Die Schauspielerin Esther Zimmering, einem breiteren Publikum bekannt durch ihre Rollen in Kriminalfilmen und -serien wie Tatort, Polizeiruf 110 und SOKO Leipzig, bestreitet heute die Bühnenmoderation im Großen Saal der Berliner Urania.
Gelernt hat sie ihren Beruf an der renommierten Schauspielschule »Ernst Busch«. Zum ersten Mal ist sie in dieser Rolle dabei, doch die Rosa-Luxemburg-Konferenz kennt sie bereits als Besucherin der Veranstaltung in früheren Jahren.
Im Gespräch mit junge Welt verweist Esther auf einen »links angesiedelten« familiären Hintergrund, der sie prägte. Bereits in den 1990er Jahren engagierte sie sich bei der Solidaritätsorganisation Cuba Sí, derzeit plant sie ein Theaterprojekt mit Flüchtlingsgruppen in Berlin. Fortführen wird sie die Arbeit an einem Dokumentarfilm über den in Israel lebenden Zweig ihrer Familie. Heute moderiert Zimmering engagiert und charmant die Diskussion auf der jW-Hauptbühne.
21.09.2021 12:37 Uhr
Mit neuen Strategien zur Weltherrschaft
Michel Chossudovsky, kanadischer Professor für Wirtschaftswissenschaften, ist nicht zum ersten Mal als Referent auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz zu Gast. Leidenschaftlich machte er auch diesmal klar, welche Ziele imperialistische Kriege wirklich haben. »Die Art der Kriegsführung hat sich dramatisch verändert«, sagte Chossudovsky. Cyberwar und Destabilisierung stehe heute im Mittelpunkt.
Todesschwadronen verbreiten unter der Kontrolle westlicher Militärs Angst und Schrecken. Das sei die wahre Kultur dieser Kriegsführung. Das Ziel sei es, dem Westen genehme Regimes zu installieren, nicht anders als während der Aggressionen gegen Vietnam oder Kambodscha. Chossudovsky nannte ein Beispiel: »Der US-amerikanische Senator John McCain geht illegal über die Grenze nach Syrien und trifft sich dort mit Al Qaida-Kämpfern. Das wird dann in der Berichterstattung als ein Treffen mit Freiheitskämpfern bezeichnet.«
»Wenn wir uns den Nahen Osten anschauen, dann rücken die Kriegsgebiete immer mehr zusammen«, bilanzierte Chossudovsky. Die gleichen Todesschwadronen, die in Syrien eingesetzt worden seien, seien nun im Irak aktiv. »Die USA und ihre Geheimdienste fahren eine geheime Strategie«, erläuterte der Referent. Rohstoffe, Ressourcen und Drogenhandel spielten eine große Rolle. Und die letztendlichen Ziele seien Rußland und China.
Es gebe eine interne Propaganda, die innerhalb der NATO und der Parlamente funktioniere. »Sie glauben ihre eigenen Lügen«, sagte Chossudovsky. Man müsse Menschen wie etwa Muslime dämonisieren, da sie in den Ländern leben, wo das Öl zu finden ist. Die Propaganda würde sich genauso auf Buddhisten einschießen, wenn diese Öl hätten. Chossudovsky differenzierte drei Arten der Meinungsmache: Der bereits erwähnte interne Kampf um die Deutungshoheit in Parlamenten und Apparaten, die Medienberichterstattung des Mainstreams und die schlimmste Art, die Propaganda innerhalb progressiver Organisationen, die von Stiftungen, wie etwa Rockefeller, finanziert werde. Dahinter steckt immer dieselbe Absicht: Abbau von Vorbehalten gegen kriegerische Aggressionen.
21.09.2021 12:37 Uhr
Roter Blog
Blick in den Presseraum in der Berliner Urania. Auf einer Videowand wird das Geschehen auf der Hauptbühne im Großen Saal übertragen. Hierher können sich die Berichterstatter von der Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Schreiben zurückziehen. Auch dieses Online Spezial von junge Welt wird in diesem Medienraum von den Text- und Bildredakteuren auf dem laufenden gehalten.
21.09.2021 12:37 Uhr
»Frohes neues Jahr...«
Die Piratenpartei, Linke aus Aragonien, Basken, deutsche und türkische Kommunisten, kleine und größere linke Zeitungen – das Foyer der Berliner Urania ist auch bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz ein bunter Marktplatz des Meinungsaustausches, der Diskussionen und vor allem auch des Wiedersehens.
»Frohes neues Jahr« heißt es immer wieder, »denn das darf man ja noch sagen...« – Natürlich, denn für Linke vieler Richtungen beginnt das Jahr eigentlich erst mit der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am morgigen Sonntag und mit der heutigen Konferenz. Viele sehen sich jedes Jahr einmal – in Berlin, aus diesem Anlaß. Es ist ein herzliches Umarmen und Austauschen, was sich denn in den vergangenen zwölf Jahren ereignet hat. Die einen füllen bei „Karli" ihren Vorrat an garantiert links geimkertem Bienenhonig auf, die anderen legen sich das erste T-Shirt der neuen Saison zu – mit den einschlägig beliebten internationalistischen Motiven oder auch den Slogans der jW.
Ein paar Treppen hoch geht es in diesem Jahr erstmals weiter. Wo früher ein türkisches Kulturzentrum untergebracht war, ist in diesem Jahr das »Café K« geöffnet, das von der DKP und der SDAJ betrieben wird. Knackwurst, verschiedene Suppen und Kuchen sind hier ebenso erhältlich wie eine Direktübertragung der Vorträge im Saal. Mit einer Kunstausstellung präsentieren sich Maler mit ihren Werken, eine Fotoausstellung präsentiert Eindrücke von den Weltfestspielen der Jugend und Studierenden im vergangenen Dezember in Quito. Auch Kuba ist wieder präsent – mit einer weiteren Ausstellung, mit Publikationen der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba und von Cuba Sí sowie mit Vertretern der kubanischen Botschaft in Berlin, die sich erneut beeindruckt von den Referaten und der Stimmung zeigten.
1982 wurde der linke Radioreporter und Ex-Black-Panther Mumia Abu-Jamal als angeblicher »Polizistenmörder« zum Tode verurteilt. Mumia wurde weltweit zu einem Symbol für den Kampf der Unterdrückten und für die Ächtung der Todesstrafe. Er ist, auch als Kolumnist der Tageszeitung junge Welt, den Lesern seit langem bekannt.
Mittlerweile ist die Todesstrafe in eine lebenslange Haft - ohne eine Aussicht auf Bewährung - umgewandelt worden. Doch der Kampf um Mumias Freiheit - und gegen das rassistische US-Justizsystem - geht weiter: Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz verlaß Mumias Sohn eine Botschaft seines Vaters. Das Podium applaudierte lange und sandte Grüße der Konferenz in Mumias Gefängniszelle.
21.09.2021 12:37 Uhr
Errungenschaft Konferenzkita
Die »Konferenzkita« gibt es jetzt zum zweiten Mal. Erneut wird der Nachwuchs der Besucher von jungen Leuten von der Agentur »Pünktchen« betreut – vier Frauen und ein Mann sind es dieses Mal.
»Pünktchen« ist auf diese Aufgabe spezialisiert, sagt Zubin Zainal, einer der Betreuer, im Gespräch mit jW. In einem großen Raum – im Gegensatz zum Saal, zu Fluren und Cafeteria – sehr angenehm klimatisiert, spielen am Nachmittag neun Kinder zwischen einem und elf Jahren.
Die »Pünktchen«-Leute haben alles Nötige mitgebracht, damit keine Langeweile aufkommen kann. Die Großen legen bunte Bilder aus Plastikperlen, die anschließend mit dem Bügeleisen fixiert werden. Vorher haben sie mit Papprollen, Glitterstaub und Farbe Fernrohre hergestellt.
Die Jüngeren können auf großen, weichen Kunststoffquadern und -zylindern rumklettern, »kochen«, mit kleinen Fahrzeugen spielen – und für das Nickerchen zwischendurch liegen etliche Matratzen mit bunten Kissen und Decken bereit. Schön, dass es sowas nach 17 Konferenzen ohne gibt.
