Meer, angesichts der längst für die breiten Massen in der BRD schmerzlich im Geldbeutel spürbaren Folgen des westlichen Wirtschaftskrieges gegen China und Russland und des beispiellosen militärischen Aufrüstungsprogramms im Zeichen der »Zeitenwende«, angesichts von neuen Höhenflügen der AfD in Umfragen und wohl bald auch entsprechenden Wahlergebnissen scheint es uns dringend geboten, dass zu Jahresbeginn konsequent linke Kräfte ein deutliches Signal setzen. Und nicht zuletzt soll eine erfolgreiche Konferenz, auf der sich Tausende Gleichgesinnte aus dem deutschsprachigen Raum und anderen Ländern treffen, Mut machen und Kraft spenden. Und zwar unabhängig davon, ob es bis dahin zur Gründung einer neuen linken Partei kommt oder nicht: Konsequent linke Kräfte, die sich auf Marx, Engels und Lenin beziehen, die in den Klassenkämpfen auf der Seite der arbeitenden Menschen stehen, können nur wirkmächtig sein, wenn sie zusammenfinden und selbst handeln – am besten gemeinsam. Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz soll das ganz praktisch erlebbar sein.

    Dass es notwendig geworden ist, für diese Zwecke eine deutlich größere Spielstätte anzumieten, ist deshalb ein gutes Zeichen. Jetzt brauchen wir dringend Unterstützung bei der Mobilisierung und für die Finanzierung der Veranstaltung: Gemeinsames Handeln ist also schon vor der Konferenz dringend nötig! Das Tempodrom im Stadtteil Kreuzberg gehört heute zu den bekanntesten Veranstaltungsorten in Berlin. Es blickt auf eine über 40jährige Geschichte zurück, die 1980 mit einem Zirkuszelt am Potsdamer Platz nahe der Grenze zur Hauptstadt der DDR begann. Später zog die alternative Veranstaltungs­stätte mit ihren beliebten Umsonst-und-draußen-Angeboten in den Tiergarten. Von dort wurde das Tempodrom allerdings vertrieben, als in den 90er Jahren das pompöse Regierungsviertel neu gebaut wurde. Bundeskanzler Helmut Kohl fühlte sich durch das Zelt nahe dem Kanzleramt gestört und empfand die Konzertbesucher als Sicherheitsrisiko. Schließlich wurde im Jahr 2001 das neue Tempodrom eröffnet – nunmehr als futuristischer Saalbau, dessen kühne Spitzdachkonstruktion das Motiv des ursprünglichen Zirkuszeltes aufgriff, auf dem Gelände am ehemaligen Anhalter Bahnhof. Seither fanden viele hundert Konzerte und andere Events im Tempodrom statt. Wir denken, damit einen angemessenen Ort für die Rosa-Luxemburg-Konferenz an zentraler Stelle in der Hauptstadt gefunden zu haben.

  • 29.09.2023 19:30 Uhr

    Erfolg organisieren

    Weshalb die kommende Rosa-Luxemburg-Konferenz Ihre Unterstützung besonders benötigt
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    Es soll die mit Abstand größte Konferenz werden, die wir je gemacht haben: die XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in der großen Arena des Berliner Tempodroms am 13. Januar! Viele unserer Leserinnen und Leser, Freunde und Autoren, aber auch Genossinnen und Genossen anderer Organisationen freuen sich auf den großen Jahresauftakt der konsequenten Linken im deutschsprachigen Raum (aber auch viele internationale Gäste, die der Konferenz über Livestream und dank Simultanübersetzung folgen können).

    Diesmal haben wir uns vorgenommen, den nächsten großen Sprung zu wagen: Mit dem Tempodrom nutzen wir erstmals eine Spielstätte, die auch für die kommenden Jahre Platz für Entwicklung bietet. Wer auf der letzten Konferenz im Januar 2023 dabei war, kann sich erinnern: 3.200 Teilnehmende drängten sich auf engem Raum. Die 4.000, die es im kommenden Januar sein sollen, werden mehr Platz haben – und es ist dann noch Luft nach oben für folgende Konferenzen.