Bis 2012 mußten sich Eltern sich immer was Geschicktes einfallen lassen oder sich bei der schwierigen Beschäftigung der Kleinen in stickigen, überfüllten Räumen abwechseln. Oder besser von vornherein jedes zweite Jahr allein hinfahren, um sich und vor allem den Kindern diese Zumutung zu ersparen.
Dieses Jahr bietet sich sogar ein Spielplatzbesuch zwischendurch an – im Normalfall ist dergleichen im Januar weniger prickelnd. Einem gedeihlichen familiären Miteinander in linken Familien ist die Errungenschaft Kita in jedem Falle zuträglich.
21.09.2021 12:38 Uhr
Treffpunkt der Linken
Bei etwa 2000 Besucherinnen und Besuchern ist eine repräsentative Umfrage zu Motivation der Teilnehmer oder eine Ermittlung des Altersdurchschnitts nicht möglich. Ganz offensichtlich ist aber nach wie vor, daß die mittlere Generation der Enddreißiger bis Mittfünfziger weniger stark vertreten ist als die der Jungen zwischen 17 und 27 und die der Älteren.
Ein Rundgang auf den Fluren fördert Spannendes zutage. Viele sind zum ersten Mal da, andere regelrechte Stammgäste. Wie zum Beispiel Adelheid Barnickel (66) aus Berlin. »Ich glaube, ich komme zur Konferenz, seit es sie gibt.« Das gehöre bei ihr einfach »zum Jahresablauf dazu«.
Auch Bahar Pancabiglil ist schon das fünfte Mal dabei, obwohl erst 28 Jahre jung. Für sie ist ein »Riesenmotiv« herzukommen, daß man hier so viele Menschen trifft, »die sich engagieren, die mit kämpfen, viel mehr, als wir es uns im Alltag vorstellen können.« Da sei man meist eine kleine Gruppe. Die junge Frau kommt aus Schwäbisch Hall und engagiert sich seit sieben Jahren in der DKP.
Ewald Leppin sitzt am selben Tisch. Der 69jährige ist zum ersten Mal auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Er hat davon aus dem Neuen Deutschland erfahren. Seit Kurzem lebt er in Frankfurt an der Oder ganz im Osten der Republik – und studiert nochmal, Polnisch und Kulturwissenschaften. Eigentlich kommt der Lehrer aus Hamburg, war bis zur »Wende« in der DKP und von Berufsverbot betroffen. In einer Partei ist er nicht mehr, aber »wenn es gegen Nazis geht oder darum, etwas für Flüchtlinge zu tun, bin ich dabei«.
Thomas Kaiser (20) kommt aus dem Odenwald und wurde von seinem Freund Nico von der SDAJ »mitgeschleppt«. Die junge Welt kennt er über das Abo seiner WG. Angelika Röser (59) ist gemeinsam mit Tochter Anja Motzeck (39) und Enkelin Mia (18) gekommen. Röser wohnt in Berlin und ist parteilose Kommunistin und politisch aktiv, seit sie denken kann. Anja sieht es als großen Vorteil, in einer solchen Familie aufgewachsen zu sein. Sie ist seit kurzem Mitglied der Partei Die Linke in Berlin-Neukölln und schätzt die solidarische Atmosphäre in ihrer Basisorganisation.
Die drei Frauen kritisieren, daß der Besuch der Konferenz sehr teuer ist, wodurch viele »von vornherein ausgeschlossen sind«, so Röser. Außerdem sei die Atmosphäre sehr anonym, die Möglichkeit, sich einzubringen und mitzudiskutieren, zu wenig gegeben.
Premiere auf bei der Konferenz feiert die Piratenpartei. Zwei Frauen haben einen Ministand aufgebaut, ihr »piratisches Mandat« berechtigt sie, das auf eigene Initiative hin zu tun. Bettina Günter (49) engagiert sich im Berliner Verband der Piraten und hat in der Vergangenheit schon Konferenzbesucher beherbergt, war aber selbst noch nicht dabei. Auch jW-Leserin war sie lange, aber die Zeitung kam immer erst nachmittags - für sie als Berufstätige war es dadurch kaum noch möglich, sie zu lesen.
21.09.2021 12:38 Uhr
Kinder über die Kinderbetreuung
Lina Meret Kirsche (9)
Vor zwei Jahren, also 2012, haben wir Unterschriften für eine Kinderbetreuung auf der Rosa-Luxemburg-Konfernz gesammelt. Mit 180 Unterschriften haben wir dann 2013 eine Kinderbetreuung bekommen. In diesem Jahr gibt es wieder eine. Dort können wir spielen, malen und basteln und Fußball spielen. Hier gibt es Brettspiele, Bauklötze, Kegel, Bälle, Aufsteckperlen und Mal- sowie Bastelsachen.
Hier kommen kleine wie große Kinder – zwischen ein und 12 Jahre alt. Insgesamt sind hier 20 bis 25 Kinder.
Ich persönlich finde die Kinderbetreuung gut. Wir müssen keine Vorträge hören, die für uns Kinder langweilig sind.
Hier wird es nie langweilig.
Mian, der Fotos von der Kinderbetreuung macht und sieben Jahre alt ist, sagt: „Als erstes wollte ich hier nicht hin. Dann bin ich aber doch gekommen. Ich finde das Spielen schön.“
Yoana, vier Jahre, sagt: „Ich finde es gut hier.“ Und Kiyan, sechs Jahre: „Ich finde es toll, wie man hier spielen kann.“
Etienne, drei Jahre alt, sagt: „Ich finde es sehr schön.“
Leander, neun Jahre, sagt: „Gut.“
21.09.2021 12:39 Uhr
Krise und Militarisierung
Mit der Mahnung Rosa Luxemburgs (»Sozialismus oder Barbarei«) vor einer Enthumanisierung der Gesellschaft unter kapitalistischen Vorzeichen leitete Maria do Socorro Gomes Coelho aus Brasilien, Präsidentin des Weltfriedensrates, ihren Redebeitrag ein.
Der Imperialismus habe sich in den Jahrzehnten seither in seinem Wesen nicht gewandelt, betonte die Rednerin. Die Krise des neoliberalen Modells zeige sich auch in einer stärkeren Militarisierung der Politik und Kriegen unterschiedlicher Art und Intensität.
Hierzu ging Socorro auf die Konflikte und Interventionen in Nordafrika und Nahost und die Bestrebungen der USA ein, ihre Vorherrschaft international zu zementieren und sich den Zugriff auf Ressourcen zu sichern. Zu diesem Zweck hätten die Vereinigten Staaten die Welt mit einem Netz von Militärstützpunkten überzogen.
Socorro betonte, dass es sich bei der NATO um einen "offensiven Militärpakt, um eine Kriegsmaschine der Vereinigten Staaten, ihrer Allierten und der EU" handele, die nach dem Ende des Kalten Krieges jedes Land der Welt mit Massenvernichtungswaffen bedrohen könne.
Flankiert würde die US-Geostrategie von einem "ökonomischen Krieg", wie ihn die Länder ihres Kontintents verstärkt erlebten.
21.09.2021 12:39 Uhr
Abschluß mit der Internationale
Mit dem gemeinsamen Singen der Internationale in den zahlreichen Sprachen der Teilnehmer ist soeben die 19. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz zu Ende gegangen. Auf der Bühne erhoben sich die Teilnehmer der abschließenden Podiumsdiskussion und im Auditorium viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie der Helfer der Konferenz zum Gesang der Arbeiterhymne.
Für den Fall, daß jemand den Text dieses traditionsreichen Liedes nicht parat hatte, wurden dessen drei Strophen hinter der Bühne an die Wand geworfen. Doch die meisten Menschen waren textsicher - sei es auf Portugiesisch, Baskisch, Spanisch, Dänisch, Englisch, Türkisch oder Deutsch. Auch in den übrigen Räumen der Berliner Urania stimmten viele mit ein, nicht selten mit erhobener Faust.
21.09.2021 12:39 Uhr
Künstler mischen sich ein
Unter dem Motto »Gegen alten Geist und neue Kriege – Künstler mischen sich ein« stellten mehrere bildende Künstlerinnen und Künsterler im Rahmen der Rosa-Luxemburg-Konferenz aktuelle Werke aus. Fotostrecke Die neu gebildete »Gruppe Tendenzen« hatte sich im Vorfeld der Konferenz gegründet. Ihr Name knüpft an die gleichnamige Kunstbewegung progressiver Künstlerinnen und Künstler in der alten BRD der 1970er und 1980er Jahre an. Die Gruppe entstand aus dem Bedürfnis, so beschreiben es die Mitglieder in einer Erklärung, Kunst und Kultur für den Alltag zu entwickeln und das Leben der arbeitenden Menschen als Subjekt in die Bildende Kunst zu bringen.
21.09.2021 12:39 Uhr
junge Welt lesen und unterstützen
In einer Pause auf dem Podium interviewt Moderatorin Esther Zimmering Ingo Höhmann vom Aktionsbüro der jungen Welt. Die aktuelle Kampagne zur Gewinnung von 10000 Probeabonnenten der Zeitung läuft bei ihm zusammen. Das Erreichte bleibt hinter dem hoch gesetzten Ziel noch zurück, bis Ende März müßten etwa 3000 weitere Probeleser gewonnen werden, um die Marge zu schaffen. Höhmann appelliert an Besucher und Leser, in ihrem Umfeld Menschen für junge Welt zu interessieren. Das dreiwöchige Probeabo kann kostenlos und unverbindlich auch online bestellt werden.
21.09.2021 12:39 Uhr
Riexinger bekräftigt Antikriegshaltung der Linken
Die Haltung der Partei Die Linke in friedenspolitischen Fragen wurde zu einem zentralen Thema der der zweiten Podiumsdiskussion des Tages.
Sie stand unter dem Motto: »Wie kann der Kampf gegen Faschismus, Krieg, Sozialabbau gebündelt werden?«
Der die Debatte moderierende jW-Chefredakteur Arnold Schölzel wies eingangs darauf hin, daß die Bundeswehr mittlerweile schon zwölf Stützpunkte im Ausland unterhalte. Ein Ausweis der Militarisierung deutscher Geopolitik.
Mit ihm auf dem Podium: Maria do Socorro Gomes Coelho (Präsidentin des Weltfriedensrats), Ulrich Schneider, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer, der Vorsitzende der Partei Die Linke Bernd Riexinger sowie Monty Schädel für die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK)
Maria do Socorro wies darauf hin, daß als Folge wie auch zur Vorbereitung der nächsten Kriege an vielen Orten der Welt neue Militärstützpunkte eingerichtet würden. Ulrich Schneider hob besonders die Rolle ultrarechter Parteien in Ost- und Südeuropa als Türöffner für imperialistische Invasionen hervor. Als Beispiele brachte er die ungarische Jobbik-Partei und Chrysi Avgi in Griechenland.
Auf die Frage, wie es um die Friedensbewegung bestellt sei, hob Monty Schädel hob hervor, daß es in der Bundesrepublik allerorts engagierte Friedenskämpfer gäbe. Aktuelle Themen seien der Waffenhandel, die US-amerikanischen Atomwaffen in der Bundesrepublik, die Ächtung von Drohnen, eine Schule ohne Militär.
Ein Problem der Bewegung sei, so Schädel, daß viel zu viele Themen zu bearbeiten wären, was die wenigen Aktiven an die Grenzen ihrer Kräfte bringe.
Scharf kritisierte Schädel, daß die Fraktion Die Linke im Landtag Mecklenburg-Vorpommern erstmals in ihrer Geschichte zum Neujahrsempfang auch die Bundeswehr eingeladen habe. Eine Einladung an die Friedensbewegung sei hingegen nicht erfolgt. Die Linke solle sensibel auf solche Tendenzen reagieren, wobei er auf Aussagen des Parteirechten Stefan Liebich anspielte, der in jüngste mit Bezug auf das Europawahlkampfprogramm das prinzipielle Nein zu deutschen Militäreinsätzen als »unrealistisch« und »weltfremd« zurückgewiesen hatte (siehe jW vom 9.1.2014).
Linke-Vorsitzender Bernd Riexinger betonte, Positionen von einzelnen Personen spiegelten nicht die Meinung der Gesamtpartei wieder. Es sei ja Die Linke, die Aktionen der Friedensbewegung unterstütze. Diese Aktivitäten sollten verstärkt werden, so Riexinger. Eine Aufweichung der Position der Linken als Antikriegspartei fände nirgendwo in den Parteigliederungen eine Mehrheit. Die friedenspolitische Position der Linken dürfe nicht als »Türöffner« für mögliche Regierungsbeteiligungen aufgeweicht werden.
Riexinger ging auf die Ursachen von Kriegen ein und nannte hier zuerst die soziale Frage. Diese müsse Die Linke stellen. Auch sollte die Partei Waffenexporte zum Thema machen. Dafür gebe es sowohl unter Jugendlichen als auch in Gewerkschaften eine große Sensibilität. Es sei möglich nachzuweisen, daß Konversion mehr Arbeitsplätze schaffe als die Kriegsproduktion.
Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, meldete sich aus dem Publikum zu Wort und ging auf die in der Partei diskutierte Frage nach einem Austritt oder Verbleib der Bundesrepublik Deutschland in der NATO ein. Denjenigen, die behaupteten, ein Austritt aus der NATO zu fordern sei »weltfremd«, hielt sie entgegen, es sei vielmehr weltfremd zu denken, irgend ein Problem auf der Welt ließe sich mit NATO-Truppen lösen.
Wer vom imperialistischen Krieg reden wolle, dürfe vom Imperialismus, vom Kapitalismus nicht schweigen, eröffnete Schölzel anschließend die Schlußrunde.
Man müsse den Imperialismus der USA von dem anderer Länder unterscheiden, forderte Maria Socorro. Die Ausgaben für Krieg und Rüstung in den USA seien höher als in anderen Ländern. Es sei klar, der Kapitalismus sei in einer Krise, aber der Kampf der Menschen müsse gerade jetzt verstärkt werden. Man sollte mit der Abrüstung da beginnen, wo die meisten Waffen seien. Was die vielen Menschen, die auf der Welt gegen Krieg kämpften, vereine, sei die Friedenskultur. Der US-Imperialismus sei die Macht, die das Leben der Menschen bedroht. Nötig sei eine gemeinsame Agenda aller Friedenskämpfer.
Ulrich Schneider ging auf die »Ethnisierung des Sozialen« ein. Hier nannte er als Beispiel den »Krieg gegen Flüchtlinge«. Es sei ein Krieg, in dem wir uns in der »Festung Europa« gegen die draußen wendeten. Er wies auf die bevorstehenden Europa-Wahlen hin. Dies sei ein wichtiger Termin, um antifaschistische und linke Positionen ins europäische Parlament zu wählen.
21.09.2021 12:40 Uhr
Lieder gegen den Krieg
Mit einem besonderen Konzert endet die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2014, an der mehr als 2000 Besucherinnen und Besucher teilnahmen.
Erich Schmeckenbecher, Gründer von Zupfgeigenhansel, Grup Yorum aus der Türkei, Luis Galríto und António Hilário, Liedermacher aus Portugal, sowie die Gruppe Strom & Wasser sorgen zum Ausklang für einen Höhepunkt der Veranstaltung.
Am kommenden Montag wird junge Welt über Höhepunkte der Konferenz berichten und die erste Podiumsdiskussion zusammenfassen. Am Mittwoch folgt die zweite Debatte und am kommenden Wochenende eine Fotoreportage. Am 29. Januar schließlich werden die Referate in einer Beilage publiziert, die gesamten Konferenz wird auch in einer Broschüre dokumentiert, die Ende März erhältlich sein wird.
21.09.2021 12:40 Uhr
In den Nachrichten
Die »Abendschau« des Berlin-Brandenburger Fernsehsenders rbb berichtete über die Rosa-Luxemburg-Konferenz. Der kurze Beitrag lief im ersten Nachrichtenblock.
21.09.2021 12:40 Uhr
Große Stimmung bei der SDAJ
Mit der traditionellen Begrüßung neuer junger Genossen klang am Abend auf Etage zwei die gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Sozialistischen Deutscher Arbeiterjugend (SDAJ) aus. Ein Grußwort des Schwesterverbandes der SDAJ, des Kommunistischen Jugendverbandes Österreichs (KJÖ), das deren Vorsitzender Robert Krotzner vortrug, erntete begeisterten Applaus. Fotostrecke
21.09.2021 12:57 Uhr
Wo ist Rosa?