    Nun verhält es sich aber so, dass linke Kräfte zur Zeit nicht im Aufwind sind, was die Mobilisierung erschwert. Wir wollen aber das Tempodrom schon beim ersten Mal kraftvoll bespielen, deshalb brauchen wir die Hilfe unserer Leserinnen und Leser! Denn Sie kennen das großartige Erlebnis so einer Konferenz aus eigener Anschauung und können es Ihren Freunden, Bekannten, Kolleginnen und Kollegen weiterempfehlen. Und falls Sie tatsächlich noch nie dabei waren: Lassen Sie sich das kommende Großereignis nicht entgehen! Sie bekommen spannende Beiträge von internationalen Gästen von mindestens vier Kontinenten zu hören, erleben kontroverse Diskussionsrunden und hochkarätige Kultur von progressiven Künstlern. Vor allem aber treffen Sie mit Tausenden anderen Menschen zusammen, die wie Sie die Zukunft dieses Planeten nicht Kriegstreibern, Ausbeutern und Faschisten überlassen wollen!

    Für uns ist es zur ökonomischen Absicherung in diesem Jahr besonders wichtig, dass Sie (wenn Sie es sich leisten können) die Solikarte bestellen (siehe Coupon nebenan und Seite drei). Wichtiger als sonst ist es auch, dass Sie Ihre Karte(n) möglichst bald bestellen. Zum einen, weil wir dann einen besseren Überblick haben, was noch an Mobilisierung zu tun ist. Aber zum anderen ist es auch für Sie von Vorteil: Wenn Sie jetzt Hotelzimmer und Anreisetickets buchen, bekommen Sie günstigere Konditionen.

    Damit wir die hohen Kosten stemmen können, sind wir diesmal stärker als sonst auf Ihre Spende angewiesen. Sie machen uns damit nicht nur Mut zum nächsten großen Schritt, wir sind dann auch besser in der Lage, die Konferenz und ihre Inhalte überall bekannt zu machen. Wir rechnen damit, dass unser Verlag trotz aller Einnahmen für die Konferenz am Ende einen hohen fünfstelligen Betrag bereitstellen muss. Der wird aber um so geringer ausfallen, je mehr Spenden hereinkommen. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns auf verschiedenen Wegen dabei helfen, die kommende Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz zu einem riesigen Erfolg der konsequenten Linken zu machen!

    Zu den Tickets: https://www.jungewelt.de/rlk/de/node/143.tickets.html
    Zum Spendenbereich: https://www.jungewelt.de/rlk/de/node/6.spenden.html

    Aktion & Kommunikation

  • 29.09.2023 19:30 Uhr

    Linke Kräfte verbinden

    Wie Organisationen die RLK unterstützen können
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    Zwar wird die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz von der Tageszeitung junge Welt veranstaltet, aber ohne die Unterstützung von über 30 Organisationen, Medien, Bewegungen, Initiativen wäre sie nicht möglich. Sie helfen bei der Finanzierung mit einem konkreten Beitrag, stellen Helfer und Ordner und mobilisieren für die Konferenz, auch über ihre digitalen und analogen Medien. Das ist zum einen für die materielle Sicherstellung und Organisierung der Veranstaltung notwendig, zum anderen für eine hohe Beteiligung und das Bekanntmachen der Inhalte, auch im internationalen Rahmen. Denn das ist eines der Ziele, die wir mit der Konferenz anstreben: das Zusammenführen unterschiedlicher (auch internationaler) linker Kräfte, die der Kampf für Frieden, gegen Imperialismus und Kolonialismus, für internationale Solidarität eint und die im Marxismus ein wichtiges Instrument sehen, die Welt zu erkennen und zu verändern.