Countdown zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (10)
Dr. Seltsam
Bei den Sozis ist Rosa Luxemburg nie Thema, bei den Kommunisten auch nicht immer – bei der jungen Welt aber seit 1996, als sie die erste Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin organisierte.Und bei Dr. Seltsam, der in Berlin Touren zu ihren Wirkungsstätten macht. (jW)
Am 7. November 1917 beginnt in Rußland die Revolution. Sie wird begrüßt von Karl Liebknecht (Brief 11.11.17), dem USPD-Vorstand (12.11.), der SPD-Zeitung Vorwärts, von den rechten SPD-Führern Friedrich Ebert und Friedrich Stampfer (15.11.), von Clara Zetkin (16.11.) und von Rosa in einem Brief aus dem Gefägnis (24.11.). Lediglich ihr Exfreund, der »Renegat Kautsky« kritisiert sofort die »Diktatur des Proletariats«. Es folgen Streiks bei Daimler in Berlin-Marienfelde (3.–8.12.), Verbrüderungen an der Ostfront, im April 1918 Meutereien auf den Panzerkreuzern »Westfalen« und »Posen«, 46 Matrosen werden erschossen.
Erst ein Jahr später, am 3. November 1918, beginnt endlich die Revolution in Deutschland. Matrosen der kaiserlichen Kriegsflotte in Wilhelmshaven und Kiel weigern sich, zur »letzten Schlacht« gegen England auszulaufen und abzusaufen. Um nicht erschossen zu werden, müssen sie ihre Offiziere entwaffnen und die Verwaltung der Garnisonstädte übernehmen. Mit ihrer Hilfe werden überall Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Die Fürsten treten ab. Es fehlt aber die Verhaftung der Reichsregierung und die Enteignung der Banken und Großbetriebe.
Ohne Kenntnis der Ereignisse beschließen die »Revolutionären Obleute« mit Karl Liebknecht die Revolution für Berlin, allerdings frühestens für den 11. November. So sehr täuschen sich auch glühende Revolutionäre über den Ausbruch der Massenenrevolte, sie verlieren eine entscheidende Woche, während sich der Konterrevolutionär Gustav Noske (SPD) schon zum Militärgouverneur von Kiel wählen läßt. Karl Liebknecht ruft am 9. November von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses die »Sozialistische Räterepublik« aus.
Mit einer Handvoll linker Matrosen besetzt der Spartakist Hermann Duncker den reaktionären Scherl-Verlag. Mit den Worten »Meine Herren, die Zeiten haben sich geändert, Sie wissen was Sie nun zu schreiben haben!« zwingt er die rechten Redakteure, die erste Rote Fahne-Zeitung herauszubringen, die berühmte Nummer 1 vom 9. November mit der Schlagzeile »Berlin unter der roten Fahne« in altdeutscher Fraktur. Heute ist dieses Exemplar unbezahlbar.
Die Matrosen werden in ihre Heimatstädte entsandt und revolutionieren dort die Verhältnisse.
Von all dem bekommt Rosa Luxemburg gar nichts mit, denn sie ist am 9. November immer noch Gefangene. Erst am 10. November trifft sie aus Schlesien mit dem Breslauer Zug am Schlesischen Bahnhof ein, heute der Ostbahnhof. Man verfrachtet sie sofort zum Anhalter Bahnhof, wo in dem eleganten, heute nicht mehr existierenden Hotel Excelsior endlich der revolutionäre Spartakusbund gegründet wird und Aufgaben verteilt werden: Liebknecht Straßenagitation, Luxemburg Rote Fahne usw. Nun könnte man endlich loslegen, aber der fette Scherl-Verleger hat sich schon hinter Ebert gestellt und der läßt mit eigenen Soldaten die Revolutionäre rauswerfen. Erst am 18. November erscheint die RF Nr.3 unter der Redaktion von Rosa Luxemburg.
Erst Ende Dezember schläft Rosa erstmals wieder zu Hause. Das kleine Journal, Königgrätzer Str. 40/41 wird zum Verlag der Roten Fahne. Heute ist das die Stresemannstraße, wo es wie in ganz Kreuzberg keine Erinnerungstafel an Rosa Luxemburg gibt.
21.09.2021 12:56 Uhr
Wo ist Rosa?
Countdown zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (9)
Dr. Seltsam
Bei den Sozis ist Rosa Luxemburg nie Thema, bei den Kommunisten auch nicht immer – bei der jungen Welt aber seit 1996, als sie die erste Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin organisierte. Und bei Dr. Seltsam, der in Berlin Touren zu ihren Wirkungsorten macht. (jW)
Rosa ist 1916 nur ein halbes Jahr auf freiem Fuß. Sie beginnt die Herausgabe der »Spartakusbriefe« zur Sammlung der linken Opposition. Nummer eins erscheint am 20. September 1916, die Nummer 12 im Oktober 1918. Die Gruppe Internationale heißt nun Spartakusgruppe, später dann sogar KPD/Spartakus.
Mir erscheint das ein etwas unglücklich gewählter Name, denn dieser antike Sklavenaufstand, die »gewaltigste Tatsache der alten Geschichte« (Marx) war nach langen Kämpfen furchtbar gescheitert, etwa 4000 Sklaven wurden gekreuzigt.
Auch der deutsche Spartakusaufstand wird auf ähnliche Weise enden. Rosa wird in Berlin ohne Gerichtsurteil von der Militärverwaltung am 10. Juli 1916 in sogenannte Sicherheitshaft genommen, zunächst im Polizeigefängnis Alexanderplatz (dort war in den zwanziger Jahren die Karstadt-Hauptverwaltung), am 27. Juli landet sie wieder im Weibergefängnis Barnimstraße, danach bis 9. November 1918 in den Festungsgefängnissen Wronke und Breslau.
Die SPD-Regierung amnestiert Ende Oktober 1918 alle politischen Gefangenen, nur nicht Rosa. Sie protestiert und wird am 9. November aus dem Breslauer Knast entlassen. Deshalb kann sie nicht dabei sein, als die Revolution Berlin erreicht.
Trotz der grauenhaften Abgeschlossenheit und politischen Hoffnungslosigkeit entsteht in Wronke ein literarisches Meisterwerk, der »Büffelbrief«, den sie im Dezember 1917 an Sonja Liebknecht schreibt, ein tröstlicher Weihnachtstext für alle einsamen Revolutionäre. Karl Kraus, der Meister der Sprache, bekam 1920 diesen Brief in die Hände und verlas ihn mehrmals vor großem Publikum, als Ausdruck höchster Anerkennung für dessen lyrische Kraft.
An einem schweren Wintertag sieht Rosa im Gefängnishof ein Büffelgespann und muß erleben, wie ein Soldat auf die Zugtiere einschlägt, bis sie zusammenbrechen. Zur Rede gestellt, sagt der Soldat: »Mit uns hat ja auch keiner Mitleid!« Damit ist alles gesagt.
In seiner Zeitschrift Die Fackel druckt Karl Kraus den Brief einer ungarischen Gutsbesitzerin ab, die meint, wenn Rosa bei Blumen und Tieren geblieben wäre, »hätte sie wohl nicht Bekanntschaft mit dem Gewehrkolben gemacht«. Kraus kommentiert diesen Brief. Die Gutsbesitzerin muß sich bei ihm quasi einer literarisch-moralischen Auspeitschung unterziehen. »Der Kommunismus (…), der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen (…), damit sie wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehen!« (Karl Kraus Band 16)
Der »Büffelbrief« und Kraus’ Kommentar gehören zum Besten was in deutscher Sprache jemals verfaßt worden ist. Bei jedem Rosa-Gedenken sollte daraus ausgiebig zitiert werden.
21.09.2021 13:01 Uhr
Soldat wird Whistleblower
Menschenrechtsverletzungen bei Irak-Einsatz enthüllt: Der dänische Hauptmann Anders Kaergaard hat seine Stimme gegen den Krieg erhoben und wird inhaftiert
Freja Wedenborg, Kopenhagen
Am kommenden Wochenende wird Anders Kaergaard auf der XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz darüber sprechen, wie der imperialistische Krieg aus der Sicht eines Soldaten aussieht. Dieser öffentliche Auftritt markiert einen Höhepunkt seiner Entwicklung von einem ranghohen Offizier zu Dänemarks bekanntestem Whistleblower. Als das Land 2004 in den von den USA geführten Krieg gegen Irak eintrat, gehörte Kaergaard als einer der obersten Geheimdienstoffiziere im Rang eines Hauptmanns dem Militärischen Nachrichtendienst des 4. Bataillonsverbandes der Königlich Dänischen Armee an. Mit seinen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen bei einer Militäroperation im Irak löste er in seiner Heimat einen Skandal aus.
»Operation Green Desert«
In den frühen Morgenstunden des 25. November 2004 marschieren 1000 dänische, britische und irakische Soldaten in die kleine irakische Ortschaft Al-Zubair etwa acht Kilometer südlich von Basra ein. Die »Operation Green Desert« (Operation Grüne Wüste) nimmt ihren Lauf. Die größte Militäraktion unter dänischem Befehl wird von Bataillonskommandeur Oberst John Dalby geführt. Der Angriff geschieht auf Anforderung der von Schiiten dominierten irakischen Armee und gilt vier Zielobjekten im Ort. Als leitender Nachrichtenoffizier im dänischen Abschnitt hatte Anders Kaergaard die Informationen der irakischen Seite vorab erhalten und ausgewertet. Er maß ihnen die denkbar geringste Glaubwürdigkeit bei. Dem dänischen Bataillonskommandeur empfahl er deshalb nachdrücklich, die Operation nicht durchzuführen. »Angeblich sollten sich in dem kleinen Ort auf vier Bauerngehöften neben hohen Anführern von Al-Qaida auch Issad Al-Douri, Führer der irakischen Aufständischen, weitere Aufständische aus Falludscha und Verantwortliche für Sprengfallen aufhalten. Die Zusammenstellung las sich wie eine Wunschliste der internationalen Streitkräfte. Passenderweise sollten sich die Gesuchten auch noch in der Nähe des dänischen Lagers aufhalten«, erklärt Kaergaard gegenüber junge Welt. »Einfach zu schön, um wahr zu sein. Wer die Gegend und die Spannungen zwischen der schiitischen irakischen Armee und den sunnitischen Einwohnern von Al-Zubair kannte, mußte mißtrauisch sein.«
In seinem Geheimdienstbericht über die Operation beschreibt Kaergaard als wahrscheinlichstes Szenario, daß die Soldaten auf wehrlose Zivilisten stoßen würden. Er warnt davor, daß auf den Bauernhöfen große Familien leben, was bedeuten könnte, daß viele Gefangene gemacht werden, darunter viele Frauen und Kinder. Trotz der Warnungen besteht der dänische Bataillonskommandeur darauf, die Operation durchzuführen. Um 3.34 Uhr am Morgen des 25. November übernimmt er den Befehl und führt die multinationale Truppe nach Al-Zubair. Die Operation läuft so ab, wie Kaergaard es in seinem Bericht vorhergesagt hat. In den vier Zielobjekten gibt es keine feindlichen Kämpfer, nur irakische Zivilisten.
Die dänischen und britischen Soldaten umzingeln die Häuser, während die irakischen Soldaten die Türen eintreten, die Bewohner auf die Straße zerren und sie in das berüchtigte Al-Jamiat-Gefängnis nach Basra bringen. Dort werden sie bis zu 70 Tage lang erniedrigenden Verhörmethoden und schwerer Folter mit Fausthieben, Tritten und Elektroschocks ausgesetzt, bevor sie einer nach dem anderen freigelassen werden, ohne je angeklagt oder einem Richter vorgeführt worden zu sein. Ein dänischer Arzt, der die Folterfolgen untersucht, bestätigt später die Angaben der Zivilopfer.
Trotz des Fehlschlags der Operation schickt das dänische Bataillon eine Presseerklärung nach Dänemark. Darin heißt es: »Die Operation verlief planmäßig und mit großer Effizienz. Obwohl die Personen am Zielort höchstwahrscheinlich zu unseren härtesten Gegnern gehören, hat niemand Widerstand geleistet. Die irakischen Einheiten gaben eine gute Vorstellung ihres Könnens.« Auch in seinem Bericht an den Führungsstab in Kopenhagen bestätigt der Bataillonskommandeur den Erfolg der Operation.
Anders Kaergaard verfügt über zwei belastende Beweismittel: Seinen Bericht, der belegt, daß er den Bataillonskommandeur vor der Operation über das Risiko gewarnt hatte, daß sie sich rein gegen Zivilisten richten werde. Und noch wichtiger: Ein Video der dänischen Einheit über ein Zielobjekt der Operation. Darin ist zu sehen, wie dänische Soldaten tatenlos dabei zusehen, wie irakische Soldaten die vor ihnen knienden und gefesselten Zivilisten schlagen und treten. »Das war ein klarer Bruch internationaler Konventionen, und wir wußten das. Ich zeigte John Dalby das Video nach der Operation und uns beiden war klar, daß die dänischen Truppen aus dem Irak abgezogen würden, wenn das Video an die Öffentlichkeit gelangte«, sagt Anders Kaergaard. Er fungierte im Irak als sogenannter PSYOPS-Offizier, der mittels psychologischer Kriegführung Unterstützung für den Krieg gewinnen sollte. Nach seinen Angaben war die »Operation Green Desert« ursprünglich als Presseoffensive geplant, um in der Heimat den Beweis für die Notwendigkeit der Präsenz der dänischen Streitkräfte im Irak zu erbringen. »Wir brauchten eine erfolgreiche Operation, deshalb sollte dabei auf irakische Zivilisten keine Rücksicht genommen werden.«
Skandal enthüllt
Acht Jahre nach dem Einsatz trifft Anders Kaergaard eine Entscheidung, die sein Leben verändern sollte. Inzwischen haben 23 von 36 Zivilopfern der »Operation Green Desert« Klage gegen die dänische Regierung eingereicht und machen sie für die erlittene Folter verantwortlich. Im Vorverfahren weist die dänische Armee die Verdächtigungen zurück und behauptet, es existierten keine Filmaufnahmen.
Im Oktober 2012 hat Kaergaard genug von diesen Lügen und Verschleierungen. Er veröffentlicht das Video von der Operation, während die linke Tageszeitung Arbejderen eine Reihe militärischer Geheimdokumente abdruckt, darunter Kaergaards Geheimdienstbericht über die Operation. Sie zeigen, daß das Militär gelogen hat, weil intern bekannt war, daß die während der Operation gemachten Gefangenen Zivilisten waren.
Kaergaard dazu: »Ich hatte versucht, meine Bedenken innerhalb des Systems zu äußern – sowohl gegenüber der Verteidigungsbürokratie, dem militärischen Nachrichtendienst, dem Obersten Militärstaatsanwalt als auch dem Verteidigungsministerium. Aber nichts passierte. Niemand im System wollte, daß diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangten.«
Die Enthüllungen lösten einen Skandal im dänischen Militärsystem aus. Sie führten zu intensiven Debatten im Parlament, und der Chef des dänischen Verteidigungskommandos mußte zugeben, daß die Behauptung, es gebe kein Video von der Operation, eine Lüge war. Weniger als 24 Stunden nach Veröffentlichung der Arbejderen-Artikel sah sich die Armee gezwungen, den Geheimdienstbericht über die Operation, der 18 Monate unter Verschluß gehalten worden war, offenzulegen. Der Report wird zu einem wichtigen Dokument im Klageverfahren der inhaftierten irakischen Zivilisten.
Der dänische Verteidigungsminister bekennt, es sei niemals untersucht worden, ob die während der Operation Inhaftierten nun Zivilisten oder Topterroristen waren. Der Zusammenarbeit mit dem irakischen Militär sei höhere Priorität eingeräumt worden als der Sicherheit der Zivilisten. Im Ergebnis des Skandals werden jedoch weder der Verteidigungsminister, der Chef des Verteidigungskommandos noch die verantwortlichen Offiziere angeklagt. Nur Anders Kaergaard wird strafrechtlich verfolgt. Die Armee sperrt ihn für sechs Monate ein, und das Verfahren wird nach Zahlung einer Geldstrafe von 2000 Euro eingestellt.