    Für die kommende Konferenz im Januar 2024 ist diese Art der Unterstützung besonders wichtig. Zum einen suchen wir noch Premiumunterstützer, die aufgrund ihrer eigenen materiellen Basis größere Beiträge leisten können. Aber auch kleinere und internationale Organisationen bitten wir um Beteiligung. Mit jeder Organisation, die Interesse hat, besprechen wir gerne einen Beteiligungsplan, der den konkreten Möglichkeiten und Notwendigkeiten angepasst wird. Unterstützer werden auf den Werbemitteln und im Internet aufgeführt und erhalten bevorzugt die Möglichkeit, sich auf der Konferenz mit einem Stand zu präsentieren. Bei Interesse bitten wir um Kontaktaufnahme (Sebastian Carlens, sc@jungewelt.de).

    Unterstützer der Konferenz treffen sich monatlich, um sich über den Stand der Vorbereitungen zu informieren, Ideen zu sammeln und gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen. Das nächste Treffen findet am Montag, dem 16. Oktober 2023, in der jW-Maigalerie (Torstraße 6, 10119 Berlin) statt. Dort sollen auch die ersten Werbemittel für die Konferenz ausgegeben werden.

    Sebastian Carlens

  • 29.09.2023 15:09 Uhr

    1.000 Karten mehr

    Jetzt kommt es vor allem darauf an, für den Besuch der nächsten Rosa-Luxemburg-Konferenz zu mobilisieren
    Verlag, Redaktion und Genossenschaft junge Welt

    Als wir im Januar 1996 das erste Mal die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz im Berliner Tränenpalast veranstalteten, reichte zur Finanzierung ein Budget von wenigen hundert D-Mark. Die kommende am 13. Januar 2024 wird mehr als 300.000 Euro kosten: Die Miet- und Technikpreise sind in den vergangenen Jahren explodiert, und größere Bühnen sind deutlich teurer. Da unser Hauptgeschäft aber das tägliche Erstellen einer gutgemachten Zeitung ist, lag die Versuchung nahe, den Aufwand zu begrenzen und die Konferenz lieber etwas einzudampfen. Davon haben uns Leserinnen und Leser, Unterstützerorganisationen und internationale Freunde der Zeitung dringend abgeraten: Das starke Signal, dass konsequente Linke im deutschsprachigen Raum etwas bewegen können, wird in Zeiten des rechten Aufstiegs und linken Verfalls dringender denn je gebraucht, war ihr Argument. Weshalb die kommende XXIX. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz nun in der großen Arena des Berliner Tempodroms stattfinden wird. Wir erwarten 4.000 Teilnehmende, die sich in der Spielstätte begegnen, und weitere 25.000, die über den Livestream das Geschehen verfolgen: Es geht um nichts weniger als die Frage, wem die Welt gehört, und damit auch darum, wer darüber entscheidet, was aus ihr wird.

    Diese Entscheidung hat Konsequenzen: Wir müssen die Eintrittspreise erhöhen, auch wenn es bei der sozialen Staffelung bleibt: Die normale Tageskarte ist für 34 Euro zu haben, die ermäßigte für 19 Euro, sie wird kofinanziert durch die Solikarte für 49 Euro. Wir bitten jeden, der es sich leisten kann, eine Solikarte zu bestellen. Selbst sie wird durch unseren Verlag subventioniert. Was der Verlag dazugeben muss, hängt davon ab, wie viele Spenden im Vorfeld der Konferenz bei uns eingehen. Eine wichtige Rolle spielen auch der finanzielle Beitrag von Unterstützerorganisationen und die Einnahmen aus Standgebühren, die ebenfalls deutlich angehoben werden. Nicht zuletzt bieten wir beim Streamen der Veranstaltung den Kauf symbolischer Eintrittskarten an, damit die Zuschauer vor den Bildschirmen sich ebenfalls an den hohen Kosten beteiligen können.

    Jetzt kommt es vor allem darauf an, für den Besuch der nächsten Rosa-Luxemburg-Konferenz zu mobilisieren: Statt zuletzt 2.600 sollen 3.600 Tagestickets verkauft werden. Mit Helfern und Gästen kommen wir dann auf 4.000 Teilnehmende – das Zehnfache der ersten Konferenz von 1996.

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