Kein Bedauern
Bis heute wurde die Klage der irakischen Zivilopfer der »Operation Green Desert« nicht zur Verhandlung vor einem dänischen Gericht zugelassen. »Anstatt diesen wichtigen Fall zu untersuchen, hat die Armee ihre Energien darauf verwandt, den Enthüller zu verfolgen und das Verfahren ansonsten niederzuschlagen«, sagt Kaergaard. Für ihn persönlich hatte die Sache jedoch größere Konsequenzen. Er verlor seinen Job, und Menschen aus seinem sozialen Umfeld und seiner Familie wandten sich von ihm ab. Außerdem wird er bedroht, auch aus dem Kreis seiner früheren Kameraden. Das trifft ihn besonders hart, weil er wie viele dänische Soldaten nach Kriegseinsätzen an einem postraumatischen Belastungssyndrom leidet. Anders Kaergaard bedauert aber nicht, seine Stimme gegen den Krieg erhoben zu haben. »Hunderttausende irakische Zivilisten haben in diesem Krieg einen viel höheren Preis gezahlt. »Es war an der Zeit, daß auch ich meinen Preis zahlte«, sagt er. Jetzt setzt er sich weiter dafür ein, daß die irakischen Zivilopfer ihren Fall vor ein dänisches Gericht bringen können. Außerdem kämpft er für die Rechte von Whistleblowern in der dänischen Armee. Mit Erfolg: In einer von Arbejderen und Amnesty International im November 2013 veranstalteten Anhörung sagte die dänische Regierung die Einsetzung eines Ausschusses zu, der dafür sorgen soll, die Enthüller von Skandalen gesetzlich zu schützen.
Freja Wedenborg ist Redakteurin von Arbejderen. Die dänische Zeitung gehört zu den Unterstützern der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Übersetzung: Jürgen Heiser
21.09.2021 12:59 Uhr
Gespenst von links
Standpunkt. Das Terrain des Kampfes wechseln: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Nationen und Völkern, sondern zwischen oben und unten
Bernd Riexinger
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, wird auf der XIX. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar an der Podiumsdiskussion über die Frage »Wie kann der Kampf gegen Faschismus, Krieg, Sozialabbau gebündelt werden?« teilnehmen. Im vorliegenden Beitrag geht er dem Problem nach, wie es linken Bewegungen und Parteien angesichts eines europaweiten Vormarschs rechter Parteien gelingen kann, politischen Widerstand zu entwickeln und die Hegemonie des herrschenden Blocks zu untergraben.
Die Rechte in Europa ist auf dem Vormarsch. In Frankreich wird der Front National von Marine Le Pen möglicherweise die besten Ergebnisse bei der Wahl zum Europaparlament einfahren, die »Wahren Finnen« haben vor zwei Jahren fast 20 Prozent erreicht, die dänische »Volkspartei« zwölf, die »Goldene Morgendämmerung« ist zur Zeit drittstärkste Kraft in Griechenland. In Deutschland ist neben der höchstens regional relevanten NPD mit der »Alternative für Deutschland« eine rechtspopulistische Partei entstanden, auch wenn ihre Entwicklung inhaltlich wie organisatorisch unklar ist.
Theo Sommer, ehemaliger Herausgeber der Zeit, hat am 22. Oktober 2013 in der Wochenzeitung von einem »Gespenst« gesprochen, das in Europa umgehe, und meint damit den raschen Aufstieg populistischer, nationalistischer, rechtsextremer Parteien. Marx und Engels beschrieben in dem Satz, der hier ursprünglich anklingt, daß die Herrschenden – Regierungen, Kirche, Polizei – sich in der Hetze gegen den »Kommunismus« verbündeten, als den sie alle möglichen »linken Oppositionsparteien« verschrien. In dem aufgeregten Abwehrkampf sahen die beiden Begründer des Marxismus auch eine Bestätigung, daß diese Gegenkräfte sich tatsächlich sammeln und die Herrschaftsstrukturen umwerfen könnten. Das wird oft vergessen, wenn die Metapher an die neuen Gespenster unserer Zeit angepaßt wird.
Einer der Vizepräsidenten des Front National, Florian Philippot, fragt in seinen Reden die Zuhörenden: »Wißt ihr eigentlich, daß alle von euch reden! Daß ihr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht! Daß die politische Klasse wie besessen von euch ist! Denn sie halten euch für Frankreichs größtes Problem: euch – den Front National und Marine Le Pen!« (zitiert nach: Zeit vom 17.10.2013). Aus der Angst der etablierten Parteien zieht er die Hoffnung, daß der Rechten die Zukunft gehöre.
Sind also die rechten Parteien in Europa eine Bedrohung? Anders als etwa bei Jobbik handelt es sich bei den meisten nicht um Neonazis. Sie verzichten auf »nationalsozialistische« Gründungsmythen oder auf die Verehrung früherer faschistischer »Führer« – außer, wenn es darum geht zu provozieren und die angebliche »Herrschaft der Political correctness« in der öffentlichen Debatte zu belegen. Ihre Strategien knüpfen an die der »Neuen Rechten« an, die eine Neugründung der rechten Bewegungen sein wollte. Diese rekuriert bewußt auf linke Begriffe und Konzepte (wie schon die Selbstbezeichnung eine Antwort auf die »Neue Linke« sein sollte) und beginnt eine Art rechten Kulturkampf. Sie setzt auf Ethnopluralismus, also auf die »Reinhaltung« der ethnischen Zusammensetzung von Bevölkerungen. Rassismus wird in dieser Auffassung zu einer Art »Selbstverteidigung des Volkes«; Ursache des Rassismus seien die »Fremden«. Gleichzeitig setzen sich die rechten Parteien für eine »nationale Selbstbestimmung« in Kurdistan, im Baskenland und in ähnlichen Konflikten ein. Aktuell wird der Ethnopluralismus als »Widerstand gegen die Globalisierung« ausgegeben, und stellvertretend werden Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge bekämpft.
Neurechte Vordenker
Die Neue Rechte bezieht sich auf Theoretiker der »Konservativen Revolution« wie den deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt und den Philosophen Oswald Spengler und auf Vordenker des Neoliberalismus wie Friedrich von Hayek. Letzterer wird meist als Liberaler dargestellt, aber sein Feldzug gegen gesellschaftliche Planung und »Sozialismus« – und als solcher erschien ihm jede Art von keynesianischer Politik – umfaßte auch zentrale Momente der Demokratie: So schlug er ein Zwei-Kammern-System vor, in dem das gesetzgebende »Oberhaus« aus Personen zusammengesetzt wird, die sich »schon im Alltagsleben bewährt haben«, die nur von den über 45jährigen gewählt werden, 15 Jahre im Amt bleiben und nicht wiedergewählt werden können – und so auch nicht in der Gefahr stehen, sich bei der Bevölkerung anzubiedern. Er bevorzugte eine »liberale Diktatur«; entsprechend erschien ihm die gewählte Regierung Salvador Allende in den frühen 1970er Jahren in Chile als totalitäre Diktatur. Neoliberalismus – auch dessen gewaltsame Durchsetzung in Chile als Realisierung von »Freiheit« – und rechte Politik gehen also durchaus zusammen. Die AfD in Deutschland bewegt sich auf dieser Schnittstelle. Zum Beispiel, wenn Vorstandsmitglied Konrad Adam, ehemaliger Feuilletonredakteur der FAZ, schon vor einigen Jahren darüber nachdachte, »Inaktiven« und »Versorgungsempfängern« das Wahlrecht abzuerkennen. Noch ist nicht klar, in welche Richtung – Marktradikalismus oder Rechtspopulismus – sich die AfD entwickeln wird. Probleme mit der Demokratie haben beide Richtungen. Und beide sind gefährlich.
Viele der rechtspopulistischen Parteien in den 1980er Jahren waren Vorreiter des Neoliberalismus im Kampf gegen Wohlfahrtsstaat und Sozialdemokratie: Sie wollten die »Befreiung der Wirtschaft«, »Entstaatlichung« (Front National), eine »radikale Deregulierung der Wettbewerbsordnung« (FPÖ) und »liberalistischen Föderalismus« (Lega Nord). In den 1990er Jahren änderte sich die Konstellation: Sozialdemokratische Parteien gaben weitgehend die Verteidigung des Wohlfahrtsstaates auf und entwarfen – wie Gerhard Schröder in der BRD und Anthony Blair in Großbritannien – ihre Politik im Rahmen neoliberaler Konzepte. Sie haben den Wohlfahrtsstaat auf »Workfare« umgestellt, was bedeutet, daß Transferleistungen an eine Arbeitsverpflichtung gekoppelt werden. In Deutschland hat die Einführung der »Hartz«-Gesetze nicht nur die Lage der Erwerbslosen verschlechtert. Bis weit in die Mittelschicht hinein ist der Lebensstandard der Beschäftigen gefährdet, droht bei Erwerbslosigkeit viel schneller der soziale Abstieg. Auch die Arbeitsregime selbst ändern sich: Streß nimmt zu, die Ausweitung der Leiharbeit verunsichert, die Rente ab 67 ist faktisch eine Rentenkürzung für die Älteren, die aus den Betrieben gedrängt werden. Der Niedriglohnsektor wird ausgeweitet zum größten in den Industrieländern.
Es gelang, eine »neoliberale Erzählung« zu formulieren, die neue Bevölkerungsteile gewinnen konnte. Was das sozial bedeutet, wurde vielen nur langsam klar. Zunächst schien es, als seien nur die »anderen«, die Erwerbslosen und Prekären, betroffen. Gleichzeitig gab es kaum noch eine politische Kraft, die diese Kosten von Neoliberalismus und Globalisierung thematisiert hätte. So entstand eine große Lücke der Repräsentation. Weit und breit war kein Gespenst in Sicht, das die Macht herausfordern könnte, die Herrschenden hatten wenig zu fürchten.
In dieser Zeit erfahren die rechtspopulistischen Parteien in Europa einen Aufschwung, allerdings mit neuen Schwerpunkten. Sie nutzen die Repräsentationslücke, um sich als Vertreter der verletzten sozialen Interessen darzustellen und ihren Populismus gegen Globalisierung, gegen Europa, gegen »die Eliten« und Bürokraten mit Rassismus, mit einer Mobilisierung gegen die Armen in den Ländern und in Europa zu verbinden. Sie stellen sich als »wahre Arbeiterparteien« dar, die die Interessen der Beschäftigten verteidigen. Die rechten Parteien greifen die Ängste auf, die aus der sozialen Polarisierung erwachsen und verschieben die Auseinandersetzung weg von der Klassenfrage. Sie verteidigen scheinbar die »Mitte«, die »normalen Leute«, »das Volk« gegen diejenigen, die »leistungslose Einkommen« beziehen: Sozialhilfeempfänger, Asylbewerber, Politiker, Manager. Wenn sie sich an die »ehrlichen und hart arbeitenden Menschen« wenden, sprechen sie auch diejenigen als »Mitte« an, die von der Politik an den Rand gedrängt werden. Aber sie finden Zustimmung bis weit in die mittleren Segmente der Gesellschaft.
In der Krise, mit der Verschärfung von Kürzungspolitik und dem sozialen Elend, das damit einhergeht, sind die Möglichkeiten der rechten Parteien gestiegen. Das Muster ihrer EU-Kritik ist ähnlich: Sie machen einerseits gegen Roma und andere als sozial bedürftig Wahrgenommene mobil, andererseits aber auch gegen EU-Eliten und -Bürokraten. Die Abgrenzung gegen unten und oben gibt ihnen die Aura von Widerstand und politischer Alternative.
Angst und Verunsicherung
Mit dem Einschwenken der Sozialdemokratie in den Neoliberalismus entsteht der allgemeine Eindruck von Sinnlosigkeit der Politik, das Politische als solches ist delegitimiert. Das ist durchaus realistisch, angesichts der Alternativlosigkeit neoliberaler Politik im Parteienspektrum und aufgrund der gewachsenen Macht der Kapitalseite, die mit Standortverlagerung droht und faktisch die Abschaffung von Unternehmenssteuern und die Senkung von »Lohnnebenkosten« erzwingt. Die Wahrnehmung der Wirkungslosigkeit von Politik ist klassenspezifisch verteilt. Am stärksten ist sie bei denjenigen, die am wenigsten haben, am schlechtesten verdienen und am gravierendsten von Sozialabbau und Niedriglohn betroffen sind. Für die wenigen dagegen, die ihre Interessen in der herrschenden Politik aufgehoben sehen, die Reichen, Vermögenden, Unternehmer, für sie ist bei aller neoliberalen (Sozial-)Staatskritik die Wirkmächtigkeit von Politik evident. Und sie gehen alle zur Wahl. In der Forschung heißt das »asymmetrische Demobilisierung«. Die rechtspopulistischen Parteien erwecken dagegen den Eindruck, daß sie »anpacken, was andere liegenlassen«, und sie bilden so einen Gegenpol zur breiten Wahrnehmung, daß Politiker »nur reden und nichts tun«. Wenn niemand so recht weiß, wie man »Globalisierung« bekämpfen kann, um die eigenen sozialen Interessen zu verteidigen, machen sie ein Angebot: Rassismus, Regionalisierung, Nation.
Es ist nicht neu, daß die Rechte versucht, Unzufriedenheit und Ängste auf der einen und die Wünsche nach einer gerechteren Welt auf der anderen Seite für sich auszuschlachten. Schon der historische Faschismus hat versucht, viele kulturelle Formen der Linken – Lieder, Forderungen, Demonstrationen – zu entwenden und unter entgegengesetzten Vorzeichen zu benutzen, wie im deutschen Faschismus, indem sie weg vom klassenpolitischen Standpunkt »rassifiziert« wurden. Das macht die Strategie nicht weniger gefährlich und stellt die Linke vor Herausforderungen: Sie darf sich nicht in einen Wettbewerb um die markigsten Sprüche hineinziehen lassen. Im Mittelpunkt ihrer Politik muß die Handlungsmaxime stehen, die gesellschaftlichen Ursachen für Unzufriedenheit und Ängste herauszuarbeiten und für solidarische Alternativen zu streiten. Diese Ursachen sind die sozialen Polarisierungen, die Privatisierung der Lebensrisiken, die Sozialisierung durch Wettbewerb und Konkurrenz, der Umstand, daß unsere Gesellschaft nach Profitmöglichkeiten, nicht nach Lebensmöglichkeiten organisiert ist. Die rechten Parteien haben hier keine Alternativen anzubieten: Niemals wurde, wenn eine der rechtspopulistischen Parteien an einer Regierung beteiligt war – in Österreich, den Niederlanden, Italien –, eine Alternative zur neoliberalen Politik realisiert, die die Lebensbedingungen für die Beschäftigten, Rentner oder Erwerbslosen verbessert hätte. Im Gegenteil, ihre Abgrenzung gegen die Armen hat deren soziale Absicherung weiter verschlechtert. Dieses »Gespenst« bedroht die etablierten Parteien, aber nicht die ökonomische Ordnung.
Nicht die Rhetorik kopieren
Dennoch muß die Linke ebenfalls eine klare Sprache sprechen, Gegner und Verantwortliche benennen. Keine Alternative zur herrschenden (Europa-)Politik zu formulieren würde die Linke ebenso schwächen. Den trügerischen Gemeinschaften und falschen Grenzziehungen der Rechten müssen solche entgegengesetzt werden, die tatsächliche Verantwortlichkeiten und den wahren Antagonismus aufzeigen. Wenn die AfD schreibt »Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen und die Banken kassieren«, dann ist daran nichts richtig – am ehesten noch, daß die Banken kassieren. »Die« Deutschen zahlen mitnichten, es leiden viele, aber nicht alle Griechen. Vor allem zahlen die »Unteren« für den auch in der Krise gewachsenen Reichtum der »Oberen«. Die Privatisierung der Daseinsvorsorge setzt in Deutschland wie – dort in viel größerem Maße – in Griechenland die meisten Menschen existentiellen Risiken aus, die durch eine Stärkung der öffentlichen Hand zu vermeiden wären. Linke Antworten auf rechten Populismus können also nicht einfach durch ähnliche Rhetorik versuchen, Wähler von rechts nach links zu ziehen. Aller Erfahrung nach stärkt das die Rechten, nicht die Linken – ihre Positionen scheinen dadurch legitim. Vielmehr muß es gelingen, das Terrain, auf dem die Auseinandersetzungen geführt werden, zu verschieben: weg von den Bevölkerungen, die gegeneinandergestellt werden, hin zur Umverteilung von oben nach unten, zum Kampf um bessere Löhne und eine Stärkung des öffentlichen Bereichs. Die europäischen Institutionen sind undemokratisch, die aufgedrückte Kürzungspolitik entmachtet die Parlamente, das Primat der Ökonomie höhlt die Demokratie aus – die Linke muß die Demokratie verteidigen und für ihre Ausweitung kämpfen. Und wenn das im Kapitalismus nicht zu erreichen ist, muß die Linke den Blick auch auf Alternativen zu ihm, auf dessen Transformation richten. Diese Themen gehören in den Mittelpunkt linker Politik. Die Linke muß das »Gespenst« einer neuen, gerechten Welt an die Wand malen.
In Deutschland gab es, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, Anfang der 2000er Jahre keine erfolgreiche rechtspopulistische Partei. Deutsche Volksunion und NPD hatten vor allem regionale Bedeutung, und es war ihnen nicht gelungen, den Mief rückwärtsgewandter Politik bzw. der Nähe zu Gewalt und Rechtsterrorismus abzulegen. Traditionell versuchen die etablierten Parteien (vor allem die CSU), das Spektrum rechts von ihnen durch Integration der Inhalte und Forderungen der Parteien auszutrocknen – so wie gegenwärtig durch Hetze gegen »Armutsmigration« in der EU. Mit der Partei Die Linke hat sich aber eine neue politische Kraft etabliert, die die sozialen und ökonomischen Kosten von Neoliberalismus, Krise und Workfare-Regime thematisiert hat und die sich in Parlament und Öffentlichkeit Gehör verschafft hat – stärker, als es ihre Vorläuferparteien PDS und WASG konnten. »Guten Morgen, Gespenst!« schrieben 2005 Rainer Rilling und Christoph Spehr: »Das Gespenst eines neuen, schlagkräftigen Parteiprojektes links von SPD und Grünen ist aufgewacht und geht um.« Der soziale Protest der Bewegung gegen die »Hartz«-Gesetze, der die Risse in der Hegemonie des Neoliberalismus zeigte, hatte jetzt auch eine politische Entsprechung. Die Gründung der Partei Die Linke ist von großem Zuspruch begleitet gewesen. Es ist in der Geschichte selten genug gewesen, daß sich linke Kräfte zusammenfinden statt sich zu spalten. Die Symbolik, daß die Linkspartei sowohl die beiden Quellparteien, West und Ost, als auch Menschen etwa aus Gewerkschaften, Frauen- und Ökologiebewegung und linke Intellektuelle zusammenbrachte, hat etwas Neues geschaffen, was mehr war als die Summe der einzelnen Bestandteile. Erstmals war die Chance eines gemeinsamen linken Projekts entstanden.
Die Partei Die Linke bremste rechte Instrumentalisierung der durch die Agendapolitik entstandenen sozialen Verwerfungen aus. Sie stand den Versuchen im Weg, »Leiden und Wut über die erfahrenen Ausgrenzungen und Entwürdigungen wiederum zur Abwertung von anderen – von Migrantinnen und Migranten oder Armen – zu nutzen. Sie war Sprachrohr für Bewegungen und Widerstand und hat in den Bewegungen treibend und systematisierend gewirkt – selbstredend nicht allein, sondern mit anderen Zentren von Organisierung und Selbstorganisierung«, wie es im »Parteientwicklungspapier« heißt.
Hegemonien aufbrechen
Das Problem, daß den Herrschenden die enormen sozialen Kosten des Neoliberalismus nicht kämpferisch präsentiert werden, ist mit dem Entstehen dieser Organisation allerdings nicht beendet oder gelöst. Zwar gibt es nun die Möglichkeit, der Unzufriedenheit durch die Wahl einer linken Partei Ausdruck zu verleihen. Doch auch in anderen europäischen Ländern gibt es Parteien links von der Sozialdemokratie, das allein konnte den Aufstieg der Rechten dort nicht verhindern. Und gerade in Deutschland sind die Erfahrungen, daß sich durch kollektiven Protest und Widerstand politischer und sozialer Fortschritt erzwingen läßt, dünn gesät. Es gibt wenig Vertrauen in SPD und Gewerkschaften; wenig Praxis im Umgang mit der eigenen Kraft und wenig Zuversicht, was damit zu erreichen wäre. Der herrschende Block scheint unveränderbar, Ohnmachtsgefühle sind weit verbreitet.
Erfahrungen von erfolgreichem Handeln, politischer Wirksamkeit müssen sich erst wieder angeeignet werden. Das ist nur in tatsächlichen Auseinandersetzungen möglich. Die Linkspartei muß es als eine ihrer Aufgaben verstehen, zu solchen Erlebnissen beizutragen. Wir können die Menschen nicht darauf vertrösten, daß »wir’s schon richten werden«, indem unsere Reden im Parlament überzeugen werden. Wir könnten diese Hoffnung nicht einlösen – und sie entspricht auch nicht unserem Politikverständnis. Hegemonie wird nicht in erster Linie im Parlament verändert. Dort können sich veränderte Kräfteverhältnisse darstellen, und die Parlamentsarbeit kann eine nützliche Ressource sein, wenn es um Anfragen, Recherchen, um Zugang zur Medienöffentlichkeit geht, durchaus wichtige Felder der Hegemoniegewinnung. Aber ohne eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse können im Parlament keine wirklichen Erfolge erzielt werden.
Die mangelnde Repräsentation bedeutet für den herrschenden Block eine Sicherung seiner Hegemonie – wenn auch nicht durch Zustimmung, sondern weil Alternativen undenkbar sind. Viele Menschen teilen die Forderungen der Linken, glauben aber nicht, daß sie durchgesetzt werden können. Das hält auch das Parteientwicklungspapier fest: »Die Linke muß ihren Gebrauchswert dagegen konkret und immer wieder aufs neue beweisen. Sie steht dabei an der Seite der Menschen, nicht auf der Kanzel über ihnen. Zusammenhänge können wir nicht nur behaupten, sie müssen auch Gegenstand von Diskussions- und Bildungsprozessen sein, in denen es den Leuten möglich wird, ihre eigenen Verallgemeinerungen zu schaffen. Die Erfahrungen können sich ändern (…).«
Die Linke muß Auseinandersetzungen anzetteln, muß in sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Kommunen, in alltäglichen Auseinandersetzungen präsent sein, sich und andere organisieren. Wenn der Kampf gegen die Privatisierung des Krankenhauses am Ort, für die Rekommunalisierung der Wasserversorgung erfolgreich ist, ändert sich der Blick auf die Welt. Wer schon mal erfolgreich gestreikt hat, weiß, wie schnell sich ein »Sachzwang« als veränderbar erweisen kann. Auch mit Blick auf Europa muß Die Linke die Gegenkräfte von unten stärken. Ein solidarisches Europa wird sich nur von unten aufbauen, indem die Bewegungen und Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, Sozialverbände und linke Parteien ihre Arbeit koordinieren. Widerstand vor Ort ist wichtig, gerade in Deutschland müssen wir mehr in Bewegung setzen. Dabei müssen Internationalismus und transnationale Solidarität für linke Parteien, Gewerkschaften, alle fortschrittlichen Kräfte selbstverständlich sein und in Konzepte, in praktische Politik umgesetzt werden. Die linken Parteien können Träger von europaweiten Kampagnen werden, deren Ziel es ist, gegen Positionen anzukämpfen, die in der Feindschaft der Nationen und Völker den maßgeblichen Widerspruch sehen, und die deutlich machen, daß dieser zwischen oben und unten besteht. Ihre Chancen sind vielleicht besser als wir denken, wenn wir gebannt auf den Aufstieg der rechten Parteien schauen. Syriza, der portugiesische Bloco, die vielen Aktiven der Proteste aus dem ersten europäischen Generalstreik von 2012 – vielleicht geht bald wieder ein linkes Gespenst in Europa um.
Bernd Riexinger zog zuletzt am 19.11.2013 an dieser Stelle Bilanz über den scheidenden BdA-Präsidenten Dieter Hundt